Bioethik aktuell

IMAGO HOMINIS: Transhumanismus - Muss der Mensch optimiert werden?

Der Transhumanismus lebt von der Idee, durch Technik das „Mangelwesen Mensch“ zu reparieren und ihn in einer Verschmelzung von Mensch und Maschine zu optimieren.

Lesezeit: 04:14 Minuten

Ewiges Leben und technisch optimierte Körper, in Clouds upgeloadete Gehirne und Menschen als Cyborgs – das sind die Visionen des Transhumanismus, der das Menschliche überwinden und in einen „posthumane“ Zustand versetzen will. Die Technik soll ein neues qualitativ höheres Wesen erschaffen, das den Menschen ersetzt. Welches Bild von Mensch und Natur steht hinter der Utopie des Transhumanismus?

Im Oktober 2022 fanden an der Universität Salzburg die 3. Salzburger Bioethik-Dialoge statt, diesmal zum Thema „Wunschmedizin“. IMABE durfte die Tagung wissenschaftlich beraten und begleiten. In der aktuellen Ausgabe von Imago Hominis (2/2023) publizieren wir einige Vorträge der Tagung, die sich mit dem Thema Transhumanismus beschäftigten. 

Der Transhumanismus ist heute eine globale, wenn auch uneinheitliche Bewegung, die von der Überzeugung lebt, dass der Mensch mithilfe von Wissenschaft, Medizin und Technik nicht nur optimiert, sondern auch überwunden werden kann und soll. Welches Bild von Mensch und Natur steht hinter der Utopie des Transhumanismus?

Die Wissenschaftler begründen, warum sich das Ansinnen des Transhumanismus und Posthumanismus im Bereich des Utopischen bewegt - und auch Utopien bleiben wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Transhumanismus zeigt, auf welchen Grundlagen hier Mensch, Welt, Technik und Medizin verstanden werden - und warum dies einer Korrektur bedarf.

Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs (Karl Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Heidelberg) zeigt, dass jede vermeintliche Verbesserung die evolutionär herausgebildeten Proportionen der menschlichen Vermögen aus dem Gleichgewicht bringt, wie sich an verschiedenen Beispielen des Enhancement zeigt. Die Idee einer Neugestaltung der biologischen Natur des Menschen sei daher auch grundsätzlich in sich widersprüchlich. Denn die Vorstellungen vom Guten oder „Optimalen“, dem diese Umgestaltung letztlich dienen soll, sind ohne die verkörperte Naturbasis nicht mehr sinnvoll formulierbar.

Der Philosoph Thomas Sören Hoffmann (Institut für Philosophie der Fernuniversität Hagen) führt aus, dass das Ziel, den Menschen zu „verbessern“, über viele Jahrhunderte als Aufgabe von Religion, Kunst, Philosophie, Pädagogik und Aufklärung angesehen worden ist. Erst in neuerer Zeit sollen rein technische Mittel eine „Perfektionierung“, wenn nicht eine „Überwindung“ des bisherigen Menschen ermöglichen. Es sei jedoch leicht zu zeigen, dass entsprechende Zielsetzungen auf eine tief sitzende Störung im Selbst- und Weltverhältnis verweisen, die als Ausdruck einer akuten Dehumanisierung des Denkens und Handelns verstanden werden muss. Die Therapie und Alternative dazu kann nur in der Erinnerung an das gefunden werden, worin die eigentliche Lebensfülle für den Menschen als Vernunft- und Freiheitswesen besteht.

Technik ist Lebensform: Sie ist Medium unseres Umgangs mit der Wirklichkeit und führt zu einer veränderten Selbst- und Weltwahrnehmung, anaylsiert der Züricher Philosoph Oliver Dürr, tätig am Zentrum Glaube & Gesellschaft der Universität Fribourg und Habilitand am Institut für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Universität Zürich. Heute werde der Mensch auf eine Art Körpermaschine oder defizitäre Rechenmaschine reduziert. Doch weder könnten Geistvollzüge durch Algorithmen ersetzt werden, noch sei es Aufgabe der Medizin, ein grundsätzlich als „pathologisch“ definiertes Leben zu optimieren. Wenn die Digitalisierung des Lebens (exemplarisch in der Medizin) gute Früchte tragen soll, dann müssen auch kulturelle und anthropologische Grundlagen kritisch in den Blick genommen werden. Eine Verquickung von Digitalisierung mit einem reduktiven Welt- und Menschenbild hält Dürr für problematisch.

Der Facharzt für plastische und rekonstruktive Chirurgie, Oskar C. Aszmann (Klinisches Labor für Bionische Extremitätenrekonstruktion, Medizinische Universität Wien) beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit bionischen Rekonstruktionen. Der Verlust einer Hand oder eines Fußes soll mit technologischen Hilfsmitteln bestmöglich wiederhergestellt werden - bis hin zur Steuerung der Prothese durch das Gehirn und der Entwicklung von Sensorik. In der Praxis werden jedoch die Schwierigkeiten offensichtlich, die die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine mit sich bringt. Zwar sind die physikalischen oder chemischen Größen biologischer Systeme prinzipiell auch im technologischen Umfeld nutzbar, aber eben nur sehr limitiert. Aszmann zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der biotechnologischen Schnittstellen auf und warum die Vorstellung, dass wir in naher Zukunft Cyborgs hervorbringen werden, utopisch ist. Die Welt der Technologie hat zwar Überschneidungen mit der Welt der Biologie, doch ist der Mensch keine biologische Maschine.

Paul Cullen (Facharzt für Laboratormedizin im Bereich Innere Medizin, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster) schreibt in seinem Beitrag über die Fortschritte der gentechnischen Modifikation am Menschen der letzten 20 Jahre und spricht auch die Risiken an. Als das menschliche Erbgut im Jahr 2000 entschlüsselt wurde, stellte man sich vor, nicht nur seltene Erbkrankheiten wie die Sichelzellanämie, sondern auch komplexe Erkrankungen mit einer Erbkomponente wie Diabetes mittels Gentherapie bald heilen zu können. Zwanzig Jahre später ist Ernüchterung eingetreten: Derzeit gibt es nur eine Handvoll solcher Therapien, die alle für seltene Erkrankungen gedacht und sehr teuer sind. Heute ranken sich ähnliche Erwartungen um die Genschere CRISPR. Doch wahrscheinlich wird sich auch hier mittelfristig Enttäuschung einstellen, so Cullen. Der Versuch, Menschen nach Erbkriterien auszuwählen oder zu „verbessern“, sei nicht nur ethisch fragwürdig, sondern auch technisch zweifelhaft.

Mit der Frage nach dem moralischen Status der sogenannten synthetischen Embryonen beschäftigt sich die Wiener Biologin Margit Spatzenegger. Aus philosophischer Perspektive gebe es gute Gründe dafür, dass einem menschlichen Embryo, der künstlich aus reprogrammierten Stammzellen entstanden ist, derselbe Schutz zukommen sollte wie jedem anderen menschlichen Embryo. Eine Verzweckung menschlicher synthetischer Embryonen für die Forschung sollte durch ethische Regularien verhindert werden.

Link: IMAGO HOMINIS 2/2023 mit dem Schwerpunkt Transhumanismus.

Institut für Medizinische
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