Fallbericht: „Der Arzt im Konflikt mit dem Willen des Patienten, den Forderungen der Anverwandten und dem Druck der Medien“

Imago Hominis (1997); 4(4): 283-284

Die 79-jährige Patientin bemerkt seit ca. 1 Jahr einen Knoten in der linken Brust, der rasch an Größe zunimmt. Die Aufnahme in die chirurgische Abteilung erfolgt am 26.4.96 in vermindertem AZ und EZ (40 Kg, Größe 159 cm). Die linke Brust ist schmerzhaft und hart. Die präoperativen Untersuchungen zeigen einen Harnwegsinfekt, Verdacht auf Niereninsuffizienz (Kreatin 1,5 mb%, BUN 38 mg%, K 5,8 mg%, Schrumpfnieren bds. ) chron. Cor pulmonale bei COPD, Rechtsinsuffizienz mit sonographisch erweiterten Lebervenen und eine Linksherzhypertrophie. Auf Grund der vorliegenden Befunde und des kachektischen Zustandes der Patientin wird von interner Seite ein erhöhtes OP-Risiko festgestellt, die OP-Freigabe aber trotzdem erteilt.

Die Ablatio mammae links mit Axilladissektion erfolgte am 13.5.96. Es bleibt ein 10 x 7 cm großer Defekt, der durch einen Drehlappen gedeckt wird. Histologisch handelt es sich um ein hormonrezeptornegatives infiltrierendes ductales CA Std. G2 T3 N2 Mx (30 Lymphknoten mit Metastasen). Von onkologischer Seite wird auf Grund des schlechten AZ‘s der Patientin von einer Chemotherapie abgeraten.

Die postoperative Phase gestaltet sich schwierig. Es kommt zu Nekrosebildungen am Drehlappen, rezid. nächtlichen Asthmaanfällen und nur zu einer langsamen Erholung. Am 8.6.96 stürzt die Patientin im Badezimmer und bricht sich den linken Oberschenkelhals. Sie wird in ein Unfallkrankenhaus transferiert. Auch hier wird von interner Seite auf Grund der Vorerkrankungen und der höhergradigen Kachexie ein ausgeprägtes erhöhtes OP- und Narkoserisiko festgestellt. Die Patientin fiebert auf über 38°C. Sie erhält Penicillin und Combactam. Am 10.6.96 wird die pertroch. Fraktur mit einer DHS stabilisiert. Die Patientin erhält postoperativ insgesamt 3 Erykonzentrate.

Am 18.6.96 wird sie ins Krankenhaus rücktransferiert. Es besteht weiterhin eine mäßige Anämie und Hypokaliämie. Sie erhält Antibiotika, weiters KCl-Infusionen und eine Eisensubstitution.

Eine Mobilisierung ist wegen des schlechten Zustandes der Patientin nicht möglich. Die Patientin verweigert die Nahrungsaufnahme, trinkt sehr wenig und ist auch die nächsten Tage auf Grund der weiter zunehmenden Schwäche nicht zu mobilisieren. Im Cor/Pulmo Röntgen zeigen sich Brochitiszeichen, Umverteilungszeichen und kleine Winkelergüsse. Die Patientin erhält Digimerck i. v. und wird am 20.6.96 auf die interne Abteilung transferiert. Trotz der pflegerischen Maßnahmen, der medikamentösen Therapie und obwohl die Patientin kleine Nahrungsmengen oral aufnehmen kann, verschlechtert sich ihr Zustand weiter. Sie äußert mehrmals gegenüber dem Pflegepersonal und den behandelnden Ärzten den Wunsch zu sterben und bittet, keine weitere Behandlung mehr durchzuführen. Ihr Gatte hingegen konfrontiert die Ärzte mit dem Vorwurf, nicht alles zu tun, was bei einem Brustkrebs möglich ist, und schuld am Oberschenkelbruch und am schlechten Zustand seiner Gattin zu sein. Er werde alles in die Zeitung bringen. Heutzutage könne man einen Brustkrebs ja heilen. Seine Frau sei den Ärzten wohl zu alt, die nötige Therapie dem Krankenhaus zu teuer! Ein ausführliches Gespräch mit dem Gatten kann ihn trotzdem wenig überzeugen.

Am 24.6.96 wird dem Wunsch der Patientin dennoch Rechnung getragen und alle Medikamente (Digitalis, Antibiotika, Broncho-spasmolytika, Fe) abgesetzt, die konsequente Flüssigkeitssubstitution wird jedoch fortgeführt. Am 28.6.96 kommt es zum Auftreten einer massiven Melaena, der Hämatokritwert beträgt 19,8%, Ery 2,2 Mill, Hb 6,5 g%. Die Patientin beteuert ausdrücklich, sie möchte keine Blutkonserven erhalten und sterben. Dann verschlechtert sich ihr Bewußtseinszustand. Der Patientin werden aber trotzdem von den diensthabenden Ärzten insgesamt drei Blutkonserven transfundiert, weiters erhält sie Losec und Gumbix. Eine Nichtbehandlung würde ja den direkten Tod der Patientin zur Folge haben. Außerdem fürchtet man, ausgelöst durch die Verwandten, einen Skandal. Die Blutung kann zum Stillstand gebracht werden. Trotzdem verschlechtert sich der AZ weiter, sodaß sie am 8.7.96 verstirbt.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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