Editorial

Imago Hominis (2013); 20(4): 239-241
Susanne Kummer

„Der Gegenstand der ärztlichen Tätigkeit ist nicht die Krankheit in abstracto, sondern der kranke Mensch; es ist demnach nicht hinreichend, nur die Krankheit zu kennen und zu behandeln, sondern auch der Mensch als solcher will auf seine besondere Weise behandelt werden“. So schrieb der Sachsen-Altenburgische Hofmedicus Georg Friedrich Christian Greiner bereits im Jahr 1809. Sein Dictum hat bis heute nicht an Aktualität verloren.

Ärzte führen im Laufe ihres Berufslebens rund 100.000 medizinische Gespräche mit Patienten. Die Zeit dafür ist meist knapp bemessen. Heute weiß man, wie wichtig ein guter Kommunikationsverlauf zwischen Arzt und Patient für den Therapieverlauf und Krankheitsprozess ist. In der technikorientierten modernen Medizin pendelt die Arzt-Patient-Kommunikation zwischen Abchecken medizinischer Fakten und Bürokratie. Erst langsam reagiert man auf die Tatsache, dass gute Kommunikation und das Vertrauen zum Arzt einen erheblichen Faktor für den Therapieerfolg ausmachen. Auch Ärzte leiden unter der „Entmenschlichung“ ihrer Profession – der Trend, dass der Einsatz von medizintechnischen Untersuchungen finanziell besser abgegolten wird als die dem Patienten gewidmete Zeit, ist leider ungebrochen.

Information, Empathie und das Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten zählen zu den zentralen Faktoren, um das Vertrauen des Kranken zu gewinnen und ihn für die Therapie zu motivieren. Kommunikationsmangel wird als Beziehungsstörung und Vertrauensbeeinträchtigung empfunden – und schlägt sich unweigerlich auch auf die Qualität der Behandlung nieder. Ohne das Vertrauen des Patienten können weder Ärzte noch Pfleger ihren Heilungsauftrag ausführen.

Das zeigt eine aktuelle, im Herbst 2013 publizierte Studie des Picker Institut Deutschland. Das Ergebnis ist wenig überraschend und dennoch bezeichnend: 50% bis 65% der Ärzte und Pflegekräfte geben aus subjektiver Sicht an, zu wenig Zeit für Patienten und deren Angehörigen zu haben. Wobei Zeit Widmung, Kommunikation und Interaktion bedeutet. Auf der Seite der Patienten zeichnet sich ein ähnliches Bild: Je besser das Verhältnis zu den betreuenden Pflegekräften und Ärzten, desto höher ist die Zufriedenheit. Kommunikation, Empathie, Respekt und Information sind dabei für den Patienten um ein Vielfaches wichtiger als das Essen oder die Zimmeratmosphäre, so die Ergebnisse aus der Analyse von 111.835 Patienten-Befragungsbögen aus den Jahren 2009 bis 2012.

Die aktuellen Entwicklungen sind Anlass genug dafür, dass wir uns in dieser Ausgabe dem Schwerpunkt „Kommunikation in der Medizin“ widmen. Wie lässt sich unter den bestehenden Bedingungen eine geglückte Arzt-Patienten-Kommunikation aufbauen und erhalten? Welche Faktoren müssen dafür besonders berücksichtigt werden?

Das Erstellen oder Erlernen von rein technischen Kommunikationsmodellen genügt nicht, damit es zu einer Begegnung von Menschen kommt. Was also braucht es mehr? Der Philosoph Thomas Sören Hoffmann (Fernuniversität Hagen) widmet sich einer anthropologischen Sicht auf das Phänomen Kommunikation und fragt nach den Eckpunkten einer Ethik der Kommunikation: Das Gespräch, das auf gegenseitiger Anerkennung und Achtung der Würde des anderen gründet, schafft Beziehung, öffnet zur Wahrheit und ermöglicht damit Freiheit und Entfaltung von Autonomie. Für den medizinischen Alltag ist dieser ethische Ansatz wesentlich.

Gespräche sind nicht einfach nur soziale Begleiterscheinungen einer Tätigkeit, in deren Mittelpunkt Diagnose und Therapie stehen, sondern professionelle Instrumente eigener Art, mit deren Hilfe Diagnose und Therapie wesentlich verbessert (manchmal auch relativiert) werden können. In seinem Beitrag zum ärztlichen Gespräch und seiner Dynamik zeigt der Berliner Sozialpsychologie Hans-Wolfgang Hoefert auf, wie sich bestimmte Rahmenbedingungen (Arztpraxis, Krankenhaus) günstig oder ungünstig auf die Gesprächsqualität auswirken können und welche Maßnahmen der Arzt setzen muss, damit die Erwartungen und Krankheitsvorstellungen des Patienten in die Gespräche einbezogen werden und sich Patienten ausreichend – und nicht einseitig – informiert fühlen. Nur dann können Ärzte und Patienten zu gemeinsamen Entscheidungen finden, die auch von den Patienten mitgetragen werden.

Die Internistin und Psychoonkologin Monika Keller (Universitätsklinikum Heidelberg) arbeitet in ihrem Beitrag heraus, vor welche speziellen Herausforderungen ärztliche Kommunikation im Bereich der Onkologie gestellt ist. Im Mittelpunkt der Anforderungen an menschliche und professionelle Kompetenz, zwischen Heraus- und zuweilen Überforderung und Bereicherung stellt nach Keller eine patientenzentrierte Kommunikation das wichtigste Vehikel bzw. Agens dar, ohne die eine „heilsame“ Behandlung und Versorgung von Krebspatienten nicht denkbar ist. Anhand eines deutschlandweit seit 2008 speziell für Onkologen durchgeführten Kommunikationstrainings zeigt Keller, wie Ärzte in ihrer Kompetenz, Krebspatienten gut zu führen und sie und deren Angehörige zu begleiten, gestärkt werden können.

Michael Peintinger, Anästhesist am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien, richtet seinen Fokus auf die interkulturelle Kommunikation. Hier braucht es vonseiten des Arztes ein Wissen um unterschiedliche kulturgebundene Werthaltungen, eine kulturelle Sensibilität sowie die grundsätzliche Bereitschaft, das Wertesystem des Patienten wahrzunehmen und einzubeziehen. Die Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation stellt sich als unverzichtbare ärztliche Kompetenz im Rahmen der therapeutischen Partnerschaft dar.

Martina Hess und Regina Hummer (Kommunikationstrainerinnen Horizont, Wien) zeigen anhand des Fünf-Phasenmodells „Schock-Verleugnung-Aggression-Depression-Trauerarbeit“, was in Patienten nach der Konfrontation mit einer schwerwiegenden Diagnose emotional vorgeht und geben hilfreiche, praktische Strategien für die weitere ärztliche Gesprächsführung.

S. Kummer

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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