Zum britischen Fall der sog. IVF-"Rettungsgeschwister"

Die britische „Human Fertilisation and Embryology Authority“ (HFEA) hat Ende Februar 2002 erstmals einem Ehepaar aus Leeds die Erlaubnis erteilt, mittels künstlicher Befruchtung (IVF) und Präimplantationsdiagnostik (Suche nach einem Embryo, der die gewünschten Merkmale aufzeigt) einen menschlichen Embryo zu erzeugen, der als Zellspender für ein krankes Geschwisterkind dienen soll ("Rettungsgeschwister"). Das Kind leidet an Thalassaemia major und kann nach Meinung der behandelnden Ärzte nur durch eine Knochenmarktransplantation gerettet werden. Trotz monatelanger Suche fand sich aber kein geeigneter Spender. Nun soll die Heilung mittels Stammzellen aus dem Nabelschnurblut eines geeigneten Geschwisterchens versucht werden.

Lobenswert ist dabei die Anteilnahme am leidvollen Schicksal des schwerkranken Kindes und der Eltern, wie auch die Bereitschaft, bis an die Grenze der Möglichkeiten alles zu versuchen, um das Leben des kleinen Jungen zu retten. Die konkrete Entscheidung ist aber in höchstem Maße bedauerlich. Eine moralische Grenze, welche die Menschenwürde und das Recht auf Lebensschutz markieren, wird dabei mehrfach überschritten. Die Therapie, die hier gewählt wurde, erfordert es, mehrere Embryonen zu erzeugen und zu verwerfen, bis die gefunden werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit die gewünschten Stammzellen produzieren. Die „heilenden“ Embryonen, die man schließlich in die Gebärmutter transferiert, werden total instrumentalisiert: denn sie verdanken ihre Überlebenschance ganz allein der Tatsache, dass sie die für die Produktion des heilenden Knochenmarkes notwendigen Merkmale aufweisen. Alle anderen Embryonen, d.h. jene, die diese Merkmale nicht vorweisen können, werden eliminiert. Für die Heilungshandlung wurden also völlig unverhältnismäßige Mittel gewählt: die Erzeugung, Selektion und Vernichtung von menschlichen Embryonen. Das bedeutet einen schweren Rückschlag in Hinblick auf den Schutz von Menschenwürde und Menschenrechte.

Bedauerlich ist weiter, dass man in der Öffentlichkeit unter dem Mantel des Mitleids für die betroffenen Familie pseudomoralische Rechtfertigungen präsentiert, die zwar keiner echten Prüfung standhalten, aber große Verwirrung stiften und einer weiteren Verrohung der Sitten Vorschub leisten. So wurde z. B. argumentiert, dass auch bei der gesetzlich erlaubten In-Vitro-Fertilisation, in der es um die Wunscherfüllung der Eltern nach einem eigenen Kind geht, übriggebliebene Embryonen vernichtet werden. Diese Erfüllungshandlung sei gewiss nicht höherwertig einzustufen als die Heilung eines lebenden Kindes. Wer also IVF zulässt, könne konsequenterweise gegen diese therapeutische Erzeugung von Designer-Babys keine ethische Bedenken haben. Diese Argumentation scheint in sich schlüssig zu sein. Aber die richtige Konsequenz, die zunächst daraus gezogen werden muss, lautet: IVF ist auf jeden Fall unmoralisch, solange Embryonen übrig bleiben und getötet werden müssen.

Viele Probleme, die der Fortschritt der Biotechnologie aufgeworfen hat, wie z. B. therapeutisches Klonen, embryonale Stammzellen, Versuche mit Embryonen und jetzt die Erzeugung von Menschen unter einer bestimmten Hinsicht, quasi als "Heilmittel", sind dadurch entstanden, dass durch die künstliche Befruchtung der Mensch selbst für andere Menschen auf eine Weise verfügbar wird, die auf jeden Fall seine Würde verletzt. Bei der Einführung der IVF-Gesetze in den 1980er Jahren wurde beteuert, dass es nur um die Erfüllung des Kinderwunsches leidender Paare gehe. Man hat ausgeschlossen, dass IVF für Versuche mit Embryonen oder zur Erzeugung von Designer-Babys zugelassen würde. Heute sind die Versuche mit Embryonen in vielen Ländern bereits erlaubt. Die HFEA betont, dass von einer Zulassung der Designer-Babys noch keine Rede sein kann, weil die Erlaubnis nur auf ganz wenige schwerwiegende Fälle beschränkt bleiben wird. Wenn die Gesellschaft nicht einsieht, dass der Rubikon schon mit der IVF überschritten wurde, und sie nicht bereit ist, auf IVF endgültig zu verzichten, wird sie wie bisher die jeweiligen moralischen Grenzen Schritt um Schritt weiter verschieben müssen. Auch dies hat der Fall des Designer-Babys klar gezeigt.

Die Ethik-Kommission des IMABE-Instituts ist ein Ausschuss des Instituts, der ad-hoc einberufen wird, wenn es aktuelle Fragen erforderlich machen. Sie ist mit Personen aus dem Wissenschaftlichen Kuratorium, dem Vorstand und dem Direktorium des Instituts, fallweise auch mit externen Experten besetzt.

Wien, am 6. März 2002

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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