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Künstliche Befruchtung (IVF) – ethische Fragen

Mag. Susanne Kummer
Stand: Oktober 2017

Das Leiden an einem unerfüllten Kinderwunsch ist für viele Paare eine existenzielle Krise, die mit erheblichen Einschränkungen des Selbstwertgefühls einhergeht und zu einer starken psychischen Belastung werden kann. Auch wenn der Wunsch nach einem Kind legitim ist, lässt sich jedoch daraus kein individuelles Recht auf ein Kind ableiten. Richtig ist: Kein Mensch darf daran gehindert werden, eine Familie zu gründen, dies halten die internationalen Menschenrechte fest. Aus diesem „Abwehrrecht“ folgt jedoch nicht im Umkehrschluss ein „Anspruchsrecht“, weder auf einen Partner noch auf ein Kind.

In einer Gesellschaft, in der die Entkoppelung von Sexualität, Befruchtung und Fortpflanzung normal geworden ist, ist auch die künstliche Befruchtung eine Art Standard-Verfahren, das staatlich subventioniert wird. Das Bewusstsein für die ethischen Brüche dahinter ist kaum noch vorhanden.

Voraussetzung für den Einsatz von assistierten reproduktionsmedizinischen Techniken (ART) als medizinischem Verfahren ist, dass ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit definiert wurde. Diese Definition ist jedoch zu hinterfragen. Reproduktionsstörungen können zwar pathologisch sein, Kinderlosigkeit als solche ist aber keine Krankheit, die einer Therapie bedarf.

Reproduktionsmedizin ist nicht therapeutisch, Unfruchtbarkeit wird dadurch nicht geheilt, sondern umgangen, um den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Das verändert auch die Medizin: Sie verlässt ihr eigentliches Feld, die Heilbehandlung, und begibt sich auf das weite Areal der Wunschbehandlung.

Das selbstverständliche Angebot der Reproduktionsmedizin suggeriert, dass das Leid eines Paa-res durch eine medizinisch-technische Lösung beseitigt werden kann, die Heilung der Kinderlosigkeit durch ein Kind geschieht. Damit wird das Kind selbst zum Objekt, zum Therapeutikum, ein Zugang, der ethische Probleme mit sich bringt.

Das ethische Grundproblem der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisierung, IVF) liegt in der Tatsache begründet, dass ein Kind nicht durch die personale Vereinigung von Mann und Frau gezeugt wird, sondern im Labor durch technisches Handeln ‚hergestellt’ wird.

Damit wird der Embryo verfügbar, woraus wei-tere ethische Probleme folgen: Herstellen von sog. überzähligen Embryonen, Einfrieren von Embryonen, Selektion, Fremdspenden von Ei- und Samenzellen, Leihmutterschaft uvm.

Der Ort der Zeugung menschlichen Lebens in Würde ist die Intimität einer von authentischer Liebe geprägten stabilen Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Zeugung von menschlichem Leben ist nicht ein rein biologischer oder bloß technischer, sondern ein Beziehung stiftender Akt.

In der Logik der Entpersonalisierung durch die IVF wird nun der intime Vorgang menschlicher Zeugung und das Werden menschlichen Lebens im Schoß der Mutter ins Labor verlegt und findet in Nährlösungen, unter dem Blick des Mikroskops und je nach Phase in Wärme- oder Gefrierschränken statt. Der gesamte Prozess der Fortpflanzung muss dabei in Einzelschritte aufgesplittet werden, für die ein Team von Dutzenden Ärzten, Labormitarbeitern, Projektleitern, Kliniken und Agenturen verantwortlich sind.

Ärzte und Laborteam stehen in der ersten Reihe, während die Subjekthaftigkeit der Eltern in den Schatten eines technischen Vorgangs tritt, den sie über sich ergehen lassen. Das Paar stellt nur noch sein genetisches „Rohmaterial“ zur Verfügung. Die Fortpflanzung wird damit an Experten delegiert: Im Prozess intervenieren verschiedene Verantwortliche, die für den Erfolg auch haftbar gemacht werden können. Die verantwortlichen Ärzte, Genetiker und Labormitarbeiter müssen das entstandene Leben im Hinblick auf Qualitätskriterien kontrollieren und gegebenenfalls auch zerstören können.

Der Prozess ist auch fehleranfällig. Beispiele davon erreichen immer wieder auch die mediale Berichterstattung: So auch 2016, als bekannt wurde, dass im Labor des Universitätskrankenhaus UMC in Utrecht Eizellen mit dem falschen Samen befruchtet wurden. Betroffen waren 6 Frauen, von denen neun ihr Kind bereits geboren hatten, vier sind schwanger. In den 13 anderen Fällen sind die Embryos noch tiefgefroren. Bis der Fehler entdeckt wurde, dauerte es anderthalb Jahre, Nun stehen Schadenersatzforderungen für die „falschen Kinder“ im Raum.

Diese Logik des ‚Herstellens’ führt dazu, nicht nur die Subjekthaftigkeit der Eltern, sondern auch jene des Kindes zu relativieren. Der Embryo in der Petrischale mutiert immer mehr zu einem Objekt, zur produzierbaren Sache, er ist nicht mehr jemand, sondern etwas. Nicht nur seine Existenz, sondern auch seine „Qualität“ muss im Zuge der Logik des Herstellens den Wünschen und Ansprü-chen entsprechen.

Der Philosoph Jürgen Habermas spricht in diesem Zusammenhang von der Erosion der Unbedingtheit der Eltern-Kind-Beziehung, der Sozialethiker Manfred Spieker von der „zertifizierten Zeugung“. Kindern steht ihr Lebensrecht nicht bedingungslos, sondern nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zu, die Dritte bestimmen.

Diese Logik des Produkts verletzt die Würde des Kindes und auch der Eltern, weshalb die katholische Kirche die IVF grundsätzlich ablehnt.

Innerhalb des IVF-Verfahrens werden mehrere Embryonen für den Fall erzeugt, dass ein weiterer Embryonentransfer notwendig ist, falls die bisherigen erfolglos waren. Die Embryonen werden kryokonserviert, d. h. auf Vorrat in flüssigem Stickstoff bei Minus 196 Grad eingelagert. Bei der Erzeugung von Embryonen im Zuge der IVF wird also schon einkalkuliert, dass einige davon übrig bleiben werden. Dies stellt eine grobe Verletzung der Menschenwürde und ein ethisches Problem dar, die weder durch Embryonen-Adoption noch durch eine nachträgliche Verzweckung der Embryonen für Forschungsvorhaben gerechtfertigt werden können. Hier entstehen der Technik inhärente Widersprüche, die ethisch nicht mehr sinnvoll aufzulösen sind: Der Embryo ist keine Sache. Wer Menschen auf Vorrat produziert oder ihr Vernichten einkalkuliert, verletzt grob die Würde der Person.

In Großbritannien wurden nach offiziellen Angaben von 1991 bis 2015 3,9 Millionen Embryonen im Zuge der IVF-Verfahren erzeugt. Davon wurden 1,6 Millionen den Frauen implantiert. 2,3 Millionen Embryonen blieben übrig, wurden tiefgefroren, fanden dann aber keine Verwendung mehr. Sie wurden mit dem Sondermüll entsorgt.

In Österreich fehlen Statistiken zur Anzahl der sog. „übriggebliebenen“ Embryonen. Sieht man sich die Versuchszahlen des IVF-Berichts 2016 an, so wurden zwischen 2001 bis 2016 hochgerechnet alleine in den staatlich subventionierten IVF-Kliniken mehr als eine halbe Million Embryonen hergestellt. Nicht alle wurden für IVF-Versuche verbraucht, sie werden gefroren weitergelagert. Die Aufbewahrungsfrist beträgt in Österreich maximal 10 Jahre.

In Österreich ist nicht nur die Samenspende, sondern auch die Eizellspende (heterologe Fertilisation) seit der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2015 (FMedRÄG) erlaubt. Diese vorsätzliche Trennung von sozialer und genetischer Elternschaft widerspricht dem Wunsch und Wohl des Kindes. Kinder werden zunehmend im familiären Niemandsland geboren Samenspende und Eizellspende missachten die Rechte des Kindes, seine biologischen Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden (UN-Kinderrechtskonvention Art 8).

a) Samenspende

Bei der sog. Samenspende wird die Eizelle einer Frau nicht mit dem Samen ihres Partners, sondern eines anonymen Spenders befruchtet (heterologe Fertilisation). Das Kind hat somit drei Elternteile: eine genetische Mutter, einen Ziehvater und einen genetischen Vater, den es in der Regel nie kennenlernen wird. Damit kommt es zu einem vorsätzlichen Splitten von genetischer und sozialer Elternschaft, das zu einer Entpersonalisierung und damit Beziehungslosigkeit führt: Männer produzieren Samen, um Kinder in vitro zu zeugen, für die sie nie elterliche Verantwortung übernehmen werden.

Angesichts der Tausenden Kinder, die nach anonymer Samenspende zur Welt gekommen sind, stellt sich die Frage, welches Vaterbild in einer zunehmend vaterlosen Gesellschaft damit unterstützt wird.

b) Eizellspende

Bei der sog. Eizellspende wird die Eizelle einer Spenderin entweder mit dem Samen des Partners der Frau, die das Kind austrägt, oder mit einem anonymen Samen befruchtet (heterologe Fertilisation). Auch dieses Verfahren führt dazu, dass das Kind drei oder gar vier Elternteile hat: die anonymen genetischen Eltern, die sie in der Regel nie kennenlernen werden, sowie die Zieheltern oder auftraggebenden Eltern.

Eizellspende und Samenspende sind insofern nicht gleichzustellen, als die Eizellspende ein medizinisch unzureichend dokumentiertes Verfahren ist, das zahlreiche Risiken in sich birgt. Die hohen Hormondosen, die nötig sind, damit die Frau mehrere Eizellen produziert, werden unter Narkose invasiv entnommen. Die Nebenwirkungen des Überstimulationssyndroms (sog. Hyperovulationssyndrom) reichen von Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum und in der Lunge bis zu Nierenversagen und Schlaganfall. In schweren Fällen gab es auch Todesfälle. Eine Frau wird daher bei einer Eizellspende einem Eingriff ausgesetzt, der ihr in keiner Weise gesundheitlich nützt, sondern im Gegenteil ihr auch schaden kann. Damit wird das medizinische Prinzip des Nicht-Schadens untergraben.

Bei der Abgabe der eigenen Eizellen an andere Frauen ergeben sich zusätzliche ethisch schwerwiegende Probleme, wie „Aufwandsentschädigungen“ als verdeckte Bezahlung, potentielle Ausbeutung usw. Gerne werden die Augen vor dem international steigenden Eizellenhandel verschlossen und der damit verbundenen Degradierung des Körpers der Frau zu einem Rohstofflieferanten. Die Kommerzialisierung und damit die Ausbeutung von Frauen in prekären Lagen nehmen zu. Es muss Aufgabe des Gesetzgebers sein, Betreffende in diesem Fall vor sich selbst zu schüt-zen und das Kindeswohl (Stichwort: Dreifach-Elternschaft) voranzustellen.

Es gibt nicht nur in Österreich bereits Erfahrungen mit den Auswirkungen der Eizellspende auf die betroffenen „Mütter“. Psychologinnen haben immer öfter mit Frauen zu tun, die nach einer IVF im Ausland mittels Eizellspende wegen Komplikationen im Inland weiter behandelt werden. Viele der Frauen haben mit massiven psychischen Problemen zu kämpfen. Oft sei es schwierig für die Frau, das „Fremde“ in sich auszuhalten. Zwischen einer fremden Samen- und einer fremden Eizelle gibt es im Erleben der Frau offenbar emotional große Unterschiede. Manche Frauen leiden unter Schwangerschaftspsychose, versuchen, dem Ungeborenen Schaden zuzufügen oder lassen bei Zwillingen, einen Fetus abtreiben, weil sie das „doppelt Fremde“ nicht ertragen.

Selbst wenn das Kind lebend geboren wird, stellt sich das ersehnte Glück oft nicht ein: Viele Frauen haben Probleme, das Kind anzunehmen, verweigern den Kontakt, zweifeln an ihrer Handlungsweise. Immer wieder kommt es zu Trennung der Paare nach der Geburt. Dann muss die Frau ein Kind großziehen, dessen leibliche Mutter sie ihrem Gefühl nach (und auch biologisch) nicht ist.

Vielfach wurde das österreichische Gesetz kritisiert, wonach derselbe Arzt, der über die Eizellenspende aufklärt, auch jener ist, der den Eingriff vornimmt. Hier besteht ein eklatanter Interessenskonflikt.

Die in Österreich ebenfalls erlaubte künstliche Befruchtung für lesbische Paare führt dazu, dass ein Kind in der Absicht gezeugt wird, ohne leiblichen Vater aufzuwachsen. Oftmals wird die Eizelle einer Frau mit einem anonymen Samen befruchtet und der Partnerin eingepflanzt (Eizellspende), um gemeinsame Elternschaft zu suggerieren. Das schicksalhafte Ereignis der Vaterlosigkeit ist für Pflegekinder oder Scheidungswaisen schwer ge-nug zu tragen. Ethisch inakzeptabel ist es, wenn Personen für ein Kind von vornherein Vaterlosigkeit planen und intendieren. Dasselbe gilt im Fall der Leihmutterschaft für homosexuelle Paare – sie ist in Österreich verboten –, die das Kind vorsätzlich seines Rechts berauben, von seiner Mutter (genetischen Mutter oder auch jener, die das Kind austrägt) betreut zu werden.

c) Leihmutterschaft

Leihmutterschaft ist ein entwürdigender Prozess, in dem sowohl die Frau als auch das Kind zum Objekt, zum Mittel zum Zweck kommerzialisiert und instrumentalisiert werden. Wer von Freiwilligkeit und Altruismus in Zusammenhang mit Leihmutterschaft spricht, blendet wesentliche Punkte aus.

Leihmutterschaft hat sich in kürzester Zeit als globaler Wirtschaftszweig etabliert, Geld spielt immer eine Rolle. In Indien etwa wird Leihmutterschaft als profitabler Industriezweig mit einem Jahresumsatz von 2,3 Mrd. US-Dollar ins BIP einberechnet: Hier werden jährlich 25.000 Babys von Leihmüttern geboren, es gibt mehr als 3.000 indische Fertilitätskliniken. Selbst dort, wo Leihmutterschaft kommerziell verboten ist, gibt es sog. Aufwandsentschädigungen, die häufig Quasi-Bezahlungen gleichkommen.

Dazu kommt die Tragik jener Frauen in prekären finanziellen Situationen, die sich als Fortpflanzungsarbeiterinnen anbieten. Die gesund-heitlichen Folgeschäden, aber auch die starke Bindung zum Kind, das in ihrem Leib heranwächst, werden zum Problem. Manche wollen und können das Kind nach Geburt nicht an die Bestelleltern abgeben. Die Frauen sollen aber wie eine Maschine, wie ein Brutkasten funktionieren, sie haben kein Recht darauf, Gefühle zu entwickeln.

Auch die Abtreibung eines behinderten Kindes kann vertraglich erzwungen werden. Den Frauen, die sich weigern, wird die Gebärlieferprämie nicht ausbezahlt. Hier herrscht eine Logik des „Qualitätsprodukts“, die für das Kind und die Frau er-niedrigend und entwürdigend ist.

Das Europäische Parlament hatte 2015 erstmals ein Signal in Richtung eines internationalen Verbots von Leihmutterschaft gesetzt. In einer Stellungnahme, in der die Lage der Menschenrechte und Demokratie in der Welt behandelt wird (T8-0470/2015, Nr. 115, online, 17.12.2015), verurteilte das EU-Parlament die sog. „Ersatzmutterschaft“ als „Herabsetzung der Menschenwürde von Frauen“. Ihr Körper und die reproduktiven Funktionen würden dadurch „als Ware genutzt werden“. Die Leihmutterschaft stelle eine reproduktive Ausbeutung dar und müsse untersagt werden, so der Entschließungsantrag. Insbesondere Frauen in Entwicklungsländern seien anfällig, auf diese Weise ausgenutzt zu werden. Daher sollte ein internationales Verbot der Leihmutterschaft auch Priorität im Rahmen der Menschenrechtsinstrumente haben.

Es gibt bereits sehr viel Wissen und aktuelle Studien über die Wichtigkeit der pränatalen Lebensphase und der Bindung zwischen der schwangeren Frau und dem Ungeborenen. Diese Studien werden im Kontext der Leihmutterschaft allerdings nicht erwähnt bzw. wird behauptet, dass eine Distanzierung zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen möglich sei. Im Falle der Leihmutterschaft bedeutet die Geburt aber auf jeden Fall einen Beziehungsabbruch, dessen Auswirkungen für die Entwicklung der Kinder kaum abschätzbar sind.

Es herrscht ein fundamentaler Widerspruch zwischen der Argumentation, dass das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehe, und der Vernachlässigung der bereits pränatal wirksamen Bindungs-aspekte. Werte, die uns sonst wichtig sind, wie der Beziehungsaufbau zwischen Mutter und Kind, werden in dieser Argumentation ignoriert oder als nebensächlich dargestellt.

Die moderne Epigenetik macht deutlich, dass die Schwangere, eben auch die Leihmutter, einen ganz wesentlichen Einfluss auf das Werden und das weitere Leben des Kindes hat – unabhängig von der in der DNA festgelegten Erbinformation – und damit auch einen Anteil an der Elternschaft und der Herkunft des Kindes hat.

Leihmutterschaft ist in 15 der 27 EU-Mitgliedsstaaten verboten, unter anderem in Österreich und Deutschland (Stand 2017).

Das Leid ungewollt kinderloser Paare ist groß. Groß ist aber zugleich die Not, wenn ihr Leid in den Sog technischer Machbarkeit und unter die Räder eines gewinnbringenden Marktes gerät, wie dies heute vielfach geschieht. Das selbstverständliche Angebot der Reproduktionsmedizin suggeriert inzwischen nicht nur, dass das Leid durch eine medizinisch-technische Lösung beseitigt werden kann. Dieser einseitig technische Zugang zur Lösung eines tiefen Sinnproblems stellt mittlerweile auch eine Art normativen Imperativ dar: Wer heute ungewollt kinderlos ist, in der Sinnkrise steckt und trotzdem noch keine In-Vitro-Fertilisierung in Anspruch genommen hat, muss sich rechtfertigen, noch nicht alles versucht zu haben, um sein Leid zu bewältigen und sein Sinn-problem zu lösen.

Die Kinderwunsch-Medizin verschweigt zugleich, dass Befruchtungstechnologien lediglich einem Bruchteil der Betroffenen wirklich zu einem Kind verhelfen. Vier von fünf Frauen gehen trotz mehrmaliger IVF-Versuche ohne Kind nach Hause.

Studien zeigen, dass Frauen den Misserfolg einer IVF als persönliches Versagen empfinden. Um das Erlebte schnell zu verdrängen, stürzen sie sich in neue Versuche. Trauer über eine – im Rahmen einer IVF typischen – Fehlgeburt hat keinen Platz. Sie ist notwendiger Teil des Gesamtprojektes „Kind“, für das es Opfer zu bringen gilt. Die erfolglose Beendigung der Behandlung kann von vielen Paaren nur schwer akzeptiert werden und bewirkt häufig depressive Reaktionen und Trauer.

Damit stehen die Paare am Ende der Behandlung, in die sie vielfach unreflektiert hineingeschlittert sind, wieder am Ausgangspunkt ihres Leidens: Sie haben kein eigenes Kind, und sie werden auch keines bekommen. Der Unterschied ist nun, dass die Kinderlosigkeit nach zig Fehlversuchen einer IVF auch zur Schuldfrage und zur Anklage des persönlichen Versagens werden kann – und das viele offene ethische Fragen aufbrechen, ob es all die (finanziellen, gesundheitlichen Opfer, auch das Opfern anderer Embryonen, wert gewesen ist.

Es ist daher Zeit, gezielt neue Wege einzuschlagen: Der ärztliche und gesellschaftliche Umgang mit Paaren mit ungewollter Kinderlosigkeit sollte sich von seiner Fixierung auf die technisierte Fortpflanzung verabschieden.

Es braucht eine neue kulturelle Kompetenz im Umgang mit ungewollter Kinderlosigkeit. Der subtile Druck durch Ärzte, Verwandte und die Gesellschaft, der sich aus der Tatsache der bloßen Möglichkeit der Technik ergibt, ist nicht mehr wegzuleugnen. Zugleich wird kaum über den hohen Preis und die Risiken informiert, über das Auf und Ab in der Behandlung aufgeklärt, bei der sich Euphorie und tiefe Enttäuschung abwechseln, Entscheidungen über Leben und Tod gefordert sind.

Paare, die ungewollt kinderlos sind, stehen in einer Sinnkrise, deshalb müssen Perspektiven jenseits der Technik entwickelt werden. Das Ziel der Heilbehandlung muss der Leidenszustand des Paares sein – und nicht die technische Herbeiführung der Geburt eines Kindes. Dabei müssen humane Ressourcen gestärkt werden: Die Bewältigung der Kinderlosigkeit braucht Trauerarbeit und die Generierung von alternativen Perspektiven zum Kinderwunsch.

Generativität heißt nicht nur Zeugung und Fortpflanzung, sondern auch die Übernahme von Verantwortung in anderen Bereichen als der Elternschaft. Die Religionsphilosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz spricht von der Möglichkeit einer „seelischen und geistigen Elternschaft“, die sich „in der Übernahme fremden, schwächeren Lebens entfaltet“. Die Grenze, die der unerfüllte Kinderwunsch auferlegt, kann damit zu einer neuen, grenzüberschreitenden Offenheit führen, die fruchtbar wird in einer Lebensaufgabe, einem Lebenssinn auch außerhalb der leiblichen Familiengründung.

Referenzen

Die folgenden Ausführungen beruhen auf Kummer S., Leben aus dem Labor. 40 Jahre Reproduktionsmedizin - eine Übersicht, in: Imago Hominis (2017); 24(1): 015-034

Katechismus der Katholischen Kirche, 2376 und 2377 (Vatikan 1992)

vgl. Tordy K., Riegler J., Psychologische Aspekte der Eizellspende, in: Gynäkologe (2014); 47: 251-257, DOI 10.1007/s00129-013-3250-7

Gerl-Falkovitz H.-B., Kinderlosigkeit. Als Schicksal annehmen?, in: Imago Hominis (2017); 24(1): 61-69

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