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Grenzsituationen in Medizin und Pflege

Mag. Susanne Kummer
Stand: Dezember 2018

Es gehört zur Natur des Menschen, sich zu ernähren. Aufgrund des Wohlbefindlichkeits- und Selbsterhaltungstriebs hat der Mensch Hunger und Durst. Sie sind Ausdruck eines natürlichen Verlangens nach der für das Überleben und das Wohlbefinden des Menschen notwendigen Nahrung und Flüssigkeit. Sie sind Vorbedingung dafür, dass sich der Mensch als Mensch entfaltet. Es besteht daher die moralische Verpflichtung, sich zu ernähren oder ernähren zu lassen, bzw. einen Dritten zu ernähren, der sich aufgrund von Krankheit oder Schwäche nicht selbst ernähren kann.

Bei der künstlichen Verabreichung von Flüssigkeit und Nahrung wird eine Grundfunktion des Menschen technisch unterstützt. Ernährung an sich ist also ein naturhaftes Bedürfnis, und zwar unabhängig von einer allfälligen medizinischen Unterstützung.

Zugleich ist es ein normaler Prozess, dass Patienten in fortgeschrittenen Krankheitssituationen zunehmend das Interesse am Essen und Trinken verlieren. Appetitverlust, Anorexie und Kachexie sind multifaktoriell bedingte Symptome die in palliativen Situationen einer fortgeschrittenen Erkrankung sehr häufig auftreten. Die zentrale Ursache für den Verlust des Appetits bei schwerkranken und alten Menschen ist eine katabole Stoffwechsellage. Dieser auf Abbau ausgerichtete Prozess ist auch durch hochkalorische Nahrung nicht umkehrbar. Während in der kurativen Phase einer Erkrankung eine Wiedererlangung der Kraft durchaus ein realistisches Ziel sein kann, sind die Stabilisierung des Körpergewichts und eine Zunahme an Kraft in palliativen Situationen aufgrund der verschiedenen Abbauprozesse nicht mehr möglich.

Für Angehörige ist diese Situation oft belastend und verleitet zu Fehlschlüssen. Sie führen sie meist auf die mangelnde Ernährung zurück und erkennen nicht, dass die Grunderkrankung dafür verantwortlich ist. Daher ist es wichtig, den Angehörigen die zugrunde liegenden Mechanismen zu erklären und sie darauf hinzuweisen, dass die Reduktion der Nahrungsaufnahme terminal Kranker meist mit einem ausgeprägten Widerwillen gegen das Essen verbunden ist und nicht mit Hungergefühlen einhergeht. Ein terminal Kranker stirbt nicht, weil er nicht isst oder trinkt, sondern er isst und trinkt nicht, weil er stirbt. Von den Angehörigen werden diese Erklärungen häufig als sehr entlastend wahrgenommen.

Appetitverlust, Anorexie und Kachexie sind also multifaktoriell bedingte Symptome die in palliativen Situationen einer fortgeschrittenen schweren Erkrankung sehr häufig auftreten. Eine Verbesserung oder auch nur eine Stabilisierung der Ernährungssituation muss in diesen Fällen als unrealistisch betrachtet werden. Im Zentrum der pflegerischen Bemühungen liegt damit eher die Erhaltung des Appetits, die Bewahrung der Freude am Essen, unabhängig von Menge und Nährwert der aufgenommenen Speisen. Als Betreuungsziel gilt es, das bestmögliche Wohlbefinden des kranken Menschen zu erreichen und weniger die Stabilisierung des Körpergewichtes.

In fortgeschrittenen Situationen und besonders im Sterbeprozess, kann jede Form der Nahrung zu einer großen Belastung werden. Das ist ganz besonders bei künstlicher Ernährung zu bedenken. Die Verpflichtung zur natürlichen oder künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr erlischt, wenn die Nahrung bzw. die Flüssigkeit ihre eigene Zielsetzung nicht erreicht, nämlich dem Menschen Ernährung und Linderung der Leiden zu verschaffen.

Mit dem sog. „Sterbefasten“ wird der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVFN) bezeichnet, mit der Absicht aus dem Leben zu scheiden. Medial, aber auch in Fachkreisen wird das „Sterbefasten“ mitunter als eine legitime, natürliche und selbstbestimmte Art des Sterbens dargestellt, mit dem Versuch, es moralisch vom Suizid abzugrenzen.

Die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) lehnt den Begriff „Fasten“ im Zusammenhang mit einer Selbsttötungsabsicht durch den freiwilligen Verzicht auf Flüssigkeit und Nahrung (FVFN) als irreführend und verharmlosend ab. Das Wort „Sterbefasten“ wirkt verschleiernd. Fasten meint ja nicht den Tod durch Verhungern, sondern befristete Nahrungsreduktion aus gesundheitlichen, spirituellen oder religiösen Beweggründen. Der Tod durch Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung ist kein natürliches Sterben, sondern ein gewaltsamer Tod, der Selbsttötung genannt werden muss.

  1. Die Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, kann nicht als natürlich angesehen werden. Wer den Weg des „Sterbefastens“ wählt, greift gewissermaßen in den natürlichen Sterbeprozess ein, indem er im Rahmen einer chronisch-progredienten Erkrankung oder im Zustand hochaltriger physischer wie mentaler Auszehrung dem allmählichen unausweichlichen Erlöschen der Lebensfunktionen zuvorkommt.
  2. Lebewesen haben von Natur aus einen Selbsterhaltungstrieb. Wenn dieser fehlt, kann die Ursache in einer Krankheit (z. B. Depression) liegen oder darin, dass der natürliche Sterbeprozess bereits so weit fortgeschritten ist, dass das Hunger- und Durstgefühl erloschen ist.
  3. Die Selbsttötungsmethode durch Verhungern und Verdursten kann im Einzelfall qualvoll verlaufen und erfordert intensive medizinische und pflegerische Betreuung, d. h. die Mitwirkung von begleitenden Ärzten und Pflegepersonen.

Es besteht kein Zweifel, dass es sich beim sog. „Sterbefasten“ moralisch gesehen um Suizid d. h. Selbsttötung und bei der Mitwirkung um Beihilfe zum Suizid handelt. Ausschlaggebend dazu ist die Absicht, d. h. die freiwillige Entscheidung eines Menschen, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Das unterscheidet das „Sterbefasten“ vom Fall Sterbender, die in palliativen Situationen einer fortgeschrittenen Erkrankung zunehmend das Interesse am Essen und Trinken verlieren.

Beihilfe zum Suizid wird vom Weltärztebund und vielen nationalen Ärzte- und Pflegeverbände abgelehnt: Man darf weder Ärzte noch Pflegende gegen ihren Willen zum Beistand eines Suizidanten verpflichten. Mit gutem Grund lehnen in der Regel Pflege- und Altersheime „Sterbefasten“ ab.

In jedem Fall stellt die Entscheidung des Patienten/Bewohners für FVNF für das medizinische und Pflegepersonal eine große Belastung dar. Dem Selbstverständnis der Einrichtungen entsprechend will man Menschen in der letzten Phase des Lebens unterstützen. Pflegepersonen in Pflegeheimen sehen ihren Auftrag in der Pflege und Begleitung von Sterbenden, nicht aber von Menschen, die aktiven oder „passiven Suizid“ begehen.

Bei Ärzten und Pflegenden kann diese Form von Suizidwunsch jedoch große Gewissensprobleme auslösen, denn auch das „Sterbefasten“ geht nicht ohne ärztliche und pflegerische Maßnahmen wie Schmerzkontrolle oder Mundpflege. Eine Zwangsernährung kann das Problem der FVNF nicht lösen. Gleichzeitig kann aber niemand von anderen Beihilfe zur Selbsttötung einfordern, auch hier muss der Respekt vor der Gewissenshaltung des Personals gelten. Wichtig in solchen Fällen ist es, eine entsprechende palliative, spirituelle und psychosoziale Begleitung anzubieten, die dem Suizidalen in der scheinbaren Ausweglosigkeit seiner Situation einen Ausweg aufzeigt.

Aus ethischer Perspektive könnten Pflegende die Pflege von Bewohnern im Stadium von FVNF übernehmen, da sie nicht formell in die Entscheidung des Patienten bzw. Heimbewohners involviert sind.

Bei Fällen von FVNF im eigenen Haus sollte aber auch akzeptiert werden, dass Pflegende aus Gewissensgründen eine Pflege ablehnen dürfen (Gewissensvorbehalt).
Aus ethischen Gründen ist es legitim, dass Alten- und Pflegeheime oder Hospize die Möglichkeit eines FVNF in ihren Grundsätzen ausschließen und dies auch so kommunizieren. Damit soll eine formelle Mitwirkung bei einer Selbsttötung im Heim verhindert werden. Auch die autonomen Entscheidungen der Pflegenden verdienen Respekt und Achtung, es darf keinen Zwang zur Begleitung geben.

Aus ethischer Sicht sollte der Arzt den Patienten FVNF nicht als Option anbieten, da diese keine Therapie ist und auch keine medizinische Maßnahme, die indiziert sein könnte. Fragt aber der Patient danach, sollte der Arzt über die Risiken von FVNF informieren, ohne zu suggerieren, dass diese ein gangbarer Weg ist.

Angehörige dürfen ihre Verbundenheit und Solidarität nicht aufkündigen, am allerwenigsten in Notsituationen. Der Sterbewillige braucht den menschlichen Beistand und die Geborgenheit, die Zuneigung und die Unterstützung des Angehörigen, der sich nicht wegen Meinungsverschiedenheit bezüglich der Entscheidung für FVNF zurückziehen darf.

Bei der Indikationsstellung und Steuerung einer PEG-Sonde handelt es sich primär um eine ärztliche Maßnahme und erst in zweiter Linie um eine pflegerische Aufgabe. Die PEG-Sonde hat ihre zweifelsfreie Berechtigung in etlichen Indikationen des medizinischen Alltags, wie z. B. bei Schluckstörungen im Rahmen einer neurologischen Erkrankung (z. B. nach einem Schlaganfall oder bei Wachkoma-Patienten).

Sinn und Zweck einer Sondenernährung ist es, die Folgen eines Nahrungs- und Flüssigkeitsmangels – wie Infektionsanfälligkeit, Dekubitalgeschwüre oder Verwirrtheitszustände – präventiv abzuwenden mit dem Ziel, das Leben zu erhalten und das Leiden der Patienten zu lindern.

Problematischer ist hingegen die Indikationsstellung für hochbetagte, zunehmend altersdemente Patienten, wenn sie typischerweise immer weniger essen und trinken und an Gewicht verlieren. Die Trennlinie zwischen einer unumgänglichen Notwendigkeit und einem überzogenen therapeutischen Eifer zu ziehen, ist dabei nicht immer leicht.
Allgemeiner Konsens herrscht darüber, dass man den Prozess des Leidens und des Sterbens nicht künstlich verlängern sollte.

Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Grenzen zwischen Leben und Sterben fließend sind und es daher keine absoluten Unterscheidungskriterien zwischen dem „Noch-Leben“ und dem „Schon-Sterben“ geben kann. Letztlich sind hier die Erfahrung von Arzt und Pflegepersonal und deren Verantwortungsbewusstsein gefordert.

Man weiß mittlerweile, dass Patienten im Endstadium keinesfalls an Hunger und Durst leiden. Die damit verbundene Austrocknung wirkt eher betäubend und führt langsam zur Agonie.

Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen die den Nutzen einer enteralen Ernährung mit Hilfe einer Ernährungssonde bei Sterbenden in Frage stellen. Weder kann dadurch die Lebenserwartung verlängert, noch der funktionale Status der Patienten verbessert bzw. dessen Leiden gelindert werden. Im Gegenteil, der Prozess des natürlichen Sterbens mit langsamer Trübung der Wahrnehmung wird eher verhindert.

Es muss daher als therapeutischer Übereifer gewertet werden, wenn solchen Menschen im Endstadium durch die liegende PEG-Sonde noch weiter künstlich Flüssigkeit und Nahrung verabreicht werden, anstatt die Zufuhr zu beenden bzw. die Sonde zu entfernen. Der bewusste Verzicht auf den Einsatz einer PEG-Sonde stellt in dieser Endphase der Demenzerkrankung kein moralisch unzulässiges Verhungern- oder Verdursten-Lassen des Patienten dar.

Dies auch deshalb, weil PEG-Sonden durchaus nicht harmlos sind, sondern auch zu unangenehmen Komplikationen führen können. Leichte Komplikationen, wie z. B. lokale Schmerzen, Wundinfektionen, Druckulzera, Sondendefekte und Dislokationen kommen ca. in 10% der Fälle vor. In 3% kommt es auch zu schweren Komplikationen wie Darmperforation, Peritonitis, inneren Blutungen, Fistelbildungen usw. Gerade demente oder verwirrte Patienten müssen oft fixiert werden, damit sie sich die Sonde nicht selbst entfernen, was doch eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bedeutet.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die künstliche Sondenernährung normalerweise bei hochbetagten Menschen am Ende ihres Lebens keinen Platz hat. Wenn jemand trotzdem eine solche Maßnahme setzt, dann darf dies nicht aus Verlegenheit geschehen, sondern bedarf es einer klaren medizinischen Indikation.

Auf alle Fälle sollten bei der Entscheidungsfindung Pflegende und Angehörige mit einbezogen werden, um den mutmaßlichen Willen des Bewohners einzuschätzen.

Im Zweifelsfall kann es auch einmal klug sein eine Sonde sozusagen probeweise zu installieren und zu beobachten ob sich der Zustand des Patienten dadurch bessert. Kriterien für die Nützlichkeit einer künstlichen Ernährung wären eine augenscheinliche Verbesserung des Ernährungszustandes, eine positive Wirkung auf den Gesundheitsstatus, auf die Vigilanz und auf das Allgemeinbefinden.

Offenkundig schädlich wäre eine Sonde, wenn sie Schmerzen verursacht oder sonstige Komplikationen auftreten, bzw. wenn die Lebensqualität und das Alltagsleben eingeschränkt werden. Bei Sterbenden sollte der Leidensprozess nicht unnötig verlängert, sondern die Nahrungszufuhr beendet bzw. die Sonde entfernt werden.
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass es aus ethischer Sicht irrelevant ist, ob man eine künstliche Sondenernährung gar nicht beginnt, weil keine Indikation vorliegt oder ob man sie wegen offensichtlicher Nutzlosigkeit entfernt.

Referenzen

Bonelli J., Behandlungsabbruch und Therapiezieländerung: eine medizin-ethische Analyse, Imago Hominis (2018); 25(3): 163-171.

Bonelli J., Sondenernährung ohne Übereifer, Kommentar in: Österreichische Ärztezeitung Nr. 22 / 25.11.2011.

Feichtner A., Wenn das Essen zum Problem wird - Über die Ernährung am Lebensende, Imago Hominis (2018); 25(2): 113-121.

Prat E. H., Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) – eine ethische Diskussion, Imago Hominis (2018); 25(2): 123-136.

Weixler D., Palliative Sedierungstherapie - Richtlinien und Grauzonen, Imago Hominis (2018); 25(2): 105-112.

Quelle

Imago Hominis 2/2018: Dem Sterbenden begegnen I

Imago Hominis 3/2018: Dem Sterbenden begegnen II

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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