Ideen ohne Schranken?

Imago Hominis (2005); 12(1): 16-18
Marion Stoll

Wer erinnert sich nicht an die euphorischen Erfolgsmeldungen, mit denen die Geschichte des im Sommer 1996 geborenen Klonschafes Dolly umrankt und begleitet wurde? Wer erinnert sich nicht an die utopisch scheinenden Zukunftsperspektiven, die aufgrund des ersten geglückten Klonversuches eines erwachsenen hoch entwickelten Lebewesens gezeichnet wurden? Und wer erinnert sich nicht an den in Folge entflammten Forschungseifer, diesen neu eröffneten Weg – mit aber noch ungewissem Ziel – zu beschreiten?

Mit diesen bahnbrechenden Ereignissen aufs engste verknüpft ist der Name Ian Wilmut, Forscher am Roslin-Institut im schottischen Edinburgh, gemeinsam mit Keith Campbell geistiger Vater und Schöpfer des Klonschafes Dolly und als solcher weltweit bekannt. Das Klonschaf Dolly musste in der Zwischenzeit aufgrund einer fortschreitenden Lungenerkrankung eingeschläfert werden, seine Überreste sind ausgestopft auf einem strohbedeckten Sockel in einem schottischen Museum zu bewundern; die Klontechniken wurden weiterentwickelt und auf Versuche mit humanen Zellen übertragen.

Seit kurzem erscheint sein Name wiederum, diesmal in einem etwas anders gelagerten Zusammenhang. Kurz zu den Fakten: Anfang Februar erhielt Wilmut von der zuständigen Behörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) nach Antragstellung im vergangenen September die einjährige Lizenz dafür, menschliche Embryonen zu Forschungszwecken zu klonen. Diese Genehmigung ist in Großbritannien, seit Legalisierung des Klonens zu therapeutischen Zwecken im Jahr 2001, nicht die erste: Bereits im vergangenen Sommer konnte sich der Forscher Miodrag Stojkovic von der Universität Newcastle über das behördliche Placet zu seinem Klonprojekt freuen. Ausdrückliches Ziel des Experimentes von Wilmut sei die Erforschung der Ursachen von Entstehung und Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen, sogenannter Motoneuronerkrankungen, im speziellen Fall das tiefere Verständnis von Steuerungs- und Stoffwechselprozessen der amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Wilmuts Forscherteam vom Kings College in London plant, ALS-Patienten ausdifferenzierte Körperzellen zu entnehmen, ihren Zellkern im klassischen Verfahren des Nukleartransfers in zuvor entkernte unbefruchtete Eizellen einzubringen und daraus Embryonen zu klonen. Diesen geklonten Embryonen sollen dann im Blastozystenstadium die Stammzellen entnommen werden, die schließlich die Ausgangssubstanz zur Züchtung weiterer Zellen für die Forschung darstellen würden. Die hergestellten Embryonen werden im Rahmen dieses Vorganges getötet.

Schon vieles haben wir über die Herstellung von und Forschung mit embryonalen Stammzelllinien gehört: Krankes bzw. abgestorbenes erwachsenes humanes Gewebe soll durch gesunde bzw. frische junge Zellen ersetzt werden können – das menschliche Ersatzteillager, der Embryo als Rohstofflieferant. Doch die Zielsetzung von Professor Wilmut ist eine andere als die bisher formulierte: Es geht diesmal nicht um die Züchtung gesunder Stammzellen, die sich unter entsprechender und geeigneter Stimulation in verschiedene Gewebstypen differenzieren und schließlich für den Ersatz kranken Gewebes eignen könnten, sondern um die Herstellung definitiv kranker Embryonen, um ausreichend Zellmaterial für die Forschung zu gewinnen, also die Gewinnung von Klonzellen als Modellsysteme von Krankheiten. Buchstabieren wir das noch einmal langsam durch: Kranke menschliche Embryonen werden geklont, um im frühen Entwicklungsstadium der Forschung anheim zu fallen. Embryonale Stammzellen durch Klonierung zu gewinnen, um bei einem erwachsenen Menschen einen sonst medizinisch nicht beeinflussbaren Gewebsdefekt zu ersetzen, mag – abgesehen von der grundsätzlichen Verwerflichkeit jedes Klonversuches mit humanen Zellen – für einen ethisch nicht sonderlich gebildeten Betrachter noch einigermaßen einleuchtend sein. Doch das Klonen von embryonalen Stammzellen mit einer umschriebenen und definierten Krankheit, nur um Grundlagenforschung zu betreiben, ist absurd. In seinem Buch „Dolly“ meinte Wilmut, „die Gesellschaft braucht keine Technologien zu übernehmen, die ihr Unbehagen einflößen“. Hat er das vergessen?

Mitte März soll Wilmut für seine bahnbrechende Forschung den mit 100.000 Euro dotierten Paul-Ehrlich- und Ludwig-Darmstaedter-Preis 2005 erhalten. Mehr als verständlich, dass die Wogen hoch gehen: die Hälfte des Forschungspreises stammt nämlich aus dem Finanztopf des deutschen Bundesgesundheitsministerium. Daher ist die Frage berechtigt, ob es möglich sein kann, dass jemand, der im Ausland das tut, was im eigenen Land zu Recht bei Strafe verboten ist, mit deutschen Steuergeldern geehrt und gefördert wird.

Gerade ein Jahr ist vergangen, seit wir die Sensationsmeldungen aus Südkorea gelesen haben: Zum ersten Mal war es gelungen, menschliche Embryonen im Verfahren des Zellkerntransfers zu erzeugen und aus ihnen embryonale Stammzellen zu isolieren. Ein Bericht, der die Scientific Community spaltete: Während auf der einen Seite dieser Erfolg als medizinischer Meilenstein auf dem Gebiet des Forschungsklonens mit Begeisterung aufgenommen wurde, wurden auf der anderen Seite zunehmend Befürchtungen geäußert, dass hiermit ein wesentlicher und gefährlicher Schritt in Richtung reproduktives Klonen bereits getan sei. Daher die ausdrückliche Betonung und mehrmalige Versicherung Wilmuts, er wolle die Stammzellen rein zu Forschungszwecken gewinnen. Dabei gehe es im Moment nicht darum, die Krankheit effektiv zu behandeln. Doch mag sein, dass man im Rahmen der Forschung einmal auf wirksame Behandlungsmethoden stößt. Hoffnung verleiht Flügel. Doch Faktum ist, dass sich die Experimente auf dem Gebiet der Grundlagenforschung bewegen werden, ohne Aussicht darauf, in naher Zukunft in die Entwicklung neuer Therapiestrategien einmünden zu können. „Die Wahrscheinlichkeit von Erfolg oder Misserfolg mit schrecklichen Konsequenzen kann nicht ohne Auswirkungen auf das Urteil über Recht und Unrecht bleiben“, so Ian Wilmut in seinem Buch. Doch bilden Wahrscheinlichkeiten und Risiken (oder gar Erfolg und Misserfolg) wirklich eine geeignete Grundlage für Urteile über Recht und Unrecht? Viele Erwartungen und Hoffnungen werden in die embryonale Stammzellforschung gesetzt, auch in das Forschungsklonen, das irreführenderweise häufig auch therapeutisches Klonen genannt wird. Zum jetzigen Zeitpunkt sind dies Illusionen. Illusionen, die zudem auf ethisch verwerflichen Methoden beruhen. Doch auch berechtigte Hoffnungen könnten im Hinblick auf die unantastbare Würde des Menschen niemals eine embryonenverbrauchende Forschung und das Experiment am Menschen rechtfertigen. Ethisch unbestrittene Verfahren wie etwa die adulte Stammzellforschung zu fördern, Techniken mit konkreten Anhaltspunkten für, wenn auch in der Ferne liegende, so doch berechtigterweise erhoffte, Erfolge voranzubringen: Darin sollten die Forschungsbemühungen bestehen.

Auch wenn eine weltweite verbindliche Antiklonkonvention noch in weite Ferne gerückt scheint, so stellt die kürzlich von der Generalversammlung der UNO verabschiedete Deklaration doch zumindest einen, wenn auch völkerrechtlich nicht bindenden, so doch notwendigen Appell für ein generelles Klonverbot dar. Dass der Text in den Staaten, in denen das therapeutische Klonen bereits erlaubt ist, keine Auswirkungen auf die gängige Praxis ausüben wird, ist anzunehmen. Und doch gilt es, dem ethisch Unbedenklichen auf vielerlei Weise Vorschub zu gewähren, sodass dem ethisch Bedenklichen Boden und Hoffnung entzogen wird.

Denn: Wer ahnt nicht, dass sich die therapeutische Hoffnung in der Medizin auf tragfähigere und ethisch einwandfreie Fundamente stützen soll? Wer weiß nicht, wie gefährlich Wege sein können, die man beschreitet, ohne vorher nach rechts und nach links zu schauen, ganz zu schweigen vom Blick in die Tiefe? Und wer kann sich angesichts der zunehmenden Angriffe auf die menschliche Würde gedanken- und interesselos zurücklehnen?

Anschrift der Autorin:

Dr. Marion Stoll, Imabe-Institut
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien
mstoll(at)imabe.org

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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