Editorial

Imago Hominis (2001); 8(1): 5-6

Wie vielsagend der Titel „Leben- und Sterben-lassen“ des ersten Symposiums zur Euthanasiedebatte vom 27.-28.10.2000 im Großen Stadtsaal Innsbruck werden sollte, ahnten die Veranstalter zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht. Das rege Interesse (über 600 Teilnehmer) machte schon deutlich, dass ein wichtiges und aktuelles Thema aufgegriffen worden war. Gleich zu Beginn bestand der Direktor des IMABE-Instituts darauf, dass in Österreich zwar ein weitgehender Konsens darüber bestehe, dass eine Tötung niemals ein menschenwürdiges Sterben bereiten könne, ohne hintanzuhalten, dass dieser Konsens zunehmend angegriffen würde. Daher sei es dringende Aufgabe eines jeden einzelnen, diesen Konsens zu schützen. Am eindruckvollsten waren die Stellungnahmen einiger Ärzte, die aus der Praxis heraus Einstellungen und Erfahrungen zum leidvollen Leben in der Krankheit und zum Sterben darlegten. Angst vor dem Leid und erst recht vor dem Tod ist die Normalreaktion des Menschen unserer Gesellschaft. Dass aber gerade in dieser Zielgeraden ungeahnte Freuden und Reifungsprozesse stattfinden, wurde unwidersprochen dargelegt. Und die Menschenwürde werde nicht geschmälert, sondern oftmals geadelt. In diesem Sinn bekommt das Sterben-lassen eine ganz neue Perspektive, einen neuen Horizont. Nicht verbissener Kampf und unkritischer Einsatz aller zur Verfügung stehender Mittel, sondern auf Erfahrung basierendes Abwägen und gegebenenfalls Einschwenken ins bloße Begleiten, wenn eine Heilung nicht mehr zu erwarten ist, so wünschen es sich die Ärzte, und jeder potentiell Betroffene auch. Hätten statt den 600 Interessierten eine vielfache Zahl der Bewohner Österreichs die Wortmeldungen des Symposiums vernommen, dann wäre dem Land die große Aufregung rund um die IMAS-Umfrage in den letzten Wochen erspart geblieben. Wer könnte so unmenschlich sein und einem schwerkranken Menschen, der keine Aussicht auf Heilung hat, den Sterbewunsch abschlagen? Wohl keiner und schon gar nicht ein Christ. Der große Unterschied liegt nur darin, dass im einen Fall der Sterbewunsch ein freundschaftliches mitmenschliches Begleiten, gegebenenfalls auch das Absetzen einer medizinischen Maßnahme bedeutet, und im anderen Fall die Verabreichung eines tödlichen Giftes gemeint ist. Diese Kluft in der Auffassung über eine menschenwürdige Sterbebegleitung ist unüberbrückbar. Eine Gesellschaft muss bereit sein das „Opfer“ des Begleitens auf sich zu nehmen, diese Anstrengungen nicht zu scheuen, um diese ihre Mitglieder, die den letzten Weg antreten, nicht in die Einsamkeit zu entlassen. Das Motiv ist die Menschenwürde, die ein solches Verhalten einfordert. Wirtschaftliche Erwägungen haben in diesem Bereich keinen Platz und wenn sie doch Eingang finden, dann verraten sie den schon begonnen Prozess der Korruption der Gesellschaft. Da hilft kein Hinweis auf die hochgelobte Freiheit des einzelnen. Die Statistiken, die Holland erstellt hat und die geradezu schamlos der Öffentlichkeit vorgelegt werden, zeigen die harten Fakten. Die Legalisierung hat nicht zum besseren Einblick oder gar zur effektiven Kontrolle geführt. Sie hat die Zunahme der Euthanasiefälle nicht verhindert, sondern im Gegenteil wahrscheinlich einen Gutteil davon erst ausgelöst. Jedenfalls sind die Zahlen der nicht gefragten Personen, die vorsätzlich durch sogenannte „medizinische Maßnahmen“ in den Tod geschickt wurden, erschreckend hoch. Letztlich gerät der Rechtsstaat unter die Räder, und das in einer Zeit, in der sich alle Welt rühmt, einer aufgeklärten humanistischen Gesellschaft anzugehören. Österreich hat kein Interesse an einer Entwicklung in diese Richtung. Selbst die bewusst irreführenden Medienberichte und zweideutigen Umfragen können dies nicht weismachen. Dass es aber notwendig sein wird, die Menschenwürde gerade am Lebensende aktiv zu schützen, ist klar.

In dieser Nummer sollen wiederum einige Stimmen zur Euthanasie-Debatte zu Wort kommen. U. Lehr bringt das Thema von der psychologisch-soziologischen Seite. „Der Umgang mit Leben und Tod“ ist historisch gesehen großen Veränderungen unterworfen. E. Schockenhoff stellt in seinem Beitrag „Recht auf Leben und Recht auf Sterben“ klar, dass die bereitwillige Einführung des Sterbewunsches weit davon entfernt ist, den wahren Bedürfnissen schwerkranker Menschen zu entsprechen. Weil in den Niederlanden die Gesellschaft schon seit Jahren die Euthanasie akzeptiert, kommt auch ein Holländer zu Wort. H. Jochemsen analysiert die statistischen Daten der offiziellen Erhebungen über die Vorgangsweise bei schwerkranken Patienten. Alle drei Autoren waren in Innsbruck beim Symposium „Leben- und Sterben-lassen“ zu Gast. In diesem Zusammenhang wollen wir unserem Mitarbeiter L. Juza für seinen Einsatz bei der Organisation der Veranstaltung unseren Dank aussprechen. Ein weiterer Beitrag kommt von M. Waldstein: „Zur Diskussion über „Sterbehilfe im säkulären Staat“ von Norbert Hoerster. Welche tatkräftige Hilfe durch persönliches Engagement erreicht werden kann, klingt im Diskussionsbeitrag von G. Felder an. Unter den Beiträgen der anderen Rubriken sind die Artikel zum „Aktuellen Anlass“ hervorzuheben. Die Euthanasiedebatte geht weiter. Die gesamte Gesellschaft wird an der Lösung der Problematik mitarbeiten müssen. Von ihr hängt es ab, ob die Menschen ihrer Würde gemäß dem Lebensende entgehen können.

 

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