Editorial

Imago Hominis (2023); 30(3): 151-153
Susanne Kummer

Als am 25. Juli 1978 Louise Brown als erstes Kind nach künstlicher Befruchtung – ‚In-Vitro-Fertilisierung‘ (IVF) – zur Welt kam, wurde dies als medizinische Sensation gefeiert. In Österreich und Deutschland kam 1982 das erste IVF-Kind zur Welt, in der Schweiz 1985. Schätzungen zufolge leben inzwischen weltweit acht Millionen Menschen, die nach extrakorporaler Befruchtung geboren worden sind.

In Österreich gibt es Vorstöße, das novellierte Fortpflanzungsmedizingesetz von 2019 erneut aufzuschnüren: Social Egg Freezing, also das Lagern von Eizellen auf Vorrat zwecks späterer Kinderwunscherfüllung, soll ermöglicht werden. Auch die Weitergabe von ‚zu viel‘ erzeugten – und damit ‚übrig gebliebenen‘ – Embryonen an Dritte wird diskutiert. In Österreich werden zurzeit 50.000 Embryonen tiefgefroren gelagert (Stand 2021). In der Schweiz wurde im Herbst 2022 der Bundesrat beauftragt, die gesetzliche Grundlage und Rahmenbedingungen für eine Legalisierung der Eizellspende zu schaffen. In Deutschland werden die Weichen gestellt, noch im Jahr 2023 die Eizellspende, die Weitergabe von Embryonen zu Forschungszwecken und auch die Leihmutterschaft zu legalisieren.

Das Argument, dem sich alle anderen Gesichtspunkte unterordnen müssen, liegt im Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘. Ohne das Rohmaterial Ei- und Samenzelle und ohne Frauen, die ihren Körper als ‚Brut- und Produktionsstätte‘ verleihen, wären allerdings die multiplen und ‚autonomen‘ Wünsche von Kunden, die ohne jeglichen pathologischen Hintergrund eine IVF in Anspruch nehmen, nicht erfüllbar. Ist die reproduktive Autonomie tatsächlich ausreichend als letztbegründendes Argument für jedwede Form der Erfüllung des Wunsches nach einem Kind? Was, wenn die Selbstbestimmung der einen zugleich andere fremdbestimmt? Wie steht es um die Rechte der Kinder?

In feministischen Zirkeln wächst das Unbehagen. Offen wird mittlerweile die Ausbeutung von Frauen durch Dritte kritisiert, geringe Erfolgsquoten und medizinischen Risiken werden benannt, mit denen Frauen und Kinder im Zuge einer IVF bzw. Leihmutterschaft rechnen müssen. Diese Schattenseite der ent-leiblichten Produktion des Lebens ist in der breiten Öffentlichkeit allerdings kaum noch angekommen. Dort herrscht weiterhin das Bild einer wunscherfüllenden Medizin, die alles kann und nebenwirkungsfrei alle glücklich macht. Dass 80 von 100 Frauen nach einer IVF ohne Kind nach Hause gehen, wird kaum thematisiert.

Eine kritische Reflexion von Autonomie, Körper und Reproduktion steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe. Die Verheißung einer Autonomie, die an keine Vorgaben und Grenzen der eigenen oder der Leiblichkeit anderer gebunden ist und nach Wunsch und Wille über die Quellen des Lebens verfügen darauf, ist ein wirkmächtiges Narrativ. Es findet sich im Kontext menschlicher Existenzwerdung unter dem Schlagwort ‚reproduktive Autonomie‘, der Sterbehilfe-Debatte (‚Recht auf einen selbstbestimmten Tod‘) oder auch im Kontext des Wunsches nach einer ‚Änderung‘ des Geschlechts bei Jugendlichen (Geschlechterdysphorie).

Als Ethikerin (Direktorin, Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik, Wien) gehe ich in meinem Beitrag dem Begriff der ‚reproduktiven Autonomie‘ kritisch nach, der von einer Überhöhung zu Ungunsten Dritter lebt. Der gesamte Markt der assistierten reproduktiven Techniken (ART) fußt auf Abhängigkeiten und Zumutungen, Fremdentscheidungen über Dritte, erzwingt die Vernichtung von menschlichen Existenzen und lebt von Marktmechanismen, die die Ausbeutung von Personen in vulnerablen Lebenssituationen begünstigen. Autonomie ist kein monologisches Prinzip. Sie muss in die relationale Dimension des Menschseins eingebettet werden.

Die Gynäkologin Susanne van den Verde (Leiterin der FertilityCare-Klinik am Katholisches Karl-Leisner-Klinikum, Kleve/D) stellt Therapiemöglichkeiten durch die sogenannte wiederherstellende Reproduktionsmedizin vor. Die Therapie wird individuell angepasst – je nach Ursache der Störung der Fruchtbarkeit des Paares. Erklärtes Ziel dieses Ansatzes ist es, die Fruchtbarkeit des Paares so zu verbessern, dass eine Schwangerschaft auf natürlichem Weg eintreten kann. Die Erfolgsraten zeigen, dass es hier vielversprechende Ansätze gibt.

Die Praxis der Leihmutterschaft spaltet Elternschaft in biologische, rechtliche und soziale Dimensionen auf – zulasten des Kindes. An einem Leihmutterschaftsarrangement (LMA) sind regelmäßig bis zu sechs Erwachsene beteiligt. Der Jurist Felix Böllmann (Director of European Advocacy, Alliance for Defending Freedom, Wien) legt dar, warum die grenzüberschreitende Praxis der Leihmutterschaft Frauen und Kinder gefährdet und mit dem Konzept allgemeiner und universeller Menschenrechte, namentlich dem Schutz der Menschenwürde und der Familie nicht vereinbar ist.

Unter dem Schlagwort der ‚reproduktiven Autonomie‘ wird auch das ‚Recht auf Abtreibung‘ gefordert. Eine Spätabtreibung ist in Österreich und Deutschland legal, wenn durch sie eine ernste Gefahr für die psychische Gesundheit der Frau abgewendet werden kann. Dem Schwangerschaftsabbruch wird damit ein therapeutischer Benefit (Schutz der psychischen Gesundheit) unterstellt. In der Wissenschaft ist allerdings umstritten, ob ein solcher Effekt hypothetisch ist oder tatsächlich existiert und ob er wissenschaftlich nachweisbar ist. Gemeinsam mit den beiden Medizinern Johannes Bonelli und Walter Rella (IMABE, Wien) gehen wir der Frage nach dem Stand der Wissenschaft zur Frage ‚Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen‘ nach.

Der Begriff der Würde schließt ein, dass sie dem Menschen intrinsisch ist und ihm nicht durch einen Akt zu- oder abgesprochen werden kann. Im Kontext der modernen Medizin und eines überhöhten Autonomieanspruchs droht hingegen eine Verfügung oder Verobjektivierung des Menschen. Der Moraltheologe Peter Schallenberg (Universität Paderborn) analysiert, warum dem Menschen schon in seiner frühesten embryonalen Lebensphase Menschenwürde zukommt. Eine Aufweichung des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland, wie sie derzeit im Raum steht, wäre aus Sicht der Menschenrechte ein Rückschritt.

Die Medizinerin Isolde Edelmann (Wien) legt dar, warum angesichts der steigenden Zahl von Kindern und Jugendlichen, die unter Berufung auf ihre Selbstbestimmung eine Geschlechtsumwandlung einfordern, ein differenzierte Vorgangsweise notwendig ist. Die Gabe von Pubertätsblockern bei Jugendlichen kann schwerwiegende, teils irreversible Schäden mit sich bringen, wobei häufig keine Indikation für diese Behandlung besteht.

Was braucht der Mensch mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid wirklich? Der Psychiater Raimund Klesse (Chur/Schweiz) hinterfragt das Konstrukt eines ‚autonomen Suizids‘. Kennzeichen einer suizidalen Krise ist es, dass der Mensch nicht frei ist. Ziel der Beratung und Hilfe ist daher immer, lebensbejahende Wege aus der Krise zu ermöglichen, anstatt bei der Erfüllung von Suizidwünschen mitzuhelfen. Diese ist weder aus medizinischer Sicht begründbar und noch ethisch haltbar.

Susanne Kummer

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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