Patientenverfügung vs. Vorsorgevollmacht - ein Erfahrungsbericht

Imago Hominis (2016); 23(4): 235-242
Maria Kletečka-Pulker, Katharina Leitner

Zusammenfassung

Wie eine Studie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin gezeigt hat, geben nur 4,1 Prozent der österreichischen Bevölkerung an, eine Patientenverfügung für sich errichtet zu haben, 2 Prozent eine Vorsorgevollmacht. Die geringe Inanspruchnahme ist einerseits auf den mit der Errichtung der Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwand zurückzuführen, andererseits erheben viele Patienten den Anspruch auf die Maximalversorgung. Weiters zeigt die Studie, dass viele Angehörige der Gesundheitsberufe mangelndes Wissen über die genannten Instrumente aufweisen. Eine Novelle zum PatVG greift die Ergebnisse der Studie nun auf und soll die Errichtung und Anwendung von Patientenverfügungen erleichtern.

Schlüsselwörter: Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Selbstbestimmung

Abstract

A study by the Institute of Ethics and Law in Medicine shows that only 4,1 percent of the Austrian population has an advance directive, while only 2 percent have a health care proxy. A lot of people do not use these instruments of self-determination because, on the one hand, a large amount of time and money is needed for their establishment and, on the other hand, they do not want to reject any medical treatment in advance. The study also revealed that health professionals displayed a lack of knowledge regarding advance directives and health care proxies. An amendment to the advance directive law incorporates the results of the study and aims at simplifying the process of making and using an advance directive.

Keywords: advance directive, health care proxy, self-determination


1. Einleitung

Der Gesetzgeber räumt dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten den Vorrang zugunsten einer möglichen Fürsorgepflicht ein. Der Wille des Patienten steht im Mittelpunkt und ist maßgeblich für alle Interventionen im medizinischen Bereich.1 Der Patient hat die Möglichkeit, sowohl aktuell als auch antizipiert Behandlungen abzulehnen, und zwar auch dann, wenn diese Behandlungen lebenserhaltend wären.

2006 hat der österreichische Gesetzgeber wichtige Instrumente zur Selbstbestimmung rechtlich verankert. Mit dem Ziel, Regelungen zu schaffen, welche es dem Patienten ermöglichen, eine antizipierte Entscheidung für den Fall, dass er nicht mehr selbst entscheiden kann, zu treffen, hat der Gesetzgeber das Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG)2 geschaffen und die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten in den §§ 284f–h ABGB geregelt.

Ist ein Patient nun nicht mehr einsichts- und urteilsfähig und liegt auch kein Notfall vor, muss zunächst geprüft werden, ob der Patient für diesen Fall vorgesorgt hat.3 Das in der Bevölkerung bekanntere und mit 4,1 Prozent häufiger genutzte Instrument als die Vorsorgevollmacht (2 Prozent) ist die Patientenverfügung.4 Dabei handelt es sich um eine Willenserklärung, mit der ein Patient eine bestimmte medizinische Behandlung ablehnt, die dann wirksam werden soll, wenn er im Zeitpunkt der Behandlung nicht einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig ist (§ 2 Abs 1 PatVG). Die Patientenverfügung kann nur zur punktuellen Durchsetzung der Selbstbestimmung genutzt werden (z. B. Ablehnung von bestimmten Behandlungsmaßnahmen oder Medikamenten) und die abgelehnte Maßnahme muss konkret beschrieben sein. Umfassender kann die Selbstbestimmung durch das Instrument der Vorsorgevollmacht antizipiert werden. Eine Vorsorgevollmacht ist eine Vollmacht, die dann wirksam werden soll, wenn der Vollmachtgeber die zur Besorgung der anvertrauten Angelegenheiten erforderliche Geschäftsfähigkeit, Einsichts-, Urteils- oder Äußerungsfähigkeit verliert (§ 284f Abs 1 ABGB). Der Patient kann in einer Vorsorgevollmacht eine oder mehrere Personen festlegen, die für ihn u. a. in Gesundheitsangelegenheiten entscheiden.5 Ist ein Patient nicht mehr einsichts-, urteils- oder äußerungsfähig und gibt es einen Vorsorgebevollmächtigten, so hat dieser gemäß dem Willen des Vollmachtgebers (Patienten) zu handeln und in eine medizinische Maßnahme einzuwilligen oder diese abzulehnen (§ 284h ABGB). Bei Bestehen eines Vorsorgebevollmächtigten ist die Bestellung eines Sachwalters in diesen Angelegenheiten unzulässig (§ 268 Abs 2 ABGB). Lediglich für den Fall, dass der Bevollmächtigte nicht im Sinn des Bevollmächtigungsvertrages bzw. im Sinn des Patienten handelt, kann ein Antrag auf Sachwalterschaft gestellt werden (§ 284g ABGB).

Hat der Patient keine antizipierte Willenserklärung abgegeben und verliert er seine Einsichts-, Urteils- oder Äußerungsfähigkeit, so ist jedenfalls ein Sachwalter zu bestellen, wenn Entscheidungen über größere medizinische Eingriffe getroffen werden müssen (§§ 268 ff ABGB). Um künftig in diesen Fällen dem Willen des Betroffenen noch besser Rechnung tragen zu können, ist eine umfassende Novelle des Sachwalterrechts in Vorbereitung. Der Sachwalter soll künftig durch einen Erwachsenenschutzvertreter ersetzt werden, der eine unterstützungsbedürftige volljährige Person betreut.6

Weiters ist eine Novelle des PatVG geplant, um u. a. den Forderungen der Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens", die 2014 konstituiert und 2015 abgehalten wurde, zu entsprechen.7 Zentrale Punkte der Novellierung betreffen die zeitliche Verlängerung der verbindlichen Patientenverfügung sowie die Registrierung von Patientenverfügungen in ELGA. Zudem soll die Errichtung und Erneuerung von Patientenverfügungen erleichtert werden. Die geplanten Änderungen des PatVG sowie des Sachwalterrechts durch das 2. ErwSchG sind aufeinander abgestimmt. Die Erläuterungen zur PatVG Novelle nehmen u. a. Bezug auf die vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin (IERM) im Jahr 2014 abgeschlossene Studie zur Evaluierung des PatVG. Dies gibt Anlass, im Folgenden die Ergebnisse dieser Studie kurz darzustellen und die darin aufgezeigten Verbesserungsvorschläge, auf die nun auch der Gesetzgeber Bezug nimmt, vorzustellen.

2. Ergebnisse der Studie8

2.1 Bekanntheit und Inanspruchnahme von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung

4,1 Prozent der in Österreich lebenden Personen gaben im Jahr 2014 an, eine (verbindliche oder beachtliche) Patientenverfügung für sich errichtet zu haben, 2 Prozent eine Vorsorgevollmacht. Im Vergleich zu 2009 sind diese Zahlen konstant geblieben, die Bekanntheit der Patientenverfügung ist jedoch gestiegen.9 2014 hatten nur 24 Prozent der im Rahmen der repräsentativen Telefonumfrage befragten Personen noch nicht von der Möglichkeit gehört, eine Patientenverfügung zu errichten, 67 Prozent hatten noch nie von der Vorsorgevollmacht gehört. Trotz des Informationsrückstandes planen jedoch mehr Personen in den nächsten Jahren eine Vorsorgevollmacht als eine Patientenverfügung zu errichten. Begründet wird dies damit, dass der Vorsorgebevollmächtigte in der konkreten Situation entscheiden könne, während bei der Patientenverfügung die Ablehnung medizinischer Maßnahmen im Vorhinein schriftlich erfolgen muss.

2.2 Gründe für die Errichtung

Eine Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht errichten vor allem jene Personen, die persönliche Erfahrungen mit „unwürdigem Sterben" Angehöriger oder nahestehender Personen gemacht haben. Die Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht soll verhindern, dass sie ein ähnliches Schicksal erleiden wie Angehörige, von denen sie angeben, diese über Monate oder Jahre in einer Krankenanstalt „leiden" gesehen zu haben, ohne Hoffnung auf Besserung des Zustandes. Auch viele Angehörige der Gesundheitsberufe errichten eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht, weil sie nach eigener Angabe in ihrem Beruf viele „Schicksale" miterleben und daher für den eigenen Ernstfall vorsorgen wollen.

Als Hauptgrund für die Errichtung einer Patientenverfügung wurde im Rahmen der repräsentativen Telefonumfrage die Selbstbestimmung angegeben. Weitere 31 Prozent der Befragten gaben an, niemandem zur Last fallen zu wollen.

2.3 Gründe für die Nicht-Errichtung

Ist die Selbstbestimmung das häufigste genannte Argument für die Errichtung einer Patientenverfügung, so zeigt sich, dass die meisten der Befragten (49 Prozent) angaben, dass sie keine Patientenverfügung hätten, weil immer alles medizinisch Mögliche für sie getan werden solle. Dieses Ergebnis lässt die Zahl von 4,1 Prozent der Bevölkerung, die eine Patientenverfügung errichtet haben, unter einem anderen Licht erscheinen. Viele Österreicher sind zwar über die Möglichkeit zur Errichtung einer Patientenverfügung informiert, wollen aber bewusst keine Patientenverfügung, weil sie keine medizinische Behandlung ablehnen möchten bzw. Anspruch auf Maximalversorgung erheben.

Weitere Gründe, warum Patienten keine Patientenverfügung errichten, sind ein als zu hoch empfundener zeitlicher Aufwand sowie die anfallenden Kosten. Die Statistik zeigt deutlich, dass die Tatsache, dass jemand eine Patientenverfügung errichtet hat, auch mit soziodemographischen Faktoren wie Alter, Ausbildung und Einkommen zusammenhängt. Personen, die angeben, über weniger als 1.250 EUR monatliches Haushaltsnettoeinkommen zu verfügen, haben deutlich weniger oft (2-3 Prozent) eine Patientenverfügung errichtet, als Personen, die in Haushalten leben, die bis zu 2.000 EUR monatliches Haushaltsnettoeinkommen zur Verfügung haben (4 Prozent) oder jenen, die bis zu 5.000 EUR monatliches Haushaltsnettoeinkommen vorweisen können (7 Prozent).

Auch die Gründe für die Nicht-Errichtung einer Vorsorgevollmacht sind ähnlich gelagert. Die Mehrheit der Personen, die keine Vorsorgevollmacht hat, gab an, der Errichtungsprozess sei zu zeitintensiv und zu aufwändig.

2.4 Information auf Seiten der Angehörigen der Gesundheitsberufe

Viele Angehörige der Gesundheitsberufe weisen eine Wissenslücke bezüglich der Instrumente zur Selbstbestimmung auf. Wenngleich die Vorsorgevollmacht mehr davon betroffen ist als die Patientenverfügung, können viele Angehörige der Gesundheitsberufe nur sehr wenig Wissen über Patientenverfügungen vorweisen, und es hatten die meisten der im Rahmen der Studie befragten Angehörigen der Gesundheitsberufe auch noch nie mit einer Patientenverfügung zu tun. Dies bestätigt auch eine Studie der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), bei der 139 Leiter österreichischer Intensivstationen befragt wurden. 30 Prozent gaben an, noch nie eine Patientenverfügung als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung gehabt zu haben, nur 10 Prozent der Befragten hatten bereits mit über zehn Patientenverfügungen zu tun.10

Während in Einzelfällen Angehörige der Gesundheitsberufe gar nicht wissen, was eine Patientenverfügung ist, ist den meisten der Begriff geläufig und herrschen auch Vorstellungen davon, worum es sich dabei handelt. Es treten allerdings Unsicherheiten auf, wenn es um die Unterscheidung von verbindlicher und beachtlicher Patientenverfügung geht oder um den Errichtungsvorgang.

Angehörige der Gesundheitsberufe erkennen eine verbindliche eher als eine beachtliche Patientenverfügung. Viele wissen um die Formalkriterien der verbindlichen Patientenverfügung und übersehen deshalb, dass auch Patientenverfügungen, die nicht alle Formalkriterien erfüllen, als beachtliche Patientenverfügungen für die Entscheidungsfindung relevant sind. Dies führt dazu, dass z. B. eine Patientenverfügung, die zwar konkret formuliert, allerdings nicht bei Notar/Rechtsanwalt oder Patientenanwaltschaft errichtet wurde, gar nicht herangezogen und als „nichtig" erachtet wird. Hierbei spielt auch die Angst vor rechtlichen Konsequenzen aufgrund „falschen" Handelns eine zentrale Rolle. Weil die Ärzte oder Pflegepersonen Angst vor rechtlichen Konsequenzen bei Beachten einer nicht-verbindlichen Patientenverfügung haben, wird diese „zur Vorsicht" nicht beachtet.

Genau konträr gestaltet sich die Situation bei Angehörigen der Gesundheitsberufe, die auf Palliativstationen arbeiten oder regelmäßig Patientenverfügungen errichten. Diese gaben in den Gesprächen oftmals zu bedenken, dass die Form der Patientenverfügung nicht so wichtig sei, sondern der klar formulierte Inhalt das sei, was zähle. Viele raten ihren Patienten sogar aufgrund der Kosten oder weil Unsicherheit in der exakten Formulierung besteht, lediglich eine beachtliche Patientenverfügung zu errichten.

2.5 Patientenverfügung als Bringschuld

Patienten, die eine Patientenverfügung für sich errichtet haben, trifft derzeit eine Art „Bringschuld": Sie müssen dafür Vorsorge treffen, dass ihre Patientenverfügung den Adressaten (z. B. behandelnden Arzt) tatsächlich erreicht. In der Regel wird bei der Aufnahme in eine Krankenanstalt nicht aktiv nach einer Patientenverfügung gefragt, sondern diese erst dann zur Kenntnis genommen, wenn Angehörige des Patienten darauf aufmerksam machen. Diese Praxis ist insofern problematisch, als Patienten, die eine Patientenverfügung errichtet haben, erwarten, dass diese auch von den Ärzten zur Kenntnis genommen wird. Zwar wissen die meisten, dass sie eine Bringschuld trifft, glauben diese aber mit dem Deponieren der Patientenverfügung bei den Angehörigen bzw. durch das Mitführen einer Hinweiskarte erbracht zu haben. Diese Problematik wird noch verschärft, wenn die Patienten ihre Patientenverfügung in eines der beiden bestehenden Register eintragen haben lassen. Sie gehen dann davon aus, dass das Register in Krankenanstalten eingesehen wird, was in der Praxis jedoch nicht geschieht und wozu auch keine rechtliche Verpflichtung besteht. Die Novellierung des PatVG sieht vor, dass die Patientenverfügungen zukünftig mittels ELGA abrufbar sind, was die genannte Problematik entschärfen würde.

3. Judikatur zur Patientenverfügung

Der OGH hatte sich bisher nur sehr selten mit der Patientenverfügung auseinanderzusetzen. Im Jahr 2008 bekräftigte er die Geltung der verbindlichen Patientenverfügung, auch wenn die darin festgehaltene Ablehnung vitale Folgen nach sich zieht.11 Zur verbindlichen Patientenverfügung stellte er 2014 zudem fest, dass diese den Arzt in gleicher Weise binde, wie eine aktuelle Behandlungsentscheidung des Patienten und dass es daher auch keiner Sachwalterbestellung bedarf.12

Während der OGH die Verbindlichkeit der verbindlichen Patientenverfügung also betont, hat er mit seiner Entscheidung 9 Ob 68/11g im Jahr 2012 die beachtliche Patientenverfügung erheblich geschwächt.13 Er stellte zunächst fest, dass die Bestellung eines Sachwalters bei Vorliegen einer beachtlichen Patientenverfügung nicht ausgeschlossen werden kann, wie dies nach § 268 Abs 2 ABGB bei verbindlichen Patientenverfügungen der Fall ist. Der bestellte Sachwalter habe dann zwar „die beachtliche Patientenverfügung in Bezug auf die medizinische Behandlung zur Erforschung des mutmaßlichen Parteiwillens ins Kalkül zu ziehen" und er sei an den „in einer bloß beachtlichen Patientenverfügung verankerten mutmaßlichen Willen des Patienten als Richtschnur und Orientierungshilfe gebunden". Allerdings, so stellt der OGH fest, komme weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. „Vielmehr haben sie unter Beachtung der beachtlichen Patientenverfügung über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden. Ist nur einer von ihnen für die Lebenserhaltung, hat diese Vorrang."14

Diese in der Literatur15 sehr kritisch diskutierte Entscheidung ist, wie Ganner es ausdrückt, „für all jene, die glaubten, dass das PatVG der Selbstbestimmung betroffener Personen zur besseren Durchsetzung verhilft, ernüchternd".16 Im Lichte der angeführten Ergebnisse der Studie ist die Entscheidung umso mehr zu kritisieren. Weisen Angehörige der Gesundheitsberufe ohnehin schon Unsicherheiten auf, was das Heranziehen von
beachtlichen Patientenverfügungen betrifft, werden diese durch die Entscheidung noch verstärkt.

4. Patientenverfügung und Notfall

Gemäß § 12 PatVG lässt das PatVG die medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.17 Angehörige von Patienten bzw. Mitarbeiter von Alten- oder Pflegeheimen rufen oftmals in Sterbesituationen, die vorhersehbar waren und in denen aufgrund einer Patientenverfügung medizinische Maßnahmen nicht mehr vorzunehmen sind, die Rettung bzw. den Notfallmediziner, weil sie sich mit der Sterbesituation überfordert fühlen. Nehmen Rettungssanitäter, die aufgrund von § 12 PatVG in einer solchen Situation die Verbindlichkeit der Patientenverfügung nicht überprüfen können und müssen, Wiederbelebungsmaßnahmen vor, sehen die Angehörigen das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzt, haben dann jedoch keine Möglichkeit mehr, die vom Patienten nicht gewünschte Behandlung zu verhindern. Umfassende Informationen an Angehörige und Pflegepersonen, die Patienten daheim oder in einem Pflegeheim ohne durchgängige Arztpräsenz betreuen oder entsprechende Unterstützung für einen individuellen Notfallplan, der z. B. eine nicht gewollte Spitalseinweisung verhindert, wären hier wünschenswert.

5. Rechtzeitige Kommunikation als zentrales Element der Selbstbestimmung („Vorsorgedialog")

Es zeigt sich, dass trotz Vorliegens einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sehr viel Kommunikationsbedarf zwischen den Patienten, deren Vertrauenspersonen und den Mitarbeitern der Gesundheitsberufe notwendig ist. Dieser Kommunikationsbedarf beginnt bei der „Bringschuld" der Patientenverfügung und erstreckt sich über Situationen, die eventuell nicht von der Patientenverfügung gedeckt sind oder mit denen Vertrauenspersonen oder Angehörige trotz Vorliegens des Patientenwunsches mittels Patientenverfügung nicht einverstanden sind. So kommt es nach Aussagen von Ärzten, Pflegepersonen, aber auch von Patienten, die eine Patientenverfügung errichtet haben, dazu, dass die Beteiligten trotz Vorliegen einer verbindlichen Patientenverfügung im Ernstfall nicht wissen, was zu tun ist. Das bloße Vorliegen und Bekanntsein einer Patientenverfügung oder die Anwesenheit eines Vorsorgebevollmächtigten alleine reichen oftmals nicht aus, um die Selbstbestimmung der Patienten bestmöglich zu gewährleisten. Vielmehr äußerten sich im Rahmen der Studie sowohl die Angehörigen der Gesundheitsberufe als auch die Patienten dahingehend, dass Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht Teil eines größeren „Vorsorgedialoges" sein sollten, in dessen Rahmen unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten, Vorgehensweisen und Szenarien besprochen und der Patient, dessen Angehörige, aber auch die Angehörigen der Gesundheitsberufe darauf vorbereitet werden. Aus der Erhebung des IERM geht hervor, dass die Beteiligten sich wünschen, diesen Dialog über einen längeren Zeitraum zu führen und dass dieser vom niedergelassenen Arzt initiiert wird, wenn der Patient noch gesund ist.

Die Idee dieses Vorsorgedialogs ist derzeit in zweifacher Hinsicht relevant. Einerseits sieht das 2. ErwSchG vor, dass volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind, möglichst selbständig, erforderlichenfalls mit entsprechender Unterstützung, am rechtlichen und geschäftlichen Verkehr teilnehmen können sollen (§ 240 ABGB neu). Eine solche Unterstützung kann insbesondere durch die Familie, andere nahe stehende Personen, Gruppen von Gleichgestellten, Beratungsstellen, im Rahmen eines betreuten Kontos oder eines Vorsorgedialogs geleistet werden (§ 241 Abs 3 ABGB neu). Die Erläuterungen halten dazu fest, dass unter dem Vorsorgedialog eine strukturierte Form eines Vorsorgegesprächs nach Übersiedlung in eine Einrichtung oder am Beginn von längeren Krankenhausaufenthalten verstanden wird.18

Andererseits hat eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Hospiz Österreich 2015 ein Instrument für die Alten- und Pflegeheime entwickelt, das den Willen des Patienten für krisenhafte Situationen frühzeitig und kontinuierlich erkunden und dokumentieren soll. Konkret wurden unter dem Begriff „Vorsorgedialog" ein Gesprächsleitfaden, ein Dokumentationsbogen und Erläuterungen verfasst, die einen strukturierten Kommunikationsprozess ermöglichen sollen.19 Der Vorsorgedialog in Alten- und Pflegeheimen ist ein strukturiertes Gespräch, an dem der Patient, eventuelle gesetzliche Vertreter und das Betreuungsteam teilnehmen und das dazu dient, den Willen des Patienten zu eruieren und zu dokumentieren. Die rechtliche Einordnung dieses Gesprächs ist maßgeblich von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten abhängig. Ist der Patient zum Zeitpunkt der Führung des Vorsorgedialogs einsichts- und urteilsfähig, kommt eine Qualifizierung des geäußerten Willens als beachtliche Patientenverfügung20 oder als aktuelle Willenserklärung in Frage, wodurch der geäußerte Wille jedenfalls rechtlich verpflichtend ist. Der im Rahmen des Vorsorgedialogs geäußerte und dokumentierte Wille ist jedenfalls keine verbindliche Patientenverfügung im Sinne der PatVG, da die in § 6 Abs 1 PatVG vorgesehenen Formvorschriften nicht erfüllt werden. Ist der Patient nicht einsichts- und urteilsfähig, scheidet sowohl die Qualifizierung als aktuelle Willenserklärung als auch als Patientenverfügung aus (§ 3 PatVG). Der Vorsorgedialog kann dann als Dokumentation des mutmaßlichen Patientenwillens gesehen werden und dient den Behandlern als Richtschnur und Orientierungshilfe.

6. Conclusio

Obwohl die Möglichkeit der Errichtung einer Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht in der Bevölkerung relativ bekannt ist und vor allem im Vergleich zu 2009 stark zugenommen hat, sind die Zahlen der tatsächlich errichteten Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten konstant niedrig. Die Gründe für die Nicht-Errichtung hängen mit gewissen Hürden zusammen, die für alle an der Errichtung teilnehmenden Personen spürbar sind. Neben Unsicherheiten, was den Errichtungsvorgang betrifft, wird dieser als zu zeit- und ressourcenintensiv empfunden. Die derzeit vorbereitete Novelle zum PatVG soll den Errichtungsvorgang zwar erleichtern, ob die Zahlen der Errichtungen jedoch zunehmen, bleibt abzuwarten. Dies vor allem deshalb, weil die hier vorgestellte Studie gezeigt hat, dass ein großer Teil der Bevölkerung den Anspruch auf die Maximalversorgung erhebt und antizipiert keine medizinischen Behandlungen ablehnen möchte.

Sind die genannten Schritte von der Information bis zur Errichtung nach den Regeln des Gesetzes erfolgt, erwarten die meisten Patienten, ihren in der Patientenverfügung festgehaltenen Wunsch nach Ablehnung bestimmter medizinischer Maßnahmen erfüllt zu bekommen. Da die Patientenverfügung derzeit jedoch eine Bringschuld darstellt, erfahren viele Behandler gar nicht vom Vorliegen einer solchen. Zudem werden vor allem jene Patienten enttäuscht, die sich für eine beachtliche Patientenverfügung entschieden haben. Viele Angehörige der Gesundheitsberufe erkennen eine beachtliche Patientenverfügung nicht als solche, und durch die Entscheidung des OGH aus 2012 wurde diese auch noch erheblich geschwächt. Dieses Problem kann teilweise durch die in der Novelle angedachte Zurverfügungstellung der Patientenverfügungen in der ELGA entschärft werden, das Wissen und die Haltung der Angehörigen der Gesundheitsberufe können jedoch nicht durch eine Gesetzesnovellierung gelöst werden. Vielmehr muss beständige und strukturierte Kommunikation (Stichwort Vorsorgedialog) sowie eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Sterben dazu führen, dass das vorgesehene Recht auf Selbstbestimmung tatsächlich gewährleistet werden kann.

Referenzen

  1. siehe dazu ausführlich Schmoller K., Lebensschutz bis zum Ende? ÖJZ 2000, 373; Kopetzki C., Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten, iFamZ 2007, 197; Bernat E., Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht bei einwilligungsunfähigen Patienten, JBl 2009, 129
  2. BGBl I 2006/55
  3. Kletečka-Pulker M., Neue Formen der Selbstbestimmung, J Hyperton 2010/4, S. 12
  4. Kletečka-Pulker M., Körtner U., Kaelin L., Kopetzki C., Leitner K., Rechtliche Rahmenbedingungen und Erfahrungen bei der Umsetzung von Patientenverfügungen, Folgeprojekt zur Evaluierung des Patientenverfügungsgesetzes (PatVG) (2014)
  5. Ein Musterformular für eine Vorsorgevollmacht ist abrufbar unter: www.help.gv.at/Portal.Node/hlpd/public/content/290/Seite.2900207.html (letzter Zugriff am 1.11.2016).
  6. Bundesgesetz, mit dem das Erwachsenenvertretungsrecht und das Kuratorenrecht im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt werden und das Ehegesetz, das Eingetragene Partnerschaft-Gesetz, das Namensänderungsgesetz, das Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten, das Außerstreitgesetz, die Zivilprozessordnung, die Jurisdiktionsnorm, das Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretungsgesetz, das Unterbringungsgesetz, das Heimaufenthaltsgesetz, die Notariatsordnung, die Rechtsanwaltsordnung, das Gerichtsgebührengesetz und das Gerichtliche Einbringungsgesetz geändert werden (2. Erwachsenenschutz-Gesetz – 2. ErwSchG).
  7. siehe dazu www.parlament.gv.at/PERK/NRBRBV/NR/PARLENQU/PEKWUERDE/ (letzter Zugriff am 1.11.2016)
  8. Die Gewinnung der Ergebnisse erfolgte mittels quantitativer und qualitativer Methoden. Quantitativ erfolgte im März 2014 eine repräsentative Telefonumfrage unter der in Österreich lebenden Bevölkerung, wobei 1.022°Personen befragt wurden. Zudem wurden Fragebogenerhebungen nach Informationsveranstaltungen zum Thema „Selbstbestimmung" durchgeführt. Qualitativ wurden halbstandardisierte Interviews mit 54 Personen (Ärzte, DGKS, Patienten, Rechtsanwälte, Notare, Rettungssanitäter, Seelsorger) in einer Dauer von je 30 bis 60 Minuten geführt. Zudem fand einer Fokusgruppenerhebung mit insgesamt 30 Teilnehmern statt.
  9. Körtner U., Kopetzki C., Kletečka-Pulker M., Inthorn J., Studie über die rechtlichen, ethischen und faktischen Erfahrungen nach In-Kraft-Treten des Patientenverfügungs-Gesetzes (PatVG), (2009)
  10. Ulhir C., Die Patientenverfügung in der Intensivmedizin, MedMedia – Medical Opinion Network, Klinik OP 02/09
  11. OGH 7.7.2008, 6 Ob 286/07p, RdM 2009/119
  12. OGH 17.9.2014, 6 Ob 147/14g
  13. OGH 8.10.2012, 9 Ob 68/11g
  14. ebd.
  15. Bernat E., Sterbehilfe und Sachwalterrecht. Zugleich eine Besprechung des Beschlusses des OGH v 8.10.2012, 9 Ob 68/11g, EF-Z 2013, 5; Kopetzki C., Behandlungsabbruch durch Sachwalter – keine gerichtliche Genehmigung, RdM 2013/74; OGH 8.10.2012, 9 Ob 68/11g Zak 2012/762 (Kletečka A.) = EvBl 2013/60 (Pfurtscheller B.).
  16. Ganner M., Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bedarf keiner gerichtlichen Genehmigung, iFamZ 2013/14.
  17. siehe dazu Leitner K., Patientenverfügung: Ein Instrument auch für die Notfallmedizin? ÖGERN (Hrsg.), Notfallmedizin am Lebensende (2016), S. 83
  18. 222/ME 25. GP Erläut 18
  19. Hospiz Österreich, Der Hospiz und Palliative Care Vorsorgedialog. Vorausschauende Planung in Alten- und Pflegeheimen in Österreich, Stand 17.8.2016 (unveröffentlichte Version).
  20. Halmich qualifiziert den VSD als beachtliche Patientenverfügung. Halmich M., Rechtssicherheit durch Vorsorgedialog? Antworten zur Verbindlichkeit für Pflegepersonal, Sanitäter und (Not)Ärzte, in: ÖGERN (Hrsg.), Notfallmedizin am Lebensende (2016), S. 103 (109)

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