Unsterblichkeit

Imago Hominis (1998); 5(2): 115-123
Josef Seifert

Zusammenfassung

Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit beseelt jede Person, sie ist die Urfrage des Menschen. Seit der Antike bemüht sich die Philosophie den Nachweis für die Unsterblichkeit zu erbringen. Neben ontologischen werden auch anthropologische und moralische Argumente eingebracht. Die Struktur der philosophischen Unsterblichkeitsbeweise ist aber in mehrfacher Hinsicht ganz vom gläubigen Annehmen des ewigen Lebens des Christen verschieden. Die Ewigkeitsgerichtetheit des menschlichen Lebens zielt auf ein positives Ziel der Glückseligkeit und des höchsten Gutes ab, sie kann aber auch den furchtbarsten Charakter der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit annehmen. Daher kann die Philosophie bei aller Größe der Erkenntnis jedoch niemals die Osterbotschaft ersetzen.

Schlüsselwörter: Unsterblichkeit, philosophische Argumente, Glaube Ewigkeitsgerichtetheit

Abstract

The desire or longing for immortality inspirits every person, it is the most important question of all human beings. Since ancient times philosophy has been trying to bring about a proof for immortality. Anthropological and moral as well as ontological arguments have been forth coming. The structure of the philosophical proofs for immortality is in many ways completely different from the Christian view of immortality which is based on faith. The eternal goal of human life is aimed at a positive goal of happiness and the highest good but it can also take on the terrible character of despair and hopelessness. Therefore, philosophy with all its cognitions can never replace the message of Easter.

Keywords: immortality, philosophical arguments, faith, eternal aims


1. Unsterblichkeit – eine Grundfrage des Menschen?

Ob es nach dem Tode ein unsterbliches Leben gibt, ist – wenn wir von der Frage nach Gott absehen – die Urfrage des Menschen. 'Sein oder Nichtsein? Das ist die Frage.' So läßt Shakespeare Hamlet, als dieser die Flucht vor der mit jedem menschlichen Leben verbundenen „See von Plagen“ durch Selbstmord erwägt, angesichts des Todes sprechen.1 Der große französische Philosoph Pascal sagt, die Alternative von Unsterblichkeit oder Nichtsein nach dem Tod betreffe „unser Alles oder Nichts“ und geißelt scharf das Desinteresse, mit dem die meisten Menschen durch Zerstreuungen und Jagd nach Reichtum oder Ehre diese Urfrage vergessen.

Diese Urfrage nach dem Tode stellt sich aber dem Menschen nicht im Raume einer paradiesischen Harmonie, sondern auf dem Hintergrund einer Disharmonie, die einerseits durch den unausweichlich auf uns zukommenden Tod und andererseits durch Schuld und Verzweiflung hervorgerufen wird.2 Angesichts des Sterbens werden wir selber uns „zur großen Frage“.3

Vielleicht würde das Bewußtsein des Todes keinen so großen Eindruck auf uns machen, wenn nicht das menschliche Bewußtsein so unendlich eng an den Leib gebunden wäre und wenn das Ende unserer leiblichen Existenz nicht so klar vor uns stünde. Zeigen nicht Bewußtlosigkeit und Geistesstörungen, daß unser Bewußtsein an die Vorgänge im Gehirn notwendig geknüpft ist?

Die Ratlosigkeit im Anblick des Todes steigert sich, sobald wir an den „gelebten Leib“ denken. Die elementarsten und tiefsten Erlebnisse des Menschen: Liebe, Sprechen, das Lächeln eines Kindes – sie alle sind anscheinend untrennbar mit dem erfahrenen Leib und dem leiblichen Ausdruck verknüpft. Wie soll es die enge Leib-Seele-Einheit auch nur denkbar erscheinen lassen, daß es ein Leben nach dem Zerfall dieses Leibes, des Ortes allen menschlichen Weltbezugs, gibt?

Diese bittere Konsequenz des Zweifels an der Unsterblichkeit wird noch verschärft, wenn wir an den „organischen Lebensrhythmus“ denken, der uns prägt:4 Wir erwachen, wir ermüden, wir spannen uns an und ermatten, wir wachsen an Kraft und Energie und nehmen ab; unser ganzes Leben erscheint so als ein Zyklus von der Geburt über die Fülle der Kraft bis zum Altern. In diesem Rhythmus hat der Tod seine natürliche Stelle. Von jedem Bruchteil einer Sekunde zum nächsten wird uns das Leben stets aufs neue entrissen, so daß wir als zeitliche Wesen in einem fort sterben und vom Nichts bedroht zu sein scheinen, nicht erst am Ende unseres Lebens.5 Wenn das Sterben als radikaler Seins- und Lebensverlust schon in unsere zeitliche Existenz eingeschrieben und mitten im Leben angesiedelt ist, kann uns der Tod dann als etwas tragisch von außen ins Leben Einbrechendes erscheinen? Ist es nicht sogar metaphysisch notwendig, daß der Mensch wieder in der Zeit vergehen wird, wie er in ihr begann?

2. Gegenstand der Hoffnung oder der Verzweiflung?

Noch ein Wort zur Verzweiflung. Auch wenn wir an unserer Unsterblichkeit nicht zweifeln, kann sie Gegenstand einer unbestimmten Angst oder sogar Verzweiflung werden.

Jemand kann auf Grund seiner Schuld daran verzweifeln, je des Glücks würdig zu sein. Oder denken wir an Othellos Worte nach der Ermordung Desdemonas:

„Wenn wir am Thron erscheinen,
Wird dies dein Bild mich fort vom Himmel schleudern,
Wo Furien mich ergreifen. ... Peitscht mich, ihr Teufel,
Weg von dem Anblick dieser Himmelsschönheit!
... Röstet mich in Schwefel!
Wascht mich in tiefen Schlünden flüss’ger Glut!“6

Ein sinnvolles und hoffnungswürdiges Leben nach dem Tode muß ein glückliches, wertvolles Leben sein. Ja noch mehr: Es wäre eine bloße Fortsetzung des irdischen Lebens, wie es sich viele Formen der Reinkarnationslehre und des Spiritismus vorstellen, keineswegs die Erfüllung des urmenschlichen Strebens nach Unsterblichkeit, da dieses erhoffte unsterbliche Leben eine transzendente Qualität, eine Erfüllung des Erkenntnisstrebens, des sittlichen Strebens, der Sehnsucht nach Glück und dem Sieg der Gerechtigkeit und alles Guten einschließt, eine Erfüllung, die durch eine bloße Fortsetzung der diesseitigen oder einer ähnlichen Existenzform nicht erreicht, sondern vielleicht sogar noch verschlimmert würde.7

3. Die Elemente eines philosophischen Unsterblichkeitsbeweises

Der Sinn des menschlichen Lebens nach dem Tod verlangt dreierlei: erstens eine Überwindung der Zweifel an unserer Unsterblichkeit und daran, daß der Sinn menschlichen Lebens überhaupt auf Unsterblichkeit abzielt; zweitens eine Überwindung des Zweifels daran, daß der Tod wie ein Schlaf ist, in dem alles bewußte Leben erlischt; und drittens, wenn wir unsterblich sind und nach dem Tod bewußt weiterleben, eine Antwort auf die Frage nach den Gründen der Hoffnung anstatt der Erwartung einer trivialen oder begrenzten Fortsetzung unseres gegenwärtigen Lebens oder gar anstatt der Verzweiflung angesichts der Unsterblichkeit.

So muß jeder philosophische Nachweis der Unsterblichkeit zumindst die folgenden Schwierigkeiten lösen:

  1. Wie kann das menschliche Bewußtsein den Tod überdauern?
  2. Wie kann man die Behauptung menschlicher Unsterblichkeit angesichts der Tatsache rechtfertigen, daß menschliches Sein und Bewußtsein wesenhaft zeitlich erscheint?
  3. Kann man einen positiven und beglückenden Inhalt des Lebens nach dem Tode philosophisch nachweisen?

Wir sprechen im folgenden von Unsterblichkeit als Philosophen, d. h. wir bemühen uns um eine Antwort auf diese Frage mit den reinen Mitteln und Methoden der Vernunft, nicht des Glaubens.

Philosophische Argumente für die Unsterblichkeit wurden von Platon bis Basave im 20.Jhdt. entwickelt.8 Die wichtigsten dieser Argumente sind:

4. Ontologische Argumente

a) Das Argument aus der Natur des Todes und der Zerstörung überhaupt als Auflösung eines aus Teilen bestehenden Ganzen (Teile eines Körpers, Leib und Seele werden von einander getrennt). Da die Person und die menschliche Seele eine einfache, nicht aus Teilen bestehende Substanz ist, ist sie unzerstörbar. (Platon, Thomas von Aquin, Descartes, Leibniz und andere). Dagegen kann man einwenden (etwa Duns Scotus, Ganztodtheologie), daß es für eine einfache, aber geschaffene Substanz eine andere Art der Totalvernichtung geben könnte, die sich als ein Auslöschen des Seins und seine Rückkehr zum Nichts vom Tod als Auflösung einer Einheit unterscheidet. Außerdem wird in dieser Theorie weder das Bewußtsein noch das Glück eines Lebens nach dem Tod begründet.

b) Ein weiteres ontologisches Argument Platons beruht auf einer metaphysischen Ähnlichkeit zwischen Seele und ewigen Ideen (Wesensformen). Wie beide unsinnlich, nicht durch Gesicht, Gehör, usw. wahrnehmbar seien, so müsse auch die Seele zeitlos wie die unvergängliche Idee des Gerechten an sich, des Dreiecks an sich, usw. und gleichermaßen ewig sein. Dagegen wird man geltend machen, daß abstrakte Ideen wesensverschieden von lebendigen individuellen Personen sind und deshalb nicht automatisch die Unzeitlichkeit von deren Gegenständen besitzen müssen.

c) Ein drittes metaphysisches Argument Platons gemahnt an den ontologischen Gottesbeweis: wie jede Seele ihrem Wesen nach lebt, und es keine tote Seele gibt, so sei Leben unzertrennlich von der Seele und also müsse diese unsterblich sein. Dabei bleibt fraglich, ob diese Unzertrennlichkeit des Lebens von der Seele absolut ist, wie in Gott, oder nur konditional gilt: wenn es eine Seele gibt, muß sie leben. Wenn es nicht objektiv notwendig ist, daß sie überhaupt existiert und damit lebt, da sie kontingent und geschaffen ist, ist Platons Beweis in dieser Form hinfällig.

d) Ein viertes, verwandtes Argument beruht auf der von Platon gesehenen Grundeigenschaft des Lebens und vor allem der rationalen freien Handlung: sich von innen her selbst zu bewegen und zu bestimmen. Das, was nicht von außen die Bewegung empfange, sondern Quelle und Ursprung der Bewegung sei, die Seele, könne nicht vom Quell der Bewegung verlassen werden. Während dieses Argument bei Platon (Phaidros) göttlich-absolutes und weltlich-seelisches Leben ineinander verschwimmen läßt, tritt es in der franziskanischen Tradition des 13.-14.Jhdts. (insbesondere bei Petrus Olivi) als auf der endlichen Freiheit als solcher beruhendes Argument auf:9 Die Macht der Subjektivität gegenüber der Materie kann nicht letztlich der Ohnmacht anheimfallen; ein frei sich selbst bestimmendes und der Materie gegenüber mächtiges Wesen kann nicht letzten Endes den Mächten der unbelebten Natur unterliegen.

e) Platon entwickelt auch ein dialektisches Argument aus den Gegensätzen: wie Warmes aus Kaltem entstehe und umgekehrt, so auch Totes aus Lebendem, Leben aus dem Tod: Die Seelen der Lebenden müssen aus dem Totenreich kommen, weil alle Gegensätze aus ihren Gegensätzen hervorgehen. Dieses Argument setzt die vorgeburtliche Existenz (Präexistenz der Seele) voraus.

f) Ein ganz anderer Sinn dieses Arguments bei Platon berührt die Herkunft der Seelen: woher sollen die neuen Seelen kommen, da es innerhalb der Welt keine adäquate Ursache für ein bewußtes freies Subjekt gibt? Also müssen die Seelen schon vor der Geburt existieren und in unseren Leib wandern, denn nur eine solche ewige Wiedergeburt der Seelen könne das Entstehen neuer Menschen, die keine innerweltliche biologische oder geistige Ursache erzeugen und erklären kann, hinreichend begründen. Daher müßten die Seelen vor der Geburt schon leben und deshalb könnten sie wohl auch nach ihr existieren, ja müßten dies, solange neue Menschen geboren würden.

g) Eine Erkennntismetaphysik liegt in Platons Phaidon und Menon dem Argument zugrunde, daß alles Erkennen, aber vor allem die apriorische Erkenntnis notwendiger zeitloser Wesensformen, die wir z.B. vom pythagorä'schen Lehrsatz besitzen, den der Sklave im Menon ohne äußeren Lehrer und ohne Erklärung durch Sinneserfahrung erkennt, unerklärbar sei, wenn das Erkennen nicht anamnesis (Wiedererinnerung) sei. Also müsse die Seele schon vor der Geburt existiert und die ewigen Formen geschaut haben. Daher bestehe Grund zur Annahme, daß sie auch nach dem Tod leben werde. Dieses Argument geht von einem unzureichenden Erfahrungsbegriff und einem ebenso unzureichenden Verständnis der Erkenntnis aus. Denn die Erfahrung bringt uns in der Tat, wenigstens in Form einer „contuitio“, in Berührung.

h) Ein ganz andersartiges und tiefsinniges negatives ontologisches Argument für die Unsterblichkeit findet sich im X. Buch des Staates Platons. Jedes Ding werde durch das ihm eigentümliche feindlichste Übel zerstört. Kein Übel aber sei der Seele feindlicher als die Ungerechtigkeit. Diese aber kann die Seele nicht töten. Wenn Ungerechtigkeit aber die Seele nicht töten kann, die ein schlimmeres Übel für sie ist als selbst der Tod, kann auch der Tod nicht, ja kann nichts die Seele zerstören.

5. Anthropologische, metaphysische und moralische Argumente aus dem Sinn personaler Existenz

Tiefer scheinen jene Argumente zu gehen, die auf dem spezifisch personalen Wesen des Menschen beruhen, da sie im Unterschied zu den rein ontologischen den positiven Inhalt und das Bewußtsein des Lebens nach dem Tod erschließen, ohne die die Unsterblichkeit sinnlos oder Ursache der Verzweiflung wäre. Diese Argumente haben die folgende logische Struktur: 1. X (Moral, etc.) ist nur sinnvoll, wenn es Unsterblichkeit gibt; 2. X muß sinnvoll sein bzw. der metaphysische Sinn personaler Existenz muß erfüllt sein. 3. (Konklusion)! Also ist die Person unsterblich.

6. Anthropologische Argumente

Schon bei Platon existieren solche Argumente. So etwa im Phaidon:

a) Das Argument, daß zwischen Seele und ewigen Ideen eine Zuordnung bestehe und die Seele nur dort Nahrung finde, worauf sie ihrer Natur nach hingeordnet ist: in der Erkenntnis ewig gültiger Wesen und Wahrheiten. Aufgrund dieser metaphysischen Zuordnung, die den Menschen nach immer weiterem Erkenntnisstreben disponiert, bestehe begründete Hoffnung auf Unsterblichkeit. Denn der Philosoph stehe vor der Alternative: entweder sei sein Leben sinnlos, da sein Sinn nur in ewigem Leben erfüllt sein kann oder es gibt Unsterblichkeit. Der innere Wert der philosophischen Wahrheitssuche aber beweist Unsterblichkeit, wenn neben der Prämisse, daß die Sinnerfüllung des Erkenntnislebens Unsterblichkeit verlangt, auch die zweite Prämisse erwiesen werden kann: daß keine letzten absurden Sinnwidersprüche bestehen können.

b) Ein ähnliches Argument baut Augustinus auf dem Glücksstreben auf: Jeder Mensch ersehnt Glück und damit notwendig Unsterblichkeit. Denn ein Glücklicher wird nie freiwillig und gerne der Beraubung des Glücks zustimmen. Also verlangt Glück Unsterblichkeit (sogar Nietzsche sagt im Zarathustra: „Weh spricht ‘vergeh’, doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit“). Da Gott existiert und Garant des Sinnes der Wirklichkeit und des Triumphes des Guten ist, muß der Mensch unsterblich sein. Insbesondere in unserem Jahrhundert sind diese auf dem Wert des personalen Wesens und Lebens aufgebauten Argumente weiter entwickelt worden, besonders von Gabriel Marcel: „Jemanden lieben heißt ihm sagen: Du wirst nicht sterben“. Wenn aber die Liebe auf Einheit, auf unzerstörbare treue Gemeinschaft, auf das Glück des Du abzielt und deshalb nur erfüllt wird, wenn es Unsterblichkeit gibt, dann stellt sich die Frage, ob das Edelste und Heiligste im menschlichen Leben, Liebe und Treue, lügen können und wesenhaft etwas verheißen, das es in Wirklichkeit nicht gibt. Die prophetische Stimme der Liebe, ihre innere Wahrheit, läßt zwar angesichts des Todes den Zweifel und die quälende Angst, aber nicht den Verrat zu, zu glauben, daß die ontologische Verheißung, das ontologische Geheimnis des Seins der Liebe Illusionen verkünde. Wenn Gottes Existenz sicher erkannt wird, so möchte ich hinzufügen, gewinnt dieses Argument Beweiskraft. Sonst ist der Atheist auf die Hoffnung aufgrund der prophetischen Stimme der Liebe und des Sinnes angewiesen.

c) Bei Anselm von Canterbury (Monologion) gründet sich dieses Argument auf den religiösen und höchsten sittlichen Akt, die Gottesliebe. In einer philosophisch weniger entwickelten, aber vielleicht noch schöneren Gestalt existiert dieses Argument bei Fjodor M. Dostojewski. Dort gründet es auf einer Art von absolutem Sollen, das aus dem reinen Wert der Liebe, der das Dasein unterworfen sein muß, gründet; danach würde es der Güte Gottes widersprechen, die Seele, die ihn zu lieben fähig ist, zu vernichten. Knapp vor seinem Tod gewinnt Stepan Trofimowitsch eine überwältigende Einsicht: daß ein Mensch, der der Liebe, vor allem der Gottesliebe, fähig ist, nicht sterben kann. St. Trofimowitsch in Dostojewskis Dämonen sagt: „Ich muß schon deshalb unsterblich sein, weil Gott kein Unrecht tun wird und das einmal in meinem Herzen zu ihm entbrannte Feuer der Liebe nicht auslöschen wird. Und was ist kostbarer als Liebe? Die Liebe steht höher als das Dasein, die Liebe ist die Krone des Daseins, und wie ist es möglich, daß das Dasein ihr nicht unterworfen ist? ...Wenn Gott existiert, so bin ich unsterblich!“

Doch kehren wir zur philosophisch entwickelteren Form des Arguments für Unsterblichkeit aus der Gottesliebe bei Anselm von Canterbury zurück! Die höchste Pflicht des Menschen ist es, das unendliche Gut über alles zu lieben und ein Wesen, das Gott frei lieben kann und soll, muß unsterblich sein. Denn die Erfüllung dieser Pflicht verdient Lohn und nicht Strafe. Der einzige Lohn aber, der für den Gott Liebenden Lohn statt Strafe ist, ist die ewige Anschauung und liebende Vereinigung mit dem höchsten Gut. Dessen Güte und Gerechtigkeit verlangen deshalb, daß er das Ihn liebende personale Wesen weder vernichtet noch durch etwas anderes belohnt als durch unzerstörbare Vereinigung mit Ihm. Wenn der Mensch aber frei das höchste Gut verwirft, verdient er ewige Verdammnis. Damit gelangen wir von den anthropologisch-personalen zu weiteren Argumenten.

7. Moralische Argumente

a) Aus der moralischen Ordnung folge, daß die Gerechtigkeit – die sich auf der Erde nicht erfüllen läßt und außerdem zu ihrer Erfüllung Unsterblichkeit und ewigen Lohn oder ewige Strafe verlange – nur unter der Voraussetzung ernstzunehmen ist, daß es Unsterblichkeit gibt. Aber die Majestät des Sittlichen beweist den unbedingten Ernst der Moral, deren ontologische Bedingung der Möglichkeit existieren muß (Bei Kant lebt dieser Gedanke in Form des „Postulates der reinen praktischen Vernunft“, das subjektiven Charakter hat, weiter. Hätte er Einsichten in das objektive Wesen der Gerechtigkeit als solcher anerkannt, hätte er den letzten metaphysischen Wert dieses Arguments gesehen). 

b) Das moralische Leben zielt auf einen Fortschritt in der Vollkommenheit (auf die völlige Angleichung des Willens an das moralische Gesetz und die sittlich relevanten Werte und Güter und damit auf Heiligkeit, wie Kant sagt) ab. Kein endlicher Fortschritt im moralischen Leben kann diese Wesenstendenz erfüllen, sondern nur ewiges Leben. Also verlangt der Sinn des moralischen Lebens genau dieses!

c) Selbst Ungerechtigkeit (Platon), ja sogar Verzweiflung kann das Selbst nicht vernichten. Deshalb muß der Mensch unsterblich sein.10

8. Unsterblichkeit und Glauben

Die Struktur der philosophischen Unsterblichkeitbeweise ist wenigstens in fünffacher Hinsicht ganz vom Annehmen des ewigen Lebens des Christen verschieden:

1. glaubt der Christ nicht aufgrund abstrakter Argumente, sondern er gründet seinen Glauben an Unsterblichkeit und an das ewige Leben auf ein historisches Ereignis, das die ersten Christen sahen und die, die es nicht sehen, im Glauben festhalten: auf die Auferstehung Jesu Christi als auf ein wahres und wunderbares Ereignis.

2. beruht der christliche Glaube an das ewige Leben nicht auf rational zwingenden Beweisen, sondern auf einem Akt personalen Glaubens an eine Person und ihr Zeugnis für die Wahrheit: das Wort und die in der Tat und im Wunder bestätigte Glaubwürdigkeit der Zeugen und Jesu Christi selbst: „Du allein hast Worte des ewigen Lebens“.

3. ist der Akt des Glaubens auf einen positiven Inhalt, auf ewiges Heil, und damit zugleich auf ein Gut gerichtet, das alle rein philosophischen Hoffnungen unendlich übersteigt. Dieses Gut ist ein freies Geschenk Gottes, Frucht des Leidens und Sterbens und der Liebe Gottes, der die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn zum Tod am Kreuz sandte, um die Welt zu retten. Das ist ein philosophisch beweisbarer Inhalt.

4. glaubt der Christ, daß dieser Glaube an das ewige Leben nicht aus eigenem Verdienst und eigener Leistung (auch wenn der Katholik an der Notwendigkeit freier Mitwirkung des Menschen festhält), sondern aus der Gnade Gottes entspringt.

5. glaubt der Christ, auch wenn er in Einklang mit vielen evangelischen Glaubenden (etwa Calvin) und mit der katholischen Lehre daran festhält, daß es eine vom Leib getrennte Seele (anima separata) nach dem Tode gibt, nicht an die bloße Unsterblichkeit der Seele, sondern auch an die leibliche Auferstehung.11

9. Die Ewigkeitsgerichtetheit des menschlichen Lebens

Gehen wir noch einmal zurück zu der eingangs erörterten Gerichtetheit des menschlichen Lebens auf Zeit und auf Sterblichkeit!

Ein Blick auf das Leben des Menschen enthüllt in der Tat neben dem vitalen Lebensrhythmus des „Stirb und Werde“ einen ganz anderen geistigen Lebensrhythmus, den Platon in die folgenden Worte gefaßt hat:

„(Die Seele) aber ... wendet ... sich ... nach dem Reinen und Ewigen und Unsterblichen ..., und als verwandt damit weilt sie, sobald sie für sich allein ist ..., immer bei ihnen.“12

In jeder Erkenntnis streben wir nach Wahrheit, die selber nichts Zeitliches und Vergängliches ist. Noch klarer tritt dies dort hervor, wo auch der Gegenstand unserer Erkenntnis notwendig zeitlos und ewig ist, wie die Objekte der Mathematik oder die Gegenstände philosophischen Nachdenkens.

Dasselbe gilt erst recht von jeder philosophischen und religiösen Gotteserkenntnis.

Auch im Sittlichen ist der Mensch mit etwas ewig Gültigem konfrontiert, mit dem Atem des Ewigen, wie Kierkegaard sagt. Dies zeigt sich im Gewissen und in der Tatsache, daß sittliche Schuld nicht einfach verjährt. Ohne Unsterblichkeit ginge der beste Mensch und ein menschlicher Teufel in derselben Weise wie eine Maus oder eine Ratte dahin. Dann gäbe es aber keine Verwirklichung der Gerechtigkeit in der Welt.13

An dieser Stelle sehen wir auch, warum die Ewigkeitsgerichtetheit des menschlichen Lebens zwar primär und wesenhaft auf ein positives Ziel der Glückseligkeit und des höchsten Guten abzielt, aber auch, den furchtbarsten negativen Charakter annehmen kann, wie der Verzweifelte ihn fürchtet oder erlebt. Ein ähnlicher Ewigkeitsbezug gilt von der Kunst, von der Religion sowie dem religiösen Akt.14

Hier sei vor allem auf die Liebe zu anderen Menschen verwiesen, von der Gabriel Marcel zeigt, daß von ihr gilt: „Jemanden lieben heißt ihm sagen: du wirst niemals sterben.“ Sowohl die Bejahung der anderen Person und ihres ewig gültigen Wertes, ihrer Würde, die sie in sich als Person besitzt, als auch die Sehnsucht nach Einheit verlangen die Existenz des geliebten Wesens nach dem Tod, wenn nicht durch den Tod der Liebe und Treue in ihrem Innersten tragisch widersprochen werden soll.

Wenn wir ferner an den von Liebe untrennbaren Wunsch nach dem Glück des Geliebten und auch an die eigene Sehnsucht nach Glück denken, so finden wir mit Augustinus, daß die Sehnsucht nach Glück notwendig auch Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist. Denn ein Zustand, an dessen Verlängerung uns nichts läge und den wir eines Tages in sinnvoller Weise zu beenden ansehen könnten, wäre nicht zurecht als Glück zu bezeichnen. Das gilt natürlich erst recht dann, wenn man – mit Max Scheler,15 Dietrich von Hildebrand,16 Karol Wojtyla, Tadeusz Styczen,17 Paul Ricoeur,18 Robert Spaemann19 und anderen das Glück nicht ausschließlich als immanente Erfüllung auffaßt, sondern erkennt, daß das Glück erst entsteht, wenn man andere Personen und Güter um ihrer selbst willen bejaht.20 Letzten Endes ist das Glück als innerlichste Freude der Person nur möglich, wenn man von einem universalen Sieg des Guten und Gerechten über alle Übel überzeugt ist.21 Ausgezeichnet formuliert Frankl häufig, der Mensch begehre nicht so sehr glücklich zu sein als einen Grund zu haben, glücklich zu sein. Selbst im sinnvollsten menschlichen Leben ist aber so vieles schlecht und unvollkommen, daß man mit Hölderlins Zeilen aus der Zeit seiner geistigen Umnachtung sagen kann:

„Die Linien des Lebens sind verschieden, wie Wege sind und wie der Berge Grenzen; was hier wir sind, mag dort ein Gott ergänzen mit Harmonien, mit ew’gem Lohn und Frieden“.22

Der Philosoph kann sich nicht vermessen zu wissen, ob der Zustand der gebrochenen Welt, der Schuld, des Bösen, in dem wir alle uns bewegen, solcherart ist, daß die Erfüllung des innersten Sehnens und objektiven Abzielens der Person auf ewiges Glück erfüllt werden kann. Wie Platon in ergreifenden Worten im Phaidon schreibt – nur ein göttliches Wort, ein göttlicher logos kann uns in die Lage versetzen, die Frage einer für unsterbliches Glück notwendigen Reinigung und Erlösung zu beantworten. Der Philosoph weiß auch nicht, ob dafür außer dem gerechten Leben noch eine göttliche Gnade nötig ist. Deshalb vermag er bei aller Größe philosophischer Erkenntnis der Unsterblichkeit des Menschen, die uns erlaubt zu wissen, daß der Mensch unsterblich ist, niemals die Osterbotschaft zu ersetzen.

Referenzen

  1. Vgl. auch Augustinus, Soliloquia II, 1,1.
  2. Vgl. Dietrich von Hildebrand, Der Tod, op. posth. (St. Ottilien: Eos-Verlag, 1984).
  3. Siehe A. Augustinus, Confessiones IV, 2.
  4. Siehe dazu D. v. Hildebrand, „Die Unsterblichkeit der Seele“, in: Die Menschheit am Scheideweg, hrsg. v. K. Mertens (Regensburg, 1955), S. 25ff., bes. 28 ff.
  5. Siehe dazu Augustinus, Confessiones, Buch XI. Siehe auch J. Seifert, Essere e Persona (Mailand, 1989), Kap. x.
  6. Vgl. dazu auch Shakespeare, Richard II., II, 2. Vgl. auch Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, übers. und komm. v. L. Richter (Frankfurt a.M., 21986), I,A,c., S. 17-21.
  7. Vgl. Paul Ricoeur, Phänomenologie der Schuld (I: Die Fehlbarkeit des Menschen, S. 91 ff.
  8. Platon, Phaidon; A. Basave, metafísica de la muerte (1973); Gabriel Marcel.
  9. Vgl. S. Vanni Rovighi, L'Immortalità dell'anima nei maestri francescani del secolo XIII (1936).
  10. Vgl. Soeren Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, übers. und komm. v. L. Richter (Frankfurt a.M., 21986).
  11. Vgl. P. Althaus, Die letzten Dinge (1939,1964). Vgl. auch Josef Seifert, „Das Unsterblichkeitsproblem aus der Sicht der philosophischen Ethik und Anthropologie“, Franziskanische Studien, H 3 (1978).
  12. Siehe Platon, Phaidon, xxvii, 79 d ff.
  13. Vgl. Fjodor M. Dostojewski, Brüder Karamasoff, II. Teil, Sechstes Buch, II d.
  14. Vgl. Max Scheler, „Probleme der Religion“, in: Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen, 5. Aufl. (Bern und München: Francke Verlag, 1968), S. 101-354. Vgl. Max Scheler, Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, in: M. Scheler, Vom Umsturz der Werte (Bern-München: Francke-Verlag, 1955).
  15. Vgl. M. Scheler, „Tod und Fortleben“, Schriften aus dem Nachlaß I (31986); ders., Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 5. Aufl. (Bern und München: Francke, 1966).
  16. Dietrich von Hildebrand, Das Wesen der Liebe, in: Hildebrand, Gesammelte Werke, Bd. III (Regensburg-Stuttgart: Habbel/Kohlhammer, 1971), Kap. i-v, vii, ix, x. Vgl. auch D. v. Hildebrand, „Die Unsterblichkeit der Seele“, in: ders., Die Menschheit am Scheideweg (1955).
  17. Siehe Karol Wojtyla/Andrzej Szostek/ Tadeusz Styczen, Der Streit um den Menschen (Kevelaer: Butzon und Becker, 1979).
  18. Phänomenologie der Schuld I: Die Fehlbarkeit des Menschen, S. 91 ff.
  19. Robert Spaemann, Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration: Studien über L. G. A. de Bonald (München: Kösel, 1959).
  20. Man denke an die ethische Grundnorm nach der polnischen personalistischen Ethik, wonach die Person um ihrer selbst willen geliebt werden soll: persona est affirmanda propter seipsam. Vgl. dazu Tadeusz Styczen, „Zur Frage einer unabhängigen Ethik“, in Der Streit um den Menschen Kevelaer: Butzon und Becker, 1979.
  21. Man muß hier den radikalen Unterschied zwischen einem subjektiven oder willkürlichen oder auch perversen Wunsch und einer objektiven metaphysischen Sinnforderung machen.
  22. Vgl. Agustín Basave Fernandez del Valle, Metafísica de la muerte (Mexico: Editorial Jus, 1973), bes. S. 67 ff. Vgl. auch J. Seifert, „Agustin Basave, an Important Philosopher of our Times“ in: Homenaje al Dr. Agustin Basave Fernandez del Valle, (Monterrey: Universidad Regiomontana, 1984).

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