Editorial

Imago Hominis (2009); 16: 267-268
Susanne Kummer

„Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Unglaube und Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen.“ Diese Hymne an die rationale Verbundenheit von Naturwissenschaft und Religion stammt nicht von einem mittelalterlichen Mönch, sondern von Max Planck (1858 – 1947), Physiker, Nobelpreisträger und Begründer der Quantentheorie. „Hin zu Gott!“, so Plancks Losungswort in seiner berühmt gewordenen Rede „Religion und Naturwissenschaft“ (1937).

Das „Lesen in der Natur“ als dem „offenen Buch Gottes“ hat durch das Christentum zu einer so offenen wie nachhaltigen Ausformulierung der Naturwissenschaften geführt, wie sie historisch betrachtet einzigartig ist. Warum? Nach christlichem Verständnis liegt der Schöpfung ein Logos zugrunde, der Logos des Schöpfers, seine Logik. Deshalb hat es Sinn, sich in die Schöpfung zu vertiefen, nach Gesetzmäßigkeiten und Strukturen zu forschen. Der Mythos wurde durch den Logos überwunden – letzterer ist keine Geheimwissenschaft, sondern steht vom Prinzip her allen Menschen offen, denn alle sind Vernunftwesen.

Das Christentum war in der europäischen Geschichte dadurch nicht Verhinderer von Forschung, sondern geradezu ihr Motor - nicht zuletzt dank der Kirche, die über Jahrhunderte Wissenschaftlern ermöglichte, frei zu studieren und zu forschen. So ein Satz mag für manch einen schwer verdaulich scheinen. Alkuin Schachenmayrs nüchterne Analyse des historischen Beitrags der  Kirche und sogenannter „katholischer Wissenschaftler“ für den Fortschritt der Naturwissenschaften bietet einen lohnenden Überblick zu diesem – oft verdrängten – Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. Anlass des Schwerpunktthemas „Naturwissenschaft und Religion“ dieser Ausgabe ist das mehrfache Jubiläumsjahr 2009: Charles Darwin wurde 1809, vor genau 200 Jahren geboren, vor 150 Jahren veröffentlichte er den „Ursprung der Arten“ und begründete damit seine Evolutionstheorie; Galileo Galilei und andere Gelehrte setzten vor 400 Jahren, im Jahre 1609, erstmals ein Teleskop für astronomische Beobachtungen ein, Johannes Kepler veröffentlichte im selben Jahr seine bahnbrechenden Gesetze zur Bewegung der Himmelskörper.

Der Vorwurf der sogenannten Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche ist relativ jung, er traf mit aller Wucht, das Misstrauen sitzt bis heute tief. G. K. Chesterton beschrieb den Werdegang dieser Kluft zwischen Naturwissenschaften und Religion als „plumpen Zusammenstoß zwischen zwei sehr unduldsamen Arten von Unwissenheit“, jener der absolut Wissenschaftsgläubigen und jener der religiösen Fundamentalisten und Sektierer.

Der „plumpe Zusammenstoß“ geschah bei Darwin und der anglikanischen bzw. protestantischen Kirche oder Galilei und der Inquisition – beide sind historisch überwunden. Nicht überwunden ist das gespaltene Verhältnis der modernen Wissenschaften zur Religion, aber auch zu sich selbst: Zunehmend nehmen sie einerseits den Platz von Welterklärungsmodellen an, mit quasi-religiösen Zügen, „Heilsversprechungen“ durch Technik und Fortschritt. Andererseits wurde die Wahrheit von der Wahrscheinlichkeit abgelöst und hat zum „Abschied von der Weltformel“ gezwungen. Die Lebenswelt wird jedoch weiterhin von szientistisch-ökonomischen Modellen geprägt, welche aber keine Ethik begründen können – die Folge dieser nicht beachteten Grenzen der Wissenschaft, so Helmut Kohlenberger, ist die neue Angst vor Wissenschaft. Reinhold Knoll beleuchtet die Dominanz der Naturwissenschaften, unter der alle anderen Wissensformen unter Druck geraten sind. Davon ist auch die Theologie betroffen. Mit der Verkürzung der „Religion“ auf eine Privatangelegenheit geht die wachsende Unverbindlichkeit moralischer Wertbestimmungen in der Gesellschaft einher. Roman Siebenrock analysiert das Wesen und die Grenzen des Erkennens selbst und fragt nach den Bedingungen einer neu gestellten Gottesfrage. Günther Pöltner nimmt am Beispiel der Neurobiologie, von denen einige Vertreter den freien Willen des Menschen verneinen, die inneren Widersprüche dieser Theorie kritisch unter die Lupe. Die Hirnforschung gründet auf Hypothesen, doch nach außen gibt sie sich als sichere Weltanschauung.

Schließen wir mit einem Zitat eines anderen berühmten Wissenschaftlers, dem Chemiker und Bakteriologen Louis Pasteur (1822 – 1895), der die rationale Verbundenheit von Naturwissenschaft und Religion erkannte: „Gott ist die Ursache (lat. causa) aller Dinge, und wer kausal denkt, denkt in der Richtung Gottes. Gerade weil ich nachgedacht habe, bin ich gläubig geblieben.“

S. Kummer

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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