Halbherzige Anti-Tabakpolitik in Österreich

Imago Hominis (2008); 15(2): 94-95
Kurt Usar

Die Tatsachen liegen auf dem Tisch: Tabakrauchen ist die häufigste vermeidbare Todesursache. Rauchen erhöht massiv das Sterberisiko sowohl an Herzkreislauferkrankungen als auch an unterschiedlichsten karzinogenen Erkrankungen. Noch dazu sind die Umstände meist qualvoll. Schätzungen zufolge sterben in Europa knapp unter einer Million Menschen jährlich an den Folgen des Rauchens.

Alle Versuche, durch Screeningprogramme die Inzidenz von Lungenkarzinomen – sie mögen hier beispielhaft stehen – zu senken, waren bisher zum Scheitern verurteilt. Empörung gab es erst kürzlich über eine im New England Journal of Medicine im Jahr 2006 publizierte und viel beachtete Studie.1 Deren Ergebnis lautete, dass fast 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle dank der viel versprechenden Möglichkeiten hoch auflösender CT-Aufnahmen rechtzeitig erkannt werden können. Nun wurde bekannt, dass die Studie von der Tabakindustrie gefördert wurde.2

Eine im April 2008 vom Institut für höhere Studien (IHS) in Wien vorgestellte Studie zum Thema „Volkswirtschaftliche Effekte des Rauchens“3 in Österreich lässt die Alarmglocken schrillen. Die nach jahrelangem Zögern und Zaudern der Bundesregierung nun angekündigten Maßnahmen können nur Kopfschütteln auslösen.

Die IHS Studie gibt die Zahl der auf das Rauchen zurückzuführenden Todesfälle in Österreich im Jahr 2003 mit 8.560 (entsprechend 11 Prozent der Verstorbenen) an; die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Rauchern und Nichtrauchern mit fünf Jahren; zwischen Passivrauchern und Nicht-Passivrauchern mit neun Monaten. Die extrem unsittliche Schädigung von Passivrauchern wird in der Studie dankenswerter Weise ausführlich thematisiert.

Neben diesen katastrophalen medizinischen Tatsachen zeigt die IHS-Studie aber auch den volkswirtschaftlichen Schaden des Tabakgenusses auf. Dies erscheint umso wichtiger, als laut Statistik Austria die Zahl der Raucher in Österreich in den letzten 10 Jahren nahezu gleich blieb (knapp unter 25 Prozent). Ein geringer Rückgang bei den Männern (von 30 auf 27 Prozent) wurde durch einen Zuwachs bei den Frauen (von etwa 18 auf über 19 Prozent) nahezu wettgemacht.

Dies mag kaum verwundern, zeigt doch die gleiche Studie Österreich als Schlusslicht in einer Rangliste 30 europäischer Staaten, was Anti-Tabakmaßnahmen angeht, noch deutlich hinter Ländern wie etwa Rumänien und Slowakei.

Die Studie vergleicht den „fiskalischen Nutzen“ (Tabaksteuer, eingesparte Alterspensionen – freilich abzüglich Witwenpensionen!) mit den Kosten (Arbeitsausfall, Gesundheitsausgaben, Invaliditätspensionen, Kranken- und Pflegegeld usw.). Der errechnete Gesamtschaden für Österreich: 511,4 Millionen Euro jährlich.

Welche Strategien werden von den Autoren empfohlen? Preiserhöhungen, Konsumenteninformation, Gesundheitswarnungen auf Tabakprodukten, Entwöhnungshilfen, Rauchverbote in öffentlichen Räumen und Werbe- und Sponsoringverbote (laut der Studie ist Österreich übrigens bei nahezu allen diesen Maßnahmen europäisches Schlusslicht).

In der Gastronomie scheint die Regierung nun in der Tat zögernd tätig zu werden. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der IHS-Studie wurden Gesetzesvorhaben präsentiert: In Gaststätten mit mehreren Räumen ist der Hauptraum als Nichtraucherraum zu führen; bei Einraumlokalen unter 50 m2 bleibt es freilich dem Besitzer überlassen, ob er seinen Betrieb als Raucher- oder Nichtraucherlokal führt; bei Gaststätten bis 80 m2 ist die Trennung in zwei Bereiche mit langen Übergangsfristen und verschiedensten gesetzlichen Schlupflöchern vorgesehen.

Dass man sich hier nicht zu energischeren Lösungen durchringen konnte, ist sehr zu bedauern. Kaum zu trösten vermag, dass chronische Bronchitis, Lungenkarzinom und die chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD), sofern die überwiegende Exposition am Arbeitsplatz stattfand, Eingang in die Liste der Berufskrankheiten fand, ebenso wenig das Einräumen von Zeit für gesundheitsfördernde Aktivitäten (wie z. B. Beratungen und Kurse) für Passivraucher – eine wahrhaft skurrile Idee. Arbeitnehmer in allen Branchen sollten doch wohl durch rigorose Verbote vor Passivrauch geschützt werden. Die bisherigen Passagen im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz erweisen sich regelmäßig als komplett zahnlos.

Auch die nun vorgesehenen Sanktionen bei Nichteinhaltung der neuen Vorschriften in der Gastronomie sehen bescheidene Geldbußen vor (ab 2000 Euro für Inhaber, ab 100 Euro für Gäste).

Unverständlicherweise konterkarieren manche Protagonisten der Diskussion, auch unter den verantwortlichen Politikern, durch öffentlich zelebrierten Tabakgenuss ihre eigenen Maßnahmen. Ob sie sich ihres Vorbildcharakters hier nicht bewusst sind, oder aber eine gewisse Klientel durch eine überholte, ja infantil anmutende Form von „Coolness“ für sich einnehmen wollen, sei dahingestellt.

Was mag die Gegner weiterführender und rigoroser Verbote überhaupt motivieren?

Allenfalls die extrem liberale Position, das Recht eines Menschen, sich selbst zu schädigen, sei ein hoher Wert an sich; dass solche Handlungen sittlich abzulehnen sind, weil gegen die Vernunft gewählt und überdies bei Eintritt schwerer Gesundheitsschäden meist nicht durchgehalten, wurde in dieser Zeitschrift schon wiederholt dargestellt.4

Es bleibt jedenfalls zu hoffen, dass die Verantwortlichen diesen zögernden ersten Schritten in die rechte Richtung schleunigst weitere folgen lassen. Sie sollten die Vernunft der Bevölkerung, die sich in ihren Anschauungen von den Bewohnern aller anderen europäischen Staaten doch nicht gar so stark unterscheiden wird, nicht unterschätzen. Schlusslicht im Kampf gegen die Nikotinsucht zu sein, eignet sich schwerlich als dauerhaftes österreichisches Markenzeichen.

Referenzen

  1. The International Early Lung Cancer Action Program Investigators, Survival of Patients with Stage I Lung Cancer Detected on CT Screening, N Engl J Med (2006); 355: 1763-1771
  2. Cigarette Company Paid for Lung Cancer Study, New York Times, 26. 03. 2008, http://www.nytimes.com/2008/03/26/health/research/26lung.html?_r=1&ref=health&oref=slogin
  3. Pressemitteilung des IHS, 10. 04. 2008, http://www.ihs.ac.at/publications/lib/raucher10042008.pdf
  4. vgl. z. B. Prat E. H., Tabakrauchen aus kulturethischer Sicht, Imago Hominis (2004); 11: 15-28

Anschrift des Autors:

Dr. Kurt Usar
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