Der geklonte Mensch. Die bioethische Beratungskommission der US-Regierungnimmt Stellung

Imago Hominis (1998); 5(1): 12-16
Markus Schwarz

1 Einführung

Es ist nun schon über ein Jahr her, seitdem am 27. Februar 19972 die Neuigkeit zum ersten Mal in die Weltöffentlichkeit hinausposaunt wurde: Der schottische Wissenschaftler Ian Wilmut und sein Team rühmten sich, zum ersten Mal ein erwachsenes Säugetier geklont zu haben. Dolly, das geklonte Schaf, war in aller Munde und schien neue Ebenen und neue Richtungen in der medizinischen Forschung zu schaffen.

Heute, ein Jahr nach der Veröffentlichung dieser Experimente sollten wir genug Abstand genommen haben, um unvoreingenommen an das, was tatsächlich in diesen Tagen passiert ist, heranzutreten und einer Beurteilung zu unterziehen. Haben wir es wirklich mit einer neuen Art der Medizin zu tun? Wird sich tatsächlich unser Bild von Familie, menschlicher Fortpflanzung und menschlichem Zusammenleben grundlegend ändern?

1.1 Das Wilmut-Experiment

Zunächst stellt sich die Frage, was denn eigentlich bei diesem Experiment genau passiert ist. Nach neuesten Informationen weiß dies eigentlich niemand so genau. Gerade in letzter Zeit kamen diverse Zweifel darüber auf, ob die Klonierung erwachsener Tiere nun Wirklichkeit geworden ist oder nicht.

Nach veröffentlichten Informationen konnte Wilmuts Team den Zellkern der Brustdrüsenzelle eines Mutterschafes in die entkernte Eizelle eines zweiten Muttertieres einbringen, und nach Implantation in einen Schafuterus entstand daraus – „Dolly“. Dolly war der erste geglückte Versuch seiner Art von 400 Versuchen. Seither wurden weitere 600 Versuche der Klonierung unternommen und keiner führte zur Geburt eines lebensfähigen Schafes.

Es gab auch Kritik an den nachgehenden Untersuchungen von Dolly. Als erstes war der Kern einer eingefrorenen Brustdrüsenzelle entnommen worden und das Muttertier war bereits tot, als Dolly das Licht der Welt erblickte. Eine zielführende Untersuchung der genetischen Identität von Dolly mit seiner Mutter war folglich nicht möglich. Außerdem war die Charakterisierung der Brustdrüsenzelle unzureichend, um den genauen Zelltyp, der für die Klonierung verwendet wurde, im nachhinein ausfindig zu machen.

1.2 Was ist neu an Dolly?

Aber was ist nun das neue, „revolutionäre“ an Dolly, das man bisher mit anderen Technologien nicht erreichen konnte? Zunächst wurde mit der Technologie, die man heutzutage zumeist als somatischen Zellkerntransfer beschreibt, die Möglichkeit eröffnet, Klone in großer Anzahl herzustellen. Im Gegensatz zum bereits praktizierten Embryosplitting, das ja ebenfalls identische Klone analog der Zwillingsbildung erzeugt, steht bei dieser neuen Technologie einer „Fließbanderzeugung“ von Klonen theoretisch nichts mehr im Wege.

Weiters handelt es sich beim somatischen Zellkerntransfer um eine zeitlich versetzte Zwillingsbildung. Diese wäre prinzipiell auch beim Embryosplitting möglich, wenn einer der beiden Zwillinge eingefroren und Jahre später aufgetaut und einem Uterus implantiert würde. Doch besteht gerade in diesem Fall der Unterschied darin, daß der somatische Zellkerntransfer eine Voraussage des Phänotypes des Klones ermöglicht. Das heißt, man kann im voraus aus einer großen Anzahl von Phänotypen auswählen und ist nicht auf den Unsicherheitsfaktor der Chromosomenkreuzung angewiesen.

Genau dieser Aspekt, die asexuelle Fortpflanzung beim somatischen Zellkerntransfer, ist aber auch der Hauptpunkt der rein biologischen Kritik an dieser neuen Technologie. Die Sexualität (und damit ist in diesem Fall die Vermischung der Chromosomensätze auf DNA-Ebene gemeint) stellt für die Natur eine wichtige Strategie dar, um Organismen resistenter gegen äußere Einflüsse zu machen. Im Fall der Klonierung in großer Zahl würde diese Strategie umgeworfen werden. Die Auswirkungen solcher Veränderungen sind aber nur schwer vorhersehbar.

Als Folge dieser asexuellen Vermehrung gilt auch ein vorzeitiger Alterungsprozeß der DNA als gesichert. Die DNA unterliegt während des Lebens jedes Organismus einer Reihe von biochemischen Veränderungen, die einen Alterungsgrad des Genoms vorgeben. Ein aus somatischen Zellen kloniertes Individuum würde daher mit einer relativ „alten“ (dem Alter des Klonvaters entsprechenden) Genomstruktur auf die Welt kommen. Auch hier sind die Auswirkungen, die sich durch frühzeitiges Einsetzen von degenerativen Krankheiten und Anfälligkeiten für Infektionskrankheiten ergeben, unvorhersehbar.

2 Was sagt die National Bioethics Advisory Commission (NBAC) der amerikanischen Regierung?

Man sieht, daß sich mit dieser Technologie schon genügend Problematik für den Tierversuch auftut, einer Problematik, die eine Anwendung am Menschen als weit mehr als unrealistisch erscheinen läßt. Trotz allem ließ der amerikanische Fortpflanzungsspezialist Richard Seed im Dezember 1997 und ein zweites Mal im Jänner dieses Jahres verkünden, daß er innerhalb von neunzig Tagen daran gehen werde, die somatische Klonierung des Menschen zu versuchen.

Doch schon Monate zuvor fühlte sich die amerikanische Regierung gedrängt, kurzfristig eine nationale Bioethikkommission einzuberufen, die innerhalb von neunzig Tagen eine Empfehlung für das gesetzliche Vorgehen über die Anwendung dieser Technologie am Menschen ausarbeiten sollte. Im Juni 97 lag ein Konzeptpapier dieser Kommission vor, das im kurzen folgende Punkte enthielt:

  • Keine Finanzierung der Erforschung des somatischen Zellkerntransfers am Menschen durch Bundesmittel (wie dies bereits seit März 1997 für alle Klonierungsversuche in den USA gilt).
  • Verabschiedung eines Moratoriums für weitere drei bis fünf Jahre für den Ausschluß von Klonierungsversuchen am Menschen.
  • Feststellung durch wissenschaftliche Gesellschaften, daß der somatische Zellkerntransfer zur Zeit aus Sicherheitsgründen, aber auch weitergehenden moralischen Aspekten nicht akzeptabel ist.
  • Einschränkung dieser Bestimmungen auf die gewollte Implantation von Embryonen, die mit dieser Technik erzeugt wurden, aber kein generelles Verbot der Forschung.

3 Politische Beurteilung

In der generellen Beurteilung dieser Empfehlungen der Bioethikkommission muß man sich zunächst in die Situation der Mitglieder der Kommission und ihrer Berater versetzen. Als Alternativen für mögliche politische Empfehlungen boten sich im Prinzip nur wenige Möglichkeiten an: einerseits ein generelles Verbot jeglicher Anwendung und Forschung auf diesem Gebiet. Als zweites Extrem wäre es möglich gewesen, den somatischen Zellkerntransfer uneingeschränkt praktizieren zu lassen. Dazwischen gab es im Prinzip nur die Möglichkeit des eingeschlagenen Moratoriums für eine gewisse Zeit, mit gleichzeitiger vorläufiger Verhinderung jeglicher Anwendung der Technologie oder die Einrichtung eines Gremiums, das über die Anwendung der Technologie in Einzelfällen entscheidet, wie dies zum Beispiel in den USA im Rahmen der Gentechnik der Fall ist. Vor diesem Szenario muß man erkennen, daß die Entscheidung, vor allem aus politischer Sicht gesehen, das Maximum an Möglichkeiten herausholte. Auch angesichts des Zeitdrucks, dem die Kommission ausgesetzt war, verdient die zustande gebrachte Entscheidung volle Hochachtung. Die Klonierung mit dieser Technologie wurde für zumindest drei Jahre hinausgezögert, zugleich aber wurde ein Fundament für eine ehrliche ethische Auseinandersetzung mit diesem Thema in der Öffentlichkeit geschaffen, was bei einem sofortigen generellen Verbot unter Umständen nicht möglich gewesen wäre. Mit dieser Empfehlung wurde aber auch entschiedenen Verfechtern dieser Technologie viel Wind aus den Segeln genommen. Nun sind ehrliche Argumente gefragt und weniger Polemik und Technologiegläubigkeit.

Vor allem in den USA wurde dieser Ausgang als Sieg der Klonierungsgegner dargestellt, wobei die Argumentation der Kommission allgemein keine Überraschung ist. Sogar in der Wissenschaft selbst formierte sich eine große Anzahl von Gegnern der Klonierung von Menschen, angeführt von der Forschergruppe um Ian Wilmut selbst, für den das Klonieren des Menschen nicht in Betracht kommt. Auch die Wirkung der Empfehlungen blieb nicht aus. Präsident Clinton ließ unverzüglich Gesetzesvorschläge für ein fünfjähriges Moratorium zur Erforschung und Anwendung von Klonierungstechnologien am Menschen ausarbeiten. Zwei der drei bisher eingereichten Vorschläge umfassen nicht nur den somatischen Zellkerntransfer, sondern beziehen auch das Embryosplitting in dieses Verbotsmoratorium mit ein.

4 Ethische Beurteilung

So effizient die Beurteilung und Empfehlung der Bioethikkommission auch der Klonierung des Menschen auf politischer Ebene vorgebeugt hat, so wenig darf man sich über die Schwächen in der Argumentation und ethischen Begründung der Empfehlungen hinwegsetzen.

4.1 Schwache Begründung für ein Moratorium

Zunächst ist es logisch nicht einsichtig, warum gerade eine Technologie wie das Klonieren nach fünf Jahren einer neuerlichen Überprüfung unterzogen werden soll. So wichtig es auch sein mag, alle gesetzlichen Regelungen regelmäßig zu überprüfen und im Licht neuer Erkenntnisse zu beurteilen, so wenig verständlich ist es, warum nicht auch für so wichtige Fragen wie das Verbot der Sklaverei oder das Recht auf freie Meinungsäußerung derartige Moratorien gelten sollen. Dahinter steht natürlich das Vorbeischwindeln der Kommission an der eigentlich entscheidenden Frage im Zusammenhang mit der Klonierung: Ist ein Klonieren des Menschen an sich moralisch erlaubt oder nicht?

4.1.1 Ausklammern der Interessen der Kinder

Die Empfehlungen der Kommission klammern genauso notorisch die Interessen der eigentlich Betroffenen in dieser Diskussion aus: Die Interessen der möglicherweise durch Klonierung erzeugten Kinder, wie auch die Interessen zukünftiger Generationen der Menschheit, die ja mit den Folgen unserer heutigen Technologiegläubigkeit leben müßten. Als einziger Bezug zur nachfolgenden Generation treten „sicherheitstechnische“ Überlegungen in Erscheinung, die aber von einer Beurteilung der Interessen und Bedürfnisse zukünftiger Generationen weit entfernt sind.

Im Gegensatz dazu trägt der Bericht der Kommission aber den Eltern- und Fortpflanzungsrechten nachhaltig Rechnung, indem diese den Sicherheitsüberlegungen gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Weitreichende moralische und ethische Überlegungen bleiben aber ohne Substanz. Tagespolitische Überlegungen verhinderten auch auf diesem Gebiet eine tiefgreifendere Beschäftigung mit den Wurzeln der Gesamtproblematik. Anstatt von Idealen für die Gestaltung der Zukunft, gehen die Empfehlungen von den Interessen und Machtverhältnissen der heutigen Einflußpersonen aus.

4.1.2 Gemeinschaftswohl – Forschungsfreiheit

Der einzige Punkt, in dem die Kommission einen Konsens erzielen konnte, war die Frage der Sicherheit der Methode. Zum heutigen Zeitpunkt stellt diese Methode keine sichere Alternative zu anderen Technologien dar. Sollte die Sicherheit eines Tages aber kein Problem mehr darstellen und die Technologie des somatischen Zellkerntransfers mit einem vernünftigen Ausmaß an Gefahren einsetzbar sein, wäre nach der Argumentationslinie der Kommission eine Abwägung zwischen dieser Sicherheit und den Interessen der Wissenschaft und Forschung sowie einzelner, die von dieser Technologie profitieren könnnten, notwendig.

Die Vereinfachung aller naturwissenschaftlichen Fragestellung auf eine Kosten-Nutzenanalyse mag zwar der Naturwissenschaft als solcher inhärent sein, doch stellt sich gerade hier die Ethik und Moral der Naturwissenschaft zur Seite, um diesem Wechselspiel Grundsätze vorzuschieben, die nicht überschritten werden können, auch wenn der Nutzen noch so groß wäre. Und de facto gibt es nur sehr wenige, aber um so wichtigere Beispiele aus der medizinischen Forschung, in der diese Kosten-Nutzenrechnung um jeden Preis nachrangig wird: die Patienteneinwilligung bei Versuchsreihen stellt eine solche Barriere dar. Doch stellt sich die Frage erneut, wie lange werden solche Barrieren noch halten, wenn der Nutzen für vermeintlicherweise wichtigere Güter, wie zum Beispiel eine neuartige, aber noch unerprobte Therapie, zunimmt?

5 Grundsatzfragen

Trotz all dieser positiven und weniger positiven Ansätze der Empfehlungen der Bioethikkommission bleiben die eigentlichen Grundfragen zum Thema der Klonierung des Menschen unbeantwortet. Diese Fragen gliedern sich im Prinzip in drei Bereiche:

  1. Die anthropologische Frage: Läßt sich die Klonierung von Menschen mit seiner „Würde“ (oder ähnlichen Konzepten des Menschseins, wie der „Natur des Menschen“ oder dem „Sein des Menschen“) vereinbaren, also wird eine asexuelle, mechanistische Fortpflanzung dem Gesamtphänomen Mensch gerecht?
  2. Die sozialpolitische Frage: Wollen wir als Gesellschaft und im globalen Sinn als Menschheit zulassen, daß sich unser Dasein und unser Verständnis von Familie, Individualität und Liebe derart verändert? Wollen wir also unser Leben und das zukünftiger Generationen in die Hand von Technokraten ausliefern, die ihre Entscheidungen an der Machbarkeit und nicht an der Sinnhaftigkeit von Handlungen ausrichten?
  3. Die medizinische Frage: Welches Problem wird für die Menschheit durch die Inanspruchnahme von Klonierungstechniken wirklich gelöst? Gibt es anerkannte Krankheiten, die therapiert, gibt es zugrundeliegende Leiden, die gemildert werden können, gibt es relevante Fragestellungen, die mit der Hilfe der Klonierung des Menschen gelöst werden können? Und ist das Klonieren der beste und einzige Weg, um diese Problemfelder zu bearbeiten? Oder handelt es sich dabei um eine reine Technologiehypothese, die l’art pour l’art einer Testung unterzogen werden muß?

Verschiedentlich wurde auch gerade in den letzten Nummern von Imago Hominis (IV/2 und IV/4) auf diese Fragen eingegangen. Auch bieten die Stellungnahmen der Päpstlichen Akademie für das Leben in diesem Zusammenhang interessante Informations- und Argumentationsquellen.

Es bleibt zu hoffen, daß die neu entfachte Diskussion um die Klonierung des Menschen ein breites Spektrum an Diskutanten und Meinungen einbezieht, um möglicherweise eine einmalige Chance wahrnehmen zu können, die darin besteht, auf die Grundfragen unserer sexuellen Gegebenheiten einzugehen und nicht an den technischen und methodischen Fragestellungen hängenzubleiben.

Unabhängig von jeder Beurteilung der tatsächlichen Machbarkeit des somatischen Zellkerntransfers lädt uns dieser technologische Neuansatz zu einer wiederholten Positionierung gegenüber dem gesamten Spektrum der Reproduktionstechnologien ein. Der Wunsch bleibt also bestehen, daß die Arbeit der bioethischen Kommission in den USA diesen Denkprozeß weiter ins Rollen bringt und mit Hilfe des fünfjährigen Moratoriums dieser Denkprozeß in Ruhe reifen kann, ohne durch den tagespolitischen Entscheidungszwang zu Ende geführt werden zu müssen.

Referenzen

  1. Cloning Human Beings: The Report and Recommendations of the National Bioethics Advisory Commission, Rockland, Md., June 1997.
  2. I.Wilmut et al., Nature, Vol. 385, p. 810-813.

Anschrift des Autors:

Dr. Markus Schwarz
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