EU: Streit über embryonale Stammzellforschung

Imago Hominis (2003); 10(4): 209-210
Notburga Auner

Eine spannende und zur gleichen Zeit sehr wichtige Debatte innerhalb der Europäischen Union ist noch immer unbeendet. Die umstrittene Frage nach einer Forschungsförderung, die vor der Zerstörung jungen menschlichen Lebens nicht halt macht, um in Zukunft einmal Therapien anbieten zu können, bleibt nach monatelangem Ringen der EU-Abgeordneten und der Forschungsminister der Mitgliedsstaaten weiterhin unbeantwortet.1 Die entscheidende Sitzung wurde nach mehrmaligen Verschiebungen am 3. Dezember 2003 abgehalten. Die Gespräche brachten aber keine Einigung und wurden ohne Nennung eines Termins vertagt. Damit ist das Moratorium ausgelaufen, und es bleibt ungewiss, ob nochmals Gespräche zu diesem Thema stattfinden werden. Theoretisch könnte es nun sein, dass die umstrittenen Beschlüsse des 6. Forschungsrahmenprogramms einfach in kraft treten, weil es innerhalb der festgelegten Frist zu keiner Abänderung gekommen war. Gegen den Kommissionsvorschlag, ohne Einschränkungen embryonenverbrauchende Forschung mit EU-Geldern zu fördern, wurde ein portugiesisch-italienischer Kompromissvorschlag eingebracht. Dieser sah eine Stichtagregelung ähnlich dem deutschen Modell vor. Embryonenverbrauchende Versuche sollten demnach nicht gefördert werden, wohl aber die weiterführende Forschung mit den bis zu einem bestimmten Tag gewonnenen Stammzelllinien. Bereits eine Woche vor dem Ministerratstreffen wurde ein informelles Abkommen ausgehandelt, das vorsah, den portugiesischen Antrag anzunehmen. EU-Forschungskommissar Philippe Busquin zeigte sich vorerst einverstanden, ging aber danach, unterstützt durch die Medien, neuerlich in die Offensive und propagierte die uneingeschränkte (embryonenverbrauchende) Herstellung embryonaler Stammzelllinien. Herbert Hüppe, stellvertretender Vorsitzender der deutschen Bioethik-Enquetekommission des Bundestages erhebt nun schwere Vorwürfe gegen Busquin und wirft diesem eine starre, „fundamentalistische“ Haltung vor. Busquin beharre unbeirrt auf der weitesten Regelung, obwohl es für viele Menschen in Europa moralisch inakzeptabel sei, wenn an embryonalen Stammzellen geforscht werde, und weigere sich, auf die Argumentation dieser einzugehen. Der Vorwurf ist berechtigt, wenn man bedenkt, dass neben Deutschland, Italien, Österreich, Portugal und Luxemburg auch Spanien die verbrauchende Embryonenforschung nicht mittels EU-Geldern gefördert wissen will.

Die Diskussionen zeigen einmal mehr, wie groß die Herausforderungen an eine pluralistische Gesellschaft innerhalb Europas sind. Dabei handelt es sich in dieser Frage um Wertmaßstäbe und Überzeugungen, die in mehreren nationalen Gesetzgebungen bereits festgemacht sind. Am Beispiel Deutschlands wird deutlich, dass die gründliche nationale Debatte um den Embryonenschutz auf bundesweiter Ebene zur eindeutigen Positionierung geführt hatte. Seine Vertreter haben bei europäischen Verhandlungen konsequenterweise die deutsche Linie dargestellt und dadurch andere Länder sensibilisiert, und in einigen Fällen auch zum Umdenken beigetragen. Aus deutscher, aber auch aus österreichischer Sicht, ist es jedenfalls als Fortschritt zu werten, dass sich im Laufe der Diskussion immer mehr Länder gegen die Erzeugung von Stammzellen aus menschlichen Embryonen aussprechen. Das kann gesagt werden, obwohl es schlussendlich zu keiner Einigung gekommen ist.

Wie bei der geltenden Regelung in Deutschland sollte der portugiesisch-italienische Vorschlag als Kompromiss gelten: einerseits sollte den Forschern die Möglichkeit, mit embryonalen Stammzellen zu arbeiten, nicht gänzlich versagt bleiben, andererseits wollte man keine Anreize schaffen, weitere menschliche Embryonen zu zerstören, um neue Stammzelllinien herzustellen. Es ist und bleibt, wie gesagt, auch das ein Kompromiss: die ethisch bedenklichen Maßnahmen, die zur Herstellung der embryonalen Stammzellen nötig sind, werden gewissermaßen nachträglich doch sanktioniert, indem man „dankbar“ auf die erzeugten Zellen zurückgreift, um an ihnen zu forschen. Die Schaffung neuer Stammzelllinien (unter Embryonenverbrauch) wird aber untersagt. Nach dem Motto: „Was geschehen ist, muss akzeptiert werden, weitere Embryonen sollen aber nicht mehr verbraucht werden.“

Wissenschaftlich gesehen wird die Frage nach den realen Zukunftsaussichten der Stammzellforschung nach wie vor kontroversiell behandelt. Die Forscher können sich in ihrer Beurteilung nicht einigen. Wenngleich immer wieder Ergebnisse aus dem Bereich der adulten Stammzellforschung überraschen und selbst Skeptiker zuversichtlich stimmen, will man die Forschung mit den embryonalen Stammzellen nicht auf ein Nebengleis verschieben. Je länger die Debatte dauert, desto deutlicher zeigt sich auch die Zukunftsträchtigkeit der Forschung mit adulten Stammzellen. Die demonstrierte Entscheidungsschwäche des Ministerrates stellt der EU kein gutes Zeugnis aus. Unbegreiflich bleibt, warum in einer eher unbedeutenden wissenschaftlichen Frage (die echten Probleme liegen ganz wo anders) keine gemeinsame Linie gefunden werden kann, die auch die ethischen Bedenken, die von einigen Mitgliedsstaaten vorgebracht werden, berücksichtigt.

Europa hat sich wieder nicht entschieden, und indirekt die Entscheidung doch getroffen. Die Wertefrage kann aber weder per Mehrheitsbeschluss ermittelt noch von Forschungsunternehmen und deren Lobby bestimmt werden. Vielleicht ist der Zeitaufschub sogar ein Gewinn, weil er zur Besinnung genützt werden kann. Zu hoffen bleibt es allemal.

Referenzen

  1. siehe Auner N., Die EU-Kommission will Embryonenforschung fördern, Imago Hominis (2003); 10: 148-149

Anschrift der Autorin:

Dr. Notburga Auner, Imabe-Institut
Landstraßer Hauptstraße 4/13, A-1030 Wien

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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