Welche Medizin? Es ist Zeit für eine umfassende Diskussion über die Ziele der Medizin

Imago Hominis (2002); 9(2): 91-100
Santiago Ewig

Zusammenfassung

Die jüngsten bioethischen Kontroversen deuten im Kern auf eine sich verschärfende Zielkrise der Medizin hin. So berühren die zentralen Fragen in der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen die Sicht des Lebensanfangs und -endes ebenso wie den Umfang des ärztlichen Heilauftrages. Diese neuen Herausforderungen müssen jedoch im Kontext mit länger bestehenden, ungelöst gebliebenen Zielbestimmungskonflikten der Medizin gesehen werden. Der geringe Stellenwert der Prävention zugunsten der Kuration, die Konzentration der Kostenlast in den letzten beiden Lebensjahren sowie das vorläufige Scheitern der integrierten Konzepte der psychosomatischen Medizin scheinen in dieser Perspektive als Ausdruck einer Medizin, die ihre Ziele nicht mehr konsensfähig definieren kann. Auf dem Weg zu einer neuen Zielbestimmung der Medizin müssen zuerst die zugrunde liegenden biologistischen Positionen mit ihrem mechanistischen Menschenbild in einem umfassenden Diskurs in Gesellschaft und Wissenschaft überwunden werden.

Schlüsselwörter: Stammzellen, Menschenbild, Heilung, Prävention

Abstract

The recent bioethical controversies show us an increasingly sharper crisis in defining the real goals of Medicine. The heated discussions concerning the authorization of research on human embryo stem cells have also touched on very central points of the views concerning the beginning and end of life as well as the extent of the mandate of the medical doctor to heal. This new challenge must be viewed in context with many long term unsolved conflicts regarding the legitimate aims and goals of medical practice. The low value shown preventative medicine compared to therapy and healing medicine as well as the concentration of the cost of same to later life and present break down of integrating the concepts  of psychosomatic medicine seam to show the picture of medicine as no longer being able to arrive at a consensus as to what it has as goals.  On the way to a new definition of the goals of modern medicine the present biological, mechanical view of  the human person must be thoroughly discussed in society and on scientific level and overcome.

Keywords: Stem cells, human nature, healing, prevention


1. Symptome einer Krise

Die intensiv und ernsthaft geführte bioethische Diskussion um die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen und die Präimplantationsdiagnostik, die wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben, hat eines nicht hervorgebracht: einen Konsens. Die jüngst erfolgte gesetzgeberische Entscheidung wird die Diskussion nicht abschließen, sondern einen prinzipiellen Dissens noch vertiefen. Es scheint vielmehr, als eröffneten sich durch die Diskussion neue Sichtweisen auch gegenüber Praktiken, die zuletzt nur noch wenig Widerspruch aus der Gesellschaft erfahren haben: der in-vitro-Fertilisation, der Pränataldiagnostik sowie der Abtreibung. Schließlich zeichnen sich darüber hinaus mit der Genkartierung und Sterbehilfe zusätzliche neue Konfliktthemen ab.

Gleichzeitig mit dieser Diskussion erlebt das medizinische Versorgungssystem in Deutschland eine Zuspitzung seiner strukturellen Dauerkrise: die Kosten für das Gesundheitswesen steigen trotz aller Reformbemühungen unverändert an. Dies hat zur Folge, dass das Solidarprinzip der medizinischen Versorgung zunehmend unhaltbarer erscheint, und dass eine Rationalisierung der Versorgungsstrukturen in einem Ausmaß erfolgt, das den letzten Reservaten der urärztlichen Tätigkeit, der Kommunikation mit dem Kranken, den Boden entzieht. Es scheint, als sei die Zeit nicht mehr weit entfernt, in der das Arzt-Patienten-Verhältnis vollständig durch das Medium der Technik neutralisiert sein wird.

Wie sind diese Krisen zu deuten, und inwiefern haben sie miteinander zu tun? Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, diese Konflikte für spezielle Probleme bestimmter Subsysteme zu halten, im ersten Fall für solche der bioethischen Innovation, in letzterem für solche der politischen Steuerung eines Sozialsystems. Sollte dies zutreffen, wären die entsprechenden Diskussionen eine Sache der jeweiligen Expertenkulturen, die in einer formalen demokratischen Entscheidung schließlich ihre wie auch immer vorläufige Lösung finden. Schaut man aber genauer hin, so wird deutlich, dass fundamentale Aspekte unseres Verständnisses der Medizin und ihrer Ziele in Frage stehen. Da Gesundheit und Krankheit zentrale Aspekte des menschlichen Lebens betreffen, steht gleichzeitig unser Menschenbild in Frage.

2. Der bioethische Dissens als Krise der Ziele der Medizin

Da die Diskussion um die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen zuletzt den größten Raum in der öffentlichen bioethischen Diskussion eingenommen hat, soll unsere These, dass der bioethische Dissens eine Krise der Ziele der Medizin darstellt, von dieser ausgehend entwickelt werden.

Im Wesentlichen haben sich in dieser Diskussion drei Grundpositionen zu erkennen gegeben: die religiöse, die zivilreligiöse und die biologistische.

Für die religiös inspirierte Position ist das Leben unvordenklich in Gott gegründet. Von daher kommt dem menschlichen Leben in allen seinen Stadien eine Würde zu, die unantastbar ist. Jegliche Funktionalisierung verbietet sich. Diese ontologischen Sichtweisen korrespondieren ohne argumentative Widersprüche mit der naturwissenschaftlichen Sichtweise des Lebensbeginns von der Verschmelzung der Ei- und Samenzelle an. Diese rationale Argumentation expliziert eine Erfahrung des Glaubens, wie sie unverlierbar etwa in Paul Gerhardts Weihnachtslied ausgedrückt ist: „Da ich noch nicht geboren war / da bist du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar, / eh ich dich kannt, erkoren. / Eh ich durch deine Hand gemacht, / da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.“1

Die zivilreligiöse Position gründet zumindest in Deutschland sicher überwiegend in Kants Philosophie. „Innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ expliziert Kant die Selbstzwecklichkeit des Subjekts als kategorischen Imperativ. Diese Selbstzwecklichkeit ist der Kern der Menschenwürde, die eine Gesellschaft der Freien und Gleichen begründet, und diese kann widerspruchsfrei nur gedacht werden, wenn sie jedem Mitglied der menschlichen Gemeinschaft ohne weitere Bedingungen vom Ursprung seiner Existenz an zukommt. Somit besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Menschenwürde und Tötungsverbot. Aufgrund des damaligen Standes der Embryologie bleibt der moralische Status speziell der frühen Stadien des Embryos natürlich unangesprochen, doch spricht Kant explizit davon, dass sich die Menschenwürde des neuen Lebens mit dem „Akt der Zeugung“ konstituiert.2 Dennoch bietet diese historisch begründete Lücke eine Möglichkeit, durch spezielle naturwissenschaftliche Sichtweisen der Embryonalentwicklung (z.B. Definition des Lebensbeginns mit der Nidation) früheste Stadien aus der Konstitution der unbedingten Menschenwürde im Sinne eines abgestuften Lebensschutzes auszunehmen, ohne die Kantische zivilreligiöse Argumentation aufzugeben.

Die biologistische Position unterscheidet sich radikal von den beiden vorgenannten dadurch, dass sie den Erscheinungen des Leibes ontologisch keinen geistigen Status zukommen lässt, sondern diese als solche für Objekte von Wertzuschreibungen betrachtet, auf die sich die Gesellschaft einigen, die sie also auch je nach Interessenlage verändern kann. Die Menschenwürde ist demnach eine Übereinkunft, die in Interessen, nicht in transzendenten bzw. transzendentalen Fundamenten ruht, eine Zuschreibung, die auch gekündigt werden kann.3 Naturwissenschaftliche Kriterien des Lebensbeginns spielen hier nur eine nachgeordnete Rolle; wem Menschenwürde zukommt, entscheiden ohnehin die Interessen. Diese im Kern atheistische Position findet sich zwanglos zusammen mit utilitaristischen Konzepten von Ethik, die in der Folgenabschätzung, z.B. im größtmöglichen Glück der größten Zahl, das entscheidende ethische Unterscheidungskriterium angeben zu können meinen.4

In der konkreten Auseinandersetzung lassen sich nun, wie bereits angedeutet, die erste und die zweite Position, aber auch die zweite und die dritte zusammenbringen; lediglich die erste und die dritte schließen sich kategorisch aus. Glaubt die zivilreligiöse Position nun, durch Einräumung von temporären Ausnahmetatbeständen wie der Beschränkung der Forschung auf importierte, bereits vorhandene Zelllinien den Notwendigkeiten des Fortschritts im Sinne einer Güterabwägung Rechnung tragen zu müssen, oder beharrt sie auf einer unbedingten Geltung der Menschenwürde? Handelt es sich im Kompromissfall um einen zu öffnenden Türspalt oder um einen irreversiblen Dammbruch?

An diesem Punkt verlässt die Kontroverse um die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen den Rahmen einer ethischen Spezialfrage und offenbart ihren Charakter als Konflikt um Ziele der Medizin. Denn in der Güterabwägung, die hier zu treffen ist, treten an die Seite der behaupteten Notwendigkeit der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen höchste Güter: „Forschungsfreiheit“, „hochrangige Forschungsziele“, gar eine „Ethik des Heilens“. Welchen Stellenwert hat nun aber die Forschungsfreiheit in einer Güterabwägung mit der Menschenwürde, was sind hochrangige medizinische Forschungsziele, und welche Opfer sind zugunsten der Heilungsaussicht zu bringen? Da mit der Stammzellforschung die Möglichkeit eines Zellersatzes auf den Plan getreten ist, könnte dieser prinzipiell auch einer Vielzahl medizinischer Spezialitäten zugute kommen. Spätestens hier berührt die Kontroverse, die ursprünglich ein Konflikt um den moralischen und rechtlichen Status des Embryos war, das Selbstverständnis jedes Arztes, aber auch jedes Patienten im Kern.5

In dieser Perspektive erscheinen nun auch ursprüngliche Spezialgebiete der Gynäkologie wie die in vitro Fertilisation (IVF) in neuem Licht. Erschien diese zunächst als Technik zur Therapie der Infertilität, wird nun deutlich, dass sie die Grundlage einer umfassenden Embryonenforschung darstellt, so wie einer ihrer Pioniere es auch ursprünglich intendierte.6 Die Tatsache, dass es weltweit bereits eine unbekannte große Zahl eingefrorener „überzähliger“ Embryonen gibt, die „zum Tode verurteilt sind“, dass ständig zusätzliche solche „überzähligen“ Embryonen anfallen, und dass somit ein Reservoir entstanden ist und nachgebildet wird, das die Forderung einer Produktion von Embryonen zu Forschungszwecken tatsächlich entbehrlich werden lässt, wird erst jetzt deutlich. Offensichtlicher kann ein Zielkonflikt der Medizin nicht werden: eine Technik, die ursprünglich der Therapie der Infertilität dienen sollte, wird unter der Hand zu einer Technik, die den Embryonenverbrauch ermöglicht.

Ähnliche Perspektiven ergeben sich hinsichtlich der Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik. Beide Verfahren erscheinen als Methode, Gesundheit zu mehren, indem eine Frühdiagnostik betrieben wird, im ersten Fall in utero, in letzterem bereits in vitro. Tatsächlich jedoch stellen beide Verfahren heute im Falle einer nachweisbaren Erkrankung nicht die Grundlage einer Therapie des genetisch defekten Embryos, sondern einer Tötung desselben dar. Im Falle der Präimplantationsdiagnostik kommt die Gefahr hinzu, dass nicht nur genetisch defektes, sondern auch bei intakter genetischer Ausstattung qualitativ unerwünschtes Leben getötet wird. Wenn die Konsequenz des Tötens akzeptiert wird, erscheint es in der Tat unabweisbar, diese Tötung auch so früh wie möglich, also in vitro vorzunehmen, um spätere Abtreibungen zu vermeiden. Aber ist Tötung ein medizinisch adäquater Therapieersatz? Ist Selektion gesunden Lebens eine angemessene Methode, die Gesundheit zu befördern? Welche Konsequenzen kann dieses Vorgehen für die Medizin insgesamt haben?

Tötung als Therapieersatz scheint bereits auch in der sogenannten aktiven Sterbehilfe unheilbar Kranker durch. In manchen Fällen ist die aktive Beschleunigung eines irreversiblen Sterbeprozesses, in manchen aber auch die Tötung eines noch nicht im Sterbeprozess befindlichen, unheilbar chronisch Kranken gemeint. Obwohl beide Fälle qualitativ unterschieden sind, geschieht in beiden Fällen eine Tötung auf dem Hintergrund, dass eine Therapie nicht mehr erfolgversprechend erscheint, d.h. dass nicht mehr zu erwarten steht, dass eine Therapie zu einem Rückgang der Krankheit führt. Die jeweils für die Feststellung der Zulässigkeit einer solchen Tötung notwendigen Voraussetzungen (Wille des Patienten, Zahl und Unabhängigkeit der ärztlichen Gutachten etc.) ändern nichts an der grundsätzlichen Tatsache, dass die Tötung an die Stelle einer ärztlichen (und menschlichen) Zuwendung getreten ist, und zwar mit der Begründung eines Werturteils über das Leben der unheilbar erkrankten bzw. sterbenden Person.

Diese Tötungshandlungen als Ausdruck einer medizinischen Kapitulation kontrastieren eigentümlich und scheinbar widersprüchlich mit einer Tendenz, die intensivmedizinische Therapie auch auf Schwerstkranke und Hinfällige auszuweiten. Eine Therapielimitation erscheint immer schwerer zu rechtfertigen, da eine prinzipielle Irreversibilität einer akuten Komplikation im Einzelfall kaum zu belegen ist. Hier geben die Möglichkeiten der Intensivmedizin (nicht selten im Verein mit forensischen Befürchtungen) den Ausschlag für eine Maximaltherapie. Kann es jedoch das Ziel der Medizin sein, in jedem Fall jede Komplikation unabhängig von bestehenden Grunderkrankungen und ihren prognostischen Implikationen mit einer Maximaltherapie zu beantworten, ein Sterben also buchstäblich nur im Falle eines offensichtlich progredienten Sterbeprozesses zuzulassen? In der Konsequenz dieses Vorgehens liegt die weitgehende Enteignung des persönlichen Todes: die Wahl des Sterbezeitpunkts, die zutiefst mit einem inneren Einverständnis zu sterben verbunden ist, wird dem Patienten zunehmend entzogen. Schließlich sterben viele Patienten entweder einen bewusstlosen Tod an der Beatmungsmaschine oder einen Abnutzungstod am äußersten Ende einer chronischen Erkrankung. An diesem Punkt wird die Komplementarität von Maximaltherapie und aktiver Sterbehilfe deutlich: um der Maximaltherapie zu entkommen, wird die aktive Sterbehilfe gefordert. Um nicht einen Tod an der Beatmungsmaschine oder einen Abnutzungstod sterben zu müssen, soll das Leiden durch aktive Tötung abgekürzt werden. Medizinischer Maximalismus und aktive Sterbehilfe stellen zwei Seiten einer Medaille dar.7 In beiden Fällen wird ein unerbittlicher Kampf gegen das Leiden und den Tod geführt, aber paradoxerweise resultiert daraus mehr Leiden bzw. die Tötung. Hier sind die Ziele der Medizin offensichtlich verfehlt. Was sind die Gründe dafür? Es drängt sich die Sicht auf, dass die Medizin vielfach kein reflektiertes Verhältnis mehr zu Leiden und Tod hat. Die Frage stellt sich, welches Leiden die Medizin eigentlich mit welchen Mitteln zu lindern, welchen Tod sie zu ermöglichen und wie sie ihn zu begleiten sucht.

Wenn wir diese hier nur kurz angesprochenen Konfliktlinien zusammenschauen, so wird deutlich, dass alle wesentlichen Kategorien des Verständnisses von Medizin in Frage stehen: die Fragen nach dem Beginn des Lebens, nach der Gesundheit, die wir suchen, nach hochrangigen medizinischen Forschungszielen, nach Heilungsperspektiven und -pflichten, nach dem Stellenwert der Palliation, nach dem Verhältnis zu Leid und Tod. Alle diese Fragen berühren zutiefst unser Verständnis von Menschenwürde. Es wird somit weiter deutlich, dass alle bioethischen Kontroversen untrennbar zusammenhängen. Man kann eine befriedigende Antwort etwa auf das Problem der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen nur im Kontext einer schlüssigen Vorstellung von den Zielen der Medizin insgesamt formulieren. Dies zu erkennen bedeutet schließlich zu realisieren, dass sich in den bioethischen Konflikten nichts weniger als eine Krise der Medizin selbst reflektiert; offensichtlich steht sie an einem Scheideweg.

3. Die Krise der medizinischen Versorgungssysteme als Krise der Ziele der Medizin

Die Gründe für die Krise der medizinischen Versorgungssysteme sind sicherlich komplex und in mancher Hinsicht Teil einer Krise unserer Sozialsysteme insgesamt. In unserem Zusammenhang interessieren diejenigen Ursachen, die mit der Selbstdefinition der Medizin in Zusammenhang stehen. Wieviel die Medizin kosten darf, hängt wesentlich damit zusammen, was sie zu leisten beansprucht und ob sie die in Aussicht gestellten Leistungen auch erbringt. Ungeachtet aller z.T. imponierenden Leistungen, die hier ausdrücklich als Fortschritt anerkannt werden, ist die aktuelle Medizin durch die folgenden drei Grundtatsachen gekennzeichnet:

1) die Prävention spielt gegenüber der kurativen Medizin unverändert eine stark untergeordnete Rolle. Dies reflektiert sich etwa (aber nicht nur) in dem geringen Anteil, den die Prävention innerhalb der Gesundheitsausgaben ausmacht. Die Gesundheitsausgabenberechnung von 1998 weist aus, dass nur 4,2% der Gesundheitsausgaben in die Prävention bzw. den Gesundheitsschutz geflossen sind.8 Die aktuelle Medizin ist in ihrem Selbstverständnis weitgehend eine kurative Medizin.

2) Die kurative Medizin verausgabt einen großen Teil ihrer Gesundheitsausgaben für die beiden letzten Lebensjahre der Patienten. Die Abhängigkeit der Ausgaben von der Nähe des Lebensendes lässt sich sogar bis in die letzten Monate nachweisen. So wurde beispielsweise in amerikanischen Studien gezeigt, dass 8% der Kosten im drittletzten Lebensmonat, 12% im vorletzten und 40% im letzten Monat anfallen.9

3) Die kurative Medizin hat sich weiterhin zu einer zunehmend technisch orientierten Medizin entwickelt; alle zwischenzeitlichen Versuche einer sogenannten „integrierten Psychosomatik“, die somatische und psychische Aspekte der Krankheit zusammendenken und gemeinsam in das Behandlungskonzept einzubeziehen strebten, sind nicht über erste Ansätze hinausgekommen.10 Das Fach Psychosomatik ist heute eine Spezialdisziplin unter anderen geworden.

Inwieweit aus einer verstärkten und erfolgreichen Prävention Einsparungen der Gesundheitsausgaben resultieren könnten, lässt sich nur schwer prognostizieren. So könnte beispielsweise die Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen zwar zu einer Einsparung erheblicher Mittel führen; diese könnten aber andererseits durch höhere Kosten durch Erkrankungen im höheren Alter zum Teil wieder zunichte gemacht werden. Die ökonomische Bedeutung einer stärker präventiv orientierten Medizin liegt demnach nicht primär in direkten Einspareffekten durch Zurückdrängung von Volkskrankheiten, sondern mehr in den indirekten Effekten einer solchen Medizin auf ihren Gebrauch. Die Medizin, die stärker darauf konzentriert ist, menschliches Leben in seiner Qualität und Lebenserwartung besser zu bewahren, eröffnet die Möglichkeit, den Menschen ihre eigene Vorstellung von Gesundheit und ihren Grenzen wieder zurückzugeben, da sie ein reflektiertes Verhältnis zum eigenen leib-seelischen Dasein und seiner Hinfälligkeit bzw. Endlichkeit fördert. Die einseitig kurativ orientierte Medizin aber nährt die Vorstellung, der Mensch sei eine Maschine, die prinzipiell reparierbar ist. Im Ergebnis wird einerseits der Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit der Boden entzogen, andererseits kommt es zu einer hohen Erwartungshaltung an die Möglichkeiten der Medizin. Es zeigen sich besorgniserregende Hinweise für eine regelrechte Anspruchsinflation. Letztere schlägt bis auf die Rechtsprechung durch, die mitunter in der Konsequenz gefährlich nahe an die Vorstellung von Gesundheit als einklagbarem Zustand kommt und damit (wenn auch ungewollt) einer sinnlosen und teuren Defensivmedizin Vorschub leistet.

Die mit steigendem Lebensalter zunehmenden Gesundheitsausgaben ergeben sich nicht in erster Linie aus der Zunahme der chronischen Krankheiten mit steigender Lebenserwartung, sondern weitgehend unabhängig vom Lebensalter aus der Nähe des Todeszeitpunktes. Lediglich bei sehr hohem Sterbealter (> 90 Jahre) schwächt sich diese Assoziation ab. Aus diesen Zusammenhängen muss man folgern, dass ein nicht unerheblicher Teil der Gesundheitsausgaben einem Abwehrkampf gegen den Tod gewidmet wird, der offensichtlich vergeblich bleiben muss. Das bereits angesprochene unreflektierte Verhältnis zum Tod erweist hier seine tendentiell auch ökonomisch ruinösen Folgen: nicht das Älterwerden an sich scheint das ökonomische Problem zu begründen, sondern die Verdrängung und orientierungslose Bekämpfung des Todes.

Ohne Zweifel können für das vorläufige Scheitern der integrierten psychosomatischen Konzepte auch immanente Probleme der psychosomatischen Theoriebildung namhaft gemacht werden. Es scheint, dass eine zu große Abhängigkeit von psychoanalytischen Grundannahmen (z.T. auch von marxistischer Gesellschaftstheorie) die Schwierigkeiten der methodischen Integration von psychisch-seelischen und somatischen Ebenen eher potenziert denn einer befriedigenden Lösung zugeführt hat.11 Dies mag seinen tiefsten Grund darin haben, dass die ursprüngliche psychoanalytische Theorie selbst unverkennbar mechanistische Züge trägt und somit von einem Paradigma abhängig bleibt, das hier überwunden werden sollte. In der Zwischenzeit haben sich jedoch sowohl die Reliabilität der psychiatrischen und psychoanalytischen Diagnosen verbessert als auch die psychologischen Theorien weiterentwickelt. Innerhalb der Philosophie und Theologie sind viele ehemalige Hemmnisse einer interdisziplinären Theoriebildung entfallen.12 Dennoch ist es kaum zu neuen Ansätzen einer integrierten Psychosomatik gekommen. Die zunehmende Ausschaltung der psychischen und geistigen Grundlagen von Krankheit und Krankheitsverarbeitung aus dem Gesichtsfeld der Medizin führt jedoch zu einer parallel zunehmenden Unfähigkeit, mit Krankheit zu leben, geistige Antworten auf Krankheiten zu entwickeln und Begrenzungen zu akzeptieren. Dies wiederum wirkt sich in vielfacher Weise ökonomisch nachteilig aus, nicht zuletzt dadurch, dass ohne eine solche Orientierung eine wenig erfolgreiche und teure Maximaltherapie gerade im Verlauf der Endstrecke einer chronischen Erkrankung gefördert wird.13

Die ökonomische Krise der Medizin hat also nicht nur mit dem wachsenden Fortschritt zu tun, der selbstverständlich die medizinische Versorgung verteuert, sondern ganz wesentlich und vordringlich auch mit ihrer Selbstdefinition. Die Medizin hat es zugelassen, dass das mechanistische Krankheitsmodell praktisch zu ihrem alleinigen Paradigma geworden ist. Diesem entspricht ein rationalistisches Menschenbild. Dieses Paradigma, das durch die Kritik des Szientismus und Materialismus in den 60er Jahren überwunden schien, hat seine Vorherrschaft in den letzten Jahren wieder hergestellt, ja im Zuge der rasanten Fortschritte der Biotechniken sogar noch vertieft. Hört man heute manchen herausragenden Vertretern der Biowissenschaften zu, so meint man Ernst Haeckels kruden Materialismus in zeitgemäßer Aktualisierung wiederzuerkennen.14

Auch Mediziner, die selbst einem anderen Menschenbild anhängen (und man mag mutmaßen, dass diese unverändert die Mehrheit darstellen), können sich diesem Alleinvertretungsanspruch des mechanistischen Krankheitsmodells nur schwer entziehen. Dies hängt damit zusammen, dass einerseits mögliche alternative Modelle des Medizinverständnisses bisher keine allgemein anerkannte Formulierung bzw. auch strukturelle Vertretung in Wissenschaft und Praxis gefunden haben, andererseits in zunehmender Radikalität auch alle Versorgungsstrukturen bis in die kleinsten Kapillaren dem mechanistischen Modell angepasst werden. Durch Strukturen dieser Art wird der Patient in der Tendenz zum Kunden, dessen Anamnese lediglich die diagnostischen und therapeutischen Algorithmen füttert, die für eine standardisierte technische Behandlungsplanung erforderlich sind. Die nichtdirektive Kommunikation verschwindet somit zunehmend aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Die Knappheit der Mittel verdrängt paradoxerweise weniger die Technik, sondern alles, was die reibungslose Anwendung der Technik zu behindern scheint, vor allem also die so wertvollen, Zeit konsumierenden ärztlichen Grundaufgaben des Gesprächs und der Zuwendung.

Schließlich gibt es keinen Ausweg aus der Erkenntnis, dass die zunehmend intensiveren gentechnischen Innovationsschübe notwendigerweise einer Kostensteigerung Vorschub leisten, die die Möglichkeit einer Bewahrung eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems in Zukunft immer unwahrscheinlicher erscheinen lassen. Es bleibt vor allem zu fragen, wie die Finanzierung von Mitteln gesichert werden soll, die zur Behandlung seltenerer Erkrankungen eingesetzt werden, die keine „Volkskrankheiten“ sind und somit keinen großen Markt darstellen. Und es bleibt die beunruhigende Frage, welche Mittel denn noch für die Patienten übrig bleiben sollen, die schließlich doch hinfällig sind und dauerhaft der Zuwendung und Pflege bedürfen. Steht dann die „aktive Sterbehilfe“ als Antwort bereit? Solche Fragen führen zum Kern der Sache, um die es hier geht: ist die Utopie der Kuration, die durch die gentechnologische Entwicklung einen ungeahnten Aufschwung genommen hat, ist das Stürmen elementarer Elemente der conditio humana durch permanente und forcierte Expansion der Technik eine adäquate medizinische Zielvorstellung?

Die ökonomische Krise trägt ihrerseits noch einmal zur Verschärfung der Zielkrise der Medizin bei. Die Krise der medizinischen Versorgungsstrukturen ist im Kern eine Krise der Selbstdefinition der Medizin. Sie wird keineswegs nur mit immer neuen Auflagen einer „Gesundheitsreform" zu lösen sein. Vielmehr stellt sich zunehmend unausweichlich die Frage, ob eine solche Medizin nicht nur unbezahlbar, sondern auch kontraproduktiv, ja sogar in mancher Konsequenz inhuman ist. Führt man sich aber die Fragen vor Augen, die hier zu diskutieren sind, tauchen erneut alle wesentlichen Fragen des Selbstverständnisses der Medizin auf: welche Gesundheit streben wir an, welches Leiden ist vermeidbar, welches Leiden müssen wir in welcher Form hinnehmen? Wann sollen wir den Sterbeprozess akzeptieren und begleiten? Wie wollen wir Krankheit verstehen? Welchem Menschenbild folgen wir, wenn wir Kranke behandeln? Wieviel sind wir bereit, für unsere selbstgesetzten Ziele zu bezahlen?

4. Ausblick

Es hat sich gezeigt, dass zwei scheinbar ohne Zusammenhang bestehende Konflikte, die Diskussion um bioethische Spezialfragen sowie die Dauerkrise der medizinischen Versorgungssysteme in Wahrheit Schauplätze des Ringens der Medizin um ihr Selbstverständnis sind, und dass beide Konflikte in Wahrheit dieselben fundamentalen Fragen berühren. Diese Fragen wurden innerhalb der Medizin immer wieder gestellt, ohne befriedigende Antworten hervorgerufen zu haben.15 Die rasante Entwicklung der Biomedizin hat nun die Zielkrise in einem ungeahnten Ausmaß beschleunigt. Die Diskussion muss daher mit einem entsprechenden Bewusstsein nicht nur in Expertenräumen geführt, sondern muss von Medizinern und Patienten, in der Konsequenz von der ganzen Gesellschaft geführt werden. Sie muss aber vor allem auf die Tagesordnung des medizinischen Wissenschaftsbetriebs kommen: denn hier werden Entscheidungen über Forschungsschwerpunkte getroffen, die ihrerseits die medizinische Praxis zutiefst beeinflussen. Hier gilt es insbesonders philosophisch die Vorherrschaft des mechanistischen Paradigmas in Frage zu stellen. Es muss deutlich gemacht werden, dass dieses Paradigma die Selbstabschaffung des Menschen als geistiges Wesen impliziert. Kein noch so großer naturwissenschaftlicher Fortschritt kann jedoch eine Antwort auf die Fragen geben, die die eigentlich menschlichen sind, die in Bezug auf die Medizin lauten: welches Verhältnis haben wir zu Krankheit und Tod, welcher Krankheitsbegriff leitet uns, welche Gesundheit wollen wir erstreben? 

Selbstverständlich gibt es für keine dieser Fragen eine einfache Lösung. Dies gilt insbesonders für Fragen der Limitierung medizinischer Interventionen bei zum Tode führenden Erkrankungen. Nicht wenige derartige medizinische Entscheidungen bleiben gerade in dieser kritischen Perspektive nicht standardisierbar und müssen der Einzelfallentscheidung überlassen bleiben. Dessen ungeachtet muss aber eine ernsthafte Diskussion über grundsätzliche Zielorientierungen der Medizin geführt werden, die im Ergebnis medizinisch und juristisch solide Grundlagen ergibt, an denen sich die Entscheidungen in der medizinischen Praxis orientieren können. Die jüngst neu formulierten „Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung“ haben diesbezüglich viele wichtige ethische Grundsätze expliziert, an denen sich ärztliches Handeln orientieren kann.16 Sie weisen jedoch die entscheidende Schwäche auf, dass sie keine angemessenen Kriterien angeben, was unter einer „infausten Prognose“ zu verstehen ist. Aus diesem Grunde bleibt unklar, auf welche Situationen diese Grundsätze eigentlich anzuwenden sind. Sich auf solche Kriterien zu verständigen ist jedoch eines der vordringlichsten Ziele, denen sich die Medizin in Zukunft widmen muss.

Führt man sich in diesem Zusammenhang noch einmal die Diskussion um die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen vor Augen, so bleibt die beunruhigende Frage, ob über Menschenbilder, die offensichtlich verschiedenen Optionen des Verständnisses von Medizin zugrunde liegen, überhaupt rational gestritten werden kann. In diesem Zusammenhang wird oft behauptet, religiöse Positionen repräsentierten eine Sondermoral, die einer säkulären Gesellschaft nicht mehr vermittelbar seien, und die insofern in einem rationalen Diskurs keinen Platz mehr hätten. Habermas hat solchen Positionen jüngst entgegengehalten, das Ausgrenzen religiöser Positionen schließe wichtige Intuitionen aus rationalen Diskursen aus. Diese Aussage traf Habermas, obwohl er sich selbst als „religiös unmusikalisch“ qualifizierte.17 Diese Position ist innerhalb der Kritischen Theorie nicht neu; bereits Horkheimer betonte, dass das religiöse Erbe nicht umstandslos in den produktiven Schatz des geschichtlichen Fortschritts eingehen könne, ohne selbst zerstört zu werden.18 Obwohl sie eine wichtige Erkenntnis ausdrückt, nämlich dass religiöse Einsichten nicht ohne ihre Selbstaufhebung in rein diskursive Argumente transformiert werden können, geht sie doch in einem entscheidenden Punkte fehl: zumindest die christliche Religion beansprucht für sich, dass die Offenbarungswahrheiten rational als einsehbare Wahrheiten vermittelbar sind. Religion ist demnach nicht in Rationalität überführbar, aber die Rationalität kann zur religiösen Wahrheit hinführen. Dies bedeutet in unserem Zusammenhang, dass auch in einer säkulären Gesellschaft religiös begründete Positionen des Begriffs von Menschenwürde widerspruchsfrei und allgemein anerkennungsfähig formulierbar bleiben. Wenn also der Glaube in einer säkularen Gesellschaft minoritär wird, findet er seinen Partner in einer Zivilreligion, die ihrerseits die allgemein zustimmungsfähigen Grundlagen des Zusammenlebens ausschließlich rational formuliert. In der jetzt dringend zu fordernden Diskussion um die Ziele der Medizin wird es daher von religiöser Seite keine Fundamentalismen geben. Man muss nicht den Glauben des Weihnachtsliedes Paul Gerhardts in sich tragen, um doch ermessen zu können, welche Konsequenzen verschiedene Interpretationen der Menschenwürde für die Gesellschaft bzw. Zieldefinition der Medizin haben.19 Die Berliner Rede des Bundespräsidenten Johannes Rau zeigt in exemplarischer Gültigkeit, wie religiös inspirierte Positionen im Verständnis der Menschenwürde allgemein anerkennungsfähig formuliert werden können.20 Es werden also im Gegenteil biologistische Positionen zu zeigen haben, ob ihr mechanistisches Menschenbild sich nicht als ideologische Verkürzung erweist, die einer humanen Medizin keine allgemein anerkennungsfähige Orientierung zu geben vermag.

Referenzen

  1. Gerhardt, P., „Ich steh´ an deiner Krippe hier ...“, Gotteslob, S. 215, Lied 144
  2. Kant, I., Metaphysik der Sitten, § 28 (AB 112f)
  3. Markl, H., Rede auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft, 26.6.2001: „Mensch ist nämlich kein Etikett der Natur, sondern eine selbstbezügliche Redeweise von Menschen, deren Bedeutung nicht die Natur festlegt.“ „Mensch ist ein kulturbezogener Zuschreibungsbegriff von Menschen und keine rein biologische Tatsache.“ Zur philosophischen Kritik dieser Rede: Hoffmann, T.S., Wer will unter die Piraten? Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.8.2001; Nr. 195, S.42
  4. Singer, P., Praktische Ethik, Reclam Verlag, 2. Auflage (1994); Hoerster, N., Hat der Embryo wirklich ein Interesse am Leben? Frankfurter Allgemeine Zeitung. 23.7.2001, Nr. 168, S.44
  5. Ewig, S., Heilungsversprechen versus Menschenwürde. Elemente einer Kritik neuer Biotechnologien, Zeitschrift für Medizinische Ethik (2001); 47: 407-420; Ewig, S., Ethik des Heilens und ärztliches Ethos. In: Biomedizin und Menschenwürde, Schriftenreihe des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI) (2001) S.17-26
  6. Edwards, R.G., Introduction and development of IVF and its ethical regulation. In: Hildt, E., Mieth, D. (Hrsg.), In vitro Fertilisation in the 1990s. Towards a medical, social, and ethical evaluation, Alderhot (1998) S.3-18
  7. Eibach, U., Sterbehilfe – Tötung auf Verlangen? Brockhaus Verlag (1988)
  8. Statistisches Bundesamt/Robert Koch-Institut: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, www.gbe.bund.de
  9. ebd.
  10. Uexküll, Th.v., Integrierte Psychosomatische Medizin in Praxis und Klinik, Schattauer Verlag, 3. Auflage (1994); Adler, R., Psychosomatik als Wissenschaft. Integrierte Medizin gedacht und gelebt, Schattauer Verlag (2000). Auch wenn dieses Buch und das Bestehen einer „Akademie für Integrierte Medizin“, innerhalb deren Schriftenreihe dieses Werk erscheint, die potentielle Vitalität dieser Ansätze erneut belegt, bleibt festzuhalten, dass Ansätze dieser Art zumindest in Deutschland keine nennenswerte Entwicklungsbasis finden.
  11. Wesiack, W., Psychoanalyse und praktische Medizin. Grundzüge der Neurosenlehre, Psychotherapie und psychosomatischen Therapie, Klett-Cotta (1980). Diese Referenz soll nur als Beispiel dienen; viele andere könnten aufgezählt werden. Sie weist jedoch den Vorteil auf, die Grenzen dieses Ansatzes gerade dort deutlich werden zu lassen, wo er praktisch werden will.
  12. Beck, M., Hippokrates am Scheideweg. Medizin zwischen naturwissenschaftlichem Materialismus und ethischer Verantwortung, Schöningh-Verlag (2001) S.45-62; Beck, M., Seele und Krankheit. Psychosomatische Medizin und theologische Anthropologie, Schöningh Verlag, 2. Auflage (2001)
  13. Statistisches Bundesamt/Robert Koch-Institut: Gesundheitsberichterstattung des Bundes Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, www.gbe.bund.de
  14. Markl, H., Rede auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft, 26.6.2001: „Mensch ist nämlich kein Etikett der Natur, sondern eine selbstbezügliche Redeweise von Menschen, deren Bedeutung nicht die Natur festlegt.“ „Mensch ist ein kulturbezogener Zuschreibungsbegriff von Menschen und keine rein biologische Tatsache.“ Zur philosophischen Kritik dieser Rede: Hoffmann, T.S., Wer will unter die Piraten? Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.8.2001; Nr. 195, S.42; Varmus, H., Ich sehe eine moralische Pflicht zum Embryonenverbrauch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.8.2001; Nr 197; S.43: „Die Fragen zur Ethik, die von der Arbeit an menschlichen Embryonen aufgeworfen wurden, sind beantwortet. Sehr wenige Amerikaner zerbrechen sich darüber noch den Kopf. Der Trend geht zu mehr Akzeptanz. Wenn die Leute das kleine Pünktchen sehen, das aus wenigen, bei der künstlichen Befruchtung übriggebliebenen Zellen besteht, und, wie Tausende von Embryonen jährlich, für den Abfalleimer bestimmt ist, werden sie die Problematik vergessen.“ Varmus ist Nobelpresiträger für Medizin 1989, war sechs Jahre Chef des NIH und ist heute Chef des Memorial Sloan- Kettering Cancer Centers in New York. Ähnlich hemdsärmelige Äußerungen in bioethischen Grundpositionen sind bekannt von R. Watson, dem Entdecker der DNA, aber auch etwa von C. Nüsslein-Volhard, Entwicklungsbiologin und Direktorin am Max-Planck-Institut in Tübingen.
  15. „Als eigentliche Herausforderung innerhalb der Medizin und der Gesundheitspolitik stellt sich daher nicht nur die Frage, ob die Medizin tun darf, was sie kann, schon gar nicht, ob sie tun muss, was sie kann, sondern ob es möglich ist, dem Sog der Technologie hin zu einer Technokratie ein Menschenbild entgegenzustellen, welches uns die Errungenschaften moderner Medizintechnologie dankbar gebrauchen lässt, das vor allem aber auch wissenschaftliches und ärztliches Handeln an die Frage nach der Verantwortbarkeit der Mittel und Verfahren zu binden vermag.“ Richter, G., Welches Menschenbild formt zukünftige Ärztinnen und Ärzte an der Universität? Dtsch Med Wschr (1994) 119: 1131-1134. Diese nahezu prophetisch anmutenden Sätze machen deutlich, wie sehr die aktuelle Zielkrise lediglich eine Verschärfung einer schon lange schwelenden Zielkrise ist.
  16. Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Deutsches Ärzteblatt (1998) 95: A-2365-2367
  17. Habermas, J., Glauben und Wissen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.10.2001
  18. Horckheimer, M., Gedanke zur Religion. In: Schmidt, A. (Hrsg.), Kritische Theorie I und II, Studienausgabe, S. Fischer (1977) S.374-376
  19. Schockenhoff, E., Ethik des Lebens. Ein theologischer Grundriss, Grünewald Verlag (1993); vor allem S.167-212 und S.428-450; Schockenhoff, E., Naturrecht und Menschenwürde. Universale Ethik in einer geschichtlichen Welt, Grünewald Verlag (1996); Spaemann, R., Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“, Klett-Cotta Verlag, 2.Auflage (1998)
  20. Rau, J., Wird alles gut? Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß, 18.5.2001

Anschrift des Autors:

Priv.-Doz. Dr. med. Santiago Ewig
Oberarzt der Medizinischen Poliklinik der Universität Bonn
Wilhelmstraße 35, D-53111 Bonn

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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