1 Fragestellung und Ziel des Forschungsprojekts

Ethische Aspekte des Schmerzmanagements anhand der Praxis in ausgewählten Pflegezentren von SeneCura, IMABE, Wien (2014), S. 5-11
Monika Feuchtner, Susanne Kummer, Marion Stoll, Enrique H. Prat
Grundsätze Prinzipien Tugenden Ethische Kategorien
SeneCura G1 Achtung der Würde
Autonomie
Gerechtigkeit
Empathie
Gerechtigkeit
Ordnung
Sinn
Sinn
Sicherheit
SeneCura G2 Achtung der Würde
Fürsorgeprinzip
Schadenvermeidung
Zuverlässigkeit
Geduld
Sanftmut
Sicherheit
Sicherheit
Geborgenheit
SeneCura G3 Achtung der Würde
Gerechtigkeit
Gerechtigkeit
Solidarität
Fleiß
Sinn
Geborgenheit
Sicherheit
SeneCura G4 Achtung der Würde
Fürsorgeprinzip
Empathie
Umsicht
Selbstbeherrschung
Geborgenheit
Sicherheit
Sicherheit
SeneCura G5 Achtung der Würde
Autonomie
Demut
Geduld
Optimismus
Sinn
Geborgenheit
Sinn
SeneCura G6 Achtung der Würde
Fürsorgeprinzip
Schadenvermeidung
Weisheit
Empathie
Großzügigikeit
Sicherheit
Geborgenheit
Geborgenheit

1.1 Entstehung der Idee des Forschungsprojekts

„Ethische Aspekte des Schmerzmanagements anhand der Praxis in ausgewählten Pflegezentren von SeneCura“ ist ein Forschungsprojekt, das von SeneCura Kliniken- und HeimbetriebsgmbH im Juni 2011 gestartet wurde und bis Anfang 2014 gelaufen ist.

Anlass dazu war das von SeneCura gesponserte Forschungsprojekt „Schmerzerfassung und -management in der stationären Altenhilfe am Beispiel des Trägers SeneCura Klinken- und HeimebetriebsgmbH“, das vom Institut für Pflegewissenschaften der Paracelsus Universität von 2011 bis 2014 durchgeführt wird. Dabei geht es um die erstmalige österreichweite Erfassung und Darstellung der Prävalenz von akuten und chronischen Schmerzen in Pflegeeinrichtungen sowie um die Evaluierung der Effizienz des Schmerzmanagements.

SeneCura hat parallel dazu und unabhängig davon ein Forschungsprojekt der ethischen Aspekte des Schmerzmanagements angeregt und auch gesponsert.

Warum ist ein ethisches Forschungsprojekt parallel dazu sinnvoll? Es ist sinnvoll, weil es auch einen komplementären Zugang zum Schmerzmanagement gibt, nämlich einen ethischen. Jede menschliche Tätigkeit hat eine ethische Dimension, auch die Schmerzbekämpfung. Normalerweise wird dieser Dimension wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

1.2 Der ethische Zugang zum Schmerzmanagement

Es gibt organische Schmerzen und seelische Schmerzen. Alle Schmerzen haben eine psychologische Komponente.

Man kann davon ausgehen, dass Schmerzen leichter zu ertragen sind, wenn

  • das Leben auch mit Schmerzen einen Sinn hat, und
  • der Leidende Geborgenheit erfährt und auch die Sicherheit hat, dass alles getan wird, um die Schmerzen zu lindern.

Dies ist nicht eine Hypothese, die man testen, d. h. verifizieren oder falsifizieren könnte, denn es geht nicht um einen naturwissenschaftlichen Ansatz und daher auch nicht um eine induktive Methode. Es handelt sich vielmehr um ein Postulat eines sozialethischen bzw. philosophischen Ansatzes, d. h. um eine definitorisch-analytische Feststellung.

Sinn, Geborgenheit (Liebe, Anteilnahme) und Sicherheit sind Dimensionen, die die Bewohner von ihrem Umfeld im Heim erfahren müssen. Je stärker es gelingt, den Bewohnern dies zu vermitteln, umso besser wird es ihnen gehen und umso leichter werden Schmerzen zu ertragen sein – immer unter der Voraussetzung einer optimierten medizinischen Behandlung und pflegerischen Betreuung. Die Vermittlung dieser drei Dimensionen gehört auch zum Schmerzmanagement, das ein Pflegeteam leisten muss.

Sinn, Geborgenheit und Sicherheit sind drei ethische Kategorien. Sie zu vermitteln erfordert ethische Kompetenz.

1.3 Die ethische Kompetenz beim Schmerzmanagement

Im rechten Verständnis von Ethik als Wissenschaft des sittlich richtigen Handelns des Menschen ist die ethische Kompetenz nicht eine neben zahlreichen anderen Kompetenzen des Menschen, sondern eine alle anderen integrierende Kompetenz.

ERROR: Content Element with uid "5620" and type "templavoila_pi1" has no rendering definition!

In Abbildung 1 werden fünf Kompetenzbereiche dargestellt: Man könnte noch zahlreiche weitere anführen, so viele wie es Fachbereiche in einer Organisation gibt. Die Ethik integriert alle diese Bereiche und verbindet sie, d. h. man kann nicht moralisch gut handeln,

  • wenn man fachlich schlecht handelt, oder
  • wenn man die Kommunikation vernachlässigt.

Dieses Diagramm zeigt, dass man, um die Beziehung der Ethik zur Schmerzbekämpfungskompetenz darzustellen, auch alle anderen Kompetenzbereiche irgendwie einbeziehen muss, ganz besonders diejenigen der Kommunikation, Personalführung, usw.

Daher haben wir uns in unserem Projekt auch mit Fragen befasst, die über die reine Ethik der Schmerzbekämpfung hinausgehen. Dies schien uns vor allem in Hinblick auf die Zielsetzung notwendig: Zur Darstellung der ethischen Kompetenz muss man auch alle anderen Bereiche berücksichtigen, die direkt oder indirekt mit dem Schmerzmanagement in Verbindung stehen.

1.4 Worin liegt die ethische Kompetenz einer Pflegeeinrichtung wie SeneCura?

Die ethische Kompetenz einer Organisation wird zunächst durch die Werte, zu der sich die Organisation bekennt, und die Grundsätze, die für die Organisation verbindlich sind, geprägt.

Darüber hinaus aber müssen diese Werte und Grundsätze auch in die Praxis übertragen und umgesetzt werden. Dazu sind die entsprechenden Fertigkeiten notwendig und maßgeblich, die in der Ethik „Haltungen“ und „Tugenden“ genannt werden. Die ethische Kompetenz einer Organisation besteht somit vor allem in den Haltungen und Tugenden ihrer Organe und ihrer Mitarbeiter.

Die Strukturen und Mitarbeiter1 der Organisation müssen von eben diesen Wertvorstellungen und Grundsätzen, zu denen sich die Organisation bekennt, geprägt werden.

Wertvorstellungen (oder kurz Werte) bezeichnen im ethischen Sinn sittlich gute Eigenschaften bzw. Qualitäten von Idealen, Sachverhalten, Handlungsmustern, Charaktereigenschaften und dergleichen, die sie erstrebenswert machen. In Summe ist damit alles gemeint, was moralisch als erstrebenswert angesehen ist. Ein Wert für eine Organisation wäre zum Beispiel, dass ihre Mitglieder bzw. Mitarbeiter sich gegenseitig respektieren, schätzen und helfen.

Prinzipien sind die obersten Grundsätze des Handelns; sie sind die normative sprachliche Übersetzung von Werten.

Normen sind spezifische, auf besondere Situationen bezogene Regeln, um Grundsätze und Werte zu verwirklichen.

Haltungen sind die konkrete und praktische Umsetzung von Grundsätzen, einer Maxime, einer Norm. Eine Haltung kann gut oder schlecht sein. Haltungen können stabil oder sporadisch sein. Stabile gute Haltungen sind Tugenden.

Tugenden sind also stabile und verlässliche Haltungen, erworbene stabile Neigungen, das Richtige und das Gute zu tun. Diese beiden sind immer deckungsgleich: Das Richtige muss immer gut sein und das Gute muss immer auch in der konkreten Situation richtig sein. So sind z. B. Hilfsbereitschaft und Loyalität Tugenden, die zum Thema passen würden.

Diese vier Elemente bestimmen ethisch gesehen die gelebte Praxis einer Institution.

Wenn etwa in einer Pflegeinstitution negative Haltungen (wie zum Beispiel Geldgier oder eine gewisse Trägheit beim Personal) vorherrschen, kann dies zur Folge haben, dass die Pflegequalität sinkt, die Bewohner sich nicht wohlfühlen und die Zufriedenheit des Personals zu wünschen übrig lässt.

Aber es geht nicht nur um die guten Eigenschaften des Personals, auch die Strukturen einer Organisation müssen entsprechend der Wertvorstellungen und Grundsätze gestaltet werden, damit die Haltungen und Tugenden effektiv werden können.

Wenn z. B. die erwähnte Organisation eine wäre, in der alles von oben herab bestimmt wird, sodass die Bereichsleitung und die einzelnen Pflegepersonen kaum Entscheidungsspielraum haben, dann wird eine individualisierte menschliche Betreuung der Bewohner, die ihr Selbstbestimmungsrecht achten will, nicht möglich sein. Das Motto „Näher am Menschen“ könnte unter diesen Umständen nicht realisiert werden, auch dann nicht, wenn das Personal die höchsten ethischen Standards (Tugenden) aufweisen würde.

1.5 Die Grundsätze von SeneCura

SeneCura bekennt sich uneingeschränkt zur Achtung der personalen Würde aller Bewohner ihrer Häuser und hat dieses Bekenntnis in sechs Grundsätzen2 konkretisiert.

„Wir achten die Würde, Persönlichkeit und Rechte aller unserer BewohnerInnen:

  1. Der/die BewohnerIn wird als Mensch gesehen, in seiner/ihrer Individualität, Lebensgeschichte und Lebensperspektive. Wir achten besonders den Wunsch auf Selbstbestimmung.
  2. Jeder Mensch behält seine Würde bis zum letzten Augenblick des Lebens und verliert sie auch in Phasen größter Hilfsbedürftigkeit nicht.
  3. Jeder ältere Mensch hat die gleichen Grundrechte wie jeder andere Bürger auch. Kein/e BewohnerIn wird daher in unserem Haus rechtlos. Wir anerkennen stets seine/ihre persönlichen Rechte.
  4. Wir respektieren die Privat- und Intimsphäre sowie die ‚Eigenheiten’ jedes Menschen. Das muss sich auch in unserem Reden und Handeln widerspiegeln.
  5. Mit älteren Menschen zu leben, kann bereichernd wie belastend sein. Wir achten und respektieren den/die BewohnerIn als vollwertige Persönlichkeit, die das Recht auf ein möglichst eigenständiges, sinnerfülltes Leben hat. Dies gilt für alle Lebensbereiche, die uns selbst wichtig sind und zu unserer eigenen Sinnfindung beitragen.
  6. Wir respektieren die Bedürfnisse, Wünsche, Ängste und Grenzen der BewohnerInnen. Wir versuchen ihre Stärken und Fähigkeiten zu erkennen, bauen darauf auf und vermeiden, bei der Beschreibung ihrer Defizite zu bleiben.

Wir anerkennen folgende Rechte unserer BewohnerInnen:

  • Recht auf persönliches Eigentum
  • Recht auf ungestörten Besuch
  • Recht auf Information
  • Beachtung der Verschwiegenheitspflicht“3

Die Grundsätze sollten Garant für jene drei für das Schmerzmanagement relevanten ethischen Dimensionen sein: Sinngebung, Geborgenheit und Sicherheit. Gerade bei akutem Schmerz, aber auch bei chronischen Schmerzen, zeigt sich, ob die Grundsätze richtig und angemessen umgesetzt werden.

Natürlich ist es bei der Umsetzung der Grundsätze wichtig, dass die Tugenden als ethische charakterliche Eigenschaften beim Personal in ausreichendem Maß vorhanden sind. In Tabelle 1 werden die Grundsätze von SeneCura den allgemeinen Prinzipien der Ethik4 und den ethischen Tugenden zugeordnet. Diese Einteilung erfolgt definitorisch-analytisch aus der Teilübereinstimmung von Grundsätzen, Prinzipien und Tugenden.

ERROR: Content Element with uid "5622" and type "templavoila_pi1" has no rendering definition!

Man kann den Tugenden der 3. Spalte ebenfalls eine der drei erwähnten ethischen Kategorien definitorisch-analytisch zuordnen. Natürlich lässt diese Zuordnung zwischen den Begriffen der vier Spalten einen Ermessensspielraum, d. h. man könnte sie auch anders zuordnen und könnte bei den Tugenden auch andere erwägen. Dies würde aber das Ergebnis nicht wesentlich verändern, weil alle Tugenden durch ihre unbedingte und stabile Ausrichtung auf das Gute eine Einheit (connexio virtutum) bilden. Eine mögliche Zuordnung findet sich in Spalte 4 der Tabelle.5

1.6 Die Zielsetzung des Forschungsprojektes

  1. Feststellung, wie und ob die Grundsätze von SeneCura besonders bei der Schmerzbekämpfung hinsichtlich der drei Kategorien Sinn, Geborgenheit und Sicherheit in angemessener Weise umgesetzt werden.
  2. Identifizierung der ethischen Stärken (Zeichen der Exzellenz) in der Organisation. Zur Stärkung einer Organisation muss man nach der Leadership-Theorie in erster Linie auf die Stärken achten. Hier gilt das Motto: Wer stärker werden will, muss seine Stärken stärken.
  3. Identifizierung der Problemfelder: Problemfelder sind sensible Bereiche für Schwächen und Fehler. Die Stärkung einer Organisation muss auch danach trachten, Schwächen abzubauen.
  4. Anregungen für Interventionen und Durchführung zweier Interventionen.
  5. Anschließende Evaluation, ob die Interventionen zur qualitativen Stärkung der Organisation hinsichtlich der drei Kategorien Sinn, Geborgenheit und Sicherheit beigetragen haben.
  6. Anregungen für ein Weiterbildungsprogramm zur Stärkung der ethischen Kompetenz des Pflegepersonals

Referenzen

  1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet (mit Ausnahme wörtlicher Zitate). Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für beiderlei Geschlecht.
  2. SeneCura, Unsere Grundsätze, www.senecura.at, Pfad: Unternehmen > Die Standards > Unsere Grundsätze (letzter Zugriff am 30. November 2012)
  3. SeneCura, siehe Ref. 2
  4. vgl. Pöltner G., Grundkurs Medizin-Ethik, Facultas, Wien (2002), S. 34-62
  5. vgl. Prat E. H., Exzellenz und Leadership in der Altenpflege. Ein tugendethischer Ansatz, Imago Hominis (2012); 19(2): 118
Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: