Mutterschutz ohne Schwangerschaft?

Imago Hominis (2007); 14(1): 11-12
Susanne Kummer

Die Praxis der In-vitro-Fertilisierung wirft immer wieder neue rechtliche, teils skurrile Streitfragen auf. Eine davon stammt aus Österreich und soll nun den Europäischen Gerichtshof beschäftigen: Laut Mutterschutzgesetz beginnt die Schwangerschaft mit der Empfängnis, also der Befruchtung der Eizelle. Was aber, wenn die Befruchtung künstlich, also im Reagenzglas außerhalb des Körpers, erfolgt? Ist eine Frau ab dem Zeitpunkt der Befruchtung bereits schwanger oder erst nachdem ihr der künstlich befruchtete Embryo eingesetzt worden ist?

Ein Fall dieser Art machte jüngst Schlagzeilen: Eine 38-jährige Salzburgerin unterzog sich einer künstlichen Befruchtung. Wenige Tage, bevor man ihr zwei befruchtete Eizellen einpflanzte, wurde sie gekündigt. Die Kellnerin ging zum Arbeitsgericht und klagte ihren Ex-Chef. Schließlich sei sie laut Gesetz bereits unter Mutterschutz und folglich unter Kündigungsschutz gestanden, argumentierte sie. Das Salzburger Arbeitsgericht gab der Frau, die inzwischen Mutter von 15 Monate alten Zwillingen ist, Recht: Als Schwangerschaft gelte grundsätzlich der Zeitraum zwischen Empfängnis und Geburt. Dagegen legte der Arbeitgeber Berufung ein. Er habe nicht unrechtmäßig gehandelt, da die Kellnerin zum Zeitpunkt der Kündigung – die Embryonen waren noch nicht implantiert – noch nicht schwanger gewesen sei. Es könne keine Schwangerschaft „losgelöst“ vom Körper der Frau geben, entschied auch das Oberlandesgericht Linz in zweiter Instanz. Für „vielleicht künftig schwanger werdende“ Frauen gelte „kein Kündigungsschutz“. Der Fall wurde vom OGH an den Europäischen Gerichtshof verwiesen, damit dieser die Mutterschutzrichtlinie gemeinschaftskonform auslege.

Vorab ist klar festzuhalten: Dass der bloße Verdacht oder eine mögliche Mutterschaft einer Frau schon ihren Job kosten kann, ist eine gesellschaftspolitische Misere, die an diesem Fall leider wieder allzu deutlich wird. Diese kinder- und frauenfeindliche Einstellung zu überwinden, muss unser aller Anliegen sein. Für die ethische Problematik, die sich bei jeder technischen Herstellung von Kindern ergibt, darf man hingegen leider sicher sein, dass das Urteil, egal wie es ausfällt, keine befriedigende Antwort geben wird. Im Gegenteil. Es werden sich neue Widersprüchlichkeiten ergeben.

Erstens: Zu sagen, die Frau sei im biologischen Sinne schwanger gewesen, während die Kinder noch im Reagenzglas lagen, ist blanker Unsinn. Es ist kaum anzunehmen, dass der EuGH dieser Logik folgen wird. Der jüngste Fall spitzt vielmehr etwas zu, was zur Grundproblematik der IVF-Technik zählt: Kinder werden nicht mehr im Mutterschoß empfangen als Frucht der liebenden, leiblich-personalen Vereinigung von Mann und Frau. Sie werden zum herstellbaren „Produkt von Fortpflanzungsingenieuren“1 degradiert. Die leib-seelische Ganzheit des Zeugungsvorgangs, die selbst Ausdruck und Ursprung von Beziehung ist, geht verloren. Denn in der IVF verdankt sich die fundamentale, ursprünglichste und erste aller menschlichen Beziehungen, nämlich die zwischen einer Mutter und ihrem Kind, dem technischen Eingriff eines Dritten. Fehlt dieser Eingriff, zerfallen auch die Beziehungen. Es gibt dann nur noch Embryonen und Zellhaufen, aber keine Kinder mehr, es gibt zwar Ei- und Samenzellenspender, aber keine Eltern mehr. Damit gehen die fundamentalsten Koordinaten menschlicher Beziehung verloren, nicht nur aus der Perspektive des Kindes, sondern auch aus der Perspektive der Mutter (und des Vaters). Das kann kein Gesetz reparieren.

Zweitens: Im Zuge dieses Rechtsstreits wird deutlich, dass es bei dem Zellhaufen in der Petrischale eben nicht bloß um Blastozysten, um etwas geht, sondern um jemanden. Das werden Befürworter der EU-geförderten embryonalen Stammzellenforschung nicht gerne hören. Diese Frau hat ein Kind (im Reagenzglas) erwartet, keinen Zellhaufen. Nur deshalb hat der zynische Arbeitgeber offenbar Panik bekommen und die zeitliche Lücke für eine Kündigung genützt. Er wollte die „werdende Mutter“ rechtzeitig loswerden. Wer in diesem Fall an einer Pro-Mutterschutz-Argumentation festhält, muss auch eine Pro-Kind-Position einnehmen. Alles andere wäre inkonsequent. Wie soll denn eine Frau schwanger sein, ein Kind erwarten – ohne Kind?

Aus dieser Überlegung müsste sich drittens ein klarer rechtlicher Schutz für den Nasciturus ergeben. Plötzlich taucht ja hier ein verstaubt geglaubtes Gesetz auf, das den Embryo schützt, dessen Leben mit Empfängnis, der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt! Von den Rechtsberatern der Salzburger Arbeiterkammer wird genau dieser Punkt als Argument für den Schutz der Frau als Mutter ins Treffen geführt. Von einem solchen Schutz darf jedoch der tiefgefrorene Embryo in vielen Ländern, falls er „übrig“ bleiben sollte und doch nicht gebraucht wird, oder er lieber für Forschungszwecke verbraucht wird oder abgetrieben wird, nur träumen. Man darf schon jetzt davon ausgehen, dass der EuGH sich hüten wird, dem Embryo zuviel Bedeutung in der Sache zuzumessen. Das würde nämlich bedeuten, dass Millionen von Frauen Anspruch auf Mutterschutz hätten, obwohl sie weder schwanger sind noch es je werden. Ihre eigenen oder gespendeten Kinder sind bei Minus 196 °C eingefroren – auf Jahre. Das Oberlandesgericht Linz hatte Recht mit seiner Feststellung, dass es keine Schwangerschaft losgelöst vom Körper der Frau geben kann. Die Intention, Mutter zu werden, reicht nicht, es müssen biologische Fakten folgen. Zum Kinder kriegen gehört eben beides: geistige und leibliche Mutterschaft.

Wenn wir alle diese Punkte überdenken – von den Folgen der IVF in Richtung Selektion und Designer-Babys noch gar nicht gesprochen –, bleibt die Frage, ob wir uns in unserer Gesellschaft nicht schon zu sehr daran gewöhnt haben, den Rubikon überschritten zu haben. Niemand kann uns zwingen, weiterzumarschieren. In der Klimapolitik, im Umweltschutz hat ein Umdenken eingesetzt. Warum sollte es nicht auch in Fragen der Menschenwürde und des Lebensschutzes möglich sein?

Referenzen

  1. Spieker M., Menschenwürde und In-vitro-fertilisation, Zeitschr med Ethik (2005); 51(4): 343-356.

Anschrift der Autorin:

Mag. Susanne Kummer, Imabe-Institut
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skummer(at)imabe.org

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