Kommentar zum Fall

Imago Hominis (2013); 20(2): 144-145
Marion Stoll

Zunächst soll untersucht werden, ob bei dem Patienten eine klare medizinische Indikation dafür besteht, die liegende Magensonde durch eine PEG-Sonde zu ersetzen. Danach folgen eine ethische Beurteilung und Vorschläge für ein mögliches weiteres Prozedere.

Der Patient befindet sich vier Monate nach der Erstdiagnose im Endstadium einer progredienten, zum Tode führenden Erkrankung, für die es keine kausale Therapie gibt. Seine Lebenserwartung beträgt nach medizinischem Ermessen ca. 6 Monate. Er kann offensichtlich nicht mehr selbstständig und auf natürlichem Wege Nahrung zu sich nehmen und muss daher mit einer Sonde ernährt werden. Ein wesentliches Faktum ist, dass der Patient eine konventionelle Magensonde offensichtlich bisher sehr gut vertragen hat und dass keine medizinischen Komplikationen aufgetreten sind. Auch wenn der Patient sich im akinetischen Mutismus befindet, scheint die Gattin (die vermutlich als seine Sachwalterin fungiert) doch irgendwie ab und zu mit ihm kommunizieren zu können. Der Patient macht selbst keine Anzeichen, die vermuten lassen könnten, dass er die Magensonde nicht oder nur schlecht tolerieren würde.

Die modernen Magensonden sind heute so weich und elastisch, dass sie für die Patienten kaum eine Belastung darstellen und bei fachgerechter Handhabung kaum mit Komplikationen zu rechnen ist. Die gefürchteten Komplikationen durch Druckstellen und Entzündungen im Nasen-Rachenraum traten hauptsächlich bei den früher verwendeten harten Magensonden aus PVC auf, hingegen zeigen sie sich sehr selten bei den neueren Sonden aus Polyurethan oder Silikon, wenn sie richtig gehandhabt werden (regelmäßige Lagekontrolle, Vermeidung von Zug, ausreichende Spülung, Mundhygiene usw.). Wegen der Neigung zur Verstopfung des Lumens muss die Magensonde (im Gegensatz zu einer PEG-Sonde) gelegentlich gewechselt werden.

Eine PEG-Sonde, die mit Hilfe eines Gastroskops und Inzision der Bauchdecke gelegt wird, bietet gegenüber der Magensonde den Vorteil, dass die Patienten durch den Mund ungehindert zusätzlich Nahrung aufnehmen können, was als eine gewisse, wenn auch nur leichte Verbesserung der Lebensqualität angesehen werden kann. Dieser Vorteil fällt allerdings bei diesem Patienten, der sich in einem Zustand eines akinetischen Mutismus befindet, weg.

PEG-Sonden können meist (wenn keine Komplikationen auftreten) so lange belassen werden, wie sie der Patient benötigt. Auch dieser kleine Vorteil scheint bei dem Patienten wenig relevant, da bei ihm der Wechsel der Magensonde offensichtlich bis dato keine Probleme bereitet hat.

Ein weiterer Vorteil der PEG-Sonde besteht darin, dass sie für das betreuende Pflegepersonal (in diesem Fall für die Gattin) im Vergleich zur Magensonde eine gewisse Erleichterung darstellt.

Als Nachteil muss festgehalten werden, dass das Legen einer PEG-Sonde ein invasiver Eingriff ist, der (wenn auch selten) mit erheblichen Komplikationen verbunden sein kann (z. B. Verletzung von Bauchorganen, Austritt von Magensaft mit Bauchfellentzündung, Entzündungen der Bauchdecke, Einwachsen der Halteplatte).

Bezüglich der Indikationsstellung kann also gesagt werden, dass der Wechsel von einer Magensonde auf eine PEG-Sonde für den Patienten keine entscheidenden Vorteile bringt. Die Lebensqualität kann dadurch bei diesem Patienten nicht relevant verbessert werden. Eine gewisse Erleichterung kann bestenfalls für die pflegende Gattin erreicht werden, da die Handhabung einer PEG-Sonde im Vergleich zu einer Magensonde einfacher ist.

Das Anlegen einer Witzel-Fistel ist wie das Legen einer PEG-Sonde ein chirurgischer Eingriff, allerdings mit einer etwas höheren Komplikationsrate. Ansonsten gelten die gleichen Überlegungen, wie sie zur PEG-Sonde angestellt wurden. Es ist auch bei diesem Eingriff für diesen konkreten Patienten kein eindeutiger Benefit zu erwarten, der zum einen das Risiko und zum anderen auch den organisatorischen und finanziellen Aufwand rechtfertigen würde.

Es kann zusammenfassend gesagt werden, dass – zunächst einmal völlig unabhängig von der Kostenfrage – bei dem Patienten keine klare Indikation für einen Wechsel von der Magensonde auf eine PEG-Sonde oder Witzel-Fistel gegeben ist. Unter Beachtung des Fürsorgeprinzips könnte eine PEG-Sonde nur dann gelegt werden, wenn dies zum einen dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entspricht und zum anderen auch seinem Wohl dient bzw. einen Leidenszustand lindert oder vermeidet. Doch kann im konkreten Fall durch diese Maßnahme die Lebensqualität des Patienten nicht relevant verbessert werden, da auch durch die aktuelle Form der Ernährung mittels Magensonde keine Leidenssituation zu bestehen scheint, die durch die Alternative einer PEG-Sonde verbessert werden könnte. Somit scheint ein operativer Eingriff mit eventuell auftretenden Nebenwirkungen (wie Schmerzen durch den Eingriff oder auch potentielle Komplikationen) nicht gerechtfertigt. Aus der Anwendung des Fürsorgeprinzips (mit der Pflicht zu helfen) und des Nicht-Schadensprinzip (mit der Pflicht, nicht zu schaden) ergibt sich in diesem Fall keine klare Indikation für die PEG-Sonde. Bestenfalls wird damit der Gattin die Pflege ihres Mannes erleichtert. Dafür sollten freilich gemäß dem Gerechtigkeitsprinzip die begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen eines Krankenhauses nicht verwendet werden, zumal sie dann anderen Patienten mit klar indizierten Eingriffen vorenthalten werden müssten. Die Gewichtung der Vorbehalte gegenüber einem operativen Eingriff gemäß dem Fürsorge- und dem Nichtschadens-prinzip ist im konkreten Fall nicht unumstößlich. Aus dem Gerechtigkeitsprinzip folgt jedoch klar, dass die Spitalsleitung nicht nur einen solchen Eingriff nicht durchführen muss, sondern darüber hinaus sogar dazu verpflichtet ist, unverhältnismäßig hohe Kosten für das sozial finanzierte Gesundheitssystem durch unnötige Eingriffe zu vermeiden.

Die Gattin müsste also, wenn sie weiterhin auf das Legen einer PEG-Sonde besteht, aus eigenen Mitteln ein Gastroskop zur Verfügung stellen oder andere Geldgeber dafür auftreiben. Wenn das Krankenhaus der Gattin des Patienten entgegen kommen will, wäre zu überlegen, ob vielleicht im Haus noch ein altes, nicht mehr im Gebrauch befindliches Endoskop aufzutreiben ist, dessen Entsorgung kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt.

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Dr. Marion Stoll
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Institut für Medizinische
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