Ergänzender Kommentar zum Beitrag im Imago Hominis 4/2003: „Zigarettenrauchen als Kausalfaktor für Gesundheitsschäden“

Imago Hominis (2004); 11(3): 212-214
Friedrich Kummer

Aufgrund der erst kürzlich veröffentlichten Arbeiten über die Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von COPD und Tabakrauchen, scheinen einige ergänzende Kommentare zum oben genannten Beitrag angebracht.

Dank der genauen diagnostischen Klassifizierung (ICD-10) und der immer globaler gestalteten Statistiken kann man annehmen, dass in westlichen Ländern etwa 7% – 8% der Einwohner an einer COPD unterschiedlichen Schweregrades leiden. Ferner darf man sich auf die gut fundierte Annahme stützen, dass nämlich rund 90% der COPD-Erkrankungen mit dem Zigarettenrauchen in einem kausalen Zusammenhang stehen. Fairer Weise muss man allerdings berücksichtigen, dass „nur“ etwa 18% – 20% der Jemalsraucher eine COPD entwickeln. Daher muss über 1% der COPD-Fälle bei Nichtrauchern anzutreffen sein (siehe Abbildung I).

Es erhebt sich daher die brisante Frage nach den Schutzmechanismen, die im Falle des „Healthy Smokers“ so gut zu funktionieren scheinen, im Falle der COPD des Niemalsrauchers aber versagt haben, sodass er auf andere Weise als durch die Zigaretten erkrankt ist.

Parallel zu diesen Erwägungen gesellt sich die Beobachtung, dass ein Ex-Raucher zwar gute Chancen hat, sich im weiteren Leben bzgl. seiner Lungenfunktion wie ein Nichtraucher zu verhalten (wenn auch mit schlechterer Ausgangsposition), dass aber keine Gewähr dafür besteht. So manch erfolgreicher „Quitter“ weist einen weiteren Grad der Progression seines Leidens wie ein Raucher auf.

Die zwingenden Argumente gegen das Rauchen sind im Rahmen der Primär- und der Sekundärprävention dadurch keineswegs erschüttert, die Argumentation gewinnt aber an Glaubwürdigkeit, wenn auch diese Fakten erwähnt werden. So widmen sich immer mehr Studien der Untersuchung des „Healthy Smoker“-Effekts einerseits und der bei Niemalsrauchern gefundenen COPD andrerseits.

Pathophysiologie der inhalativen Noxen

Toxische Substanzen (Zigarettenrauch, Bakterientoxine, saure Mikropartikel, Stäube, gewisse Gase und Dämpfe, mechanische Einwirkungen) stimulieren zunächst die Eliminationsmechanismen, die vom Hustenreiz über die Beschleunigung des Flimmerstromes bis zur Phagozytose reichen. Bei anhaltender Exposition werden über Makrophagen und dendritische Zellen (APC-System) jene Kaskaden von Cytokinen ausgelöst, die zur Anlockung und Differenzierung von Lymphozyten vom Typ der Helferzellen (Th) führen. Diese stehen ab nun im Steuerungszentrum einer entzündlichen Reaktion, die a priori auf „Heilung“ (Reparation) ausgerichtet ist. Die spezifischen Signale, welche die verschiedenen Funktionen der Th-Zellen unterhalten, müssen aber genau dosiert und ausgewogen sein. Dazu sind komplizierte Mechanismen zur Gegensteuerung vorhanden, welche die Differenzierung in Grenzen hält und auch abbrechen kann, wenn der Anlass wegfällt bzw. die Reparation abgeschlossen ist (analog der Wundheilung). Dies ist aber gerade jener vulnerable Bereich, in welchem sich genetische Veränderungen an den Signalproteinen auswirken können (Punktpolymorphismen, Mutationen). Durch die nunmehr defekte Einbremsung der T-Zellen werden diese innerhalb des Gefüges überrepräsentiert und entwickeln eine Eigengesetzlichkeit, ganz nach Art der selbstrekapitulierenden Information bei der Autoimmunkrankheit. Ist die Noxe nur schwach, aber die Entzündungsreaktion ausgeprägt, kann es zur Erkrankung kommen, so wie andrerseits ein gut fundierter Schutzwall (im-munus) auch mit lebenslang einwirkenden schweren Noxen fertig wird.

Eine Forschergruppe in Regensburg (C. Schulz et al., 20041) ist jüngst der Frage nachgegangen, was bei Rauchern mit COPD anders „läuft“ als bei Rauchern ohne COPD. Es wurden bronchoskopisch gewonnene Schleimhautepithelzellen in vitro kultiviert und mit den klassischen Steuerungshormonen der T-Zellen, nämlich Interferon gamma (INF γ) und T-Tumor-Nekrosis-Faktor alpha (TNF α) stimuliert. Daraufhin bildeten die Zellen der Raucher signifikant mehr Boten-RNA (mRNA) für die Synthese von Interleukin-8 (IL-8) und growth related oncogene alpha (GRO α) als die Zellen des „Healthy Smokers" (Raucher ohne COPD). Von IL-8 und GRO α weiß man aber, dass sie potente Chemokine zur Anlockung von neutrophilen Granulocyten sind, die bekannter Weise das Entzündungsbild bei COPD prägen. Ein darauf gemünztes Editorial von G. W. Waterer2 („Do we really want to know why only some smokers get COPD“) stellt den Befund in den größeren Zusammenhang: Wenn wir genau wüssten, ob ein „Starker“ nicht so sicher durch das Rauchen eine COPD bekommen wird, würden wir ihm dann die Zigaretten gestatten oder würden wir dem „Schwachen“ nur halbherzig die Abstinenz empfehlen, weil andere (schwächere) Noxen als das Rauchen die erhoffte Besserung des Verlaufes ohnehin zunichte machen würden? Die Antwort fällt selbstverständlich mit einem doppelten „Nein“ aus, zumal die zigaretteninduzierte Inflammation auch ein erhöhtes Risiko für Bronchuskarzinom, koronare Herzkrankheit und Apoplexie mit sich bringt.

Eine Gruppe von italienischen und britischen Forschern (DiStefano et al., 20043) hat an bronchialem Biopsiematerial von gesunden Rauchern ohne und Rauchern mit COPD die genannten Mechanismen der Signaltransduktion untersucht (Western Blot und Immunhistochemie). Dabei fand sich bei den erkrankten Rauchern eine wesentlich höhere Aktivität des Signal-Transducer-Aktivator of Transcription-4 (STAT-4) als bei den Healthy Smokers bzw. bei den gesunden Nichtrauchern. Der Grad der STAT-4-Steigerung korrelierte übrigens eng mit der Zahl der Th-Lymphozyten der Interferonausschüttung und (negativ) mit der Lungenfunktion (FEV-1) der einzelnen Patienten. Auch zu dieser hochaktuellen Arbeit gibt es ein Editorial im selben Heft, in welchem M. G. Cosio4 die Dysfunktion der T-Zellen, STAT-4-Überproduktion und die COPD überzeugend in den Zusammenhang mit dem Phänomen der Autoimmunität stellt. Er postuliert dabei ein Versagen des T-Zell-Regulators (CTLA-4), welcher normalerweise die Proliferation und Differenzierung der T-Lymphozyten begrenzt.

Vergleichsweise wenig ist bisher hinsichtlich des an COPD erkrankten Nichtrauchers (Sick-Non-Smoker) geforscht worden. Rein klinisch finden sich bei diesem vermehrt Autoimmun-Phänomene auch anderer Art, wie chronische Polyarthritis und Hashimoto-Thyreoiditis. Berufliche Exposition (Milch- und Getreideproduktion, Staubexposition, Chemikalien), Umwelteinflüsse indoor (Passivrauchen) und outdoor (Sauerstoffradikale aus Verkehr und Industrie) sowie die Rolle von rezidivierenden Infekten werden meist „nur“ als aggravierend zum Rauchen dargestellt, doch werden sie auch als primäre Verursacher ernst genommen, wenn definierte Populationen wie Arbeiter in der Landwirtschaft und Angehörige anderer belasteter Berufsgruppen bzgl. einer Entschädigung (Invalidität) beurteilt werden müssen. Epidemiologisch gesehen sind auch nur 1 – 2% der Bevölkerung eines Landes keine vernachlässigbare Größe. Eine Dunkelziffer von über 60.000 COPD-Erkrankten in Österreich, die vielleicht gerade wegen ihres Nichtraucherstatus weniger Aufmerksamkeit bekommen, ist ebenso bedenkenswert wie jedes andere latente Krankheitsrisiko, das gerade dann nicht so einfach festzustellen ist, wenn eine allgemein bekannte Hauptnoxe (wie hier das Rauchen) keine unmittelbare Rolle spielt.

Referenzen

  1. Schulz C., Krätzel K., Wolf K. et al., Activation of bronchial epithelial cells in smokers without airway obstruction and patients with COPD, Chest (2004); 125: 1706-1713
  2. Waterer G. W., Temple S. E., Do we really want do know why only some smokers get COPD?, Chest (2004); 125: 1599-1600
  3. DiStefano A., Caramori G., Capelli A. et al., STAT-4 activation in smokers and patients with COPD, Eur Resp J (2004); 24: 78-85
  4. Cosio M. G., Autoimmunity, T-cells and STAT-4 in the pathogenesis of COPD, Eur Resp J (2004); 24: 3-5

Anschrift des Autors:

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Kummer, Imabe-Institut
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