Kommunikation im multiprofessionellen Behandlungsteam

Imago Hominis (2015); 22(1): 11-20
Fred Salomon

Zusammenfassung

Therapie und Pflege sind Interaktion und Kommunikation. In multiprofessionellen Behandlungsteams einer wertepluralen Gesellschaft treffen verschiedene Meinungen und Beurteilungen aufeinander, die geklärt werden müssen, um einvernehmlich handeln zu können. Anhand eines interdisziplinären intensivmedizinischen Falls werden Konflikte und Chancen aufgezeigt sowie konfliktmindernde Strukturen vorgestellt. Fest institutionalisierte Gesprächsrunden, offener Informationsaustausch und ein wertschätzender Umgang im Team zwischen allen Hierarchieebenen entlasten das Team und verbessern die Patientenversorgung. Im systemisch betrachteten multiprofessionellen Team sind alle Beteiligten am Gelingen oder Scheitern der Kommunikation beteiligt, wenn auch die in der Hierarchie höher Stehenden leichter auf das System Einfluss nehmen können.

Schlüsselwörter: Multiprofessionelles Team, Kommunikation, Konfliktlösung

Abstract

Therapy and care involve interaction and communication. Today, in a time of a plurality of values, different attitudes and opinions often clash together in multi-professional teams. It is necessary to discuss these in order to act in agreement. A real interdisciplinary case study involving intensive care illustrates the conflicts that can exist and suggests opportunities for improved communication. Mechanisms to reduce conflicts are discussed. Institutionalized discussions, the open giving and receiving of information, and the respectful treatment of people at all levels of the team hierarchy can help remove the burden from teams and improve the care of patients. In multi-professional teams under systematic review, all members can take part in the success or failure of communication. Persons having more influence in the team hierarchy can affect the system more than others.

Keywords: multi-professional team, communication, conflict resolution


Therapie ist Interaktion

Jede medizinische Versorgung, ob therapeutisch oder pflegerisch, ist Dienst an einem hilfsbedürftigen Menschen. Sie setzt die Beziehung zwischen mindestens zwei Personen voraus, dem Experten, der hilft, und dem Patienten, der die Hilfe erfährt. Therapie und Pflege realisieren sich in der Interaktion zwischen Menschen, sie sind ohne Interaktion nicht denkbar. Und da Interaktion untrennbar mit Kommunikation verbunden ist, sind Interaktion und Kommunikation essenzielle Elemente von Therapie und Pflege.

In der spezialisierten Medizin und den gesellschaftlichen und arbeitsplatzbezogenen Strukturen sind heute meist viele Interaktions- und Kommunikationspartner in das therapeutisch-pflegerische Geschehen eingebunden (Tab. 1). Neben dem Patienten, um den es geht und der nach oft beschworenem Denken im Zentrum der Bemühungen steht oder stehen sollte, bilden seine Angehörigen, Vertreter verschiedener Fachrichtungen und Berufsgruppen und unterschiedliche Institutionen ein komplexes System. Dieses System mit seinen vielfältigen Bezogenheiten und Abhängigkeiten wird zusätzlich von den hierarchischen Strukturen mit ihren verschiedenen Ebenen maßgeblich beeinflusst.1

Patientenumfeld
Patient
Patient
Patient
Angehörige
Angehörige




Angehörige
Arzt
Pflege
Arzt
Pflege
Angehörige einer Berufsgruppe
Arzt
Pflege

Arzt
Pflege
Angehörige verschiedener Berufsgruppen
ArztPflege
Angehörige verschiedener Disziplinen
Anästhesist
Kardiologe

Chirurg
Kardiochirurg
Angehörige verschiedener Hierarchiestufen
Assistenzarzt
Assistenzarzt
Oberarzt
Schwester
Schwester
Schichtleitung





Oberarzt
Chefarzt
Chefarzt
Schichtleitung
Stationsleitung
Stationsleitung
Tab. 1: Interaktions- und Kommunikationspartner im therapeutisch-pflegerischen Arbeitsfeld. Nicht einbezogen sind alle Institutionen (z. B. Klinikmanagement, Krankenkassen), die auch mit dem Patienten interagieren und von außen Einfluss auf das System des Teams haben.

Interaktion bedeutet Vielfalt

Die große Zahl der in einen therapeutischen Prozess eingebundenen Personen eröffnet Chancen und birgt zugleich Risiken. Jede Kompetenz, Kenntnis und Aufmerksamkeit kann zu einer besseren Versorgung beitragen. Auf der anderen Seite können die damit gegebenen vielfältigen Einschätzungen und Bewertungen zu Meinungsdifferenzen bei konkreten Entscheidungen führen. Gerade in der heutigen wertepluralen Gesellschaft und angesichts der kulturellen und religiösen Vielfalt auf Seiten der Patienten sowie der Mitarbeitenden im Gesundheitswesen begegnen sich unterschiedliche Weltanschauungen und Wertesysteme. Wo sie aufeinandertreffen, können Missverständnisse und Konflikte bei Entscheidungen entstehen.

Um die Chancen der Vielfalt zu nutzen und eine adäquate sowie eine von allen Beteiligten verstandene und mitgetragene Versorgung des Patienten zu erzielen, sind der Gedankenaustausch und die Abwägung möglichst aller Aspekte gefordert. Für eine therapeutisch-pflegerische Interaktion auf Augenhöhe ist der offene, wertschätzende, herrschaftsfreie Dialog unverzichtbar. Das soll an einem Fallbeispiel erläutert werden.

Fall

Herr Beilmann2 erhält einen 3-fach-Aortocoronarbypass. In der Vorgeschichte sind ein Herzinfarkt, eine starke chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), eine ausgeprägte Herzinsuffizienz und mehrere arterielle Gefäßverschlüsse, die zum Teil operiert wurden, bekannt. Wegen postoperativer Probleme wird Herr Beilmann aus der Kardiochirurgie in eine nachversorgende Klinik in der Nähe verlegt, wo er sich nach sechs komplikationsreichen Wochen so stabilisiert, dass er in eine 150 km entfernte Rehabilitationsklinik verlegt wird.

Kurz nach Aufnahme macht dort eine dekompensierte Herzinsuffizienz die notärztliche Verlegung auf die internistische Intensivstation der nahegelegenen Akutklinik nötig. Während der Therapie von Herzinsuffizienz und exazerbierter COPD werden in den Folgetagen eine Sternumosteomyelitis und eine Mediastinitis diagnostiziert.

Die thoraxchirurgische Abteilung reseziert das Sternum, spült das Mediastinum und legt einen Vacuumverband an, der geplant mehrere Folgeoperationen nach sich zieht. Herr Beilmann wird auf die Operative Intensivstation übernommen, die von der Anästhesie geleitet wird. Nach nicht invasiver Beatmung auf der internistischen Intensivstation ist jetzt ein Tubus nötig. Die ausgedehnte Infektion im Sternum-Hals-Bereich lässt eine Tracheotomie nicht zu.

Die Ehefrau ist selbst sauerstoffpflichtig und kann die weite Strecke nicht fahren. Das Ehepaar hat zwei Töchter, von denen eine schwerstkrank und nicht ansprechbar ist. Die gesunde Tochter ist Betreuerin ihrer Schwester und bereit, sich auch als Betreuerin ihres Vaters einsetzen zu lassen. Die Angehörigen sind über den Verlauf engmaschig telefonisch informiert. Thoraxchirurg und Intensivmediziner schildern der Ehefrau und der Tochter die als lebensbedrohlich einzuschätzende Lage. Die gesunde Tochter kann wegen der häuslichen Belastung ihren Vater nicht besuchen.

Bei den Revisionseingriffen an den Folgetagen zeigt sich eine Befundverschlechterung, der Defekt wird immer größer. Die Mechanik des Thorax ist instabil. Um frühzeitig über eine spätere Deckung des Defektes nachzudenken, wird die Plastische Chirurgie hinzugezogen.

Zehn Tage nach der ersten OP steigen die Retentionswerte an, so dass eine Nierenersatztherapie erwogen und im Intensivteam, mit den beteiligten Disziplinen sowie telefonisch mit Tochter und Ehefrau besprochen wird. Da die meisten eine Chance sehen, den Infekt zu beherrschen und den Sternumdefekt zu decken, wird eine Hämodiafiltration begonnen.

Nachdem auch die nächste OP eine Befundverschlechterung im Thorax zeigt, kommen in der morgendlichen Besprechung kritische Stimmen von den Pflegenden, insbesondere denen, die am Bett Herrn Beilmann versorgen. Sie halten die Prognose angesichts der Vorgeschichte und des langen Verlaufs ohne Zeichen der Besserung für sehr schlecht und zweifeln auch die Erwartungen des Plastischen Chirurgen an, den großen Defekt gedeckt zu kriegen. Aussagen wie „realitätsfremder Ehrgeiz“ und – mit Hinweis auf frühere kritische Fälle – „das kennen wir ja schon“ werden laut und führen zu Spannungen im Team.

Sechs weitere Wundrevisionen zeigen keine Besserung. Resistente Keime sind nicht in den Griff zu kriegen. Die täglichen Gesprächsrunden zwischen Ärzten und Pflegenden werden von der Frage nach dem Sinn der laufenden Therapie bestimmt. Während der Thoraxchirurg noch nicht alles verloren geben möchte, sehen die Intensivmediziner keine realistische Chance mehr für eine Wiederherstellung der Organfunktionen, insbesondere der Eigenatmung.

Als es der Tochter schließlich gelingt, begleitet von ihrem Ehemann den Vater zu besuchen, findet ein längeres Gespräch zwischen den Angehörigen, dem Chefarzt, dem Oberarzt und der Assistenzärztin sowie den aktuell zuständigen Pflegenden der Intensivstation statt. Das Intensivteam legt dar, dass es der Intensivtherapie keine Chance mehr einräumt und eine palliative Zielsetzung für angemessen hält. Eine Besserung sei nicht mehr zu erwarten. Die Tochter meint, der Vater wäre nicht bereit, die Last zu tragen, und akzeptiert die intensivmedizinische Entscheidung. Es ist ihr wichtig, dass nicht sie über das Absetzen der Therapie entscheidet, das könne sie nicht ertragen.

Es wird ihr deutlich gesagt, sie sei als Betreuerin nur gefragt, die mutmaßliche Meinung des Vaters zur Sprache zu bringen. Bei der nach ärztlicher Einschätzung mehr als zweifelhaften Indikation sei selbst das nicht mehr maßgeblich. Doch sei es wichtig, dass die Angehörigen die Entscheidung verstehen und akzeptieren können. In diesem Gespräch wird die Ehefrau vom Oberarzt angerufen, der regelmäßig mit ihr Kontakt hatte. Er teilt ihr den Beschluss mit und übergibt das Telefon an die Tochter, die ihrer Mutter die Situation nochmals erläutert. Der Thoraxchirurg kommt erst jetzt hinzu und widerspricht dem Beschluss nicht.

Vier Tage später stirbt Herr Beilmann. Die Angehörigen, die wieder in ihrem Wohnort sind, sowie der Hausarzt werden telefonisch informiert.

Problemdifferenzierung

Jeder Fall ist mehrdimensional und die Gewichte der verschiedenen Dimensionen sind von Fall zu Fall unterschiedlich (Tab. 2). Um anstehende Fragen und Konflikte bearbeiten zu können, ist es daher wichtig, zunächst zu differenzieren, um welche Dimensionen es geht, damit sie mit der jeweils adäquaten Methode bearbeitet werden können. Bei medizinischen Fragen sind medizinische Erkenntnisse und Standards zu Rate zu ziehen. Bei Rechtsfragen sind die juristischen Rahmenbedingungen zu untersuchen. Ethische Konflikte bedürfen der Klärung von Werten und deren Bedeutung für die Betroffenen. Für pflegerische Herausforderungen muss auf fachlich erarbeitete Pflegestandards zurückgegriffen werden. Kommunikationsprobleme sind mit Erkenntnissen der Kommunikationswissenschaften zu entschärfen.

Ethik
Kommunikation
Medizin
Ökonomie
Organisation
Pflege
Psyche
Recht
Soziales
Spiritualität
Technik
Tab. 2: Dimensionen in einem Fall (alphabetisch)

Nach der Differenzierung der Dimensionen eines Falls und der Klärung der aufgeworfenen Fragen muss darüber gesprochen werden, wie die Fragen gelöst werden können, unabhängig um welche Dimension es geht. Insofern geht es immer auch um Kommunikation, entsprechend der These von Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“.3

Doch ist Kommunikation auch eine eigenständige Dimension in einem Fall. Sie birgt selbst Probleme und Konflikte, unabhängig davon, was mit ihr geklärt werden soll. Kommunikation kann insuffizient oder hilfreich sein. Da die in einem multiprofessionellen Behandlungsteam Beteiligten zwar meist Experten ihres Fachs sind, aber seltener gut geschult im zwischenmenschlichen Umgang und im Kommunikationsverhalten sind, entstehen in fachlich belastenden Situationen stressbedingt zusätzlich Interaktionskonflikte, die sich verselbstständigen und ein Team zerstören können.

Anhand des Falls lässt sich zeigen, wo Kommunikation der Klärung von Fragen, Problemen und Konflikten dienen und wo sie selbst zum Problem werden kann. Daraus werden Empfehlungen abgeleitet, wie in einem Team der Umgang miteinander organisiert werden kann, um Sachfragen angemessen klären und Interaktionskonflikte minimieren zu können.

Neben den Dimensionen eines Falls (Tab. 2) muss analysiert werden, wer es mit wem zu tun hat (Tab. 3). So können Positionen und Interessen bewusst gemacht werden. Zum Verstehen kritischer Entscheidungen ist der Perspektivenwechsel hilfreich. Die Methode, sich in die Rolle des anderen hineinzudenken, hilft, unterschiedliche Meinungen besser zu begreifen.

Herr Beilmann
Ehefrau
Betreuende Tochter mit Ehemann
Hausarzt
Kardiochirurgie
Nachversorgende Klinik
Reha-Klinik
Verlegendes Notarztteam
Akutklinik
  1. Internistische Intensivstation
  2. Thoraxchirurg
  3. OP-Team
  4. Operative Intensivstation
    • Chefarzt, Oberarzt, Assistenzärztin
    • Pflegeteam
  5. Oberarzt Plastische Chirurgie
Tab. 3: Interaktionspartner im Fall (hinter den pauschal genannten Bereichen verbergen sich noch eine Vielzahl von Personen, die keine individuelle Rolle spielen)

Kommunikationsinhalte

Worüber gesprochen wird, was also inhaltlich zu bedenken ist, hängt vom jeweiligen Fall und der aktuellen Situation ab. Wie in jeder Kommunikation geht es auch hier um allgemeine Inhalte, wie begrüßen, sich bekannt machen und Informationen austauschen, sowie um spezifisch fachbezogene Inhalte. Im therapeutisch-pflegerischen Bereich nehmen die spezifischen Inhalte den größeren Raum ein. Zu ihnen gehören Klärung von Behandlungszielen, medizinischer Indikation, Patientenwillen, Erfassen von Befunden und Beobachtungen, Formulieren von Prognosen, Hoffnungen und Befürchtungen, Ausdruck von Emotionen und Belastungen, Aussagen über Möglichkeiten und Grenzen, Verdeutlichen ethischer Konflikte und Werte sowie Mitteilen und Verstehen von Therapiebeschlüssen.

Kommunikationsformen im therapeutisch-pflegerischen Arbeitsfeld

Im Umgang mit Patienten haben sich zum Teil ritualisierte Kommunikationsformen und -strukturen entwickelt, in denen einige dieser spezifischen Inhalte ihren festen Platz haben. Dazu gehören Anamnesegespräche, Visiten in stationären Einrichtungen, Aufklärungsgespräche vor Eingriffen, Erörterung von Befunden und Entlassungsgespräche.4

Ebenso haben sich Gesprächsformen etabliert, in denen Informations- und Gedankenaustausch innerhalb des Teams ihren festen Platz haben. Dazu gehören Visiten, Schicht- und Dienstübergaben, spezifische Befundbesprechungen zwischen Experten und klinisch-therapeutisch tätigen Ärzten, z. B. Röntgen- und Mikrobiologiekonferenzen, Konsile oder bereichsinterne Fortbildungen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen die trotz aller Arbeitsdichte geführten zwanglosen Gespräche in kurzen Pausen, weil sich gerade hier Emotionen und persönliche Urteile Ausdruck verschaffen.

Für das Gespräch mit Angehörigen sind solche strukturell vorgegebenen Kommunikationsformen seltener vorhanden, wenn man von den kurzen Kontakten zwischen Pflegenden und Angehörigen absieht, die sich in nicht offenen Bereichen, z. B. Intensivstationen, durch Klingeln an der Eingangstür melden müssen und zum Bett des Patienten geleitet werden. Je offener Besuchszeiten gehandhabt werden, desto mehr Gelegenheiten ergeben sich für den spontanen Gesprächskontakt meist zwischen Pflegenden und Angehörigen. Daneben sind Verständnis, Raum und Zeit nötig, Gespräche oder Konferenzen mit den Angehörigen als festen Bestandteil der Patientenversorgung zu etablieren.

Grundlagen von Kommunikation

Die hohe Zahl von Gesprächsmöglichkeiten im Team führt nicht automatisch dazu, dass die Kommunikation von den Beteiligten als gut empfunden wird. In den Urteilen über die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams stehen Klagen über insuffiziente Kommunikation und mangelnde Gesprächsbereitschaft der jeweils anderen Berufsgruppen an vorderster Stelle.5 Das liegt an den in den Kommunikationswissenschaften hinlänglich bekannten Fakten, dass eine gelungene Kommunikation sich nicht im Austausch richtiger Sachinformationen erschöpft. Die Kernthesen aus den Modellen von Schultz von Thun, Watzlawick und Rogers6 weisen darauf hin, dass in jeder Kommunikation Inhalt und Beziehung eine Rolle spielen und jeder Kommunikationspartner an der Art der Beziehung mitwirkt und durch sein Verhalten und seine Aussagen die Reaktionen der Kommunikationspartner fördert oder hindert.

Das aus familientherapeutischen Konzepten bekannte Systemmodell7 lässt sich ohne Abstriche auch auf das System Klinik, das Patienten-Therapeuten-Verhältnis, das Patienten-Pflegende-Verhältnis und die Interaktionen im Behandlungsteam übertragen.

Kommunikation im konkreten Fall

Im Verlauf des dargestellten Falls gibt es mehrere Stufen, an denen es auf eine angemessene Kommunikation besonders ankommt. Je nach Ausgestaltung kann die Versorgung von Herrn Beilmann gelingen oder von den Beteiligten als Desaster erlebt werden. Das birgt sogar die Gefahr, dass bei misslingender Kommunikation die Versorgung des Patienten gefährdet und der Krankheitsverlauf schlechter wird.

Der erste kritische Schritt ist bereits die Verlegung aus der Kardiochirurgie in die nachversorgende Klinik. Diese Verlegung erfordert ein ehrliches Gespräch auf der Basis grundlegender Absprachen, damit sie in der nachversorgenden Klinik nicht primär als Abschieben einer Komplikation aus dem Herzzentrum und als Weg interpretiert wird, dort die Statistik zu schönen.

Die kardiopulmonale Komplikation nach Aufnahme in der Rehaklinik verlangt ein sachliches Telefonat mit den Verantwortlichen in der verlegenden Klinik, um dem naheliegenden Urteil vorzubeugen, man habe unkritisch einen noch nicht rehabilitationsfähigen Patienten verlegt. Die Ergebnisse dieses Gesprächs sind an die Akutklinik weiterzugeben, weil dort zwangsläufig die Vermutung laut wird, Herr Beilmann sei inkompetent versorgt worden.

Diese Gespräche sind institutionsübergreifend nötig, um die Motive der Kardiochirurgie für die Verlegung zu verstehen und um zu klären, dass entweder der Sternuminfekt vor Verlegung in die Rehaklinik noch nicht bestand und damit Vorurteile unberechtigt sind, oder aber übersehen wurde und somit ein Fehlermanagement verlangen. Die Kenntnisse dazu sind für die letzte Klinik in der Kette auch deshalb wichtig, weil hier der bisherige Verlauf mit getroffenen Entscheidungen und möglichen Fehlern in den Gesprächen von den Angehörigen thematisiert werden. Eine gelingende Kommunikation kann auch zwischen verschiedenen Institutionen beziehungsfördernd und vertrauensbildend sein. Mangelnde Information weckt Vorurteile.

In der Akutklinik besteht zunächst bei allen Beteiligten die Hoffnung, den Infekt beherrschen und die große Wunde wieder verschließen zu können. Die Mitglieder aller Berufsgruppen und Disziplinen sind sich in der kurativen Zielsetzung einer maximalen Intensivtherapie einig, die Gespräche in der Phase daher unproblematisch. Mit der Zeit und größer werdendem Defekt sowie sich ausweitenden Organschäden tauchen Zweifel auf, typischerweise von den Pflegenden, die Herrn Beilmann direkt versorgen.8 Eine Mischung von Wissen, Erfahrung, Bauchgefühl und Vorurteilen über ärztliche Therapieeskalationen macht sich breit. Sie belastet die Zusammenarbeit auf der Station. Die Kritik wendet sich gegen Mitarbeiter der eigenen Einrichtung, Emotionen entladen sich so gegen den Oberarzt der Plastischen Chirurgie, indem vereinzelte negative Erfahrungen aus anderen Fällen auf die jetzige Situation übertragen werden.

Die Ärzte der Intensivstation schließen sich den Bedenken der Pflegenden bald an und halten die Indikation für die invasiven Maßnahmen nicht mehr für gegeben. Der Thoraxchirurg möchte noch nicht „so früh“ aufgeben. Der Plastische Chirurg hält den Defekt noch für beherrschbar, wenn auch mit aufwändigen Operationen und erst „wenn die Intensivmediziner den Patienten wieder gebessert haben“.

Da die Intensivmediziner dieses Ziel nicht mehr für erreichbar halten, erläutern sie den Angehörigen die Aussichtslosigkeit und erreichen, dass die betreuende Tochter und auch die telefonisch eingebundene Ehefrau den Beschluss verstehen und akzeptieren. Innerhalb des Intensivstationsteams wird die Therapiezieländerung9 als entlastend erlebt. Der Thoraxchirurg beklagt sich, dass er erst zum Angehörigengespräch dazu kam, als die Entscheidung schon getroffen war. Hier ist ein klärendes Gespräch nötig. Der Plastische Chirurg zieht sich zurück, als er erfährt, dass seine isolierte Dienstleistung nicht mehr erforderlich ist.

Strukturen und Regeln für die Kommunikation im Team

Auf der 10-Betten-Intensivstation der Akutklinik, auf der Herr Beilmann bis zu seinem Tod versorgt wurde, sind vor vielen Jahren Rahmenbedingungen geschaffen worden, die die Interaktion zwischen den Beteiligten erleichtern und Konflikte reduzieren sollen. Dazu gehören zwei Elemente, die zwischenmenschliche Beziehung am Arbeitsplatz und institutionalisierte Kommunikationsformen (Tab. 4). Durch wertschätzenden, achtsamen Umgang allen Teammitgliedern gegenüber wird deren Eigenverantwortlichkeit gestärkt und ihre Persönlichkeit anerkannt. Indikatoren zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz, geringe Personalfluktuation, sehr gute Bewertung von Entscheidungs-, Führungs- und Betriebskultur und hohe Bewertung der Patientenzuwendung in extern durchgeführten Befragungen belegten wiederholt den Erfolg und die positiven Auswirkungen dieses interpersonellen Arbeitsplatzfaktors.

Zwischenmenschliche ElementeStrukturelle Elemente
Partnerschaftlicher FührungsstilKommunikation fest institutionalisieren (Abteilungsbesprechungen, Teamsitzungen, Visiten, Angehörigengespräche)
Gegenseitige WertschätzungVorurteilsfreie Nacharbeit problematischer Fälle und Fehler
Anerkennung der Leistung und Kompetenz des anderen, auch des AnfängersFachliche, emotionale und ethische Dimensionen gleichgewichtig thematisieren
Anerkennung der moralischen Kompetenz aller bei kritischen Entscheidungssituationen, auch des fachlichen AnfängersWeitergabe von Informationen, Beschlüssen zu Therapiezielen und noch zu klärenden Punkten offen und nachlesbar
Bereitschaft zur SelbstkritikExterne Hilfe (Seelsorge, Ethikkomitee, Supervision) als Hilfe nutzen
Fähigkeit und Bereitschaft, sich kritisieren zu lassen
Tab. 4: Rahmenbedingungen, die in einer Abteilung die Kommunikation fördern und erleichtern

Institutionalisierte Formen von Kommunikation mit festen Zeiten ermöglichen auf niederschwelliger Ebene den Informations- und Meinungsaustausch und machen ihn planbar. Neben den Übergaben und Visiten mit den Vertretern der jeweiligen Fachdisziplin, bei denen möglichst auch die für den Patienten zuständige Pflegekraft dabei sein soll, hat sich eine tägliche Morgenbesprechung als ärztlich-pflegerische Gesprächsrunde etabliert. Verknüpft mit der ärztlichen Dienstübergabe bildet sie den Kern der multiprofessionellen Kommunikation auf dieser Station.

Alle Ärzte und Pflegende sitzen in der Runde im Arztzimmer, wo auf einem Monitor auch Befunde und Bilddokumente aufrufbar sind. Ein Zentralmonitor garantiert die Patientenüberwachung. Es werden alle Patienten besprochen und dabei das Konzept für den Tag, geplante Verlegungen, anstehende Aufnahmen sowie diagnostische und therapeutische Maßnahmen Patient für Patient zur Sprache gebracht. Hier haben Befunde, Beobachtungen, Mitteilungen aus Patienten- und Angehörigengespräche sowie Therapiezieländerungen oder Zweifel an laufenden Maßnahmen oder persönliche Betroffenheit ihren Platz. Die Regelmäßigkeit der Runde erhöht die Bereitschaft, auch schon geringe Belastungen und Zweifel zu äußern, ehe sie zu größeren Problemen angewachsen sind, und ermöglicht, aufkommende Fragen für das nächste dieser Treffen zu planen. Der Informationsgleichstand aller Beteiligten (Tab. 5) ist entlastend für die im Tagesverlauf stattfindenden Kontakte mit Patienten und Angehörigen. Wenn jeder weiß, wie es um den Patienten steht und was er weiß, kann man bei Bemerkungen des Patienten über seine Ängste auf ihn eingehen und muss sich nicht in belanglose Allgemeinplätze oder Kompensationshandlungen flüchten.

  • Welche Erkrankung hat der Patient? (Diagnose)
  • Was wurde bisher mit ihm gemacht? (Verlauf)
  • Was ist geplant? (Therapieziel, nächste Maßnahmen)
  • Was soll nicht mehr getan werden? (Therapiegrenzen)
  • Welche Risiken gibt es?
  • Was weiß der Patient über seine Krankheit?
  • Was soll er wissen?
  • Was ängstigt ihn?
  • Was freut ihn?
  • Welche Hilfen braucht er? (Brille, Hörgerät, Prothese, Assistenz)
  • Welche Gewohnheiten hat er?
  • Was gibt ihm Halt und Hoffnung? (Beziehungen, Werte)
  • Was wissen die Angehörigen über Krankheit und Prognose?
  • Was sollten sie wissen?
Tab. 5: Was jeder im Team wissen sollte

Da selten bei allen Patienten kritische Fragen bestehen, dauert diese Runde in der Regel deutlich weniger als eine Stunde. Gefasste Beschlüsse werden dokumentiert. Ist ein Problem in diesem Rahmen nicht zu klären, wird zeitnah ein Gesprächstermin vereinbart, zu dem die nötigen Teilnehmer eingeladen werden. Das gilt auch für notwendige Angehörigengespräche.

Bei abgeschlossenen Verläufen, die Fragen offen gelassen haben, wird – solange die Fakten noch gegenwärtig sind – zu einer maximal einstündigen Fallkonferenz eingeladen, die nachmittags im Konferenzraum der Station stattfindet. Zu ihr kommen bei Bedarf auch Pflegende und Ärzte anderer Stationen, die mit dem Patienten befasst waren. Die Ergebnisse werden als Lehren aus dem Fall in einem knappen, anonymisierten Ergebnisprotokoll festgehalten, das allen Mitarbeitenden zugänglich ist.

Bei aktuellen Unzufriedenheiten oder Konflikten werden rasch kleine Gesprächsrunden mit den Beteiligten, eventuell mit einem unbeteiligten Moderator terminiert. Beim abschließenden Gespräch mit den Angehörigen von Herrn Beilmann fühlte sich der Thoraxchirurg übergangen, weil er seine von den Intensivmedizinern differierende Position in dem späten Gesprächsstadium nicht mehr zur Sprache bringen konnte, ohne vor den Angehörigen Verwirrung zu erzeugen. Ein im Anschluss an das Angehörigengespräch sofort durchgeführtes Gespräch klärte, dass bei dem Besuch der Angehörigen spontan über Sinn und Sinnlosigkeit der Therapie gesprochen wurde, und wie in Zukunft ein gemeinsames Angehörigengespräch garantiert werden kann.

Die institutionalisierten Kommunikationsstrukturen allein reichen nicht, sie müssen eingebettet sein in einen achtsamen Umgang zwischen allen Teammitgliedern. In Kliniken herrscht oft noch eine unangemessene Hierarchie, die sich zwischen verschiedenen Berufsgruppen und Disziplinen sowie auch innerhalb jeder Berufsgruppe funktionsabhängig zeigt. Hierarchien sind sach- und kompetenzbasiert berechtigt und tragen dann zu einem reibungsarmen Ablauf bei. Doch darf die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe nicht per se mit einer Über- oder Unterordnung verbunden sein. Und besonders wenn es um ethische Fragen und Urteile geht, ist die Kompetenz dazu nicht an eine Berufsgruppe oder eine arbeitsvertragliche Einstufung innerhalb einer Berufsgruppe gekoppelt.10

In jeder Gesprächsrunde eines multiprofessionellen Teams muss eine Atmosphäre herrschen, die alle dazu ermutigt, Fragen zu stellen, Begründungen zu erbitten und Beobachtungen und Meinungen einzubringen. Das gilt auch für Pflegeschülerinnen und -schüler, Famulanten und ärztliche Berufsanfänger und deren Kommunikation mit Stationsleitungen und Chefärzten.

Verantwortlichkeit für gelingende Kommunikation

Sowohl gute persönliche Beziehungen als auch hilfreiche Kommunikationsstrukturen fallen nicht vom Himmel. Ein multiprofessionelles Team funktioniert wie ein System mit allen Beziehungen der Beteiligten und Abgrenzungen nach außen, das aus systemischen Modellen bekannt ist.11 Das Team ist keine statische Größe, sondern realisiert sich im täglichen Miteinander. Jeder gestaltet in diesem System die Strukturen, Prozesse und Interaktionen mit und ist so mitverantwortlich für deren Gelingen.

Zweifellos sind die Einflussmöglichkeiten auf die konkrete Ausgestaltung eines multiprofessionellen Teams unterschiedlich und hängen von der Stufe in der bestehenden Hierarchie, aber auch von der Persönlichkeit ab. Es ist sehr viel leichter, wenn auf Leitungsebene Verständnis für notwendige Strukturen und Umgangsformen und die Bereitschaft, sich selbst dementsprechend zu verhalten, bestehen, als wenn in der Hierarchie weniger einflussreiche Personen sich gegen bestehende, manchmal fest etablierte Strukturen Gehör verschaffen müssen. Abhängigkeiten mit existenzieller Bedeutung, wie befristete Verträge, können gute Ideen im Ansatz ersticken.12

Selbst wenn manche Teams verkrustet und starr wirken, können sie verändert werden. Es sollte jeder im multiprofessionellen Team kompetent und mutig genug sein, Fragen zu stellen und um Begründungen von Entscheidungen zu bitten. Damit kann ein Denkprozess angeregt werden, der sich nach und nach positiv auf den Umgang miteinander und die Kommunikationskultur auswirkt. Als externe Hilfe haben sich Ethikberatungen im Gesundheitswesen etabliert, die ebenfalls zu einer dem Patienten, den Angehörigen und den Mitarbeitenden angemessenen Interaktion beitragen. Wenn – hoffentlich selten – nur personelle Änderungen in einem Team eine positive Entwicklung ermöglichen, muss auch das achtsam erwogen und umgesetzt werden.

Referenzen

  1. Salomon F., Ziegler A., Moral und Abhängigkeit. Ethische Entscheidungskonflikte im hierarchischen System Krankenhaus, Ethik Med (2007);19:174-186
  2. Name geändert, Fall anonymisiert
  3. Die Axiome von Paul Watzlawick, www.paulwatzlawick.de/axiome.html (letzter Zugriff am 08. 09. 2014)
  4. Rockenbauch K., Decker O., Stöbel-Richter Y. (Hrsg.), Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis, Pabst Science Publishers, Lengerich (2006)
  5. Haynert H., Salomon F., Kommunikation im Team als Voraussetzung gemeinsam getragener Entscheidungen, in: Salomon F. (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin, 2. Aufl., Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin (2012), S. 231-240
  6. Rockenbauch K., Decker O., Stöbel-Richter Y. (Hrsg.), siehe Ref. 4
  7. Von Schlippe A., Schweitzer J., Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (Erstauflage 1996, völlig überarbeitet und erweitert 2012)
  8. Haynert H., Salomon F., siehe Ref. 5
  9. Janssens U. et al., Therapiezieländerung und Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin – Positionspapier der Sektion Ethik der DIVI, DIVI (2012); 3: 103-107
  10. Salomon F., Ziegler A., siehe Ref. 1
  11. Von Schlippe A., Schweitzer J., siehe Ref. 7
  12. Salomon F., Ziegler A., siehe Ref. 1; Gommel M., Erst kommt das Fressen, dann die Moral – Geordnete Arbeitsverhältnisse als Voraussetzung, sich mit ethischen Fragen angemessen zu befassen, in: Salomon F. (Hrsg.), Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin, 2. Aufl., Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin (2012), S. 51-55

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. med. Fred Salomon
Chefarzt a. D. Anästhesie
Tulpenweg 21, D-32657 Lemgo
salomon-jf(at)t-online.de
www.ethik-salomon.de

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: