Die Legalisierung der Euthanasie in Holland

Imago Hominis (2001); 8(1): 10-11
Henk Jochemsen

Die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments nahm am 28. November 2000 den Gesetzesvorschlag zur Legalisierung der Euthanasie und der Beihilfe zur Selbsttötung an. Jetzt wird der Gesetzesvorschlag an die Erste Kammer gehen, wo er in der ersten Hälfte des Jahres 2001 behandelt wird. Seine Rechtswirksamkeit erlangt er allerdings erst, wenn er auch von dieser Kammer angenommen wurde.

Diese Legalisierung ist ein weiterer bedeutsamer Schritt auf dem Weg der Akzeptanz der Euthanasie als Bestandteil der medizinischen Praxis. Seit 1994 existiert eine gesetzliche Regelung, die es vorsieht, dass erfolgte Euthanasie und Beihilfe zur Selbsttötung, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten wurden, vom Gericht nicht verfolgt wurde. Der von der Zweiten Kammer akzeptierte Gesetzesvorschlag enthält im Wesentlichen folgende Bestimmungen:

1. Um als gesetzeskonform zu gelten, müssen die Euthanasiehandlungen gemäß „sorgfältiger medizinischer Praxis“ erfolgen. Der Wunsch nach Euthanasie muss freiwillig, überlegt und nachhaltig sein, sowie von Patienten kommen, die unerträgliches Leiden ohne Hoffnung auf Besserung durchmachen. Mehr als ein Arzt muss an der Entscheidung beteiligt sein, und sowohl Arzt als auch Patient müssen übereinstimmend der Meinung sein, dass Euthanasie die einzige angemessene Option ist.

2. Alle Fälle von Euthanasie müssen einer regionalen Kommission, die aus einem Juristen, einem Arzt und einem Ethiker/Philosophen zusammengesetzt ist (für jeden gibt es ein Ersatzmitglied) gemeldet, und von ihr überprüft werden.

3. Euthanasie und Beihilfe zur Selbsttötung sind nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt durchgeführt werden, der sich an die Bedingungen in 1) gehalten und sein Vorgehen dem Amtsarzt gemeldet hat.

4. Der Totenbeschauerarzt muss seinen Bericht dem Staatsanwalt und der regionalen Euthanasie-Kommission vorlegen. Der Bericht muss aufzeigen, dass alle Anforderungen für eine legale Euthanasie erfüllt wurden. Im Falle einer schwerwiegenden Übertretung darf der Staatsanwalt sein Einverständnis für das Begräbnis oder die Einäscherung nicht erteilen, solange nicht weitere Erhebungen erfolgt sind.

5. Auch Minderjährige zwischen 12 und 16 Jahren können Euthanasie oder Beihilfe zur Selbsttötung erlangen, sofern ihre Eltern zustimmen.

6. Der Gesetzesentwurf schafft auch die gesetzliche Basis für eine vorweggenommene Euthanasie-Erklärung mit Hilfe einer Art von „Patiententestament“, wodurch ein entscheidungsfähiger Patient Euthanasie fordern kann, und zwar für den Fall, dass er entscheidungsunfähig geworden ist. Obwohl eine derartige Erklärung den Arzt nicht jederzeit zur Durchführung der Euthanasie verpflichtet, wird damit doch der legale Weg geöffnet, das Leben eines entscheidungsunfähigen Patienten zu beenden, wenn er ein solches Dokument unterschrieben hat.

Gegen diesen Gesetzesvorschlag zur Legalisierung der Euthanasie können folgenden Einwände vorgebracht werden:

1. Der Vorschlag bietet der Öffentlichkeit keinen ausreichenden Schutz. Die Straflosigkeit bei vorsätzlicher Tötung durch Ärzte ist in sich eine ernsthafte Verletzung des rechtlichen Lebensschutzes aller Bürger. Jedes Mal, wenn die Kommission in einem Fall positiv entscheidet und daher die Tötung für legal erachtet wird, hat der Staatsanwalt nur mehr sehr eingeschränkte Möglichkeiten, die Vorgangsweise des Arztes zu sanktionieren, da er den Bericht dieses Arztes gar nicht zu Gesicht bekommt. Weiters ist es durchaus denkbar, dass in Fällen, in denen nicht alle Gesetzesauflagen erfüllt wurden, die Erstellung eines Berichts unterbleibt, wie dies auch jetzt schon geschieht. Die angegebenen Daten stammen vom Arzt, der die Euthanasie vorgenommen hat. Deshalb könnten die Ermittlungen, ob alle Rechtsauflagen erfüllt worden sind, sehr oft retuschiert sein. Eine entsprechende Kontrolle wird unmöglich.

2. Eine derartige Legalisierung wird zu einer breiteren Akzeptanz und zu vermehrter Praxis der Euthanasie führen, was eine grundsätzliche Veränderung der Natur der Arzt-Patientenbeziehung und der palliativen Sterbebegleitung bewirkt. Wenn einmal die Euthanasie zur legalen Option geworden ist, wird ein todkranker oder ein von Leiden gepeinigter Patient sich rechtfertigen müssen, wenn er nicht nach Euthanasie verlangt. Der Fall Brongersma, der sich erst kürzlich ereignete, demonstriert die Dehnbarkeit des Begriffs „unerträgliche Leiden“, aufgrund dessen unzählige Menschen diesem Druck ungeschützt ausgeliefert sind. (Brongersma, ein 86 Jahre alter Mann, verlangte und erhielt Beihilfe zur Selbsttötung, weil er der Ansicht war, sein Leben wäre sinnlos und eine zu schwere Last geworden. Der Arzt wurde vom Gericht freigesprochen, siehe BMJ 2000, 321:1174). Gleichzeitig wird die Legalisierung der Euthanasie die Bemühungen und die Kreativität derer unterminieren, die sich im Bereich der Palliativmedizin um einen Terminalpatienten bemühen. Diese nicht beabsichtigten Folgen scheinen in einem Gesundheitswesen, das durch wachsende Kosten und die Notwendigkeit einer Auswahl angesichts der Ressourcen gekennzeichnet ist, unvermeidbar.

3. Die legalisierte Euthanasie ist mit der grundsätzlichen Rolle des Arztes als Heiler nicht vereinbar. Da diese Rolle und das Maß der Befugnis eines Arztes gesetzlich geregelt sind, hat eine solche grundsätzliche Befugnisänderung des Arztes Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und kann nicht bloß als Privatangelegenheit zwischen Arzt und Patient gelten.

4. Wenn man die Euthanasie für Minderjährige ab 12 Jahren akzeptiert, überschätzt man deren Fähigkeit, Bedeutung und Konsequenzen ihres Sterbewunsches abschätzen zu können. Dies stellt für junge Menschen eine unzumutbare Belastung dar.

5. Die Legalisierung der Euthanasie-Erklärung, die einem zurechnungsfähigen Patienten die vorweggenommene Forderung nach Euthanasie erlaubt, falls er später einmal unzurechnungsfähig werden sollte, bewirkt eine Ausweitung der Bedingungen, ausgehend vom Begriff „unerträgliches Leid“ hin zu „Verlust der Würde“. Weiters würde das den Druck auf den Arzt verstärken, das Leben des Patienten zu beenden, sobald der Patient schwer geistig behindert geworden ist, und dies umso mehr, wenn die Angehörigen des Patienten darauf bestehen. Eine derartige Praxis würde die Unterscheidung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Euthanasie verwischen. Kein Wunder, dass die „Niederländische Vereinigung für Pflegeärzte“ ihre Unzufriedenheit mit diesem Teil des Gesetzesvorschlags geäußert hat.

Die verantwortlichen Minister haben in der Parlamentsdebatte zwar eingeräumt, dass ein Arzt, der nicht bereit ist Euthanasie auszuüben, wenn ein Patient darauf besteht, nicht verpflichtet werden kann, den Fall an einen bereitwilligen Kollegen weiterzuleiten. Der Arzt wird aber jedenfalls unter Druck kommen, die Euthanasie entweder doch selbst durchzuführen oder sie einem Kollegen zu überlassen. Falls beide die Euthanasie nicht anwenden wollen, dürften sie in Schwierigkeiten kommen, sofern sie nicht bereits in einer Frühphase der Krankheit angedeutet haben, dass sie gegen eine Euthanasie optieren. Außerdem werden Personen, die im Gesundheitswesen tätig und gegen die Euthanasie eingestellt sind, es schwerer haben eine Stelle in bestimmten Bereichen des Gesundheitswesens zu erhalten.

Anschrift des Autors:

Prof. Dr. Henk Jochemsen
Direktor des Prof. Dr. G. A. Lindeboom Instituts für medizinische Ethik
Postbus 224
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Anthropologie und Bioethik
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