Editorial

Imago Hominis (2011); 18(1): 3-5
Johannes Bonelli

Gesunde Niere entfernt, falsches Bein amputiert: Es sind tragische Ereignisse, mit denen die Medizin mitunter Schlagzeilen macht. Unwillkürlich drängen sich dabei Fragen auf: Wie lassen sich solche Fehler vermeiden? Wer trägt dafür Verantwortung? Was heißt Schuld? Lassen sich Fehlerquellen früher erkennen? Was ist in der internen Kommunikation schief gelaufen? Wie sagt man es dem Patienten? Jeden Arzt macht es betroffen, wenn ihm ein Fehler unterläuft, und kaum einer wird ein solches Missgeschick mit der Ausrede wegstecken: „Ja, Irren ist halt menschlich!“ Zumindest im stillen Kämmerlein wird er sich seinen Fehler eingestehen und innerlich lange daran arbeiten, denn: Solche Fehler geschehen weder absichtlich noch im Alleingang.

Ganz anders ist freilich meist die Reaktion nach Außen, die – aus Angst vor gerichtlicher Verfolgung, Regressionsforderungen und anderen Sanktionen – von einer eher rigorosen Abwehrhaltung geprägt ist. Autoritäts- und Abhängigkeitsverhältnisse steigern die Furcht vor Strafmaßnahmen, und die Schweigespirale macht anfällig für weitere Fehler.

Behandlungsfehler der Ärzte und deren Konsequenzen sind erst in den letzten Jahren zunehmend in den Brennpunkt der Gesundheitsdebatte und der Qualitätssicherung gerückt. Diese Debatte spielt sich jedoch meistens nur auf juristischer und finanzieller Ebene ab, womit niemandem, weder den Patienten, noch der Ärzteschaft gedient ist. Klar ist: Aus Fehlern soll man lernen - aber die Frage ist, wie.

Im Kern geht es um einen vernünftigen Umgang miteinander in einer kritischen, existentiellen Notsituation, die natürlich in erster Linie den Patienten, aber auch den Arzt empfindlich trifft. Es liegt daher im Interesse aller Beteiligten, solche Fehler von vornherein zu vermeiden. Mit Qualitätsmanagement alleine wird man diese Probleme nicht lösen können. Wer meint, eine Fehlerkultur bauen zu können, ohne die Voraussetzung einer Vertrauenskultur, der baut im luftleeren Raum, denn letztlich handelt es sich in dieser Frage auch um eine ethisch-menschliche Herausforderung.

Die Festlegung von Standards, Checklisten und Kontrollmechanismen sind unverzichtbar. Gleichzeitig ist eine ethische Kompetenz gefordert, die weit über die reine Pflichterfüllung hinaus geht. Es sind vor allem die menschlichen Tugenden des Verantwortungsbewusstseins, der Wahrheitsliebe und des gegenseitigen Vertrauens, die als Eckpfeiler einer hochqualifizierten Krankenbetreuung zu fordern sind. Es lassen sich auch nicht die Prinzipien der Fehlerkultur in der Flugfahrt 1:1 auf die Fehlerkultur in der Medizin übertragen, wie das heute gerne gemacht wird. Die Voraussetzung einer erfolgreichen Heilbehandlung ist nach wie vor eine ungetrübte und vertrauensvolle Arzt/Patientenbeziehung, die im Bereich der Medizin einzigartig und unverzichtbar ist. Deshalb sollten medizinischer Hausverstand und Wohlwollen immer noch Priorität über jedwede Art starrer Checklisten-Medizin haben. Die Verbesserung der Qualität setzt immer auch eine Steigerung der ethischen Kompetenz voraus.

Diesen Fragen ist IMABE in Kooperation mit der AUVA, der Österreichischen  Ärztekammer und dem Hauptverband der Sozialversicherung in einem vielbeachteten Symposium mit hochkarätigen Referenten nachgegangen. In der vorliegenden Ausgabe dieser Zeitschrift liegt ein Großteil dieser Referate vor.

Astrid Engelbrecht (Pflegedirektorin im KH-Hietzing, Wien) weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass Pflegende als größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen eine wichtige Rolle in der Identifizierung und Vermeidung von Fehlern einnehmen und gibt dazu Beispiele aus der Alltagspraxis. Der Beitrag von Gabriele Cerwinka (Kommunikationstrainerin, Wien) behandelt den Umgang mit Angst, Scham und Schuld bei Fehlern und plädiert für die Schaffung einer Kommunikationsstruktur, die das Eingestehen von Fehlern zulässt. Der Unfallchirurg und jahrelange Ärztliche Leiter der Unfallabteilung des LKH Mödling, Titus Gaudernak, zeigt gemeinsam mit dem Ethiker Enrique Prat (IMABE) auf, wie das Arzt-Patienten-Verhältnis, das nach einem Fehler in die Krise geraten ist, aus prinzipien- und tugendethischer Sicht wieder hergestellt werden kann. Sie erläutern dabei sechs Kriterien der patientenorientierten Kommunikation bei Behandlungsfehlern. Markus Schwarz, Unternehmensberater und vormals Wirtschaftsdirektor der Christian-Doppler-Klinik Salzburg, betont, dass Strategien zum Aufbau einer echten Teamkultur unbedingt von der Führungsetage getragen sein müsse. Er geht in seinen Ausführungen auf die interne Kommunikation und Fehleraufarbeitung im Team ein und verweist auf die richtige Balance des Fehlermanagements: Fehler sollten demnach nicht dem Individuum angelastet, sondern in einem größeren Kontext betrachtet werden. Denn in der Regel ist ein Fehler auf ein Fehlverhalten mehrerer Beteiligter zurückzuführen. Der Jurist Michael Memmer (Universität Wien) stellt Modelle einer Entschädigung nach Behandlungsfehlern vor, insbesondere Einrichtungen zur außergerichtlichen Konfliktlösung. Der Philosoph Clemens Sedmak (Universität Salzburg) beschäftigt sich mit der Frage nach der Ethik in der Fehlerkultur. Er identifiziert drei ethische Brennpunkte, die die Entwicklung einer ethisch verantwortbaren Fehlerkultur in der Medizin ermöglichen: eine Ethik der Kommunikation, eine Ethik des Lernens und eine Ethik der Verantwortung.

Insgesamt ergeben die Beiträge einen umfassenden Überblick über die Problematik und die Zielsetzungen einer effektiven Fehlerkultur nach den Anforderungen heutiger moderner Gesundheitseinrichtungen.

J. Bonelli

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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