„Leben. Sterben. Euthanasie?“

Imago Hominis (1999); 6(2): 155-156
Susanne Kummer

„Wer Sterbehilfe nicht will, muß für optimale Sterbebegleitung sorgen“, forderte Familienminister Martin Bartenstein auf der zweitägigen interdisziplinären Fachtagung „Leben. Sterben. Euthanasie?“, die am 19./20. März in Wien stattfand. Bartenstein wies darauf hin, daß sein Ressort vor fünf Jahren im Zuge einer Enquete wesentlich an der „Geburtsstunde vieler Hospizgruppen in Österreich“ beteiligt war. Doch selbst wenn der politische Wille in Österreich da ist, einer Legalisierung der Euthanasie mit allen Kräften entgegenzuwirken: Die Alarmzeichen stehen auf Rot.

Unter dem Druck der demographischen Entwicklung, steigender Lebenserwartung, Ressourcenknappheit und den inneren Mechanismen einer hedonistisch orientierten Konsumgesellschaft könnte die Diskussion um eine Legalisierung der Euthanasie bald „lawinenartigen Charakter annehmen“, meinte Bartenstein besorgt. Die Niederlande, in denen bereits 15 Prozent aller Todesfälle auf aktive Sterbehilfe zurückzuführen sind, gelten – noch – als abschreckendes Beispiel. Vorboten "argumentativer Strickmuster" gibt es allerdings auch in unseren Breiten.

Ist die Lockerung des Tötungsverbotes nicht ein Emanzipationsfortschritt? Oder zumindest unvermeidlich, wenn wir ernst machen wollen mit dem Recht auf Selbstbestimmung, dem Sterben in Würde und einem humanenTod durch „lebensbeendende Maßnahmen“ statt sinnlos verlängertem Leiden? Solche Fragen halten die weltweite Diskussion um die Tötung auf Verlangen in Atem. Und sie verlangen nach Klärung.

Nach Günther Pöltner, Professor für Philosophie an der Universität Wien und Gründungsmitglied des interfakultativen „Instituts für Ethik in der Medizin“, lassen sich drei Hauptargumente der Euthanasiebefürworter unterscheiden: Erstens wird die absolute Achtung der Selbstbestimmung des Euthanasiewilligen eingefordert, zweitens die Befreiung von unerträglichen Schmerzen, und drittens wird behauptet, daß der Unterschied von Töten und Sterbenlassen moralisch irrelevant sei, weil die Konsequenz ja in beiden Fällen die gleiche sei: nämlich der Tod.

Wie steht es nun mit dem ersten Argument, dem Respekt des Arztes vor der selbstbestimmten Entscheidung des Patienten?

Autonomie, konstatiert Pöltner, wird oft mißverstanden. Selbstbestimmung meine nicht einfach „Willkür“, sondern das Vermögen „sittlich zu handeln“. Das schließt immer eine individuelle, aber auch eine soziale Komponente ein. Kann das Verlangen, getötet zu werden, einen anderen sittlich zu einer Handlung verpflichten? Pöltner verneint dies mit der Begründung: „Verbindlich ist nicht das fremde, sondern das eigene Gewissen!“ Es genügt nicht, daß sich der Arzt als Rechtfertigungsgrund auf das Gewissen des Patienten zurückzieht. Der Arzt sei zunächst verpflichtet, den „Inhalt des Verlangten“ zu prüfen. Ein Tötungsverlangen könne jedoch niemals zur Handlungsnorm werden. Es widerspreche fundamental der Würde des Menschen, die „unveräußerlich“ ist.

Ärzte müßten es als „moralische Zumutung“ empfinden, daß man ausgerechnet von ihnen verlange zu töten, betont auch der deutsche Moralphilosoph Anselm Müller. Ein „Bestattungsunternehmer mit entsprechenden Zusatzqualifikationen“ wäre da schon eher geeignet, fügt er ironisierend hinzu. Es sei nicht einzusehen, warum die Euthanasie überhaupt einer bestimmten Berufsgruppe übertragen werden soll. Wenn sie etwas Gutes ist, sollte sie zu den Pflichten jedes guten Staatsbürgers gehören. An diesem überspitzt formulierten Gedanken verdeutlicht der Wiener Internist Univ. Prof. Werner Waldhäusl, daß die Forderung nach Euthanasie Ausdruck der „intellektuellen Hybris“ einer selbsternannten „Elite“ entspricht, die sich sicher nicht auf eine Mehrheit der Bürger in unserer Gesellschaft berufen könne.

Was aber spricht gegen das zweite Argument: Ist Euthanasie nicht der letzte mögliche Weg, um von unerträglichen Schmerzen zu befreien, die ein Leben in Würde unmöglich machen?

Dem ist zweierlei zu entgegnen: Medizinisch gesehen hat man gerade in der Erforschung der Schmerzbekämpfung wesentliche Fortschritte erzielt. Ein Beispiel: Neunzig Prozent der schwerstkranken Patienten, die sich am Hospiz im Geriatriezentrum am Wienerwald einer Schmerztherapie unterzogen, gaben nach erfolgter Behandlung an, praktisch schmerzfrei zu sein. Der Dachverband „Hospiz Österreich“ fordert seit Jahren den Ausbau der modernen Palliativmedizin an den Krankenhäusern. Der Nachholbedarf ist hier noch groß, erste Schritte sind jedoch im Gange.

Neben der medizinischen bleibt eine psychologische Komponente bestehen: der Anblick des Leidenden erzeugt Angst, Abwehr. Hier ist echtes Mitleid von falschem (Selbst)mitleid zu unterscheiden. Die „eigene Angst vor dem Leid wird mit dem Resultat auf den Leidenden projiziert“ (Pöltner), so daß man sich von diesem Anblick radikal zu befreien sucht – durch die Tötung des Leidenden. Wahre Mitmenschlichkeit hingegen, sagt Pöltner, hilft dem anderen „in seiner Selbstannahme“, indem man mit dem „Leidenden mitgeht“.

Gegen das dritte Argument der Euthanasiebefürworter – Sterbenlassen sei gleichzusetzen mit Töten – wehrte sich der Linzer Intensiv-mediziner, Univ.Prof. Kurt Lenz. Lebenssrettende Maßnahmen sind nur so lange sinnvoll, als reale Chancen bestehen, das Leben des Patienten erhalten zu können. Wenn dies aber nach ärztlichem Ermessen ausgeschlossen ist, bricht man eine Therapie „nicht einfach ab“, sondern „ihr Ziel wird geändert“. Statt lebenserhaltender Therapien stehen nun Pflege und Schmerzmittel im Vordergrund. Um diese ars dimittendi, die „Kunst des Entlassens“, zu bewältigen, müßten die Ärzte lernen, eine „psychologische Barriere“ zu überwinden, nämlich den „Übergang von der kurativen zur palliativen Behandlung“, betonte der deutsche Rechtsmediziner Hans-B. Wuermeling. Einem „Sterbenlassen in Würde“ dürfe aber keine versteckte Tötungsabsicht unterstellt werden. Vielmehr gehe es darum, zu einem „Leben in Würde“ zu verhelfen. Denn auch Sterbende sind Lebende.

An die Akzeptanz des Todes als letzter, nicht verfügbarer Grenze des eigenen Daseins erinnerte auch die Dresdener Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Die Einübung auf das Loslassen, das Bereinigen von Schulden und Schuld müsse schon jetzt trainiert werden. Pointiert ließe sich die ars moriendi nach Gerl-Falkovitz auch als Lebensmotto formulieren: „Vergiß nicht zu sterben!“

Anschrift der Autorin:

Mag. Susanne Kummer, Freie Journalistin, Wien

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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