Stellungnahme zur „Kind als Schaden“-Judikatur

Warum eine Gesetzesnovelle längst überfällig ist

Kindesunterhalt und kindliche Existenz sind nicht „trennbar“

Der Oberste Gerichtshof hat sich in den letzten Jahren mehrmals in widersprüchlicher Weise mit dem Problem „Kind als Schaden“ befasst. Die Frage, ob der Unterhalt für ein unerwünschtes Kind überhaupt unter den Schadensbegriff des bürgerlichen Rechts fällt, wird auch in der juristischen Diskussion kontrovers beurteilt.

Manche versuchen, die Existenz des Kindes von seinen Unterhaltsansprüchen zu „trennen“, um bei der Bejahung des Schadenersatzes für den Kindesunterhalt nicht bei einer Negativbewertung der kindlichen Existenz selbst zu enden.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) verweist zur Untermauerung seiner „Trennungsthese“ etwa darauf, dass nicht nur die Geburt eines Menschen, sondern auch sein Tod Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könne (z. B. wenn der Mörder für die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen seines Opfers den Unterhalt zahlen muss). Beim Tod werde dies nicht als problematisch angesehen, daher müsse man auch aus der Geburt resultierende Schadenersatzansprüche akzeptieren.

Diese Argumentation beweist freilich exakt das Gegenteil von dem, was die Höchstrichter zu belegen versucht: Die Qualifikation des Todes eines Menschen als Schadensfall steht nämlich im Einklang mit der positiven Bewertung seiner Existenz bzw. verstärkt sie sogar: Wäre der Tod nicht eingetreten, gäbe es den Schadensfall gerade nicht.

Selbst die renommiertesten Vertreter der These, man könne Existenz und Unterhalt eines Kindes „fein säuberlich“ trennen, zeigen in ihren konkreten Argumenten selbst für den juristischen Laien klar erkennbar eine gewisse Hilflosigkeit. Dies liegt nicht an ihrer – sicher hervorragenden – intellektuellen Kapazität, sondern in der Natur ihres vergeblichen Versuchs, gegen Evidenzen zu argumentieren. Es gilt eben nach wie vor: contra factum non valet argumentum.

Diskriminierung von Menschen mit Behinderung

Der OGH hat zwar verschiedentlich erklärt, dass seine Urteile keine Diskriminierung Behinderter enthalten. Doch auch hier – wie bei der „Trennung“ zwischen Existenz und Unterhalt des Kindes – versucht er freilich, gegen klare Evidenzen zu argumentieren - und hier zeigt sich der Kernpunkt des Skandals, den die derzeitige Rechtsprechung mit sich bringt: Das Schicksal des behinderten Kindes, das eigentlich gegen den Willen der Eltern einer Abtreibung entkommen ist.

Da treten also Mutter und Vater vor ihr Kind, um ihm zu erklären: „Wenn wir rechtzeitig gewusst hätten, wie du beschaffen bist, hätten wir dich beizeiten beseitigt. Aber leider ist dem Arzt ein Fehler passiert, sodass wir jetzt deine Existenz ertragen müssen.“ Die lebenslängliche psychologische Bürde für ein Kind mit einem derart vernichtenden Werturteil seiner Eltern, kann wohl niemals mit Geld aufgewogen werden.

Kein Qualitätsverlust, Haftung bleibt

Festzuhalten ist, dass die Gesetzesänderung keineswegs die sonst gültigen Regeln der Schadenshaftung selektiv für die Pränataldiagnostik aufhebt, wie fälschlicherweise von einigen Gegnern des Gesetzesentwurfes suggeriert wird. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Während ein Arzt in allen anderen Fällen nur dann schadenersatzpflichtig wird, wenn aufgrund eines schuldhaften Verhaltens tatsächlich ein Schaden entsteht, werden Ärzte in der Pränataldiagnostik nach der derzeitigen Judikatur verurteilt, obwohl sie keinen Schaden verursacht haben. Vielmehr haben sie durch eine Fehldiagnose indirekt eine Abtreibung verhindert und damit letztlich ein Leben gerettet.

Wer behauptet, dass im Falle einer Gesetzesänderung die Qualität der Pränataldiagnostik schwer leiden würde, dürfte schon jetzt an einer Fehlauffassung des ärztlichen Ethos erkrankt sein. Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen - und auch sonst Ärzte - geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns vorwiegend an der drohenden Schadenshaftung ausrichten, sozusagen nur dann gut arbeiten, wenn sie die Faust des Gesetzes im Nacken spüren.

Abgesehen davon geht diese Argumentation insofern ins Leere, als der Arzt für die korrekte Diagnose behandelbarer Fehlbildungen in der Pränataldiagnostik nach wie vor haftbar ist. Gerade um solche Fälle zu entdecken, ist aber eine gewissenhafte und hochqualifizierte Pränataldiagnostik nach wie vor unabdingbar.

Im übrigen bleibt auch nach der Novelle Schadenersatz für „Schockschäden“ und wohl auch für Vermögensschäden (z. B. höhere Aufwendungen für behindertengerechte Raumausstattung etc. als bei entsprechender Vorbereitungszeit) der Eltern denkbar, die daraus resultieren, dass sie unvorbereitet mit einem behinderten Kind konfrontiert sind.

eh. gezeichnet:
Univ. Prof. Dr. Johannes Bonelli, Direktor
Prof. Dr. Enrique Prat, Geschäftsführer
Mag. Susanne Kummer, stv. Geschäftsführerin

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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