Editorial

Imago Hominis (2000); 7(4): 249-250

Das Phänomen der Abhängigkeit von Alkohol und im besonderen von Drogen ist im 20. Jahrhundert zunehmend ein gesellschaftspolitisches Problem geworden. Einerseits geraten viele junge Menschen in die Spirale der Sucht, brechen mit allen Wertordnungen und landen schließlich in einer verheerenden Isolation. Andererseits blüht das Geschäft mit dem Süchtigen. Händler und Mittelsmänner bereichern sich schamlos an der verzweifelten Ausweglosigkeit der Betroffenen. Die Umsätze am Schwarzmarkt haben gigantische Summen erreicht.

Die Gründe für diesen Trend sind mehrfache. Sicherlich muss angenommen werden, dass ein Zusammentreffen mehrerer Faktoren im Spiel ist. In unserer liberalen Gesellschaft, in der der Individualismus hochgepriesen und verehrt wird, neigt man dazu, jede Option den Menschen freizustellen. Auch die des schrankenlosen Konsumismus, selbst dann, wenn sie erwiesenermaßen gesellschaftszerrüttend sind. Alkoholismus, Drogensucht, aber auch Euthanasie, Abtreibung, Promiskuität und Kindesmissbrauch sind die immanenten Folgen einer Gesellschaft, die nur mehr die Gesetze der Wirtschaft anerkennt. Durch einen falsch verstandenen Freiheitsbegriff – einer überzogenen Autonomie – ist die Gesellschaft nicht mehr in der Lage, ihre eigenen Mitglieder vor dem Verderben zu schützen.

Die betroffenen Familien von Drogenabhängigen, das soziale Umfeld und auch die Mediziner stehen dieser Situation mit offensichtlicher Hilflosigkeit gegenüber. Sucht wird ja hinlänglich als Krankheit verstanden: diese Sichtweise nimmt der Problematik die Schärfe und kann zum Teil eine Begründung liefern. Dem Arzt ist aber klar, dass seine Heilkunst – die des schnellen Rezeptierens und guten Zuredens – bei der Suchtkrankheit nichts erreicht. Der Suchtkranke ist vielleicht zu einem Gespräch bereit, für gute Ratschläge offen, es hilft aber meist nichts. Eine Selbsthilfegruppe von Betroffenen und Angehörigen ist nach langen Beratungen und vielen Sitzungen zum Schluss gekommen, dass es sich wohl mehr um einen „Lebensstil“, als um eine Krankheit im eigentlichen Sinn handelt. Der Süchtige lebt in einer anderen Ordnung. Das Argument, er schade sich und seiner Gesundheit, ist ihm nicht zugänglich. Wer einen Süchtigen von seiner Last befreien will, muss es verstehen, ihm neue Wege und Alternativen aufzuzeigen, die notwendigerweise andere Wertordnungen enthalten. Der Süchtige braucht Hilfe um sich wiederzufinden, er muss sich seiner Willenskraft bewusst werden, die Einstellung zum eigenen Körper und der Gesundheit in eine Bejahung verwandeln.

Die Frage ist aber: Woher kann eine Gesellschaft, in der so viele Mitglieder der Drogenabhängigkeit verfallen, die moralische Kraft nehmen, um diese gefährdeten Menschen zurückzugewinnen? Die Zunahme der oben erwähnten Phänomene – Alkoholismus, Drogensucht, Abtreibung, Scheidung usw. ... – sind Indikatoren einer sozialen Zersetzung, vor allem aber Folgen dieser Zersetzung und einer ihr innewohnenden Sinnleere. Der Versuch, nur die Folgen zu therapieren, ohne auf die Ursachen einzuwirken, ist unzureichend. Vielleicht wird damit erreicht, dass der eine oder andere Drogenabhängige von seiner Sucht befreit und nicht rückfällig wird. Bei den meisten wird nur eine kurze Abstinenz erreicht. Mit einem Wort: die Gesellschaft muss sich zuerst moralisch regenerieren, um ihren kranken Mitgliedern wirklich helfen zu können und um zu verhindern, dass weitere Mitglieder, die bestimmte Risikofaktoren aufweisen, erkranken. So lange das Übel nicht an der Wurzel angefasst wird, werden die Programme, so notwendig und erfolgreich sie auch sein mögen, nur „Oberflächenkosmetik“ betreiben.

Sehr unterschiedliche Stellungnahmen kommen im Imago Hominis 4/00, das das Jubiläumsjahr 2000 abschließt, zu Wort. Der Drogenbeauftragte der Stadt Wien, Dr. David stellt sein Konzept vor. Die Autoren Fantacci und Koch stellen die unterschiedlichen politischen Programme einiger Länder in ein kritisches Licht. Aus einer ganz anderen Perspektive versucht Prof. Bydlinski die Frage des Einflusses des Gesetzes auf die Gewissensbildung zu erläutern, die in der Drogenproblematik heute eine große gesellschaftspolitische Relevanz hat. Im Focus gibt es einen kurzen Abriss über Abhängigkeit und Drogen im allgemeinen.

Das Jahr geht zu Ende, der Übergang ins neue Millenium „überstanden“ ... Allen Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Die Herausgeber

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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