Warum PID in Österreich gesetzlich verboten bleiben soll

Imago Hominis (2011); 18(3): 158-160
Susanne Kummer

Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juli 2011 mit 326 Stimmen einem Gesetzesentwurf zugestimmt, der den Gencheck an künstlich erzeugten Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib erlaubt. Zuvor hatten 228 für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) gestimmt, ohne die erforderliche Mehrheit zu erlangen.

Die Methode ist heftig umstritten: Bei der PID werden bekanntlich im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib auf genetische Fehler und Risiken untersucht und gegebenenfalls selektiert.

In Österreich ist dieses Untersuchungsverfahren, das nicht auf Therapie, sondern auf reines Aussortieren von Embryonen abzielt, verboten. Noch. Es werde bereits an einer Gesetzesnovellierung gearbeitet, ließen PID-Befürworter verlauten. „Es soll ein Katalog erstellt werden, auf welche Erkrankungen genau untersucht werden darf“, meinte etwa Ludwig Wildt, Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Department Frauenheilkunde.1 Das Ministerium habe, so Wildt, dafür eigens eine Kommission eingesetzt, dort bestünde aber noch kein Konsens, welche Krankheiten aufgenommen werden sollen.

Genau diese Art der Vorgangsweise kritisiert die Wiener Zeitung scharf:2 Es sei zu befürchten, dass die Diskussion über eine mögliche Freigabe der PID in Österreich im Gegensatz zur vorbildlichen jahrelangen Debatte in Deutschland nur „hinter verschlossenen Türen“ stattfinde. Und wenn „die Sache ins Parlament kommt, wird schon vorher klar sein, wie die Abstimmung ausgeht.“ Mehrere Indizien sprechen leider dafür. Die Debatte flackerte in Österreich nur kurz auf, die Öffentlichkeit wird mit Erwartungs- und Heilsversprechen gelockt, statt mit Fakten informiert.

Daher die Frage: Gibt es sachliche Argumente, warum der Gen-Check bei Embryonen im Reagenzglas in Österreich auch in Zukunft gesetzlich verboten sein soll? Da nun in Deutschland die Entscheidung gefallen ist, die PID in Fällen zuzulassen, „in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder „mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist“: Wäre das der ethisch saubere Kompromiss für die umstrittene Methode der Embryonenselektion in der Petri-Schale, an dem sich auch unsere Politiker orientieren sollten?'

Indikationsmodell praktisch undurchführbar

Je näher man auf die einzelnen Pro-Argumente eingeht, desto dünner wird ihre Substanz. Dazu gehört zunächst die praktische Undurchführbarkeit eines Indikationsmodells, wie es die Grünen in ihrem parlamentarischen Entschließungsantrag vom 18. Mai 2011 vorschlagen. Kein Wunder, dass es „keinen Konsens darüber gibt, welche aufgenommen werden sollen“: Welche Watchlist von Krankheiten soll denn rechtens erstellt werden – und von wem – aufgrund derer dann Embryonen ausgesondert und vernichtet werden dürfen? Das Beispiel Großbritannien zeigte, dass PID auf einen begrenzten Einzelfall nach wenigen Jahren einer Gesellschaft nicht mehr gerecht wird, sobald Begehrlichkeiten nach einem Null-Fehler-Baby geweckt wurden. Die PID wurde dort 2006 legalisiert; sie kann bei der drohenden Vererbung bestimmter Formen von Krebs, Alzheimer und Muskelkrankheiten genutzt werden – insgesamt bei mehr als 160 Indikationen. Inzwischen genügt das bloße Vorhandensein eines sogenannten Risiko-Gens – etwa des Brustkrebsgens BRCA1, um Embryonen im Zuge der PID auszusortieren, selbst wenn bekannt ist, dass die Krankheit weder zwingend ausbrechen wird, noch allein auf dieses Risiko-Gen rückführbar ist.

33 selektierte Embryonen für ein Kind

Die Europäische Gesellschaft für Humanreproduktion und Embryologie (ESHRE) berichtet seit zehn Jahren jährlich im Fachjournal Human Reproduction über die Ergebnisse von weltweit 57 Instituten, die PID vornehmen. Die letzte Auswertung, die das Jahr 2007 erfasst, erschien im November 2010.3 Die Daten zeigen, dass auf einen Embryo, der es 2007 nach einer Präimplantationsdiagnostik bis zur Geburt schaffte, 33 „verbrauchte“ Embryonen kamen. Die einzelnen Selektionsschritte werden in der Auswertung minutiös aufgeführt. Aus 56.325 befruchteten Eizellen entstanden 40.713 Embryonen. Ihnen wurden 31.867 Gewebeproben zur Biopsie entnommen, 28.998 wurden diagnostiziert und 10.084 als implantierbar eingestuft. In eine Gebärmutter implantiert wurden letztlich 7.183 Embryonen. Erfolgreich war die Implantation aber nur in rund 22 Prozent der Fälle, das heißt sie führte zu 1.609 Schwangerschaften. Diese wiederum hatten 977 Geburten mit 1.206 Kindern zur Folge. Auf ein Kind kommen mithin 33,7 selektierte und verworfene Embryonen. Es erstaunt, dass in der politischen Debatte über Zulassung oder Verbot der PID diese Daten bisher ignoriert wurden.

Schwache Aussagekraft der Diagnostik

Ein anderes Argument, wonach die PID ohnehin nur nicht lebensfähige Embryonen aussortieren würde beziehungsweise die IVF-Rate steigern könnte, scheint selbst - wie Studien zeigen - unter Reproduktionsmedizinern umstritten. Das praktische Problem der PID ist ihre schwache Aussagekraft in Bezug auf Chromosomenanomalien. Nicht selten werden diese nach dem Acht-Zell-Stadium dank biologischer Mechanismen unter Kontrolle gebracht. Und es kann zu Fehldiagnosen kommen: Genmaterial, das aus zwei verschiedenen Blastomeren entnommen wird, kann zwei komplett verschiedene Ergebnisse liefern. Wird es nun ein gesundes oder ein krankes Kind?

Kann der Staat die PID begrenzen?

Nach dem Ja zur umstrittenen PID in Deutschland steht der nächste Schritt an: Wie soll dieses Gesetz umgesetzt werden? Nach der Sommerpause will die deutsche Bundesregierung per Verordnung regeln, in welchen Instituten die Paare mit Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit Gentests an Embryonen nach künstlicher Befruchtung machen lassen können. Voraussetzung für den Embryonentest ist laut Gesetz außerdem die Zustimmung einer Ethikkommission in jedem Einzelfall sowie eine Beratung der Paare. Aber in welchem Umfang und mit welcher Zielrichtung genau?
Wenn der deutsche Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery vor Heilsbotschaften an die Betroffenen warnt, ist das richtig. Die Frauen müssten „genau erfahren, was sie erwartet“. Wie bei jeder künstlichen Befruchtung ist eine Hormonbehandlung für das Heranreifen einer ausreichenden Zahl von Eizellen vorgeschaltet. Auch die Erfolgsquote von nur einem Viertel müsse man den Paaren klarmachen. „Wenn sie dann immer noch wollen, dann sollte die Indikation geprüft werden“, sagt Montgomery. Dabei geht es um die Frage, ob die elterlichen Anlagen eine Tot- oder Fehlgeburt oder schwerwiegende Erbkrankheit hochwahrscheinlich machen. Sonst darf es keine PID geben. Doch bereits jetzt ist deutlich, wie schwer, ja praktisch unmöglich es ist, die PID in der Praxis „auf Einzelfälle“ hin zu regeln. Dazu kommt der ökonomische Aspekt: Für eine PID zahlt man zwischen 2.000 und 4.000 Euro. Welches reproduktionsmedizinische Zentrum will da an diesem neuen Markt nicht mitnaschen? In Deutschland etwa gibt es mehr als 130 solcher Zentren. Für die PID reichten hingegen etwa drei aus.

Auswirkungen der PID

Ob durch die Einführung der PID die Zahl der Spätabtreibungen gesenkt werden könnte, ist mehr als spekulativ, meint dazu der Medizinethiker und Mitglied im Deutschen Ethikrat, Axel W. Bauer. Sicher ist jedoch, dass die Bandbreite von „Normalität“, die in unserer Gesellschaft künftig noch toleriert werden wird, durch die Möglichkeiten der PID deutlich schmaler werden wird. Und dass die Entscheidung im Zweifel gegen das Leben des potentiell kranken Embryos ausfällt, liegt auf der Hand. Womit das gesellschaftlich-politische Dilemma einer – wenn auch begrenzten – Freigabe der PID deutlich wird: Anders als die Pränatale Diagnostik (PND), die –ungeachtet ihres Missbrauchs in der medizinischen Praxis – auch wichtige Erkenntnisse für eine der Gesundheit des Ungeborenen dienenden Geburtsvorbereitung sowie der frühzeitigen Einleitung von Therapien dienen kann, ist die PID ein „reines Selektionswerkzeug“. Menschen fallen hier einem abstrakten Gesundheitsideal zum Opfer: Nicht Krankheiten werden eliminiert, sondern die Kranken. Das aber sollte uns als aufgeklärte Gesellschaft, deren wohl höchste Errungenschaft die Menschenrechte sind, eigentlich wachrütteln.

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Mag. Susanne Kummer
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Institut für Medizinische
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