Neuere Entwicklungen in der Pränatalmedizin

Imago Hominis (2012); 19(4): 271-291
Walter Rella, Karl Radner

Zusammenfassung

Die Pränatalmedizin hat in den letzten 20 Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Diese betrifft in erster Linie die diagnostischen und nur in bescheidenem Maße die therapeutischen Möglichkeiten. In einem ersten Abschnitt wird ein Überblick über die neuen diagnostischen Verfahren gegeben und die Problematik ihrer Anwendung zum Zweck eines flächendeckenden Screenings erörtert. Besonderes Augenmerk wird den neuen genetischen Untersuchungen geschenkt. Ein zweiter Abschnitt widmet sich den vielfältigen Gefahren und Nebenwirkungen einer übertriebenen Pränataldiagnostik. Im dritten Abschnitt werden neue therapeutische Optionen erörtert. Schließlich wird ein 4-Punkte-Ansatz vorgestellt, wie Schwangere bzw. Ehepaare mit dem vorliegenden pränataldiagnostischen Angebot umgehen und Gefahren und Gefährdungen minimieren können.

Schlüsselwörter: Pränatale Diagnose, pränatales genetisches Screening, Down Syndrom, pränatale Therapie

Abstract

Antenatal medicine has seen a stormy development during the last two decades. Though, this development concerns predominantly diagnostic rather than therapeutic possibilities. The first section gives a survey of the various new diagnostic tools and discusses the problems of their wide-spread use within prenatal screening programs. Special attention is given to new genetic tools. The second section analyzes the manifold risks and side effects of excessive prenatal diagnosis. The third section deals with new therapeutic options. Finally, a proposal is offered how pregnant women and married couples can make best use of prenatal diagnostic tools and minimize hazards and risks.

Keywords: Prenatal Diagnosis, Prenatal genetic Screening, Down Syndrom, Prenatal Therapy


Einleitung

Pränatale Diagnosemöglichkeiten haben sich in den vergangenen 20 Jahren rasant entwickelt und sind in ihrer Anwendung nahezu flächendeckend verbreitet. In der vorliegenden Arbeit werden die neueren Entwicklungen der Pränatalmedizin und ihres gesellschaftlichen Umfeldes seit 1993 aufgegriffen. Die davor liegende Entwicklung und eine Einführung in die pränatalmedizinischen Methoden wurden bereits 1994 umfassend in Imago Hominis publiziert.1

Insbesondere soll auf die immer schärfer hervortretende Schere zwischen Diagnose und Therapie, die in vielen Ländern tolerierte oder gar geforderte eugenische Indikation, die einhergehenden psychischen Belastungen von Schwangeren und nicht zuletzt das Dilemma der Ärzte, die zwischen hippokratischem Eid, Wünschen von Schwangeren und gesetzlichen Vorgaben lavieren müssen, eingegangen werden.

I. Die Pränatale Diagnose

Von der Indikation zum Screening

Bis vor wenigen Jahren wurde noch von Indikationen zur Pränatalen Diagnose gesprochen. Dazu zählten fortgeschrittenes Alter der Schwangeren, familiäres Auftreten von Erbkrankheiten oder von Chromosomenstörungen, mütterliche Angstzustände sowie abnorme Ultraschallbefunde. Heute wird jede Schwangere mit den pränatalen Diagnosemöglichkeiten konfrontiert. Denn angeborene Behinderungen, so heißt es, müssen nicht mehr sein. Man kann ja heutzutage sozusagen alles feststellen und der Arzt ist dafür verantwortlich, dass niemand „durch den Rost fällt“.2 Dadurch wird jede Schwangerschaft als potentiell pathologisch oder risikobehaftet vorgestellt. Den derart verunsicherten werdenden Müttern werden sodann „zur Beruhigung“ und „zum Ausschluss von Fehlbildungen“ bestimmte Screeninguntersuchungen angeboten.

Man unterscheidet

  • Ultraschall-Screening: Messung der Nackentransparenz, Organscreening
  • Serumscreening: Triple-Test, Sequentialtest, Integraltest
  • Ultraschall- und Serumscreening kombiniert: Combined Test
  • Genetisches Screening: invasive und nicht invasive Methoden

Solche Screeninguntersuchungen sind in Österreich kostenpflichtig. Ultraschall und Serumscreening zusammen kosten laut Gynschall, je nach Ausführlichkeit, zwischen 180 und 400 Euro.3

Je früher die Screeninguntersuchungen durchgeführt werden können, desto eher werden sie von den schwangeren Frauen angenommen. Denn umso früher finden sie Versicherung und Beruhigung bzw. umso leichter fällt eine Abtreibung, wenn eine nicht behandelbare Behinderung festgestellt wird. Idealerweise sollte ein Screeningergebnis noch innerhalb des ersten Trimesters der Schwangerschaft vorliegen. Vorwiegend aus diesem Grund wird der Triple Test heute zugunsten des Combined Test verlassen, obwohl letzterer teurer ist.

Nun zu den Screening-Untersuchungen im Einzelnen:

1.1. Das Ultraschallscreening

Zusätzlich zu den im Mutter-Kind-Pass (MKP) vorgesehenen Schalluntersuchungen werden spezielle Screeninguntersuchungen angeboten.

1.1.1. Die Nackentransparenz

Bevor Lymph- und Gefäßsystem den Flüssigkeitstransport im Keimling koordinieren, kommt es häufig zu Flüssigkeitsansammlungen im Nackenbereich, dort wo der Lymphhauptstrang in den Winkel zwischen Hals und Armvene einmünden wird. Diese Flüssigkeitsansammlung verschwindet gewöhnlich in der 11. Woche der Schwangerschaft. Manchmal aber bleibt sie bis zur 14. Woche und darüber hinaus bestehen. Das zeigt sich im Ultraschallbild durch eine verbreiterte Nackentransparenz. Sie beträgt normalerweise 1,0 – 2,0 mm.

Man hat herausgefunden, dass das verzögerte Verschwinden der Nackentransparenz mit verschiedenen Missbildungen (hauptsächlich des Herzens) assoziiert sein kann, sowie insbesondere mit bestimmten Trisomien wie dem Down-Syn-drom (T21).4 Manchmal aber handelt es sich auch nur um eine Normvariante, wobei mütterliches Übergewicht und Rauchverhalten sowie das kindliche Geschlecht eine Rolle spielen können.5

Die genaue Kenntnis des Gestationsalters und die exakte Vermessung der Nackentransparenz sind Voraussetzung, um aus einem vorhandenen Nackenödem Schlüsse zu ziehen. Für die Bestimmung des Gestationsalters wurde neuerdings eine dritte frühe Ultraschall [US]-Untersuchung (ab der 8. Schwangerschaftswoche [SSW]) in den MKP aufgenommen. Für die zuverlässige Vermessung der Nackentransparenz sind eine besondere Qualifikation des Untersuchers (Stufe II nach Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, ÖGUM) und ein entsprechend hoch auflösendes Gerät erforderlich. Die Untersuchung nimmt bei erfahrenen Untersuchern 5 bis 10 Minuten in Anspruch und wird zu einem Preis von 100 bis 200 Euro angeboten.6

Eingehende Studien haben ergeben, dass das verzögerte Schwinden einer Nackentransparenz von über 2,5 mm Dicke (oder jenseits einer Standardabweichung) mit über 70%iger Wahrscheinlichkeit das Vorliegen von (vorwiegend kardiovaskulären) Missbildungen oder einer Trisomie anzeigt. Die primäre Wahrscheinlichkeit für diese Erkrankungen liegt hingegen, altersabhängig, bei 2% und darunter.

1.1.2. Das Organ-Screening

Die Bildung der Organe ist im Embryo mit Ende des ersten Trimesters (13 Wochen) abgeschlossen. Von da an wird der Keimling Fötus (abgeleitet von [griech] phoitos = zappelndes Wesen) genannt. Mit Erreichen der 20. SSW, wenn von der Mutter die ersten Kindesbewegungen verspürt werden, ist er so weit herangewachsen, dass die einzelnen Organe einer US-Untersuchung zugänglich werden. Dementsprechend wird das Organscreening ab diesem Zeitpunkt angeboten. Mit dessen Hilfe lassen sich Missbildungen des Herzens, des Rückenmarkes (Neuralrohrdefekte – „offener Rücken“), der ableitenden Harnwege und des Gesichtes (Spaltbildungen) sowie des Abdomens (Hernien) in der Mehrzahl der Fälle feststellen. Auch für diese Untersuchungen sind eine besondere Qualifikation (Stufe III nach ÖGUM), entsprechende Erfahrung und ein U-Schallgerät der obersten Preisklasse erforderlich Die neuesten Geräte sind in der Lage 3D-Bilder ohne oder mit zusätzlicher zeitlicher Auflösung (4D) zu liefern.

Das Organscreening an unselektierten Föten wird in gut 98% der Fälle ein normales Ergebnis liefern. Die in bis zu 2% der Schwangerschaften gefundenen Fehlbildungen sind in den seltensten Fällen einer intrauterinen Therapie zugänglich. Fötoskopische Operationen sind mit einem hohen Risiko behaftet (bis zu 30% vorzeitige Blasensprünge7) und werden nur in speziellen Zentren und im Rahmen wissenschaftlicher Studien durchgeführt. Bei einem Nachweis von Herzfehlbildungen (1%) oder Neuralrohrdefekten (0,2% weltweit) kann die Entbindung in einem fötalmedizinischen Zentrum veranlasst werden, um eine umgehende Behandlung des Neugeborenen zu ermöglichen. Dadurch kann – in bescheidenem Maße – die Überlebenswahrscheinlichkeit von 90% auf 96% gesteigert werden.8 Für die Vorbeugung von Neuralrohrdefekten sind die frühe Substitution mit Folsäure und die Vermeidung von Alkohol vorrangig.

Eine besondere Form des Ultraschalls ist die Doppleruntersuchung. Mit deren Hilfe können die Strömungsverhältnisse in der Nabelschnur, der Plazenta und des sog. Ductus venosus erfasst werden. Von besonderem Wert ist der Nachweis eines Transfusionssyndroms bei eineiigen Zwillingen, wenn der eine Zwilling vom anderen aufgrund einer Gefäßverbindung beider Mutterkuchen Blut abzweigt. Das passiert in bis zu 15% der Fälle. Die Folge ist die Unterentwicklung des einen Fötus und eine Häufung von Herzmissbildungen. Solchen Fällen kann schon in utero geholfen werden, indem mittels Laserchirurgie die Gefäßverbindung der Mutterkuchen verödet wird. Wichtig kann es auch sein, die Pulsationen in der Ateria uterina zu messen (ab der 15. SSW), da eine ungenügende Blutversorgung der Plazenta zur gefährlichen frühen Schwangerschaftsvergiftung (< 34. Woche) führen kann. In solchen Fällen kann die vorbeugende Verabreichung von Magnesium oder niedrig dosiertem Aspirin versucht werden.

1.2. Das Screening mithilfe mütterlicher Serummarker

In den letzten beiden Jahrzehnten sind bezüglich der Identifikation und Validierung von mütterlichen Serummarkern, die mit bestimmten Missbildungen und genetischen Abweichungen korrelieren, bedeutende Fortschritte erzielt worden. Zu diesen Markern zählen das Alpha-Fetoprotein (AFP), ein fötaler Eiweißstoff, der bei Neuralrohrdefekten erhöht und bei Trisomien (T21, T18) erniedrigt ist, weiters bestimmte weibliche Hormone (freies Östriol und Inhibin A) sowie die Plazentahormone beta-hCG und PAPP-A. Es gibt darüber hinaus noch einige weitere Marker, die jedoch nicht in die Routinediagnostik Eingang gefunden haben. Für jeden Marker gibt es einen typischen Verlauf seiner Serumkonzentration während der Schwangerschaft und einen optimalen Zeitpunkt, bei dem der Unterschied zwischen Normalwert und pathologischer Abweichung für eine gegebene Erkrankung am deutlichsten ist. Es sind daher auch das Gestationsalter und einige andere Kriterien zu berücksichtigen. Der gefundene Wert muss um ein bestimmtes Mindestmaß vom Mittelwert des Normalen abweichen. Je nachdem wie diese Grenze definiert ist, ergeben sich mehr falsch positive oder mehr falsch negative Resultate (falsch positiv: Embryo ist gesund, aber der Test stuft ihn fälschlicherweise als krank ein; falsch negativ: Embryo ist krank, aber der Test stuft ihn fälschlicherweise als gesund ein). Es hat sich gezeigt, dass für die Erfassung von Trisomien kein einzelner Wert allein die Kriterien einer Screeninguntersuchung (ausreichende Sensitivität und Spezifität) erfüllt. Deshalb hat man schon früh mit einer Kombination verschiedener Marker versucht, diese Kriterien zu erfüllen.

Schließlich haben sich ab Mitte der 1990er drei verschiedene Strategien durchgesetzt, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich bevorzugt werden.

1.2.1. Triple Test

In Österreich war es der sog. Triple-Test. Mit diesem Untersuchungsverfahren werden drei Moleküle, die über die Plazenta in den Blutkreislauf der Schwangeren gelangen, im Blut der Mutter bestimmt. Es sind dies das weibliche Sexualhormon Östriol, das Schwangerschaftshormon beta-hCG und das fötale Protein alpha-FP. Die höchste Aussagekraft der Werte dieser Dreierkombination – daher der Name Triple-Test – liegt zwischen der 16. und 18. SSW. Damit können - bei einer falsch positiven Rate von 5% – in denen der Test auffällige Ergebnisse liefert, ohne dass das Kind wirklich erkrankt ist – ungefähr 80% jener Schwangerschaften erfasst werden, bei welchen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Down-Syndroms über der als kritisch angesehenen Grenze von 1:150 liegt. Andererseits kann bei älteren Schwangeren, deren Risiko für das Down-Syndrom a priori hoch ist (siehe Tabelle 1), das Vorliegen einer solchen – allerdings mit einer hohen falsch positiven Rate von bis zu 20% – ausgeschlossen werden. Grundsätzlich sind sämtliche Serummarker-Untersuchungen nur bei Einlingsschwangerschaften aussagekräftig.

Obwohl der Triple-Test gegenüber einem Screening nur nach Alter (Fruchtwasseruntersuchung bei Schwangeren jenseits des 35. Lebensjahres) eine Verbesserung darstellte, waren die späte Durchführbarkeit und die relativ geringe Sensitivität von Nachteil. Denn ein nach mehreren Tagen einlangendes „positives“ Ergebnis musste erst durch eine Fruchtwasseruntersuchung bestätigt werden, deren Resultat zwei weitere Wochen benötigte. Jenseits der 20. SSW aber werden bereits Kindesbewegungen verspürt, und die emotionale Bindung an das Ungeborene nimmt deutlich zu. Da außerdem so spät ein Schwangerschaftsabbruch nur durch Kindestötung und eine vaginale Entbindung möglich ist, stellt sich der Schwangerschaftskonflikt dramatisch dar und ist die psychische Belastung eines Abbruchs außerordentlich hoch.

1.2.2. Combined Test

Man hielt daher Ausschau nach einer Screeningmethode von höherer Sensitivität und früherer Durchführbarkeit. Die sonographische Erfassung der Nackentransparenz – mit eventuell zusätzlicher Einbindung des Nachweises eines fehlenden Nasenbeines und bestimmter venöser Flussparameter – sowie die Entdeckung von PAPP-A als (neben beta-hCG) neuem Serummarker brachten den Durchbruch. Mit diesem sog. „Combined Test“ war ein Screening nach Trisomien noch vor der 12. SSW in Reichweite.

Zwei ausgedehnte Studien im Jahr 20059 bestätigten die Machbarkeit und ergaben eine Treffsicherheit von rund 90% bei einer falsch positiven Rate von 5% (bis zu 13% bei älteren Schwangeren) und einer Wahrscheinlichkeit von 1:150 für eine genetische Abweichung. Die derart mithilfe eines Algorithmus (u. a. Alter, Körpergewicht, Rasse) berechneten Risikoschwangerschaften können umgehend einer Chorionzottenbiopsie – eine Fruchtwasseruntersuchung ist zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht möglich - zugeführt werden, deren genetische Analyse binnen weniger Tage vorliegt. Die Grenze von 1:150 wird deshalb gewählt, weil die Chorionzottenbiopsie selbst in 0,5 – 1% der Fälle (abhängig von der Expertise des Operateurs) mit einer durch den Eingriff verursachten Fehlgeburt verbunden ist. Bei älteren Schwangeren wird neuerdings die Risikogrenze bei 1:100 angesetzt, um die hohe Rate falsch positiver Resultate zu senken.

Wie man aus Tab. 1 ersehen kann, nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie 21 – das gilt auch für andere Trisomien – bis zum Ende der Fruchtbarkeitsperiode auf das 50-fache zu. Weiters stehen Nachweisbarkeit (Sensitivität) und falsch-positive Ergebnisse (Spezifität) in einem inversen Verhältnis: Je höher der Grad der Nachweisbarkeit, desto niedriger der Grad der Sicherheit in der Diagnose.

AlterRisikoEntdeckungsrateFalsch-Positive Rate
20 Jahre1:1068
25 Jahre1:94672% (46-98)*2%
30 Jahre1:626
32 Jahre1:46162% (48-77)*2%
34 Jahre1:312
36 Jahre1:19682% (76-88)*5% (4-6)*
38 Jahre1:117
40 Jahre1:6893% (85-99)*15% (13-18)*
42 Jahre1:38
44 Jahre1:21
Tab. 1: Down Syndrom: Risiko und Nachweisbarkeit mittels Combined Test bei verschiedenen Altersgruppen10, * Vertrauensbereich

Seit 2005 hat der Combined Test den Triple-Test zunehmend verdrängt. Darüber hinausgehende Tests werden nur mehr auf Wunsch zur weiteren Absicherung durchgeführt, oder wenn der optimale Zeitpunkt für die Durchführung des Combined Tests (bis Ende der 13. SSW) verstrichen ist. Die Fruchtwasseruntersuchung wird aber in Ländern (wie z. B. Österreich), in denen nicht genügend Experten für die Durchführung einer Chorionzottenbiopsie verfügbar sind, nach wie vor bevorzugt. In diesem Fall liegen zwischen Combined Test (13. SSW) und invasiver Untersuchung (17. SSW) vier Wochen der Ungewissheit.

1.3. Das genetische Screening

Die erwähnten Ultraschall- und Serumuntersuchungen geben nur mehr oder weniger eindeutige indirekte Hinweise auf das Vorliegen einer genetischen Abweichung, insbesondere bestimmter Trisomien. Sie bedürfen daher zur Sicherung der Diagnose eines genetischen Beweises, der durch die Sichtbarmachung von Chromosomen oder geeignete molekulare Techniken geliefert werden kann. Dafür stehen gut etablierte invasive und neuerdings auch nicht-invasive Methoden zur Verfügung.

1.3.1. Invasive Methoden

Mittels invasiver Methoden werden kindliche Zellen gewonnen. Die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese [AC]) und die Chorionzottenbiopsie (CVS) wurden bereits andernorts ausführlich beschrieben.11 Die CVS ist schon innerhalb des ersten Trimesters der Schwangerschaft möglich, während Fruchtwasser erst ab der 16. Woche in genügender Menge vorhanden ist und einigermaßen gefahrlos abpunktiert werden kann. Die aus diesem Untersuchungsmaterial gezüchtete Zellkultur und der daraus erstellte Karyotyp (Auflistung sämtlicher Chromosomen in der Metaphase) bilden seit 50 Jahren den Goldstandard, der zu praktisch 100% ein gültiges Ergebnis liefert.

Darüber hinaus wurde vor 20 Jahren ein Schnelltest mittels FisH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) entwickelt, der schon nach nur einem Arbeitstag ein Ergebnis liefert. Dabei werden unkultivierte Chorion- oder Amnionzellen mit fluoreszenzmarkierten DNA-Sonden beschickt, die sich an spezifische Chromosomen binden. Bei der Auswertung entspricht ein Fluoreszenzsignal dem Vorhandensein eines Chromosoms – drei Fluoreszenzsignale mit einer Chromosom 21-spezifischen DNA-Sonde beweisen das Vorliegen einer Trisomie 21. Routinemäßig werden durch diesen Test die im Fötus vorliegende Anzahl an Chromosomen 21, 18, 13, X und Y bestimmt. Dadurch können die häufigsten und massivsten Chromosomenstörungen wie Down-Syndrom (T21), Edwards-Syndrom (T18), Pätau-Syndrom (T13), Turner-Syndrom (XO), Klinefelter-Syndrom (XXY) und grobe Translokationen (Verschiebung von Chromosomenabschnitten von einem Chromosom auf ein anderes) pränatal diagnostiziert werden.

Eine Weiterentwicklung dieser Methode stellen die quantitative Fluoreszenz-Polymerasekettenreaktion (QF-PCR)12 und die Mixed-Ligand-Probe-Amplification (MLPA)13 dar. Die eingeschobene Polymerasekettenreaktion (PCR) und eine anschließende Elektrophorese macht die Untersuchung sensitiver und ermöglicht die gleichzeitige Analyse mehrerer Marker an einem Chromosom. Mit vorgefertigt käuflichen Testsätzen (sog. Kits), z. B. Aneufast©, ein QF-PCR-Kit, oder Salsa-P, eine Serie verschiedener MLPA-Kits, ist man heute in der Lage, gezielt bestimmte numerische und strukturelle Chromosomenaberrationen (> 1 Million Basenpaare [>1 Mb]) von bis zu 8 Probandinnen gleichzeitig in einem einzigen, weitgehend automatisierten Test zu erfassen (sog. Multiplex-Testung). Auch ausgeprägte Mosaikkonstellationen (z. B. 45,X/46,XY) können damit nachgewiesen werden. Es gibt keine falsch positiven Ergebnisse. Störend ist eine Kontamination mit mütterlichen Zellen. Ein Test kostet rund 500 Dollar und ist damit billiger als FisH oder die Karyotypisierung.

Die am weitesten entwickelte Fluoreszenzmethode ist die sog. vergleichende Hybridisierung in vorgefertigten Genmatrizen (array comparative genomic hybridization – aCGH, AGH).14 Diese Methode konnte erst entwickelt werden, nachdem das gesamte humane Genom bekannt war. Mit ihrer Hilfe kann man chromosomale Veränderungen bis hin zur Größenordnung von 50 – 100 kb (fünfzig- bis hunderttausend Basenpaare), die irgendwo verstreut im Genom vorkommen, erfassen. AGH beruht auf der Isolierung und differentiellen Markierung von Patienten- und gesunder Vergleichs-DNA mit zwei verschieden fluoreszierenden Farbstoffen (z. B. Patient – rot, gesunder Vergleich – grün) und ihrer parallelen Kohybridisierung mit einer Matrix von DNA-Fragmenten, welche das Humangenom repräsentieren. Die unterschiedliche Markierung zeigt genetische Varianten (z. B. Gendefekte oder Genvervielfachungen) dadurch an, dass das Fluoreszenzsignal an einem bestimmten Punkt der Matrix seine Farbe ändert. Gendefekte werden grün angezeigt, weil das rote Patientensignal an dieser Stelle fehlt. Genverdopplungen hingegen werden rot angezeigt, weil das Patientensignal überwiegt. Bereiche, in welchen Patienten- und Vergleichs-DNA ident sind (das ist das Gros), werden schließlich infolge äquipotenter Mischung von rot und grün als gelb angezeigt.

Ein Nachteil dieser Methode ist, dass die Zuordnung von Veränderungen zu bestimmten Chromosomen nicht offensichtlich ist. Man weiß zwar, welche Sequenz zu welchem Chromosom gehören sollte, kann aber nicht feststellen, ob diese Sequenz transloziert worden ist. Hiefür ist nach wie vor eine Visualisierung z. B. mittels FisH oder die Anwendung der RNA-SNP Methode (siehe unten) erforderlich. Eine Abweichung kann andererseits nur vorgetäuscht sein, wenn sie nicht kodierendes Heterochromatin betrifft. Auch sind etliche kleinere chromosomale Veränderungen, wie z. B. Genduplikationen und Deletionen (sog. Copy-number-variations), häufig ohne klinische Relevanz, und es besteht die Gefahr der Überdiagnostizierung. Andererseits können nun bestimmte sonographisch entdeckte Missbildungen, die einen normalen Karyotyp aufweisen, vermöge der viel feineren Aufschlüsselung durch Genomsequenzierung mit einer genetischen Abweichung korreliert werden. Das ist aber eher die Ausnahme.

Man ist vielmehr noch weit davon entfernt, die Wertigkeit verschiedener Abweichungen zu kennen. Sehr oft ist auch ein Krankheitsbild wie beispielsweise eine geistige Behinderung durch verstreute kleinere Veränderungen an unterschiedlichen Genen bedingt. Es ist noch ein weiter Weg, bis hier ein brauchbares genomisches „Rückgrat“ erstellt ist, das sämtliche relevante Abweichungen enthält und sie mit Krankheitsbildern korreliert.

Immerhin sind einige Plattformen für definierte genetische Abweichungen (sog. targeted platforms), die eine Aufschlüsselung bis in den Kilobyte-Bereich hinein erlauben, bereits am Markt erhältlich oder sollen demnächst eingeführt werden (sog. Gen-Chips). Hier kommt auf die genetische Beratung eine gewaltige und fast unmögliche Aufgabe zu, da für den Einzelfall stets unsicher bleibt, wie hoch die prozentuale Wahrscheinlichkeit ist, mit der ein bestimmter Genotyp den ihm zugehörigen Phänotyp ausbildet, kurz: wie hoch die sogenannte Penetranz der genetischen Veränderung sein wird.

Diese genetischen Untersuchungen setzen ein invasives Vorgehen (Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese) voraus. Sie sind von daher belastend und risikobehaftet, wenngleich nur minimal. Allenfalls können sie bei vorgerücktem Schwangerenalter (z. B. ab dem 38. Lebensjahr) als primäre Screeningmethode eingesetzt werden. Man hat daher schon immer nach der Möglichkeit einer nicht-invasiven genetischen Screeningmethode Ausschau gehalten.

1.3.2. Nicht invasive Methoden

Ein erster Durchbruch gelang durch Anreicherung fötaler Erythrozytenvorstufen aus mütterlichem Blut, von denen Chromosomenabschnitte, die an spezifische DNA-Sonden gebunden sind, anschließend mithilfe einer PCR vervielfältigt wurden. Auf diese Weise war es möglich, auf nicht invasivem Weg Trisomien, bestimmte Hämoglobinopathien und die fötale Blutgruppe schon im ersten Trimester zu erkennen.15 Allerdings erreichte dieser Test nie die Routine der klinischen Praxis, da die Isolierung der fötalen Zellen zu aufwändig und ihre Ausbeute gering war.

Einen wirklichen Meilenstein bildete der Nachweis von fötaler zellfreier Nukleinsäure im mütterlichen Blut.16 Die stürmische Entwicklung der frühen Embryonalzeit lässt auch reichlich Zellabfall aus Apoptosematerial entstehen, der in kleine Stücke von durchschnittlich 160 Basenpaaren (0,16 kb) zerhackt in die mütterliche Blutbahn gelangt. Es hat sich gezeigt, dass – abhängig vom Gestationsalter – zwischen 2 und 40% der gesamten zellfreien DNA im mütterlichen Blut vom Embryo stammt, vorwiegend aus dessen Trophoblast, wobei das gesamte fötale Genom zigfach vertreten ist.17

Im Laufe der vergangenen 15 Jahre hat die Gentechnologie enorme Fortschritte gemacht. Es wurden mehrere Verfahren entwickelt, um die embryonalen Nukleinsäuren (NS, DNA und RNA) im mütterlichen Plasma zu identifizieren und zu analysieren. Bei entsprechender Methode reichen heute 10 ml mütterliches Blut aus, um daraus das vollständige kindliche Genom zu rekonstruieren. Insbesondere gestattet die Analyse die Identifizierung des Geschlechts, des Rh-Status, der Vaterschaft sowie den Nachweis von größeren oder auch kleineren chromosomalen Abweichungen bis hin zu monogenetischen Varianten.

Eine T21 kann beispielsweise mithilfe von zellfreien fötalen Nukleinsäuren auf folgende drei Arten nachgewiesen werden, wie im Anhang näher ausgeführt wird (vgl. Anhang).

Was die letztgenannte und effizienteste dieser (im Anhang erläuterten) Methoden – die sog. „Schrotflintentechnik“ (Massiv parallele Genomsequenzierung-MPSS) – betrifft, haben erste Pilotstudien gezeigt, dass mit deren Hilfe bezüglich der Diagnose von Down- und Edwards-Syndrom eine Sensitivität von 100% und eine Spezifität von 99% erreichbar ist.18 Sie wird damit in Zukunft eine echte Alternative zu invasiven Methoden bilden, ja vielleicht sogar eines Tages das Screening mittels Combined Test ersetzen. In den USA und China sind bereits Kits am Markt, die auf Basis der Schrotflintentechnik arbeiten.

Für Europa erfolgte die Markteinführung durch die Konstanzer Biotech-Firma Life Codexx im August 2012. Ein „Praena Test“, der zur Auffindung einer T21 konzipiert ist, kostet derzeit 1250 Euro und wird im Unterschied zur invasiven Diagnostik nicht von der Sozialversicherung bezahlt. Es bleibt daher fraglich, ob nun, wie in der Produktwerbung versprochen, die riskante und belastende invasive Abklärung der Vergangenheit angehören wird. Im Prinzip lässt diese Methode den Nachweis beliebig großer und verstreuter molekularer Veränderungen im Genom zu. Es kommt lediglich auf die „Schrotkörner“ (die Eichsequenzen) und deren Zielrichtung an. Gründe der Kosteneffizienz und der Kapazität waren bisher ausschlaggebend dafür, das genetische Screening mittels MPSS in Studien auf numerische Chromosomenabweichungen zu limitieren. Es ist zu erwarten, dass MPSS eines Tages die AGH Methode in dieser Hinsicht ablösen wird, weil sie an kein invasives Vorgehen gebunden ist und früher als diese angewandt werden kann.

Mit der Implementierung einer genomweiten Analyse fötaler Nukleinsäuren in mütterlichem Blut ginge ein Traum pränataler Diagnostik in Erfüllung: einen nicht-invasiven und zu fast 100% sicheren Nachweis des kompletten Spektrums an möglichen genetischen Abweichungen innerhalb des ersten Trimesters der Schwangerschaft zur Verfügung zu haben und diesen als Entscheidungsgrundlage herzunehmen für eine weniger belastende frühzeitige Abtreibung. Damit hat sich ein Zukunftsszenario längst angebahnt: Zahlreiche kommerzielle Unternehmen stehen bereit, dieses lukrative Ersttrimester-Screening anzubieten. Wenn Frauen einen positiven Befund erhalten, in dem das Kind als krank eingestuft wird, werden die meisten von ihnen unter Umgehung öffentlicher Gesundheitsinstitutionen eine Abtreibungsklinik aufsuchen. Weil sich das nur Begüterte leisten können, werden früher oder später Rufe laut, dieses Prozedere in die öffentliche Gesundheitsvorsorge aufzunehmen. Schlussendlich wird die öffentliche Meinung dafür Sorge tragen, dass liberale Eugenik eine moralische Pflicht für die Frauen werden wird.

II. Gefahren und Gefährdungen durch pränatales Screening

Bevor eine werdende Mutter sich zu einem pränatalen Screening entschließt, sollte sie wissen, was da auf sie zukommt.

Allgemeine Voraussetzungen für Screeningprogramme

Die WHO (1968) bestimmt, dass ein Screening-Programm nur auf solche Erkrankungen ausgerichtet sein soll, für die es eine wirksame Therapie gibt und die ein wichtiges Gesundheitsproblem darstellen. Später hat sie unter Berücksichtigung der Patientenautonomie auch die Ermöglichung einer „informed choice“ als unabhängiges Ziel genannt, wenn keine Therapieoption zur Verfügung steht. Damit war in Hinblick auf die Pränataldiagnostik die Möglichkeit einer „liberalen eugenischen Indikation“ eingeräumt.19 In diesem Sinne hat das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) in seiner neuen Richtlinie (2007)20 festgelegt, dass „idealerweise allen Frauen, unabhängig von ihrem Alter, ein Screening für Aneuploidie vor der 20. SSW angeboten werden soll“ sowie auf dem Weg einer persönlichen, nicht direktiven Beratung alle Informationen, die einen „informed consent“ vor der Untersuchung und eine „informed choice“ danach sicherstellen sollen.

Da man bei einem medizinischen Screening nur bei einem Teil der Untersuchten Probleme feststellen wird, d. h. auch viele letztlich gesunde Personen untersucht werden, müssen Screeningprogramme laut WHO folgende Anforderungen erfüllen:

  1. Die Krankheit muss für die Volksgesundheit von Bedeutung sein.
  2. Sie muss gut bzw. bei früherer Erkennung deutlich besser behandelbar sein.
  3. Das Testverfahren soll eine hohe Sensitivität und Spezifität aufweisen, d. h. der Test soll die gesuchte Erkrankung (die bestehenden Risikofaktoren) mit möglichst großer Sicherheit nachweisen oder ausschließen können.
  4. Die Untersuchung soll zeit- und kostengünstig sein.
  5. Die Untersuchung soll den zu Untersuchenden möglichst wenig belasten.

Unter dem Eindruck dieser neuen Richtlinie und angesichts der neuen Möglichkeiten ist in den USA die Inanspruchnahme der pränatalen Screening-Untersuchung während des ersten Trimesters (Combined Test) zwischen 2001 und 2007 von 43% auf 97% aller Schwangeren angestiegen und hat damit praktisch ein Plateau erreicht (siehe Tabelle 2).

In Europa sind die Schweiz, Frankreich und Spanien mit vergleichbaren Zunahmen an vorderster Front. Damit werden in diesen Ländern bei unter 35-jährigen Schwangeren 70 – 90% und bei über 35-Jährigen 90 – 95% sämtlicher Fälle von Down-Syndrom pränatal diagnostiziert.21 Es ist anzunehmen und zu befürchten, dass auch bei uns in den kommenden Jahren ähnliche Prozentsätze eines Massenscreenings erreicht werden.

2001 (%)2007 (%)
Inanspruchnahme eines Ersttrimester Screening43,197,3
Vermessung der Nackentransparenz48,696,6
Inanspruchnahme eines Zweittrimester Screening (Triple Test)73,610,3
Inanspruchnahme eines Organscreening65,985,1
Tab. 2: Inanspruchnahme pränatalen Screenings in den USA. Vergleich zwischen 2001 und 200722

Angesichts der in vielen Ländern bereits gegebenen oder zu erwartenden vollständigen Durchmusterung von Frauen während des ersten Trimesters ihrer Schwangerschaft stellt sich die Frage nach den gesundheitlichen, psychologischen und finanziellen Folgen eines solchen Programms. Zu bedenken ist, dass 98% aller gescreenten Schwangerschaften vollständig gesund sind und weitere 1% nur unbedeutende Fehlbildungen wie z. B. Missbildungen an distalen Gliedern oder Spaltbildungen des Gesichts aufweisen.

Zu bedenken ist weiters, dass eine unmittelbare (pränatale) therapeutische Konsequenz – wie noch ausgeführt wird – sich nur in den allerseltensten Fällen ergibt. Die Hauptindikation für ein Ersttrimester-Screening liegt in der Erfassung und Ausmusterung von chromosomalen Abweichungen, von denen die Trisomie 21 mit 50% die häufigste ist. Die altersabhängige Inzidenz dafür ist in Tab. 1 wiedergegeben. Bei primär gescreenten Fällen liegt die Wahrscheinlichkeit für die Entdeckung einer Trisomie 21 durchschnittlich bei 1:800. Einen Überblick über die grobe Häufigkeit der wichtigsten Fehlbildungen gibt Tab. 3.

in %
Syndaktylien, Hexadaktylien, Deformitäten der Füße0,50
Lippen- und Gaumenspalten0,50
Herzfehlbildungen0,80
Fehlbildungen der ableitenden Harnwege0,20
Neuralrohrdefekte0,15
Fehlbildungen des Darmtraktes0,10
Fehlbildungen des Zwerchfells und der Bauchwand0,10
Numerische Chrosomenabweichungen (alle)0,25
Tab. 3: Häufigkeit der wichtigsten Fehlbildungen. Nicht selten kommen Fehlbildungen kombiniert vor (sog. Syndrome).

2.1. Gefährdung durch Ultraschall

Das Screening mittels Combined Test beinhaltet auch die sonographische Vermessung der Nackenfalte zwischen der 11. und 13. SSW. Häufig wird bei Auffälligkeiten auch ein Organscreening ab der 20. Woche angeschlossen (vgl. Tab. 2). Diese Routineuntersuchungen werden erst seit wenigen Jahren durchgeführt und erfordern die Anwendung moderner hochauflösender Geräte mit einem wesentlich höheren Energieoutput als dies früher der Fall war.

Beratungsbroschüren und Feststellungen von Experten enthalten – wenn überhaupt – stets den einen Satz: „Nach heutigem Wissenstand ist der diagnostische Ultraschall für die Schwangere und ihr werdendes Kind nicht schädlich.“23

Hier gilt es nachzuhaken: Wie ist dieser Wissensstand tatsächlich?

Ein 2009 erschienener Review zur Frage listet 56 Studien auf, die sich mit den Auswirkungen des Ultraschalls während der Schwangerschaft auf Geburtsgewicht und andere neonatale Parameter befasst haben.24 Keine einzige dieser Studien befasste sich mit den Auswirkungen der Nackenfaltenmessung und des Organscreenings, mit denen erst nach 1993 systematisch begonnen wurde. Damals wurden die entsprechenden Richtlinien neu adaptiert, indem der maximal zulässige Output des Sonographen auf das fast 8-fache (von 94 mW/cm2 auf 720 mW/cm2) erhöht wurde. Immerhin fiel schon vor dieser Zeit in einer randomisierten Studie auf, dass ein viermaliger Routine-Ultraschall gegenüber einem einmaligen mit einer signifikanten Verzögerung des Knochenwachstums und einem niedrigeren Geburtsgewicht assoziiert war,25 die dann in einer Nachuntersuchung acht Jahre danach nicht mehr nachweisbar war.26 Ebenso konnten Fälle von verspäteter Sprachentwicklung, Leseschwierigkeiten sowie Linkshändigkeit auf die diagnostische Anwendung von pränatalem Ultraschall (vor 1993) zurückgeführt werden.

Hinsichtlich der Auswirkungen hochenergetischer Anwendungen seit 1993, besonders der lokal fokussierten und über mehrere Minuten sich erstreckenden Beschallung der Nackenfalte und anliegender Gehirnbereiche während der sensiblen Phase der Organogenese, sind bisher am Menschen keine Studien durchgeführt worden. Liegt der Grund für die fehlenden Studien womöglich darin, dass man in einer Zeit des flächendeckenden Screenings es ethisch nicht mehr vertretbar sieht, Schwangeren in zufallsgelenkter Weise diagnostischen Ultraschall vorzuenthalten? Oder gibt es schlicht kein Interesse an der Bestätigung möglicher negativer Einflüsse auf das Kind, die womöglich zu einer Verunsicherung des Markts der „Dia-gnoseindustrie“ führen würde?

Die vorliegenden Ergebnisse hinsichtlich Auswirkungen des Ultraschalls entstammen Tierversuchen. Man unterscheidet thermische und mechanische Auswirkungen. Die thermischen Wirkungen hängen von der Dosisleistung, vom Grad der Perfusion (Durchströmung) des Gewebes und von der knöchernen Umgebung ab. Vor der 10. SSW ist fötales Gewebe noch nicht perfundiert und danach, was die Nackenfalte betrifft, von knöchernem Gewebe umgeben. Beide Umstände erhöhen die thermische Empfindlichkeit. Moderne Geräte weisen dem Untersucher einen für Weichteil- und Knochengewebe verschieden genormten „Thermischen Index“ aus, der die thermische Gefährdung während der Untersuchung errechnet und in Echtzeit widerspiegelt. Die echte Temperaturerhöhung wird nicht angezeigt. Aus Untersuchungen an Meerschweinchen weiß man, dass eine kontinuierliche Beschallung gehirnnahen Gewebes über 2 Minuten eine Temperaturerhöhung von 4,9°C hervorruft, die beim menschlichen Fötus Schädigungen bewirken kann.27 Eine thermische Gefährdung durch Doppleruntersuchungen ist auch beim Menschen nachgewiesen.28 Unmittelbare teratogene Effekte sind bisher nicht bekannt geworden. Ob subtilere oder langzeitige Auswirkungen gegeben sind, weiß heute niemand.

Grobe mechanische Schädigungen durch hochfrequente Schallschwingungen, z. B. Hämorrhagien, treten besonders in gashältigen Geweben auf. Solche gibt es im Embryo natürlicherweise nicht. Intrazellulär wird durch die Schwingungen jedoch das Zytoskeleton affiziert, was sich auf die zwischenzellulären Kontakte und die embryonale Zellmigration auswirkt. Eine lesenswerte Arbeit in der renommierten Zeitschrift PNAS29 berichtet, dass die neuronale Zellmigration während der Bildung des Neocortex von fötalen Mäusen durch Beschallung im diagnostischen Dosisbereich behindert wird. Dadurch bleiben ab einer 2x15 Min. dauernden Beschallung signifikant mehr Neuronen in tieferen Schichten der grauen Substanz liegen und verlieren den Anschluss an ihre vorherbestimmte Position. Solche Effekte sind auch durch Alkohol, Drogen, ionisierende Strahlen und Virusinfektionen auslösbar und können beim Menschen zu geistiger Behinderung und Verhaltensstörungen führen. Die Autoren führen aus, dass ihre Ergebnisse sicher nicht 1:1 auf den Menschen übertragbar sind, wohl aber möglicherweise das menschliche Gehirn in seiner Entwicklung noch vulnerabler ist als jenes von Mäusen.

Die thermischen und mechanischen Gefährdungen durch Ultraschall sind bei Doppler Untersuchungen, insbesondere Farbdoppler, größer als bei gewöhnlichem Schall im B-Modus und noch größer bei Kontrastuntersuchungen, 3D und 4D Untersuchungen, sowie bei Schallvideos.

2.2. Gefährdung durch invasive Untersuchungen

Sowohl Amniozentese (AC) als auch Chorionzottenbiopsie (CVS) werden mit einer Fehlgeburtenrate von 0,5 – 1% assoziiert.30 Vielleicht ist sie nach neueren Erhebungen31 auch geringer, weil solche Untersuchungen ja nur an Schwangeren durchgeführt werden, deren a priori Risiko erhöht ist. Heute wird theoretisch die CVS bevorzugt, weil sie bereits ab der 11. SSW durchgeführt werden kann und so eine frühere Diagnose ermöglicht. Für die erfolgreiche Durchführung einer CVS ist auch in Zeiten der gezielten Ultraschallführung eine hohe Expertise notwendig. Erst ab 400 durchgeführten Untersuchungen kann man als Experte gelten.32 Es liegt daher auf der Hand, dass nur wenige Zentren mit hohen Fallzahlen die nötige Expertise aufweisen. In Österreich bildete die Anwendung einer CVS deshalb bislang die Ausnahme. Die AC (ab der 16. Woche) erfordert demgegenüber kein so intensives Training.

Wenn man im Ersttrimester-Screening eine Wahrscheinlichkeit >1:150 für eine chromosomale Abweichung errechnet, wird üblicherweise eine CVS oder AC angeboten,33 die in Österreich dzt. von 80% der Schwangeren angenommen wird. Dieses Limit stellt offensichtlich einen Kompromiss dar, bei dem die Wahrscheinlichkeit für eine untersuchungsbedingte Fehlgeburt eines gesunden menschlichen Embryos gerade genau so groß ist wie jene für die Entdeckung einer Chromosomenstörung. Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenstörung ist allerdings etwa doppelt so hoch. In Deutschland werden rund 10% der gescreenten Fälle invasiv abgeklärt. Dadurch kommt es untersuchungsbedingt zu jährlich 700 Fehlgeburten gesunder Föten (bei 1500 zu erwartenden Geburten mit Trisomie). In England werden nach einer 2008 durchgeführten Feldstudie 2,9% sämtlicher Schwangerschaften invasiv abgeklärt. Das Verhältnis von untersuchungsbedingten Fehlgeburten zu diagnostizierten Trisomien liegt hier, abhängig von der Art des Screenings, bei 1:5 und darunter.34

Über das Fehlgeburtsrisiko hinaus bergen AC und CVS weitere Gefahren.35 Dazu zählen eine Zunahme von Präeklampsie nach CVS auf das 4-fache (wegen gestörter Plazentation) und eine Verstümmelung von Gliedmaßen bei sehr früh durchgeführter CVS. Weiters können Mosaikbefunde in 1% der Fälle für Fehldiagnosen sorgen oder eine zusätzliche AC erforderlich machen. Im Falle von AC kann es zur Bildung von Klumpfüßen und zu respiratorischen Problemen kommen, wenn zu viel Fruchtwasser verloren geht (der Fötus leidet dann unter Platzmangel). Bei beiden Verfahren besteht eine (freilich geringe) Gefahr der Infektion und der vorzeitigen Plazentalösung. Selbstverständlich sind beide Methoden, CVS mehr als AC, für die Mutter mit Angst und Schmerzen verbunden.36

2.3. Gefährdung durch Untersuchungsfehler

Screeninguntersuchungen sind inhärent durch eine bestimmte Rate falsch negativer und falsch positiver Ergebnisse behaftet. Im Falle des Ultraschallscreenings hängt diese Rate zusätzlich von der Expertise und Sorgfalt des Untersuchers ab. Eine über 10 Jahre laufende Untersuchung in einem neonatologischen Zentrum Kataloniens gibt sowohl für falsch negative als auch für falsch positive U-Schallergebnisse eine durchschnittliche Rate von rund 10% an.37

Während falsch positive Resultate der Schwangeren unnötige Ängste verursachen und im schlimmsten Fall die Abtreibung eines gesunden Kindes zur Folge haben, ist es im Falle eines falsch negativen Ergebnisses der Arzt, der unter Umständen dafür zur Verantwortung gezogen wird. Bisher sind in Österreich drei Fälle von Klagen wegen eines falsch negativen Untersuchungsbefundes bis zum Obersten Gerichtshof ausjudiziert worden. In den Urteilen wurden dem Arzt bzw. dem Krankenhaus Unterhaltspflichten für den Mehraufwand eines behinderten Kindes auferlegt (1 Ob 91/99k; 5 Ob 165/05h; 5 Ob 148/07m). Diese umstrittene Rechts-praxis, die unter dem Titel „Kind als Schaden – Wrongful birth“ firmiert und die trotz politischer Bemühungen bis heute aufrecht ist, hat zu einer großen Verunsicherung unter Fachärzten und Ambulanzen geführt.38 In Frankreich haben sich nach einer einschlägigen Klagflut Ärzte und Spitäler aus dem Ultraschallscreening gänzlich zurückgezogen. Jedenfalls hat solche Rechtspraxis zur Konsequenz, dass die Schwangere, statt beruhigt zu werden, nun in Unsicherheit belassen und zu weiteren allenfalls unnötigen Folgeuntersuchungen gedrängt wird oder diese im Reversverfahren ausdrücklich ablehnen muss.

Der Kern des Konfliktes liegt im gesetzlichen Recht der Autonomie der Frau, bei Vorliegen einer Behinderung einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen (auch jenseits der Dreimonatsfrist, in Österreich bis zum Zeitpunkt der Eröffnungswehen) und der Pflicht des Arztes, das Prinzip des Nicht-Schadens vorrangig zu beachten. Schon werden Rufe laut, eine Kindestötung nach der Geburt („nachgeburtliche Abtreibung“ genannt) zuzulassen, um Klagen zu entgehen, wenn eine übersehene Missbildung oder ein missglückter Fötozid jenseits der 24. SSW zur Entbindung eines lebensfähigen Kindes führte.39 In der Tat kann aus logischer Überlegung der Geburtsakt selbst kaum eine Grenze zwischen erlaubter und unerlaubter Kindestötung rechtfertigen.

Besondere Probleme wirft die isolierte Beobachtung einer verbreiterten Nackentransparenz auf. Im Prinzip handelt es sich nur um eine Verzögerung in der Entwicklung des lymphatischen Systems, die jedoch nicht selten mit Herzfehlern oder Verzögerungen in der neurologischen Entwicklung assoziiert ist. Solche sind im Ultraschall jedoch nicht immer erkennbar. Es kommt daher immer wieder vor, dass besorgte Eltern „sicherheitshalber“ eine Abtreibung durchführen lassen – oder gar den Arzt verklagen, wenn er nicht vorsichtig genug argumentiert, obwohl 90% der isolierten Verbreiterungen der Nackenfalte, besonders wenn sie weniger stark ausgeprägt ist, völlig gesunde Föten betrifft.40 Umgekehrt bietet eine „normale“ Nackentransparenz keine Gewähr für die Abwesenheit gröberer Missbildungen.41

Während falsch negative Befunde rechtliche Konsequenzen haben können, ist das bei falsch positiven Befunden nicht der Fall. In aller Regel wird ja der abgetriebene Fötus nicht weiter untersucht. Im Übrigen gilt in Österreich die Zustimmung der Mutter und eine „drohende Gefährdung für Mutter und Kind“, um einen Schwangerschaftsabbruch jenseits der 12. Woche in der Praxis zu legalisieren. Das bedeutet, dass völlig gesunde Kinder, bei denen eine Behinderung nur vermutet worden war, abgetrieben werden und solche Abtreibungen ohne Konsequenz bleiben. Das „Primum nil nocere“ wird dadurch in sein Gegenteil verkehrt, indem der Arzt durch die geltende Regelung sich veranlasst sieht, lieber einen falsch positiven als einen falsch negativen Befund auszustellen.

Angesichts solcher das ärztliche Ethos unterminierender Tendenzen haben sich auch in Österreich die meisten Spitäler und öffentlichen Einrichtungen aus dem forensisch gefährlichen Spätscreening zurückgezogen, während das für den menschlichen Embryo gefährliche Frühscreening weiterhin und verstärkt angeboten wird.

Das flächendeckende Screening mit seinen inhärenten Unsicherheiten, zusammen mit einem durch die Prinzipien liberaler Eugenik veranlassten sozioökonomischen Druck, haben die Schwangerschaft für die Frau von einer Zeit der Hoffnung zu einer Zeit der Sorge und nicht selten des inneren Konfliktes werden lassen.42

2.4. Gefährdung durch den Schwangerschaftskonflikt

Man möchte meinen, dass ein länger anhaltender Schwangerschaftskonflikt oder mütterliche Angstzustände nur ein Problem für die Schwangere sei. Neuere Untersuchungen legen jedoch nahe, dass akute psychische Traumata – nur für solche wurde der Nachweis geführt – die Epigenetik des Föten verändern. Früher galt das zentrale Dogma, dass das Erbgut durch Verhaltensformen nicht beeinflusst werden kann. Heute ist dieses überholt. Man hat erkannt, dass die Mechanismen der Stummschaltung von Genen von bestimmten Lebensgewohnheiten abhängig sein können, wie z. B. der Art der Nahrungsaufnahme sowie auch von der psychischen Erlebnisverarbeitung.43 Inzwischen weiß man, dass sog. „Life events“ während der ersten drei Monate der Schwangerschaft bei den Nachkommen beispielsweise das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, signifikant auf das 1,7fache erhöht.44 In einer anderen Studie führte psychosozialer Stress von Müttern während der Schwangerschaft zu einer messbaren Insulinresistenz bei ihren bereits erwachsenen Kindern.45

Die schon erwähnte Studie von Ang et al.46 hatte übrigens als Nebenbefund ergeben, dass die Jungen jener trächtigen Mäuse, die länger als sieben Stunden in fixierter Position gehalten und scheinbeschallt wurden – die also bloß einem erheblichen Stress ausgesetzt waren – ebenfalls eine verzögerte Migration von Neuronen aufwiesen, sodass es zu einer gestörten Verschaltung der neuronalen Regelkreise kam. Dieses Experiment gibt einen Hinweis darauf, wie es bei den Nachkommen zu Verhaltens-auffälligkeiten und psychischen Störungen kommen kann, wenn ihre Mütter während der Schwangerschaft chronischem Stress ausgesetzt waren.

Andererseits weiß man heute, dass der bekanntermaßen sehr variable Grad der Ausprägung eines Down-Syndroms vom Ausmaß der Stummschaltung der Gene am Chromosom 21 abhängt. Es wird in Zukunft vielleicht möglich sein, epigenetische Mechanismen durch medizinische Maßnahmen gezielt anzusteuern und so die Auswirkungen genetischer Abweichungen zu mildern. Es wäre zu hoffen, dass dadurch eugenische Programme zunehmend an Berechtigung verlieren.

Im Übrigen: Betrachtet man nur den Konflikt der Schwangeren an sich, dann ist jener treffende Kommentar einer erfahrenen Hebamme entwaffnend: „Wenn das Kind doch ohnedies mit großer Wahrscheinlichkeit sterben wird, warum sollen sich Frauen dann auch noch durch eine Abtreibung das Erlebnis der Schwangerschaft kaputt machen lassen?“47

2.5. Gefährdung durch genomweites Screening

Die genomweite Analyse wurde zunächst als Forschungsaufgabe und technische Herausforderung gesehen und betrieben. Mit zunehmender Routine und Automatisierung, mit der Entwicklung von Gen-Chips im Rasterverfahren und mit der Möglichkeit einer nicht invasiven Analyse des fötalen Genoms aus mütterlichem Blut mittels MPSS („Schrotflintentechnik“) während des ersten Trimesters rückt das Angebot der genomweiten Analyse zunehmend in die Praxen und Ambulanzen und in die Reichweite einer routinemäßigen Schwangerenvorsorge. Erste Gen-Chips drängen bereits auf den Markt.

Was wären die Implikationen eines genomweiten Screenings? Eine im Lancet 2007 veröffentlichte Arbeit hat sich bereits mit dieser Perspektive befasst.48 Von einer pränatalen „Straßensperre“ für das Leben ist die Rede, von der Überforderung der Schwangeren und von einer Flut falsch positiver Ergebnisse. Ein einziger Rastertest könnte tausende genetische Abweichungen auf einmal erfassen und würde eine unübersehbare Menge an Information produzieren, deren Aussagekraft niemand bewerten kann, am wenigsten die Schwangere selbst. Denn der Zusammenhang einer definierten genetischen Abweichung mit einem bestimmten Gesundheitsschaden ist alles andere als offensichtlich. Die phänotypische Ausprägung kann stark variieren. Jeder nachteiligen Eigenschaft stehen sehr oft bestimmte herausragende Fähigkeiten auf anderem Gebiet gegenüber. Außerdem weist jedes einzelne Testergebnis eine Restunsicherheit falsch positiven oder falsch negativen Inhalts auf. Wenn hunderte Eigenschaften gleichzeitig erhoben werden, wird jeder Rastertest bezüglich einer oder mehrerer der getesteten Eigenschaften ein falsches Ergebnis liefern. Kein einziger der untersuchten Föten könnte auf diese Weise als gesund gelten und würde daher die Eltern vor die kurzfristige Entscheidung eines Schwangerschaftsabbruchs stellen. Der ursprüngliche Zweck des Screenings, nämlich die Versicherung und Beruhigung der künftigen Eltern bzw. die Ermöglichung eines vorausschauenden Managements im Falle bestimmter Risiken, würde in sein Gegenteil verkehrt und dazu führen, dass die Geburt gesunder Kinder nicht gefördert, sondern verhindert wird. Auch der im Interesse der Schwangerenautonomie geforderte Fortschritt „From Chance to Choice!“ würde entarten und das kindliche Überleben elterlichem Gutdünken ausgeliefert.

Um dem zu begegnen, müssten Eltern bestimmte unschlüssige Ergebnisse vorenthalten werden. Dazu müsste ein eigenes Recht auf Nichtwissen und eine Pflicht zur Desinformation artikuliert werden. Die einzig positive Konsequenz daraus wäre, auf ein Screening überhaupt zu verzichten und das Leben wieder so zu nehmen wie es ist.

2.6. Last not least: Der Kostenfaktor

Jeder diagnostizierte Trisomie 21-Fall kostet rund 400.000 Euro. Das ergibt sich aus den Kosten für das Screening mittels Combined Test (800x200 Euro) und den Kosten für die verifizierende Karyotypisierung der Risikofälle (150x1.600 Euro). Diese Kosten sind den sozialen Kosten eines geborenen T21-Falles gegenüber zu stellen. Dabei ist zu bedenken, dass 32% der im ersten Trimester diagnostizierten T21-Fälle später als Fehlgeburten abgehen49 (im Falle einer T18 oder T13 sind es 50-80%, der Rest stirbt im Säuglingsalter) und weitere 25% der Fälle von T21 so wenig behindert sind, dass sie ein beinahe normales Leben führen können und der Gemeinschaft kaum zusätzliche Kosten verursachen.

Daraus folgt: Mit dem für das Screening verbrauchten Geld könnte anstelle dessen jedem wegen einer T21 behinderten Menschen bei der Geburt ein Kapital von knapp 900.000 Euro ausbezahlt oder alternativ durch 60 Jahre hindurch (entsprechend seiner heutigen Lebenserwartung) – ohne Verzinsung gerechnet – eine monatliche Unterstützung von 1.250 Euro zugesprochen werden. Kalkuliert man nach den Kosten für einen MPSS-Test (800x1.250), ergäbe sich eine noch höhere Rente. Unbezifferbar sind darüber hinaus Schädigungen und Fehlgeburten durch CVS oder AC und die psychischen Belastungen von 10% aller Mütter, die sich dem Screening unterzogen haben (nämlich jene mit einer berechneten Wahrscheinlichkeit >1:150). Außerdem können höchstens 95% der T21 Fälle pränatal diagnostiziert werden. Die Rechnung geht also weder vom Kostenfaktor noch von den psychischen Nachteilen her auf.

Eine verantwortungsbewusste zeitgemäße Pränataldiagnostik sollte sämtliche geschilderten Gefahrenmomente und negativen Auswirkungen dem durch eine frühzeitige Diagnose und eine allfällige Eingriffsmöglichkeit erzielbaren Gewinn abwägend gegenüber stellen.

III. Neue pränatale therapeutische Optionen

Im Unterschied zur stürmischen Entwicklung auf diagnostischem Gebiet sind in therapeutischer Hinsicht in den vergangenen 20 Jahren kaum durchschlagende Neuerungen eingetreten.50 Das Kompendium der Pränatalmedizin von Milunsky (Ausgabe 2010)51 widmet bei einem Volumen von über 1000 Seiten gerade einmal 20 Seiten den pränatalen therapeutischen Möglichkeiten. Dies scheint durchaus symptomatisch: Für 98% der pränatal diagnostizierbaren Erkrankungen steht keinerlei Option einer fötalen Therapie zur Verfügung. Allenfalls kann durch Entbindung in einem einschlägigen fötomedizinischen Zentrum eine raschere und bessere postnatale Betreuung oder Behandlung gewährleistet werden. Das Wissen um eine zu erwartende Missbildung beim Ungeborenen ist indes als ambivalent zu werten: Der besseren Vorbereitung auf die Geburt steht die große Sorge und Unsicherheit während der Schwangerschaft gegenüber.52

3.1. Fötoskopische Operationen

Trotz Verbesserung des Instrumentariums impliziert jeder invasiv-therapeutische Eingriff am ungeborenen Kind ein hohes Risiko für eine Fehl- oder Frühgeburt und stellt eine große psychische Belastung für die Mutter dar. Diese Nachteile sind in jedem Fall gegenüber der Chance auf eine erfolgreiche Intervention abzuwägen. Das sei exemplarisch anhand congenitaler Zwerchfellhernien gezeigt. Die Überlebensrate dieser Missbildung beträgt unbehandelt 70%. Das Fehlgeburtsrisiko im Falle eines operativen Eingriffs (vorzeitiger Blasensprung) liegt bei 30%. Somit wäre ein Eingriff im Durchschnitt gerade nicht gerechtfertigt. Bestimmt man jedoch zusätzlich das Verhältnis zwischen Lungenoberfläche und Kopfumfang, so kann man die natürliche Überlebenswahrscheinlichkeit genauer vorhersagen und unterhalb eines kritischen Verhältniswertes einen intrauterinen Eingriff (fötoskopischer Verschluss der Luftröhre) wagen. So lautet das Ergebnis einer randomisierten Studie.53 Im Falle seltener Missbildungen stehen jedoch keine Studien zur Verfügung. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass sich das einem Vergleich zugrunde liegende Niveau neonataler Pflege mit der Zeit verbessert und dadurch vorhandene Studienergebnisse ungültig werden können. Ähnliche Überlegungen gelten für diverse fötoskopische Shuntoperationen oder Lasereingriffe. Im Falle des schon angesprochenen Zwillings-Transfusionssyndroms spricht die Bilanz definitiv für einen Lasereingriff. Unbehandelt würden 90% der benachteiligten Zwillinge sterben.54 In jedem Fall bleibt das Management fötalchirurgischer Eingriffe tertiären fötalmedizinischen Zentren vorbehalten und wird vorwiegend im Rahmen wissenschaftlicher Studien durchgeführt.

3.2. Gen- und Stammzellentherapie

Neuralrohrdefekte werden seit Jahren als Kandidaten für eine Stammzellentherapie angesehen.55 Die Versuche mit Injektionen pluripotenter Stammzellen in die Amnionhöhle haben aber bisher keinen Durchbruch gebracht. Eine möglichst frühzeitige postnatale Intervention verspricht die besten Erfolge. Im Übrigen hat sich die Prophylaxe mittels Folsäure bewährt, die auch Spaltenbildungen des Gesichts verhindern kann. Mesenchymale Stammzellen werden neuerdings versuchsweise für congenitale Immundefekte eingesetzt, nachdem schon vor Jahren mittels hämatopoetischer Stammzellen bei congenitalen Blutbildungsstörungen Erfolge zu verzeichnen waren. Die Gefahren der Stammzelltherapie, nämlich ihre mögliche Fehlentwicklung hin zu Tumoren und Teratomen, sind noch nicht ausgelotet. Die Versuche pränataler Gentherapie mittels viraler Vektoren für diverse genetisch bedingte Erkrankungen (z. B. Hämophilie, Mucoviszidose)56 stecken noch im präklinischen bzw. tierexperimentellen Stadium.

3.3. Weitere Optionen 

Im Vordergrund medizinischer Maßnahmen steht die Prophylaxe. Das war schon bisher so und hat sich bei der Bestimmung der Blutgruppe (Rhesusinkompatibilität) sowie der Bestimmung des Immunstatus der Mutter gegenüber pränatalen Infektionen (Toxoplasmose, Syphilis, Röteln, HIV) bewährt. Eine Infektion mit dem Cytomegalievirus während des ersten Trimesters der Schwangerschaft stellt heute nach dem Down-Syndrom die zweithäufigste Ursache für eine geistige Behinderung der Neugeborenen in der westlichen Welt dar. Trotzdem ist ein routinemäßiges Screening auf Antikörper gegen Cytomegalie derzeit im Mutter-Kind-Pass leider nicht vorgesehen. Vorbeugende Maßnahmen bestünden, ähnlich wie für HIV, in der Vermeidung intimen Körperkontakts mit Infizierten und in der Verabreichung von Immunglobulin.

Die mögliche medikamentöse Behandlung verschiedener fötaler Mangelzustände und kardialer Arrhythmien wurde bereits ausführlich besprochen.57 Eine neue Entwicklung öffnet sich durch die jetzt mögliche und rasch zunehmende Erfassung von Korrelationen zwischen Genaktivität, Gendosis und bestimmten phänotypischen Eigenschaften. Es handelt sich um die Erstellung einer sog. Connectivity Map, die in den USA vor allem vom Broad Institute, einer Kooperation zwischen MIT und Harvard, vorangetrieben wird.58 So gelang es, mit der Kartierung der Gene des Chromosoms 21 bestimmte Eigenschaften des Down-Syndroms bestimmten Genmustern dieses Chromosoms zuzuordnen. Man fand heraus, dass oxydativer Stress für verschiedene abnorme Eigenschaften dieser Trisomie verantwortlich ist. Ausgehend von dieser Erkenntnis ist es gelungen, diverse Antioxydantien zu testen, die in der pränatalen Therapie des Down Syndroms eingesetzt werden könnten. Es gibt die begründete Hoffnung, dass in Zukunft nicht nur Föten mit Trisomie 21, sondern auch verschiedene andere isolierte Anomalien von einem solchen Therapieansatz profitieren.

IV. Empfehlungen

Bis es so weit ist, stellt sich jedoch die Frage: Was können wir Paaren, die einer Pränataldiagnostik kritisch gegenüber stehen oder die nach einem ersttrimestrigen positiven Combined Test oder einem als abnorm gewerteten genetischen Screening vor der Herausforderung stehen, über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden, empfehlen?

1. Abwarten: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der als pathologisch geltenden Abweichungen wird nicht oder nur geringfügig penetrant, weil natürliche Mechanismen der epigenetischen Regulation – die heute schon bis zu einem gewissen Grad steuerbar sind – die Expression verhindern. Ein anderer Teil wird auf natürliche Weise durch eine Fehlgeburt ausgelesen. Es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen einer bestimmten genetischen Abweichung – von monogenetischen Erkrankungen abgesehen – und einer bestimmten Erkrankung. Überhaupt ist Krankheit ein auch kulturell geprägter Begriff. Wenn wir den Teufel exorzieren, könnte es sein, dass wir zugleich auch die Engel verjagen.

2. Innere Ängste und Unruhe, die eine Schwangere bewegen, können bei gläubigen Eheleuten durch eine Segnung des ungeborenen Kindes hintan gehalten werden. Auf Initiative der amerikanischen Bischofskonferenz wurde unter dem Eindruck eines ausufernden pränatalen Screening- und Selektionsangebotes ein solcher Ritus ins Leben gerufen und unlängst vom Vatikan approbiert.59 Eltern legen damit das ihnen geschenkte Kind bewusst in Gottes Hand. Ein solcher Akt besitzt eine größere behütende Wirkung als die bloß vernunftgemäß anerkannte „Unverfügbarkeit menschlichen Lebens“ (Habermas).

3. Präkonzeptionelles statt postkonzeptionelles Screening: Paare, die befürchten, sie könnten an ihre Nachkommen eine genetische Erkrankung vererben, können heute ohne allzu großen Aufwand ihr komplettes Genom auf bestimmte Erbeigenschaften untersuchen lassen und feststellen lassen, ob sie Träger einer genetischen Mutante sind (sog. Carrier-Screening).60 Diesbezügliche staatliche Programme gibt es bereits seit 1997 im Iran und neuerdings auch in Indien bezüglich der Thalassämie.61 Im Iran sind 4-5% der Bevölkerung Träger des Gens für Thalassämie, jährlich werden dort 700-800 Babys mit dieser Erkrankung geboren. Durch ein prämaritales Screening – Risiko-partnerschaften kommen nicht zustande – soll diese Erkrankung eingedämmt werden. Neuerdings ist dort allerdings auch – durch eine Fatwa legitimiert – der „therapeutische“ Abort erlaubt. Bei uns könnte eine ähnliche Strategie die Empfängnis von Babys mit Mukoviszidose und anderen schwer wiegenden Leiden verhindern und wäre eine Alternative zum jüngst durch den Europäischen Menschengerichtshof angemahnten Recht auf PID.62 (Siehe Tab 4). Für numerische Chromosomenabweichungen ist die Methode freilich nicht anwendbar.

ErkrankungUrsächliches Gen
Dominant vererblich
M. Huntington (Veitstanz)HTT
Myotone DystrophieTyp 1: DMPK; Typ 2: CNBP
Neurale Muskelatrophie (Charcot-Marie)PMP22
Rezessiv vererblich
β-ThalassämieHBB
MukoviszidoseCFTR
Spinale MuskelatrophieSMN1
SichelzellanämieHBB
Geschlechtsgebunden vererblich
Fragiles-X-SyndromFMR1
Duchenne-Erb’sche MuskeldystrophieDMD
HämophilieTyp A: F8; Typ B: F9
Tab. 4: Einige häufigere präkonzeptionell diagnostizierbare monogenetische Erkrankungen

4. Lob der Unwissenheit und Unvollkommenheit. Trisomien treten sporadisch auf. Sie sind weder ansteckend noch vererblich, noch können sie ausgerottet werden. Sie sind ein Symbol für die Unwissenheit, die unsere Zukunft prägt und für die Unvollkommenheit, die uns zum Füreinander und zur Liebe drängen. „Es war gut, nicht Bescheid gewusst zu haben“ meint Brigitte nach einer ersten Phase von Schock, Trauer und Hilflosigkeit. „Denn ich wüsste nicht, ob wir uns nicht doch für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten. Und wenn ich mir nur annähernd vorstelle, dass Tini (mit T21) nicht bei uns wäre, ist das für mich eine seelische Katastrophe.“ Und Tini, die weiß, dass sie am Down-Syndrom leidet, meint ganz selbstbewusst, dass das nicht so schlimm sei: Sie könne immerhin Dinge, die andere nicht können.63

Anhang

Der Nachweis der Trisomie 21 mithilfe von zellfreien fötalen Nukleinsäuren ist auf verschiedene Weisen möglich, die im Folgenden noch detaillierter dargestellt werden.

1. Bestimmung des Allelverhältnisses plazentaler mRNA anhand des Polymorphismus eines Einzelnukleotids (RNA-SNP Methode)64 Für das Chromosom 21 kennt man 4 verschiedene polymorphe Einzelnukleotide, die überdies nur im kindlichen Trophoblasten transkribiert sind (man erspart sich dadurch die Auftrennung nach mütterlicher und kindlicher Nukleinsäure). Darunter weist das PLAC 4 genannte Einzelnukleotid den höchsten Polymorphismus auf (sodass homozygote Allele selten sind). Man kann daher anhand seines Allelverhältnisses feststellen, in wie vielen Kopien dieses Chromosom vorliegen muss. Für die Identifizierung und Isolierung des einzelnen Allels verwendet man entsprechende Gensonden und vervielfältigt das Hybridprodukt mittels PCR. Im Massenspektrograph lässt sich schließlich das Allelverhältnis bestimmen, das im (heterozygoten) Normalfall 1:1 beträgt, im Falle einer T21 aber 2:1. Dasselbe Prinzip wurde auch für andere Chromosomen angewandt. Heute ist dieser wie auch die folgenden Tests auch als „Plattform“ erhältlich, die es gestattet, zahlreiche Marker und Abweichungen verschiedener Chromosomen gleichzeitig in einem zu erfassen (z. B. AFFY-Plattformen). Man ist inzwischen so weit, nicht nur numerische Aberrationen, sondern auch kleinere strukturelle Veränderungen (in der Größenordnung eines Megabyte) zu erkennen bis hin zu kompensierten, sog. Robertson Translokationen (bei denen 2 Gen-Loci nur ihren Ort tauschen ohne dass Genmaterial verloren oder vermehrt wird).

2. Quantitativer Vergleich epigenetischer Marker65 Die Stummschaltung von Genen während der Keimesentwicklung erfolgt unter anderen durch DNA-Methylierung. Die Gene des kindlichen Trophoblasten und jene der Mutter sind unterschiedlich methyliert („stumm geschaltet“). Es gibt ein Marker-Gen (HLCS) am Chromosom 21, das im Trophoblasten immer hypermethyliert, in mütterlichen Zellen aber unmethyliert ist. Denselben Unterschied gibt es auch bei einem zum Vergleich herangezogenen anderen Marker-Gen (RASSFIA) am Chromosom 3. Bestimmte Enzyme können nur unmethylierte DNA verdauen. Diese Enzyme werden nur die betreffenden mütterlichen Gene verdauen, die fötalen aber nicht – sie bleiben übrig. Mithilfe von Gen-Sonden werden nun die kindlichen Marker-Gene herausgefischt und einer quantitativen PCR Analyse unterworfen. Es zeigt sich dann, dass das quantitative Verhältnis der beiden Marker-Gene im Falle einer T21 2:1 beträgt, während im euploiden Fall ein 1:1 Verhältnis vorliegen muss.

Stumm geschaltete Gene werden nicht in RNA transkribiert. Man kann daher als Variante derselben Technik auch anhand des Profils zirkulierender RNA-Moleküle ihre Herkunft feststellen und durch einen quantitativen Vergleich von etwa Chromosom 21-abhängigen fötusspezifischen Transkriptionsprodukten eine T21 diagnostizieren.

3. Massiv parallele Genomsequenzierung mittels „Schrotflintentechnik“ – MPSS66 Dies ist die am weitesten fortgeschrittene Technik mit den potentiell vielfältigsten Anwendungen im pränatalen genetischen Screening. Die Nukleinsäuren aus dem während der Keimesentwicklung anfallenden Zellabfall liegen im mütterlichen Blut bereits in geeignet zerstückelter Form vor, sodass sie unmittelbar für eine Sequenzierung verfügbar sind. Nach Reinigung der Nukleinsäuren werden, wie oben beschrieben, zuerst die mütterlichen DNA-Stücke durch Methyl-abhängige Endonukleasen aus der Plasmaprobe entfernt, sodass allein die fötalen Nukleinsäuren übrig bleiben. Diese werden mit künstlichen Oligonukleotiden – bestehend aus einer humangenomischen Eichsequenz, einem PCR-primer und einer Signalsequenz – vermischt, hybridisiert, vermehrt und sequenziert. Man erhält dadurch eine große Zahl (Millionen) von „Buchseiten“ aus dem fötalen Genom, die sodann anhand eines humanen Referenzgenoms den verschiedenen Chromosomen („Buchkapiteln“) zugeordnet werden. Normalerweise findet man zum Beispiel 1,35% der „Buchseiten“ als dem Chromosom 21 zugehörig. Im Fall einer T21 (Down-Syndrom) werden die dem Chromosom 21 zuzurechnenden Buchseiten im mütterlichen Blut vermehrt vorhanden sein, was sich anhand eines statistischen Vergleiches mit dem Mittelwert der Norm (z-score) beweisen lässt. Um eine T21 oder andere numerische Chromosomenabweichungen auf diese Weise zu diagnostizieren, muss man nicht das gesamte Genom sequenzieren. Es genügt, wenn die Eichsequenzen einige wenige Prozent des Genoms (z. B. 6%) repräsentieren. Entscheidend ist aber, dass 6% aller Chromosomen erfasst werden im Unterschied zu den auf eine bestimmte Abweichung zielenden vergleichenden Methoden (z. B. cAGH). Daher der Name „Schrotflintentechnik“ (shotgun-sequencing).

Es gibt auch Versuche, die fötalen Nukleinsäuren gemeinsam mit den mütterlichen zu sequenzieren. In diesem Fall beläuft sich die Zunahme an Chromosom 21 spezifischen Buchseiten auf nur 0,1 – 0,5%, was dzt. nahe der Nachweisgrenze liegt.

Benützt man als Eichsequenzen lokusspezifische künstliche Oligonukleotide und analysiert die Produkte computerunterstützt (sog. DANSR – Digital Analysis of selected regions),67 so kann man sich dadurch Sequenzierungsaufwand sparen. Man wird dann feststellen: Für diese Gensequenz gibt es ein Hybridprodukt, für jene nicht, für jene wieder die zwei- oder mehrfache Anzahl usw. Auf diese Weise kann man ein digitales – auf JA-NEIN Antworten basierendes – Bild sämtlicher Abweichungen erstellen. Diese Technik wird derzeit in der klinischen Anwendung erprobt.

Referenzen

  1. Riedl S., Diagnostische Möglichkeiten in der Pränatalmedizin, Imago Hominis (1994); 1(2): 126-155; Riedl S. Therapeutische Möglichkeiten in der Pränatalmedizin, Imago Hominis (1994); 1(3): 211-222; Schwarz A., Die pränatale Diagnose – ein ethischer Befund, Imago Hominis (1994); 1(3): 223-224
  2. „Durch den Rost fallen“ war eine Redewendung im Dritten Reich, die allerdings schon zuvor existierte und von den Nationalsozialisten für ihr rassistisches Programm missbraucht wurde. Wenn in unserer Zeit von „screening“ (Siebung) die Rede ist, wird im Grunde dieselbe Ausdrucksweise im englischen Wortlaut auf die heute propagierte „liberale Eugenik“ angewendet, insofern „Rost“ und „Sieb“ dieselbe bildliche Bedeutung besitzen.
  3. siehe Institut für pränatale Diagnostik und gynäkologische Sonographie, Preise, www.gynschall.at/preise.php (letzter Zugriff am 19. November 2012)
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  6. vgl. Institut für pränatale Diagnostik und gynäkologische Sonograhpie, siehe Ref. 3; Moderne Software gestattet es heute, auch bloß nach Stufe I Trainierten gültige Ergebnisse zu erhalten, wenn sie zusätzlich einen Kurs nach Nikolaides absolviert haben. Spitalsambulanzen sind bei uns in der Regel nur mit einer solchen Qualifikation ausgestattet. Experten privater Institutionen (Gynschall, Fetomed) betonen allerdings eine höherstufige Qualifikation zu besitzen.
  7. Beck V. et al., Preterm prelabor rupture of membranes and fetal survival after minimally invasive fetal surgery: a systematic review of the literature, Fetal Diagn Ther (2012); 31: 1-9
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  10. Niederländisches Register für Öffentliche Gesundheit, 2003-2009
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  19. Der Begriff „liberale Eugenik“ wurde von Jürgen Habermas (2002) geprägt, um sie von der alten „autoritären Eugenik“ zu unterscheiden. Die liberale Eugenik beruft sich auf das Autonomieprinzip, d. h. sie stellt die Handlungsfreiheit des Einzelnen in die Mitte und verknüpft mit ihr auch die Menschenwürde. Da ein Embryo noch über keine Autonomie verfügt, gilt auch seine Würde als eingeschränkt. Gleichwohl wirft dieser Ansatz, wie Habermas zeigt, dieselben Fragen auf, die auch der alten Eugenik innewohnten, betreffend unser Selbstverständnis als Gattungswesen und unser angemaßtes Recht, für Andere über deren Leben zu entscheiden. Dem stellt Habermas das Argument der Unverfügbarkeit menschlichen Lebens entgegen. Siehe: Habermas J., Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Verlag Suhrkamp, Frankfurt am Main (2002), S. 70-93
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  22. Prenatal Screening Perspectives, Vol. 16, S. 5
  23. Beratungsbroschüre des Landes Vorarlberg „Pränataldiagnostik: Was? Wie? Wozu?“, S. 22; Beratungsempfehlung zur Pränataldiagnostik der Vorarlberger Landesärztekammer, S. 33; Eine Ausnahme bildet das Netzwerk für kritische Auseinandersetzung mit Pränataldiagnostik: Siehe unter www.prenet.at, Häufig gestellte Fragen zum Schadenersatzrecht und PND, S. 8
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  33. In Österreich wird nach wie vor die AC ab der 17. Woche favorisiert, weil die CVS mangels geübter Untersucher hierzulande mit einem Fehlgeburtsrisiko von bis zu 5% assoziiert ist.
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  43. Eine für den interessierten Laien gut verständliche Aufbereitung der Zusammenhänge bietet: Spork P., Der zweite Code. Epigenetik – oder wie wir unser Erbgut steuern können, Verlag Rowohlt, Reinbeck (2009)
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  49. Savva G. M. et al., Maternal age-specific loss rates in Down syndrome pregnancies, Prenat Diagn (2006); 26: 499-504
  50. Eine ausführliche Erörterung der bis 1993 pränatal verfügbaren therapeutischen Optionen findet sich bei Riedl S., siehe Ref. 1, Imago Hominis (1994); 1(2)
  51. Milunsky Au., Milunsky J. M. (Hrsg.), Genetic disorders and the fetus. Diagnosis, prevention and treatment, 6. Ed., Verlag Wiley-Blackwell, Chichester (2010)
  52. vgl. Haker H., siehe Ref. 40
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  59. Vatikan genehmigt Segnungsritus für ungeborene Kinder, zenit.org, 28. März 2012, www.zenit.org/article-24607
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  63. zitiert nach Mayrhofer R., Kinder mit Trisomie 21 … und hätten die Liebe nicht, ÖÄZ 23/24, 15. Dezember 2006, S. 51
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Anschrift der Autoren:

Dr. med. Walter Rella
Küb Nr. 12, A-2671 Küb
walter(at)rella.at

MR Dr. Karl Radner
Facharzt für Frauenheilkunde und zertifizierter behindertengerechter Facharzt der Gynäkologie
Meidlinger Hauptstraße 7-9; A-1120 Wien
karl.radner(at)vienna.at

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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