Zur Frage der moralischen Legitimität der IVF

Imago Hominis (2002); 9(4): 237-244
Walter Mixa

Zusammenfassung

Die katholische Kirche hält die Praxis der IVF für in sich unvertretbar. Der Artikel versucht diese Position auf der Basis der Instruktion „Donum Vitae“ von 1987 argumentativ zu plausibilisieren. Er interpretiert die IVF dabei als technische Form sozialen Handelns. Als solche zielt sie auf Effizienzmaximierung, was hier nichts anderes heißt als die Geburt einer möglichst hohen Anzahl gesunder Kinder. Dieses Effizienzmaximierungskriterium führt aber aus sich tendenziell zu einer Praxis der Selektion, die die Qualität des „Produkts“ Kind sicherstellen soll. Schon dies macht sie moralisch fragwürdig. In einem zweiten Schritt sucht der Artikel den Zusammenhang der kirchlichen Lehraussagen kurz auszuleuchten. Schließlich arbeitet er die Unangemessenheit der IVF zur Weitergabe menschlichen Lebens als technisches, objektivierendes Herrschaftswissen und entsprechendes Handeln auf der Basis der aristotelischen Unterscheidung von Poiesis und Praxis  heraus. Der Embryo ist – mit Kant – mit Freiheit begabtes Würdewesen, so niemals Gemächsel der Eltern. Nur das intime, kommunikative und zugleich selbstvergessene Ausruckshandeln der leiblichen Vereinigung in der Ehe ist deshalb der angemessene Ort der Zeugung menschlich-personalen Lebens.

Schlüsselwörter: IVF, instrumentelle Vernunft, Poiesis und Praxis, Aufklärung, Technik, Menschenwürde, Reproduktionsmedizin, Status des Embryos, Selektion, PID, Embryonenforschung

Abstract

The Catholic Church teaches that the use of IVF is intrinsically wrong. Using the Church’s instruction „Donum Vitae” issued in 1987, this article tries to make this opinion plausible. It interprets IVF as a technical form of social action. Its aim is maximization and efficiency as such, in other words the birth of as many healthy children as possible. The criterion of efficiency and maximization leads to a trend of practicing pre-selection so that the quality of the „product” Child is insured. This fact alone makes the process morally doubtful. The second part of the article tries to enlighten the connection with the teaching in the Church’s instruction. In the latter part it shows the unacceptability of IVF as a method of human reproduction as a technical objectifying form of despotism and acting on the basis of Aristotle’s differentiation between poiesis and praxis. The embryo is, according to Kant, a being of dignity endowed with freedom and therefore never only a „by-product” of its parents. Therefore only the intimate communicative, at the same time self-forgetting, expressive act of conjugal union in marriage can be considered as the proper place for begetting human-personal life.

Keywords: IVF, instrumental reasoning, poiesis and praxis, enlightment, technique, human dignity, reproductive medicine, embryonic status, selection, PID, embryonic research


 

Die katholische Kirche sieht in der IVF kein moralisch legitimes Mittel zur Behebung von Sterilität. Dies aber gilt auch dann, wenn dieses Verfahren innerhalb der Ehe und zwar bei richtiger Motivation der Eheleute zur Anwendung gelangt, auch dann, wenn seine Technik so weit optimiert ist, dass wir auf das Niveau der natürlichen Schwangerschafts- und Abgangsrate ohne darüber hinausgehende Verluste an Embryonen gelangen und schließlich selbst dann, wenn unter normalen Umständen keine sog. „überzähligen Embryonen“ entstehen. Die Kirche ist der Überzeugung, dass die reproduktionsmedizinische Technik der IVF bereits in sich moralischen Maßstäben nicht genügt und zwar unabhängig von Motivation und Folgen, so sehr auch diese zu bedenken sind und auch hier schwerwiegende Probleme sichtbar werden. Aber selbst wenn sich diese alle als auflösbar erweisen, besteht die Kirche auf ihrem Nein.

Diese Position ist angesichts der heutigen Selbstverständlichkeit der fertilisationsmedizinischen Praxis der IVF – weltweit und nach über zwei Jahrzehnten – alles andere als selbstverständlich. Diese, inzwischen mehrfach wiederholten Aussagen des kirchlichen Lehramts, sind für diejenigen, die in der Reproduktionsmedizin arbeiten, schwerverdaulich und stellen sogar eine massive Provokation dar. Dabei sollte aber beachtet werden, dass es der Kirche immer um eine umfassende Sichtweise geht, die sich nicht auf die isolierte Betrachtung einer reproduktionsmedizinischen Technik und die ebenfalls isolierte Betrachtung eines in sich ohne Zweifel legitimen therapeutischen Ziels, nämlich der Beseitigung von ehelicher Unfruchtbarkeit, beschränkt. Sie bezieht vielmehr den anthropologischen Horizont mit ein.

Es lohnt sich so möglicherweise doch, den Gründen einer Institution nachzugehen, deren ethische Reflexion seit 2000 Jahren andauert, die das Erbe der alteuropäischen ratio practica in sich aufgenommen und in die Reflexion über jene Glaubenserfahrung eingebracht hat, die aus dem Zusammenhang der jüdisch-christlichen Offenbarung kommt. In dieser Verbindung hat sie den ebenso einladenden wie fordernden sittlichen Anspruch der Offenbarung durchgehalten und zugleich den legitimen Anspruch auf ethische Rationalität, auf die Vernünftigkeit ihrer sittlichen Forderungen, ihre Einsichtigkeit und Begründbarkeit.

Sie bringt zudem eine Erfahrung ein, der – im Guten wie im Bösen – nichts Menschliches fremd ist. Was das Böse angeht, ist sie – sofern selber verwickelt – im letzten übrigens auch immer selbst ihre schärfste Kritikerin, wie gerade Johannes Paul II. eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Könnte es denn immerhin nicht möglich sein, dass gerade auch dann, wenn die Kirche meint, den Tendenzen des Zeitgeistes widersprechen zu müssen, das Humanum bei ihr eingeborgen ist? Oder anders gewendet: aus ihrer querständigen Moralverkündigung die Stimme eben dieses Humanums sich zu Wort meldet? Diese Möglichkeit sollte jedenfalls nicht vorschnell ausgeschlossen werden.

Mitunter scheint es, dass die Kirche eine der wenigen Größen in der bioethischen Diskussion ist, die noch die Bereitschaft hat, einen Mindestanspruch auf argumentative Konsistenz und Konsequenz, also schlicht auf ein Mindestmaß an Erfüllung der Kriterien einer rationalen Diskussion, überhaupt aufrechtzuerhalten. Manchem Beiträger schien eine widerspruchsfreie und konsequente Position in bioethischen Fragen bereits ein Anzeichen von Fundamentalismus zu sein. Wer aber so redet, der verabschiedet sich vom harten Kern der europäischen Aufklärung und ihrer in diesem Kern vornehmlich ethisch-praktischen Forderung nach Vernunft. Die Alternative zu diesem Postulat praktischer Vernunft lautet dann aber – Absolutsetzung einer nur mehr ausschließlich „instrumentellen Vernunft“, wie Max Horkheimer sie genannt hat; eines technischen Verfügungs- und Herrschaftswissens, das seine humanen Grenzen, Gründe und Ziele nicht mehr kennt; Absolutsetzung einer Teilvernunft, die in dieser Absolutsetzung selbst radikal unvernünftig wird und in Inhumanität umschlägt: „Aufgeklärter Obskurantismus“ also. Wiederum Max Horkheimer, diesmal zusammen mit seinem Weggenossen Theodor W. Adorno, hat das die „Dialektik der Aufklärung" genannt, einer bestimmten Aufklärung allerdings nur, die sich selbst hinsichtlich ihres eigentlichen Kerns missversteht. In seiner Friedenspreisrede hat Jürgen Habermas diese Alternative von „zweierlei Aufklärung“ noch einmal eindrucksvoll verdeutlicht: einer sich in praktischen Anerkennungsverhältnissen, im Ethos von Menschenwürde und Menschenrechten ausmünzenden und durchhaltenden Aufklärung nämlich und einer in Inhumanität umschlagenden und darin sich selber aufhebenden, obskurantistisch werdenden Aufklärung, die aus der Absolutsetzung der technisch-instrumentellen Vernunft entsteht und mit der Selbstabschaffung des Menschen als sein eigener Anthropomorphismus endet. Und nicht umsonst hat er auf die unverzichtbare gesellschaftliche Bedeutung der Religion verwiesen, um die erste, die praktische Form der Aufklärung angesichts der bioethischen Herausforderungen durchhalten zu können. Wiederum nicht umsonst hat er, der sich selbst als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet, in diesem Zusammenhang eine knappe Auslegung des Schöpfungsberichtes von Genesis 1 gegeben, die das humane Kapital des Schöpfungsglaubens auf eine Weise transparent machte, die auf jeden Fall mehr zur Seite des „absoluten Gehörs“ tendierte, als zur Seite der Unmusikalität in religiösen Dingen. Ja, in der Knappheit und Sicherheit der Striche gehört sie mit zum Besten, was in letzter Zeit dazu geschrieben wurde. Habermas ging es dabei um ein Schöpfungsverhältnis, das den Menschen in seine Freiheit ruft und entlässt, so aber gerade die fundamentale Pflicht zur unbedingten Anerkennung des anderen als ein ebenfalls durch Freiheit bestimmtes Wesen auf der Basis fundamentaler Gleichheit begründet.

Die Frage der Hierarchie – nicht der Alternative – zwischen einem technisch-instrumentellem Verfügungs- und Herrschaftswissen und dem entsprechenden herstellenden Handeln einerseits und einer sittlich-personalen Praxis andererseits ist die argumentative Basis des katholischen Lehramts für die grundsätzliche Kritik an der IVF. Damit verbindet die Kirche ganz eng die Frage nach der Pflicht der gegenseitigen Anerkennung der Menschen auf der Basis fundamentaler Gleichheit als Wesen, die Würde haben und deshalb zur Freiheit bestimmt sind. Denn es sind explizit und genau diese beiden Punkte, die die Instruktion der Glaubenskongregation über „Die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ von 1987 mit dem programmatischen Titel „Donum vitae“ bei der IVF verletzt sieht und mit denen sie zugleich die traditionelle Lehre von den Zwecken der Ehe und der Einheit des ehelichen Aktes in seinem doppelten Sinngehalt interpretiert. Den Hintergrund bildet dabei eine Anthropologie der Leiblichkeit, die das Medium eines quasi-sprachlichen Ausdruckshandelns bildet.

Dies alles soll im folgenden genauer entfaltet werden. In drei Schritten soll – quasi induktiv – zunächst die „professionelle“ Logik der IVF und zwar jenseits ihrer rechtlichen Einhegung in Deutschland skizziert werden. Im zweiten Schritt wird entlang der sehr knappen, aber genauen und übersichtlichen Darlegung des „Katechismus der katholischen Kirche" die schon angedeutete kirchliche Lehre zum Thema Fruchtbarkeit, Unfruchtbarkeit und Reproduktionsmedizin in Erinnerung gerufen. Schließlich soll versucht werden, auf dem Hintergrund der schon erwähnten Instruktion „Donum Vitae“ von 1987, die Position der Kirche zur IVF auf ihren argumentativen Logos hin zu verdeutlichen.

I. Die „professionelle“ Logik der IVF: Der Zwang zur Selektion

Angesichts der aktuellen Debatte über Stammzellenforschung und PID ist die Debatte über das Thema der IVF ebenfalls wieder aktuell geworden. Damit wird der innere Zusammenhang zwischen Stammzellenforschung, PID und IVF klar. Wäre die IVF als solche nur die moralisch indifferente Basis für PID und Stammzellenforschung, gäbe es kaum eine Diskussion. Die These des inneren Zusammenhangs hat bereits Ernst-Ludwig Winnacker, der Präsident der DFG vertreten, der in Anknüpfung an die Rubicon-Metapher von Bundespräsident Johannes Rau die Behauptung aufgestellt hat, dieser Rubicon sei bereits mit der ersten erfolgreichen IVF 1978 überschritten worden. In der Tat hat Winnacker mit dieser Analyse wenigstens teilweise recht. Nicht recht hat er allerdings mit seiner weitergehenden These, dass dies die Unvermeidlichkeit und gleichzeitige Legitimität mit sich bringe, jenseits des Rubicon munter weiterzuschreiten.

Ganz im Gegenteil, wären Stammzellforschung und PID einfach Missbräuche einer sittlich legitimen IVF: Warum sollte der Weg vom usus zum abusus legitim, gar logisch zwingend sein? Und umgekehrt: Wenn die IVF selbst ethisch problematisch wäre: Warum sollte aus dem Vollzug eines Unrechts, die Legitimität eines noch größeren abzuleiten sein? Um einen krassen, aber strukturell sicher korrekten Vergleich anzuwenden: War der Holocaust legitim, weil die Nürnberger Rassengesetze illegitimer Weise bestanden?

Was aber hat Winnacker mit seiner These von der Rubicon-Überschreitung durch die erste erfolgreiche IVF nun richtig gesehen? Was er in der Tat aufdeckt, ist nichts anderes als ihre „professionelle" Logik, ihr Entwicklungsgefälle als reproduktionsmedizinische Technik, wenn man diese Logik denn nur freilässt aus ihrer faktischen rechtlichen Einhegung. Denn das hat in Deutschland möglicherweise sehr lange den Blick auf diese professionelle Logik der IVF versperrt: Dass gerade die rechtliche Einhegung der IVF besonders restriktiv ist – und es hoffentlich auch noch lange bleibt. Erst die Tatsache, dass einer der führenden Reproduktionsmediziner Deutschlands, Klaus Diedrich aus Lübeck, den ersten Antrag auf Erlaubnis zur Durchführung einer PID stellte, hat diesen Zusammenhang wieder verstärkt sichtbar gemacht. Denn Klaus Diedrich hat mit seinem Antrag nichts weiter getan, als der Handlungslogik zu folgen, die der IVF immanent ist. Eine Handlungslogik, die als selektive Praxis aus sich heraus weit über die kleine Patientengruppe hinausführt, die bei der PID zunächst angezielt ist.

Von fundamentaler Bedeutung ist es nämlich, die reproduktionsmedizinische Technik der IVF nicht isoliert zu betrachten, sondern sie als Form sozialen Handelns, also eines Handelns im Kontext von Gesellschaft, zu begreifen. Das aber heißt, sie primär und ganz schlicht als technisches Handeln zu verstehen, ein technisches Handeln allerdings bei dem es um die Weitergabe menschlichen Lebens geht, um etwas also, was einerseits die intime Mitte menschlichen Existierens betrifft, andererseits dieses Leben selbst, insofern es die Basis alles menschlichen Existierens bildet. Die Eingriffstiefe ist dabei – wie bei allen biomedizinischen Techniken – eo ipso und nicht etwa erst im Falle des Versagens enorm gesteigert. Ein weiterer wichtiger Aspekt, der an sich mitreflektiert werden müsste, ist die Tatsache, dass dieses aus seiner rechtlichen Einbindung freigelassene technische Handeln zugleich in einer Marktsituation steht oder eine solche erst schafft. Dies kann aber hier nicht geschehen. Technisches Handeln indes, als soziales Handeln begriffen, steht immer schon – unter den Bedingungen der Moderne jedoch verschärft – unter der Forderung der Maximierung der Effizienz. Effizienz heißt aber im Fall der IVF nichts anderes als die Herbeiführung möglichst vieler Schwangerschaften, letztlich von Geburten gesunder Kinder.

Letzterer Aspekt – die Geburt gesunder Kinder als Effizienzkriterium – zeigt, dass Effizienz hier auch die Qualität mit einschließt und zwar als Qualität des „Produkts“, nicht nur des Verfahrens. Dies alles ergibt sich unmittelbar und zwingend, wenn IVF, als soziales Handeln verstanden, überhaupt einen Sinn haben soll. Wie kann es dann aber anders sein, als dass die Forderung nach Steigerung der Effizienz durch Weiterentwicklung der Technik, wie sie wiederum jedem technischen Verfahren immanent ist, eine Entwicklung freisetzt, die zu einer möglichst frühzeitigen Kontrolle des größten „Risikofaktors“ des Verfahrens führt, des Embryos nämlich, von dessen „Qualität“ es entscheidend abhängt, ob das ganze Unternehmen vom Erfolg gekrönt wird. Stehen die diagnostischen Verfahren bereit, kommt es gemäß der Logik der IVF als eines technischen Verfahrens und sozialen Handelns zwingend zur „Qualitätskontrolle“ des Embryos zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Mit anderen Worten: Die immanente Logik der Verbesserung der Technik der IVF im Hinblick auf ihre Effizienz führt zwangsläufig zur Praxis der eugenischen Selektion.

Die Entwicklungstendenzen in diese Richtung sind in anderen Ländern längst sichtbar. Auch die Tatsache, dass die Diskussion um verbrauchende Embryonenforschung in den 80er Jahren im wesentlichen eine Diskussion um die Verbesserung der IVF war, geht nur ein wenig in eine andere Richtung und spricht ebenfalls Bände im Hinblick auf das, was Effizienzsteigerung bei einer biomedizinischen Technik konkret heißt. In der PID-Diskussion hat dieser in der Sache selbst gegebene Zusammenhang auch Deutschland erreicht. Das heißt aber weiter, dass die rechtliche Begrenzung der IVF durch das Embryonenschutzgesetz im Kern nicht etwa den usus vom abusus scheidet. Dies ist in diesem Gesetz ganz klassisch dort der Fall, wo etwa die heterologe IVF verboten wird. Die IVF hat nicht aus sich die Tendenz, außerhalb des Zusammenhangs einer Ehe gebraucht zu werden – dem gegenüber ist sie als solche einfach neutral. Als technische Form sozialen Handelns hat sie aber sehr wohl eine innere Tendenz dahin unter dem Gesichtspunkt von Effizienz und Qualitätskontrolle zu einer Praxis eugenischer Selektion zu führen. Das deutsche Recht schneidet diese Möglichkeit einfach ab.

Die Conclusio – als Frage formuliert – dieses Abschnitts lautet: Kann ein Verfahren moralisch rechtfertigungsfähig sein, das aus sich heraus eine eugenische Logik der Selektion freisetzt?

II. Die kirchliche Lehre

Ganz knapp sollen mehr benennend als entfaltend, die Hauptpunkte der kirchlichen Lehre zu Fruchtbarkeit, Unfruchtbarkeit und Reproduktionsmedizin in Erinnerung gerufen werden.

Nr. 2373 des KKK („Katechismus der katholischen Kirche“) hält fest, dass kinderreiche Familien ein Zeichen des göttlichen Segens und der Großzügigkeit der Eltern sind, Aussagen, die in unserer Gesellschaft durch die oft anzutreffende Stigmatisierung kinderreicher Familien lange nicht eingeholt sind.

Aber auch Kinderlosigkeit kann soziale Stigmatisierung bedeuten. Dafür und für das schwere Leid, das ungewollte Kinderlosigkeit oft mit sich bringt, ist die Kirche sehr hellhörig; sie weiß darum. Ungewollte Kinderlosigkeit wird im Alten und Neuen Testament immer wieder thematisiert, im Zusammenhang einer antik-orientalischen Gesellschaftsform in der Kinderlosigkeit mit extremer Stigmatisierung verbunden war. Von dieser Sensibilität der kirchlichen Lehre für das Leid der Kinderlosigkeit spricht Nr. 2374.

Nr. 2375 zieht daraus eine klare Folgerung: Die Kirche ermutigt selbstverständlich fertilisationsmedizinische Forschung, bindet sie aber an Kriterien, die ihren humanen Charakter sicherstellen sollen.

Nr. 2376 und 2377 kennzeichnen deshalb bestimmte Praktiken der Reproduktionsmedizin als sittlich unvertretbar. Dies aber in abgestufter Weise: Sehr schwer wiegt die Zerstörung der Gemeinsamkeit der Elternschaft durch Einschalten einer dritten Person. Dies führt zu Ablehnung der heterologen Insemination, der heterologen IVF, der Ei- und Samenspende, der Leihmutterschaft. So Nr. 2376.

Obwohl gegenüber diesen Praktiken in der negativen Wertung deutlich abgestuft, meint die Kirche aber eben auch – in Nr. 2377 – die homologe Insemination und IVF ablehnen zu müssen. Zur Begründung wird Donum Vitae zitiert mit den schon oben angeführten zentralen Punkten: Die Kritik an der technischen Manipulation des Zeugungsaktes, die mit der unvertretbaren Herrschaft instrumenteller Vernunft im Bereich der Lebensweitergabe verbunden ist und die Kritik an der Verletzung der Gleichheit, die mit dieser technischen Manipulation einhergeht.

Nr. 2378 begründet in klassischer Schlichtheit, wieso es kein Recht auf ein Kind geben kann. Diesen Text möchte ich gerne wegen seiner Klarheit ganz zu Gehör bringen: „Das Kind ist nicht etwas Geschuldetes, sondern ein Geschenk. Das „vorzüglichste Geschenk der Ehe“ ist also eine menschliche Person. Das Kind darf nicht als Eigentum angesehen werden, so als könnte man ein „Recht auf das Kind“ beanspruchen. In diesem Bereich besitzt einzig das Kind eigentliche Rechte: „das Recht, die Frucht des spezifischen Aktes der ehelichen Hingabe zu sein“ und das Recht, „vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet zu werden“ (DnV 2,8).“

Die abschließende Nr. 2379 beschäftigt sich im Anschluss an Nr. 2374 mit der Situation unaufhebbarer Kinderlosigkeit. Sie hält fest, dass Unfruchtbarkeit kein absolutes Übel ist und ermuntert zu einer geistlichen Bewältigung in der tröstenden Zuwendung zum Kreuz Christi, von dem her zugleich eine andere Form der Fruchtbarkeit entstehen kann. Der Text denkt dabei auch an die Möglichkeit der Adoption und des sozialen Engagements. Der entsprechende längere Abschnitt in Donum Vitae fordert dabei noch zusätzlich die mittragende Solidarität der Gemeinschaft der Gläubigen mit den unter ungewollter Kinderlosigkeit leidenden Ehepaaren ein.

Schlaglichtartig sollte hier wenigstens der engere Zusammenhang dieser Aussagen ausgeleuchtet werden, um die speziellen Aussagen zur IVF nicht zu isoliert zu betrachten und dabei etwa das klare Ja der Kirche zur Fertilisationmedizin zu übersehen, wenn diese ihre humanen Grenzen einhält. Diese allerdings will die Kirche schützen. Auf dem Hintergrund des bisher Erarbeiteten gilt es deshalb jetzt abschließend die ablehnenden Aussagen der Kirche argumentativ zu plausibilisieren. Wie bereits angedeutet hat die Instruktion Donum Vitae hierbei bereits wichtiges geleistet.

III. Argumentative Plausibilisierung der kirchlichen Position

Was dabei lediglich getan werden muss, ist die in der Einführung, dem ersten und zweiten Abschnitt ausgelegten Fäden aufzunehmen und miteinander zu verknüpfen. An dieser Stelle soll zur zusätzlichen Verdeutlichung eine handlungstheoretische Unterscheidung des Aristoteles aufgenommen werden, die Unterscheidung zwischen Poiesis und Praxis.

Im poietischen Wissen und der diesem Wissen entsprechenden Handlungsform geht es um das Herstellen und damit um das Produkt, die aristotelische Poiesis entspricht damit weitgehend der horkheimerschen instrumentellen Vernunft. Praxis – wiederum als praktisches Wissen und als Handlungsform verstanden – ist im aristotelischen Verständnis innerlicher und umgreifender als die Sphäre der Poiesis verstanden; im Praxisbegriff des Aristoteles geht es um die richtige Entscheidung, die richtige Selbstbestimmung, den richtigen Selbstvollzug des Menschen im Hinblick auf sein letztes Ziel. Damit ist die eigentlich ethische Dimension angesprochen. Praxis meint also umfassend das Tätigsein des Menschen im Horizont des Guten schlechthin, Poiesis zielt – als Herstellen mit dem Ziel des Produkts – auf ein äußeres und teilhaftes Gut.

So aber ist eine klare Hierarchisierung gegeben – und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen stehen die beiden Tätigkeitsformen des Menschen nicht einfach nebeneinander, eher handelt es sich oft um Dimensionen eines einzigen Geschehens. Jede poietische Tätigkeit ist auch Teil des praktischen Selbstvollzugs des Menschen und kann davon nicht isoliert werden. Damit aber unterliegt sie als Realisierung eines teilhaften Gutes der Beurteilung durch das praktische Wissen des Menschen um sein letztes Ziel. Zum anderen aber ist jede poietische Tätigkeit auch als Praxis (in diesem aristotelischen Sinne) zu reflektieren, aber noch lange nicht jede Praxis ist auch Poiesis, so z.B. ein zentraler Bestandteil des guten Lebens bei Aristoteles: die Praxis der Freundschaft. Würde die Handlungsform der Poiesis diese zentralen Felder humaner Begegnung okkupieren und an sich zu reißen versuchen, sie würden in ihrer humanen Qualität zerstört. Erlernbare Techniken der Kommunikation z.B. sind gut und hilfreich, so lange und so weit sie echte humane Kommunikation erleichtern, Blockaden beseitigen usw. Versuchen sie echte Kommunikation zu ersetzen degenerieren sie zur Manipulation, die nur eine Attrappe echter Kommunikation übrig lässt. Genau diese unterstützende Hilfsfunktion für den Akt der echten, humanen ehelichen Begegnung macht die Kirche nun auch zum Kriterium einer ihre humanen Grenzen wahrenden Fertilisationsmedizin; in der IVF aber sieht sie diese Grenze überschritten, die Humanität des Geschehens beschädigt.

Denn Fertilisationsmedizin – das war das Ergebnis der ersten Reflexion – hat den Charakter, wie jetzt aristotelisch gesagt werden kann, poietischen Wissens und Handelns. Poietisches Wissen aber ist, gerade unter neuzeitlichen Bedingungen verschärft, objektivierendes Herrschaftswissen. Diese Feststellung hat zunächst keinerlei abwertenden Ton. Denn in diesem Charakter liegt die neuzeitliche Erfolgsgeschichte der Technik begründet, deren Ergebnisse niemand von uns ernsthaft missen möchte. Deren Gefährdungen, Ambivalenzen und Abgründe man aber kennen muss, um sie im Hinblick auf das gute Leben bewältigen zu können.

Es geht also bei der IVF schlicht um die Frage, wieweit poietisches Wissen und Handeln in einen humanen Grundvorgang eingreifen darf, ohne ihn in seiner humanen Substanz zu zerstören. Dabei wurde nicht ohne Bedacht eben als Beispiel die Begegnung in der Freundschaft und überhaupt das Feld zwischenmenschlicher Kommunikation gewählt. Denn die Kirche sieht die eheliche Vereinigung in Donum vitae als Akt gegenseitiger Übereignung in der Weise eines die Einheit von Leib und Geist realisierenden Kommunikationsgeschehens quasi-sprachlicher Art. Der Text spricht explizit und gewichtig von der „Sprache des Leibes“, versteht den Menschen also hier als „animal symbolicum“ und siedelt den ehelichen Akt dabei somit handlungstheoretisch gerade beim Gegenpol des poietischen Handelns an: Sie begreift die leibhaftige Begegnung in der Ehe als kommunikativen Akt darstellenden Handelns. So verstanden sieht sie aber in genau diesem ehelichen Akt den einzigen menschenwürdigen Ort der Weitergabe menschlich-personalen Lebens.

Das Aufzeigen der humanitätsbewahrenden Grenzen poietischen Wissens und Handelns im Grundsätzlichen wurde schon erläutert. Die Kirche sieht die Grenze sowohl hinsichtlich der Eheleute als auch hinsichtlich des Kindes überschritten. Daraufhin ist die Antwort zu konkretisieren. Ganz kurz und vorweggreifend gesagt: Die IVF bringt in der Sicht der Kirche sowohl eine ethisch unvertretbare Vergegenständlichung des Embryos mit sich als auch eine ethisch unvertretbare Selbstinstrumentalisierung der Eheleute.

Wie kann man sich diese doppelte Unangemessenheit klarmachen? Immanuel Kant hat im §28 der „Rechtslehre“ der „Metaphysik der Sitten“ die Ursprünglichkeit der Rechte des Embryos gegenüber seinen Eltern reflektiert. Er hat diese ursprüngliche und unantastbare Rechtsstellung festgemacht an dem, was man in traditioneller religiöser Sprache das Wunder jeder Zeugung nennen könnte, ein Wunder, das in der Tat auch heute jedem naturalistischen Reduktionsversuch standhält. Dieses Wunder besteht darin, dass in, mit und unter dem Vorgang der Weitergabe menschlichen Lebens ein Individuum die Bühne der Welt betritt, das – wie Kant schreibt – „mit Freiheit begabt“ und deshalb Person ist, d.h. aber nichts anderes, als dass es in seinem arttypischen Entwicklungsbogen auf dem Weg zur moralischen Selbstbestimmung aus Freiheit ist. Deshalb ist es zu keinem Augenblick „etwas“, sondern immer schon „jemand“. Damit ist es Subjekt unveräußerlicher Rechte und Würdewesen. Die Eltern aber haben diese Begabung mit Freiheit gerade nicht „gemacht“. So aber ist ihnen der Embryo bereits im Akt der Zeugung entzogen und dem Anspruch auf Anerkennung nach behauptet er sein ursprüngliches Subjektsein. Kant schreibt über die Eltern: „Sie können ihr Kind nicht gleichsam als ihr Gemächsel (denn ein solches kann kein mit Freiheit begabtes Wesen sein) und als ihr Eigentum zerstören oder es auch nur dem Zufall überlassen, weil an ihm nicht bloß ein Weltwesen sondern auch ein Weltbürger in einen Zustand herüber zogen, der ihnen nun auch nach Rechtsbegriffen nicht gleichgültig sein kann.“

Auch die IVF kann diesen Zusammenhang nicht gänzlich aufheben. Dass sie ihm aber in der technischen Verfügung über Ursprung und Herkunft des Menschen, als sich vollziehendes, vergegenständlichendes Herrschaftswissen radikal unangemessen ist, sich ihrer objektiven Struktur nach im Widerspruch dazu befindet, dürfte nach obigen Analysen mindestens verständlicher geworden sein. Die technische Verfügung über den menschlichen Ursprung bedeutet eine Vergegenständlichung des Embryos, die die Würde des Menschen schon in seinem Entstehen übergeht, ihr nicht gerecht wird. 

Nur das kommunikative Ausdruckshandeln der intimen Vereinigung in der Ehe, die sich als liebende Hingabe aneinander dennoch nicht in sich verschließt, sondern den Raum öffnet für die Frucht dieser Liebe, ohne sie krampfhaft und verfügend anzustreben, bringt diesen Zusammenhang ausreichend zum Ausdruck. Sie will in dieser Offenheit gerade keine „Kinder machen“, sondern sie als Gabe und Geschenk empfangen. 

Wenn dies richtig ist, dann unterlaufen auch die Eltern hinsichtlich ihrer eigenen Person in der IVF den Zusammenhang humaner Praxis: Sie werden eingefügt in den Prozess technischer, instrumenteller Herrschaft über das, was technisch nur unterstützt, aber nicht beherrscht werden soll. Sie instrumentalisieren sich auf moralisch fragwürdige Weise selbst. Positiv kann man damit das Recht jedes Menschen formulieren, aus einer solchen liebenden, ehelichen Vereinigung hervorzugehen, oder anders gewendet: Jeder Mensch hat als Forderung der Gerechtigkeit auf der Basis der Gleichheit ein Recht auf einen naturwüchsigen Ursprung.

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