Interne Kommunikation: Fehleraufarbeitung im Team

Imago Hominis (2011); 18(1): 21-28
Markus Schwarz

Zusammenfassung

Die Fehleraufarbeitung in einem Team hängt wesentlich von der Effektivität eines Teams ab. Auf Basis bestehender – Konzepte aus der Managementtheorie werden die Hauptfaktoren (Balance, gemeinsame Ausrichtung, Resilienz, Energielevel, Offenheit und Effizienz) und notwendigen Rahmenbedingungen für erfolgreiche medizinische Teams abgeleitet. Die daraus erkenntlichen Konsequenzen für die Kommunikation im Team und insbesondere der Kommunikation im Zusammenhang mit Fehlern im Team und die Rolle des gesamten Teams werden dabei beleuchtet. Weiters werden konkrete Maßnahmen zur Etablierung einer Fehlerkultur und eines positiven Umgangs mit Fehlern als Team diskutiert.

Schlüsselwörter: Teamkommunikation, Fehlerkommunikation, Team Effektivität, medizinische Teams

Abstract

The error processing in a team depends largely on the effectiveness of a team. Based on existing concepts in management theory, the main factors (balance, alignment, resilience, energy level, openness and efficiency) and necessary frameworks, conditions for successful medical teams will be derived. The resulting consequences for communication in the team and especially the communication related to errors in the team and the role of the team are illuminated. Furthermore concrete measures for the establishment of an error culture are illuminated and a positive handling of errors as a team is discussed.

Keywords: Team communication, error communication, team effectiveness, medical teams


Fehler oder Erfolg sind Teamsache

Das Auftreten und der Umgang mit Fehlern in der Medizin beginnen und enden zumeist bei Teams. Auch wenn dies oft gegen unsere Intuition bei der Aufarbeitung von medizinischen Fehlern geht und man – sowohl von Seiten der Organisation als auch von Seiten der geschädigten Patienten – gerne einen Schuldigen fassen möchte, hat sich durch eine verstärkte Beschäftigung mit Fehlern in der Medizin herauskristallisiert, dass man sich nicht auf das „Funktionieren“ des Einzelnen verlassen darf. Das Gut der Gesundheit – gerade im Fall der Behandlung von kranken Patienten – ist so hoch einzuschätzen, dass es im Behandlungsablauf immer einer umfassenden Absicherung bedarf und, ähnlich wie in anderen kollektiven Prozessen, der Erfolg der Behandlung sehr stark mit dem Erfolg der Zusammenarbeit im Team verknüpft ist.

Diese Hinwendung zum Team bedingt aber auch eine Hinwendung von der reinen Fachexpertise hin zu einer Managementexpertise, mit der sich die Medizin auseinandersetzen muss. Denn ein Team ist nicht nur einfach eine Schar von Experten, die auf höchstem fachlichen Niveau jeder für sich am Patienten arbeiten, sondern eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam ein fachlich herausragendes Ergebnis erzielen wollen, indem sie die Zusammenarbeit pflegen. Dabei gilt es nicht nur auf die fachlichen Qualifikationen Rücksicht zu nehmen, sondern auch die Abläufe und die Zusammenarbeit im Team aktiv zu gestalten.

Erfolgsfaktoren für medizinische Teams

In der Managementtheorie haben sich in den letzten Jahren verschiedene Faktoren herauskristallisiert, die ein Team erfolgreich machen. Aus einer Fülle von retrospektiven Überprüfungen von Teams, die gesteckte Ziele überdurchschnittlich gut und schnell erreichen konnten, haben sich im Wesentlichen sechs Grundvoraussetzungen identifizieren lassen, die erfolgreiche Teams auszeichnen.1 Die Balance im Team umfasst die Einbindung und auch das Verständnis für unterschiedliche Fähigkeiten und Stärken im Team. Die gemeinsame Ausrichtung beschreibt die gemeinsame Verfolgung eines übergeordneten Zieles für das gesamte Team und die entsprechende Ausrichtung der Handlungen im Team. Die Resilienz (ursprünglich die physikalische Fähigkeit von Materialien in ihre ursprüngliche Form zurückzukehren) ist eine ebenfalls entscheidende Dimension für den Teamerfolg, die den Grad des Zusammenhalts unter starkem internen oder externen Druck im Team darstellt. Weiters ist für ein Team auch das Ausmaß des proaktiven Handelns angesichts von Problemstellungen und die Aufrechterhaltung eines hohen Energie-Levels wichtig, wie auch die Offenheit im Sinne der Wertschätzung von Interaktionen mit der gesamten Organisation und der Außenwelt. Und natürlich bedarf es auch eines vernünftigen Umgangs mit zur Verfügung stehenden Ressourcen, die sich in der Effizienz des Teams beschreiben lässt.

Wenn man diese Bereiche auf medizinische Teams umlegt, wie sie z. B. auf einer Station oder im OP zusammen arbeiten, dann lassen sich auch bestimmte Charakteristika dieser Teams erkennen. Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass medizinische Teams im Vergleich zu anderen Organisationen hohe Komplexitäten zu bewältigen haben. Schon die Zusammenarbeit mehrerer verschiedener Berufsgruppen und die Einbindung vieler Stakeholder in den medizinischen Prozess (neben den medizinischen Fachkräften natürlich der Patient, aber auch dessen Angehörige und gerade im Fall von medizinischen Fehlern oft auch die breitere Öffentlichkeit) zeigen die Vielzahl von beteiligten Personen an medizinischen Prozessen. Darüber hinaus sind diese Prozesse auch nur begrenzt standardisierbar und unterliegen der Individualität der einzelnen Patienten. Auch der hohe Wissensanteil, der diese Prozesse nur bedingt diesen Stakeholdern kommunizierbar macht, erhöht die Komplexität der Teamzusammenarbeit und damit die Möglichkeit von Fehlern in der Abarbeitung von Aufgaben.

Zusätzlich kommt es in vielen medizinischen Bereichen, insbesondere z. B. auf Intensivstationen, zu hohen Belastungen der Mitarbeiter durch die erlebten Grenz- und Akutsituationen, die ebenfalls den Zusammenhalt im Team und die Fehlerhäufigkeit beeinflussen können.

Im Unterschied zu anderen Wirtschaftsbereichen, in denen die Team-Zusammenarbeit als extrem wichtig eingestuft wird, wie z. B. in der Luftfahrt, ist ein medizinisches Team aber nur in Ausnahmefällen direkter Teil des Risikos bzw. des potentiell hervorgerufenen Schadens, was sicherlich auch eine Erklärung für die fortgeschrittenen Managementinstrumente für die Team-Zusammenarbeit in Branchen wie der Luftfahrt oder der Kernenergie ist. Zusätzlich ist ein entstandener Schaden im medizinischen Bereich zumeist auf Einzelpersonen beschränkt und betrifft nicht das gesamte Kollektiv, wie dies bei einem Flugzeugabsturz oder bei einer Reaktorschmelze der Fall ist. Auch dies ist eine mögliche Erklärung, weshalb entsprechende Managementinstrumente nur relativ zögerlich im Bereich der Medizin Einzug halten. Andererseits besteht aber im Unterschied zu vielen anderen Industrien und Wirtschaftsfeldern nach wie vor der hohe Anspruch der Fehlerlosigkeit in der Medizin, der sich in der Erwartung des Patienten genauso ausdrückt wie in der Erwartung eines hohen Arbeitsethos der medizinischen Berufe selbst.

Im Hinblick auf die notwendigen Erfolgsfaktoren für medizinische Teams kann man folgende Schlussfolgerungen ziehen:

Grundsätzlich scheint es eine hohe Identifikation mit dem gemeinsamen Ziel der Therapie des Patienten zu geben. Allerdings mischen sich darunter oft berufsgruppen-spezifische Ziele (z. B. die Notwendigkeit, wissenschaftliche Ergebnisse zu produzieren; unterschiedliche Herangehensweisen an die Patientendokumentation, etc.), die letztendlich eine gemeinsame Ausrichtung des Teams erschweren.

Aufgabe der jeweiligen Teamleitung ist es in diesem Zusammenhang ein grundsätzlich gemeinsames Verständnis zu entwickeln und dieses auch entsprechend zu verschriftlichen bzw. regelmäßig zu kommunizieren und auf seine Gültigkeit zu überprüfen. In diesem Zusammenhang geht es auch um ein klares Selbstverständnis des Teams, das sich im Eigenbild spiegelt. Die Frage: „Was macht uns aus?“, „Was macht uns speziell?“ ist ein wesentlicher Motivationsfaktor in Belastungssituationen und auch in der Verfolgung von klar ausgerichteten Handlungsanweisungen.

Offen für Optimierung

Die Medizin hat auch ein ausgeklügeltes System der Offenheit in fachlichen Fragen entwickelt, das sich in einem einzigartigen weltweiten Wissensmanagement des medizinischen Fachwissens ausdrückt und heutzutage ermöglicht, dass neue medizinische Erkenntnisse praktisch überall und unmittelbar zur Anwendung kommen können. Allerdings besteht nicht annähernd ein gleiches Maß an Offenheit für Veränderungen im Prozessmanagement oder in der Umsetzung von neuen Erkenntnissen aus den sogenannten „best practices“ in den Prozessstrukturen anderer medizinischer Teams. Eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse, die zu einem klaren Selbstverständnis des Teams als sich laufend verbessernde Organisation führt, ist hier notwendig, um Offenheit nicht nur in medizinisch-fachlicher Hinsicht zu gewährleisten, sondern den Patienten auch prozessual die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, die zu einem gesamthaft vorteilhaften Krankheitsverlauf führt.

Bei der Frage nach der Offenheit des Teams bedarf es aber auch des Hinhörens auf neue Ideen, die aus dem Team kommen. Ein zentraler Bestandteil der aus dem Qualitätsmanagement kommenden „kontinuierlichen Verbesserungsprozesse – KVP“ ist das Aufgreifen von kleinen Verbesserungsvorschlägen der Mitarbeiter, die Schritt für Schritt zu einer neuen Qualität der Arbeit führen. Dieser Effekt entsteht nicht nur alleine, weil die Arbeit tatsächlich besser getan wird, sondern vor allem, weil die Mitarbeiter im Team ihre Haltung geändert haben und nicht mehr stupid Arbeitsanweisungen abarbeiten, sondern sich aktiv mit ihren alltägliche Aktivitäten im Team auseinander setzen und damit diesen Dingen eine weitaus höhere Aufmerksamkeit widmen. Diese laufende Beschäftigung mit dem „Besseren“ führt auch fast automatisch dazu, dass bisherige Handlungsweisen nicht als falsch oder fehlerhaft wahrgenommen werden, sondern eben als weniger gut. Diese Haltung ist auch Grundlage für einen offenen Umgang mit Fehlern, der in einem solchen Umfeld ganz natürlich in den laufenden Verbesserungsprozess integriert werden kann.

Umgang mit Belastung und Balance

Bei der Frage der Resilienz kommt man zur Kernfrage der Fehlerkultur, da in dem relativ gesehen statischen System der medizinischen Versorgung Druck sehr oft erst durch Fehler aufgebaut wird und dieser entsprechend unterschiedlich verarbeitet wird. Innerhalb der beschriebenen hohen Belastungssituationen zeichnen sich aber medizinische Teams sehr häufig als extrem widerstandsfähig und höchst belastbar aus.

Zur Stärkung der Resilienz empfiehlt es sich, aktiv in die Teamdynamik und damit in den Zusammenhalt des Teams zu investieren. Dies geschieht durch gemeinsam erlebte Freizeitgestaltung genauso wie durch die Erarbeitung neuer Richtlinien und Standards für das eigene Team. Das Wissen um die kollektiven Fähigkeiten des Teams und vor allem um die über die individuellen Fähigkeiten hinausgehenden Kompetenzen schweißt ein Team zusammen und führt auch in großen Drucksituationen zu einem Wir-Verständnis, das nicht mehr nur Schuldige für Fehler sucht, sondern den gemeinsamen Fehler in den bisherigen Strukturen und Abläufen wahrnimmt.

Die Balance in medizinischen Teams ergibt sich zum Großteil aus der notwendigen Zusammensetzung verschiedener Berufsgruppen, allerdings ist auch hier die Frage der Wertschätzung der damit sichergestellten, unterschiedlichen Fähigkeiten und Zugänge nicht immer gegeben. Auch sind die fachlichen Fähigkeiten oft nebeneinander präsent, ohne ineinander zu greifen, um den entsprechend größten Nutzen zu erzielen.

Die Aufgabe der Teamführung in dieser Hinsicht besteht einerseits in der Sicherstellung aller notwendigen fachlichen Kompetenzen für den Erfolg des Teams, aber auch in der Sicherstellung der Ausgewogenheit der Arbeitslast für einzelne Teammitglieder. Ein wesentliches Element dieser Balance ist dabei eine gesunde Ausgewogenheit zwischen formellen und informellen Strukturen, die je nach Aufgabe und Dynamik im Team unterschiedlich gewichtet sein müssen, aber in jedem Fall berücksichtigt werden wollen. Informelle Strukturen helfen in der Bewältigung von Stresssituationen genauso wie in der raschen Kommunikation sensibler Themen, können aber auch die Grundlage von Mobbing und Konflikten sein. Ziel muss es sein, eine balancierte Teamkultur zu entwickeln, die Unterschiede erkennt, diese wertschätzt und vor allem das Team als mehr als die Summe seiner Einzelteile wahrnimmt.2

Energie und Effizienz in der Kommunikation

Der Energiepegel, der in einem Team herrscht, ist im Wesentlichen eine Funktion der Energie, die von der Teamleitung ausgeht. Diese Energie darf sich aber gerade von Seiten der Teamleitung nicht als Aktivismus manifestieren, sondern muss über die Schiene der Kommunikation laufend die zuvor beschriebenen Ziele und Abläufe sicherstellen und durch Verfügbarkeit und Nähe zu allen Teammitgliedern eine flüssige Umsetzung der laufenden Veränderungen sicherstellen. Gerade dies verlangt eine Konzentration auf den Managementaspekt, der leider gerade in medizinischen Teams sehr häufig in der alltäglichen Widmung an den Patienten und dessen Leid marginalisiert wird. Die Wahrnehmung dieser Managementfunktion auf Teamebene ist aber der entscheidende Faktor, um Veränderungen und Verbesserungen in der stationären Krankenversorgung und letztendlich im Gesundheitssystem sinnvoll und nachhaltig umsetzen zu können. Natürlich bedingt dies auch eine entsprechende Zurverfügungstellung von Ressourcen für diese Managementaufgabe, jedoch zeigt sich in vielen positiven Beispielen, dass sich die Zeit für diese Managementfunktion sehr bald über effektivere Behandlungsabläufe einspielen lässt.

Ähnliches gilt für die notwendige Effizienz in einem medizinischen Team, die bei weitem nicht nur die ökonomischen Ressourcen, die zum Einsatz gelangen, umfasst. Primär geht es dabei um die Effizienz in der Kommunikation und den Anspruch, dass Kommunikation stattfindet und ausreichend stattfindet, das Team aber auch nicht zu einem Debattierclub verkommt. Zu erreichen ist dies nur über eine hohe Zielgerichtetheit in der Kommunikation, die wiederum auf ein klares gemeinsames Zielverständnis im Team zurückgreift. Auch darin zeigt sich die Kunst einer kompetenten Teamführung, die es versteht, Kommunikation zuzulassen, aber nur die Kommunikation, die das Team näher zum Ziel bringt. Näher zum Ziel bringt das Team in diesem Sinne aber nicht eine ausschweifende, alles zerredende Kommunikation, sondern eine Kommunikation, die bereit ist, das Fremdbild zum Team und zu Individuen aufzunehmen (Feedback-Kultur), und die eine Reflexion zu Problemen und Konflikten im Team (Reflexionskultur) ermöglicht. Reflexion bedingt aber auch die Möglichkeit, Themen in der Diskussion abzuschließen und als Team neu aufzugreifen, wenn Lösungen gefunden wurden.

Teamführung und Teamkommunikation

In der Darstellung der verschiedenen Dimensionen, die für ein Funktionieren eines Teams entscheidend sind, ergaben sich im Beschriebenen bereits schon zwei wesentliche Kompetenzen, die im Team entwickelt werden müssen: einerseits die Teamführung, die Entscheidendes in der Ausrichtung und der Energie und Effizienz des Teams beiträgt, und andererseits die Teamkommunikation, die grundlegend für den Umgang mit Fehlern, aber auch mit anderen Bedrohungen im Team ist. In diesem Sinn führt die Sicherstellung eines kompetenten Teams zu einem verbesserten Umgang mit Problemsituationen, indem es einerseits die Problemlösungskompetenz selbst erhöht, aber gleichzeitig auch die Konfliktlösung und die Stressbewältigung im Team grundlegt.

Adäquat auf Fehler reagieren

Im medizinischen Alltag können „Fehler“ als eine der Hauptauslöser von Problemen, Konflikten und Stress betrachtet werden. Um sich diesem Thema nähern zu können, bedarf es aber zunächst eines klareren Verständnisses des Begriffes „Fehler“. Ohne in semantische Spitzfindigkeiten oder Fehlertypisierungen abzugleiten, kann man allgemein Fehler als Abweichungen von einem Soll-Zustand (einem Soll-Ergebnis, einer Soll-Struktur oder einem Soll-Prozess) betrachten.3 In der Medizin sind es zumeist Abweichungen von Soll-Prozessen, die als Fehler erkannt werden, jedoch wird diese Frage noch von etlichen Unbekannten überlagert, die sich in unerwünschten Ereignissen oder schicksalshaften Entwicklungen bekunden. Mehrfach wurde auch schon belegt, dass diese Fehler in Abläufen und Strukturen nicht primär auf das Versagen von Einzelpersonen, sondern auf ein Versagen eines Systems (in den meisten Fällen eines Teams) zurückzuführen ist.4

In unserer Abhandlung soll es aber weniger um das Entstehen dieser Fehler gehen, sondern um die adäquate Reaktion im Team darauf. Und dafür ist die Fehlerkultur in einem Team wesentlich, die von drei Faktoren abhängt: Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang, die Rolle und die Reaktion der Teamführung zu sehen. Welche Reaktion ein Vorgesetzter auf einen aufgetretenen Fehler zeigt, ist prägend für die gesamte diesem unterstehende Organisation. Daneben sind auch die vorherrschende Teamkultur und der emotionale Umgang mit Fehlern ein wichtiges Element. Inwieweit gibt eine Atmosphäre der Angst vor Fehlern, die oft dazu führt, dass umso mehr Fehler aus einem Vermeidungsverhalten passieren? Und letztlich ist die Kommunikation im Team die dritte entscheidende Perspektive im Umgang mit Fehlern. Gerade in der Kommunikation von Beinahe-Fehlern und dem Umgang damit zeigt sich eine positive Fehlerkommunikationskultur auf – oder eben nicht. Aber auch in der Behandlung von unerwarteten Ergebnissen und der damit verbundenen Bereitschaft, eigene Handlungsweisen kritisch zu hinterfragen, steckt viel Potential im positiven Umgang mit Fehlern.

Aufbau einer Fehlerkultur

Ultimatives Ziel jedes Fehlers im medizinischen Ablauf – wie auch in allen anderen industriellen Bereichen – muss es sein, möglichst viel daraus zu lernen. Das Lernen darf aber nicht dabei stehen bleiben, ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden, sondern muss die Verbesserung des Gesamtprozesses im Blick haben. Den Fehler damit auch als Chance zu begreifen, ohne dabei gleich in Exzesse wie einem Fehlerwettbewerb zu verfallen5, ist daher wesentliche Aufgabe im Aufbau einer Fehlerkultur. Die positive Heraushebung von Fehlern kann ein kommunikatives Element in der Bewusstmachung der positiven Möglichkeiten von Fehlern darstellen, sollte aber nicht den Grundsatz eines Teams im Umgang mit Fehlern widerspiegeln.

Das Lernen aus Fehlern als Zielsetzung der Fehlerkultur in einem Team beruht darüber hinaus auf zwei wesentlichen Prozessen:6 zunächst einem Reflexionsprozess, der sowohl auf individueller Ebene (Welche Grundlage hatte ich für mein Handeln? Was hat mich abgehalten, das „Richtige“ zu tun?) als auch auf Teamebene (Welche Verhaltensmuster findet man im Team? Wie begünstigt unsere Teamkultur Fehler?) stattfinden muss, und in der Folge einem Rückkoppelungsprozess in den Alltag, der ebenfalls individuell (Was kann ich in Zukunft besser machen?) und organisatorisch (Welche Prozesse müssen angepasst werden? Welche Haltungen müssen sich ändern?) passieren muss.

Was ergibt sich daraus für die Kommunikation von und über Fehler im Team? Ausgehend von der Teamführung darf es zu keinen Schuldzuweisungen kommen bzw. müssen diese unterbunden werden. In diesem Zusammenhang geht es aber weniger um Floskeln, die in diversen Teamführungsseminaren angeboten werden und als Einstieg in eine Teamkommunikation gedacht sind, sondern es geht um Haltungen, die Grundlage für unsere Kommunikation sind. Die Haltungen müssen sich vor allem an der Grundzielsetzung ausrichten, dass Fehler eine Chance zum Lernen darstellen und nicht eine Chance Macht auszuüben oder zu bestrafen.

Trotzdem bedarf es gewisser vorgegebener Strukturen, wie man sie z. B. in Fehlerkonferenzen gut abgebildet findet. Dabei geht es aber weniger um bürokratische Dokumentationsabläufe, die eventuelle forensisch von Bedeutung sein können, sondern es geht um klar definierte Feedback-Schleifen, deren sich alle unvoreingenommen aussetzen wollen und die vor allem verhindern helfen, dass „Vernaderer“ zu ihrem negativ besetzten Erfolg kommen. Auch außerhalb von Fehlerkonferenzen bedarf es zielgerichteter Strukturen, die die Kommunikation von und über Fehler ermöglichen. Dies bedeutet einerseits Raum und Zeit für diese Kommunikation, aber auch eine ausgeprägte Führungsaufgabe für die Teamleitung, die sich aktiv um diese Kommunikation von Fehlern bemühen muss. Wichtig ist in diesen Strukturen aber auch eine Offenheit und Transparenz, die jeden Eindruck von Mauscheln hinter verschlossenen Türen hintan hält. Wenn man Fehler als Versagen der Teamleistung versteht, dann muss auch das gesamte Team diese Fehler diskutieren und daraus lernen können.

Woran erkennt man nun eine gute Fehlerkultur in einem Team? Allgemein werden folgende Wahrnehmungen als Signale für eine gute Fehlerkultur genannt:7

  • Kompetenz im spontanen Umgang mit auftretenden Fehlern: Mitarbeiter, die Fehler begehen oder denen Fehler auffallen, wissen wie damit umzugehen ist und vor allem, welche Kommunikationswege einzuschlagen sind.
  • Einschätzung, ob aus Fehlern Nützliches gelernt werden kann: Aufgrund der erworbenen Kompetenz im Umgang mit Fehlern, kann die Relevanz von Fehlern eingeschätzt werden; unkritische Fehler führen nicht zu unnötigen Unterbrechungen in Abläufen.
  • Risikobereitschaft: Die Sicherheit im Umgang mit Fehlern im ganzen Team führt zu einer kalkulierbaren Risikobereitschaft, die auch Grundlage für eine sinnvolle Innovation im Umgang mit Prozessen und Strukturen ist.
  • Emotionale Belastung durch Fehler ist gering: Eine Sicherheit in der Abschätzung, was beim Auftreten von Fehlern passiert, führt zu einer hohen emotionalen Stabilität und damit auch zu weniger Folgefehlern durch eine ungerichtete Emotionalität.
  • Antizipation möglicherweise auftretender Fehler: Die neu gefundene positive Haltung im Umgang mit Fehlern ermöglicht auch den nötigen Weitblick, um Fehler bereits in Ansätzen zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
  • Verbergen von Fehlern ist nicht nötig: Damit erreicht man, dass jeder Fehler die Chance erhält, zum Lernen beizutragen und vorhandene Fehler auch als solche erkannt und ausradiert werden.
  • Offene Kommunikation über Fehler: Damit wird auch das gesamte Team gestärkt und die umfassende Problem- und Konfliktlösungskompetenz entwickelt.
  • Reflexion über Fehler: ermöglicht auf individueller Ebene die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter und auf Teamebene die Entfaltung von Potentialen in der Teamzusammenarbeit und in der Innovationskraft des Teams.

Um diesen Status einer Fehlerkultur zu erreichen, bedarf es natürlich auch der Einführung gezielter Maßnahmen und Instrumente, die z. T. schon in anderen Industrien erfolgreich im Einsatz sind und sich entsprechend in der Etablierung einer Team- und Fehlerkultur bewährt haben. Dazu gehören vor allem Simulationen und Teamtrainings, wie sie heutzutage bereits für notfallmedizinische Teams zum Einsatz kommen.8 Dabei werden an Roboterpuppen Notfallsituationen geübt, wobei nicht nur die fachlich richtige Anwendung medizinischen Wissens, sondern vor allem das Zusammenspiel im Team erprobt wird. Die daraus gewonnene Erfahrung, als Team Lösungen generieren zu können und Problemfälle gemeinsam zu einer für alle bessere Lösung zu bringen, ist Grundlage für weitere Teamtrainings. In der Luftfahrt gehören diese so genannten Crew-Resource-Management Trainings zum fixen Bestandteil der Ausbildung.

Im Qualitätsmanagement vor allem der produzierenden Industrie haben sich kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) als Grundlagenin-
strument für die Steigerung der Qualität wie auch der Produktivität seit langem etabliert. Auch hier gibt es noch viel Aufholbedarf in der Medizin. Und nicht zuletzt sollte man eine entsprechende Fehler- und Teamkultur als Unterrichtsgegenstand bereits im Medizinstudium und in der fachspezifischen Berufsausbildung von Pflege und anderen medizinischen Berufen andenken, wie dies im Rahmen der Überarbeitung diverser medizinischer Curricula an deutschen Universitäten bereits geschehen ist.9 Nachdem es sich primär um Haltungen im Bezug auf andere Berufsgruppen und Teammitglieder handelt, können diese Grundstrukturen nicht früh genug bewusst gemacht werden.

Auf dieser Grundlage ist nicht nur im Sinne der Patienten, die unter weniger Fehlern zu leiden haben werden, sondern auch im Sinne der medizinischen Mitarbeiter, die vor allem eine verbesserte Teamkultur erleben wollen, ein „Zusammenarbeiten“ einem leider allzu oft üblichen „zusammen Arbeiten“ bei weitem vorzuziehen.

Referenzen

  1. Kozlowski S. W. J., Ilgen D. R., Enhancing the Effectiveness of Work Groups and Teams, Psychological Science Public Interest (2006); 7: 77-124
  2. Geisler L. S., Kommunikation im Team, Online-Version des Vortrags vom 23. September 2006 in Hamburg, 6. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, http://www.linus-geisler.de/vortraege/0609kommunikation-team.html (letzter Zugriff am 10. Jänner 2011)
  3. Oser F., Hascher T., Spychiger M., Lernen aus Fehlern – zur Psychologie des „negativen Wissens“, in: Althof W. (Hrsg.), Fehlerwelten – vom Fehlermachen und Lernen aus Fehlern, Leske und Budrich, Opladen (1999), S. 11-43
  4. Reason J., Managing the Risks of Organizational Accidents, Aldershot-Ashgate, Hampshire (1997)
  5. Miller B., Jeder Fehler wird belohnt? Etablieren Sie eine transparente Fehlerkultur, www.business-netz.com (2010), http://www.business-netz.com/artikel/Beruf-und-Leben/Kommunikation/Fehlerkultur-im-Unternehmen-implementieren (letzter Zugriff am 10. Jänner 2011)
  6. Bauer J., Fehlerkultur und epistemische Überzeugungen als Einflussfaktoren individuellen Kompetenzerwerbs am Arbeitsplatz, in: Gruber H. et al. (Hrsg.), Kapital und Kompetenz – Veränderungen der Arbeitswelt und ihre Auswirkungen aus erziehungswissenschaftlicher Sicht, Leske und Budrich, Opladen (2003), S. 55-76
  7. Rybowiak V., Garst H., Frese M., Batinic B., Error Orientation Questionnaire (EOQ): Reliability, validity, and different language equivalence, J Org Behav (1999); 20: 527-547
  8. Als Beispiel eines entsprechenden Simulationszentrums für die Intensiv- und Notfallmedizin hat sich an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität ein Simulationszentrum etabliert: http://www.pmu.ac.at/en/1321.htm
  9. Mühlinghaus I. et al., Teamarbeit und Fehlermanagement als Inhalte des Medizinstudiums, GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung (2007); 24(4): Doc184

Anschrift des Autors:

Dr. Markus Schwarz
Berater, Egon Zehnder International
Bauernmarkt 2, A-1010 Wien
Markus.Schwarz(at)ezi.net

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