Bioethik aktuell

Britisches Parlament: Überwältigende Mehrheit gegen Beihilfe zur Selbsttötung

IMABE: „Ein entscheidender Sieg zum gesetzlichen Schutz von vulnerablen Personen“

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Am 11. September hat das britische Parlament über einen Gesetzesvorschlag zur Freigabe der Beihilfe zur Selbsttötung in England und Wales abgestimmt. Das Ergebnis war eindeutig - und überraschte die mediale Erwartungen: Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten lehnte nämlich eine Freigabe des assistierten Suizids ab: 330 Parlamentarier stimmten gegen den von Labour-Abgeordneten Rob Marris eingebrachten Gesetzesentwurf, nur 118 Parlamentarier dafür. Der Fraktionszwang war aufgehoben worden, David Cameron hatte sich im Vorfeld gegen ein Gesetz zur Suizidbeihilfe ausgesprochen.

Das Gesetz hätte eine Regelung vorgesehen, wie sie derzeit im US-Bundesstaat Oregon gilt: Volljährige, die eine Lebenserwartung von weniger als sechs Monate hätten, können dort nach ärztlichem Gutachten professionelle Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen, sofern sie freiwillig darum bitten und ein Gremium bestätigt, dass alle Auflagen erfüllt sind (vgl. The Guardian, online, 11.9.2015). Die umstrittene Organisation Dignitas hat nach eigenen Angaben in den vergangenen 17 Jahren 300 Briten, die in die Schweiz gereist waren, zum assistierten Suizid verholfen.

Die intensive Debatte über Sterbehilfe oder Mithilfe zur Selbsttötung hat sich in Großbritannien in den vergangenen Monaten zugespitzt. Das Thema stand erstmals nach 18 Jahren auf der Tagesordnung des Parlaments. Beihilfe zur Selbsttötung steht im Vereinigten Königreich ebenso wie in Österreich unter Strafe.

Für das klare britische Votum scheinen zwei Faktoren eine wichtige Rolle gespielt zu haben, analysiert IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. „Zum einen wird das als optimal gepriesene Oregon-Modell immer brüchiger, je näher man hinsieht, zum anderen haben die liberal denkenden Briten die Beweihräucherung des Gedankens absoluter Autonomie bei gleichzeitig realen Kürzungen der Ausgaben für das Gesundheitswesen als den eigentlich giftigen Cocktail für die Entwicklung der Gesellschaft erkannt“, analysiert die Ethikerin. „Die Befürworter des gesetzlich aufrechten engmaschigen Schutzes vulnerabler, weil kranker oder alter Personen, haben nun einen entscheidenden Sieg errungen. Das ist ein wichtiges Signal für die Debatte in Deutschland und Österreich“, so Kummer.

Würde man die Zahlen der jährlich im kleinen US-Bundesstaat Oregon mit Todesbegleitern durchgeführten Suizide auf das 65 Millionen zählende Großbritannien hochrechnen, wären das dort rund 1700 assistierte Suizide jährlich (vgl. Death with Dignity Report in Oregon 2014).

Zudem bräuchte man eine erhebliche Aufstockung des Personals, um die gesetzeskonforme Prüfung durch zwei Psychiater durchführen zu können. Man müsste mit mehreren tausend Anfragen pro Jahr rechnen, d. h. mehrere Tausend zusätzliche Interviews, wo es buchstäblich um Leben und Tod geht, wo schon jetzt Arztgespräche laut dem britischen staatlichen Gesundheitssystem (NHS) nur 10 Minuten dauern. „Es ist schwer einsehbar, wie das funktionieren sollte“, positionierte sich The Guardian (online, 09.10.2015) im Vorfeld der Abstimmung.

In Schottland hatte das Parlament bereits im Mai 2015 gegen die Legalisierung der Beihilfe zum Suizid gestimmt (vgl. Bioethik online, 5.6.2015).

Gegen den Gesetzesentwurf hatten sich Prominente wie die TV-Moderatorin und mehrfache Special Olympics-Gewinnerin Tanni Grey-Thompson stark gemacht (vgl. The Guardian, online, 8.9.2015) die negative Rückwirkungen für die Situation Behinderte befürchtete - aber auch Ärzte. Peter Saunders vom Verein CareNotKilling hat angesichts der massiven Kürzungen in der Versorgung mit Krebsmedikamenten davor gewarnt, Suizid als gesellschaftsfähige Option darzustellen (vgl. online, 6.9.2015). Das britische National Health Service will in Zukunft 17 Krebsmedikamente für 25 verschiedene Indikationen nicht mehr bezahlen, womit künftig laut Saunders insgesamt zwei Drittel aller bisher bezahlten Therapien bei Brustkrebs oder Pankreaskrebs nicht mehr vom staatlichen Gesundheitssystem bezahlt würden. Komme die Freigabe der Suizidbeihilfe, würden Ärzte in die Rolle gedrängt, Selbsttötung quasi als Therapieoption anzubieten, was eine in Oregon bereits dokumentierte Praxis sei (vgl. Wiener Zeitung, online, 20.2.2015).

Institut für Medizinische
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