Schlechte Nachrichten überbringen: Wie sag ich es dem Patienten?

Imago Hominis (2013); 20(4): 289-296
Martina Hess, Regina Hummer

Mediziner sollen heilen und helfen. Sie sollen ihr Fachgebiet gut beherrschen und auf dem neuesten Stand der Forschung sein. Aber oft müssen sie Gespräche führen, wo es weder ums Heilen noch um eine fachliche Kompetenz geht, sondern darum, einem Patienten eine tragische Diagnose mitzuteilen.

Keinem fällt das leicht. Wie viel Wahrheit ist dem Patienten zumutbar? Soll ein Arzt gleich alles sagen oder lieber nach und nach? Soll er sachlich bleiben, oder darf er Emotionen zeigen? Und was braucht ein Patient in einer solchen Situation? Und was braucht der Arzt? Wohin geht er mit seinen Tränen und Ängsten?

1. Warum ist so ein Gespräch überhaupt schwierig für einen Arzt?

Kommunikation empfinden wir als schwierig bei Gesprächen, in denen wir Inhalte vermitteln müssen, die unseren eigenen Wünschen und Werten entgegenstehen und bei Gesprächen, über deren optimale Führung wir im Sinne der Gesprächs- technik zu wenig Wissen haben.

Für viele stehen bei der Wahl des Berufes in der Medizin Werte wie Helfen, Heilen, Fürsorge, andere glücklich zu machen, Zuhören, fachliche Kompetenz, vielleicht auch: mit moderner Wissenschaft Neuerungen schaffen, Bahnbrechendes für die Gesellschaft leisten u. ä.

Wenn einem Patienten mitgeteilt werden muss, dass er an einem Karzinom erkrankt ist, kann der Mediziner nur mehr wenige dieser Ideale leben. Auf den ersten Blick scheinen zu helfen, andere glücklich zu machen u. a. völlig ausgeschlossen.

Das Gefühl, gegen die eigenen Wünsche oder Werte handeln zu müssen, kann dazu führen, dass sich der Arzt am Endpunkt seiner Rolle als Helfer und womöglich sogar als eigentlicher Verursacher der Trauer fühlt. Gleichzeitig ist er der Gefühlsansteckung ausgesetzt, spürt oft selbst große Trauer und muss mit-leiden. Dazu kommt, dass der Arzt häufig unter akutem Zeit- und Handlungsdruck steht, wenn rasche Entscheidungen getroffen werden müssen. Gleichzeitig wächst dabei die Angst davor, dass Patient oder Angehörige aggressiv werden könnten. Und schließlich wird die Herausforderung in einem solchen schwierigen Gespräch noch durch die Furcht des Arztes vor der eigenen medizinisch-fachlichen Unvollkommenheit und die Angst vor Schadenersatz-Klagen gesteigert.

In Hinblick auf Schulung und Ausbildung zu einer hilfreichen Gesprächsführung für diese schwierigen Situationen lässt sich beobachten, dass medizinisches Personal oft nur schwer Zugang zu mehr Wissen und Training über Gesprächstechniken bekommt. Diese mangelnde Sicherheit in der Gesprächsführung erhöht das Unbehagen in dieser ohnehin schon schwierigen Situation.

Was kann unter diesen Umständen (z. B. Diagnose „Tödliche Erkrankung“) überhaupt „gut“ sein? Worin kann das Gesprächsziel des Arztes bestehen? Wie kann er dies im Gespräch erreichen?

Die üblichen Ziele in Arzt-Patienten-Gesprächen lassen sich auf schwierige Diagnosegespräche kaum anwenden: Die Idee, dass ein Patient nach einem Gespräch mit dem Arzt zufrieden ist, ihm Sorgen abgenommen werden, er sich sicher fühlt oder alles sachlich bleibt, kann in dieser Art von Gespräch nicht verwirklicht werden. Häufig ist das Gesprächsziel völlig unklar, dieser Umstand löst beim Arzt große Irritation aus.

Das Gefühl der Hilflosigkeit taucht beim Arzt dann ganz massiv auf, wenn er nicht weiß, wie er noch helfen kann, wenn er glaubt, dass nicht mehr zu helfen ist. Und tatsächlich: Niemand kann den Schmerz und die Trauer von Patienten und Angehörigen heilen. Niemand kann die Last abnehmen, die Patienten und Angehörige zu tragen haben. Hilfeversuche auf dieser Ebene führen zum Gefühl als Helfer hilflos und in weiterer Folge auch schuldig zu sein.1

Entscheidend ist, dass der Arzt sich darüber im Klaren wird, dass „helfen“ an dieser Stelle einen anderen Fokus bekommt: es geht nun nicht mehr darum, heilen zu können und Hoffnung auf Gesundung zu machen, sondern um Hilfe, die dazu beiträgt, die emotionale Situation des Patienten zu stabilisieren, zu wissen und zu begleiten, was im Patienten vor sich geht und diesem zu helfen, diese Phasen von Schock und Trauer zu durchleben.

Als Arzt möchte man in einem solchen Gespräch gerne Hoffnung geben. Hoffnung auf eine Verlängerung der Lebenserwartung gibt es aber möglicherweise nicht. Es gilt die Hoffnung zu stärken, die Integrität der Person und ihre Integration in die Gemeinschaft aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist, die Angst zu mindern, dass der psychische oder soziale Tod womöglich dem körperlichen zuvorkommt.2

Um sich dem Patienten, seinen Gefühlen, seinen Fragen und seinem psychodynamischen Prozess mit voller Aufmerksamkeit widmen zu können, ist es wichtig, über die Phasen, die ein Patient nach der Mitteilung einer schwerwiegenden Diagnose durchmacht, Bescheid zu wissen. Diese Orientierung im Gespräch verleiht dem Arzt Sicherheit in der Gesprächsführung und hilft ihm, aus seiner Funktion und Rolle als Arzt zu agieren.

2. Was geht im Patienten vor, wenn eine schwerwiegende Diagnose mitgeteilt wird?

Patienten und Angehörige in traumatischen Situationen befinden sich in einem psychischen Ausnahmezustand, der ihre gesamte Wahrnehmung verändert.3 Wenn ein Patient eine schockierende Nachricht erhält, hört, sieht und verarbeitet er Informationen auf vollkommen andere Art und Weise als in sonst gewohnten Situationen.

Normalerweise sind Menschen in der Lage, sich auch bei Schwierigkeiten verschiedene Möglichkeiten zur Lösung vorstellen zu können. Dadurch bleiben sie auch handlungsfähig.

Bei einer Traumatisierung (Verlust, Verlust der Gesundheit, Gewalt etc.) wird die innere Welt jedoch zu einer Gefahrenzone, die Zukunft wird einzig als Bedrohung erlebt, Lösungsmöglichkeiten können nicht entworfen werden. Ein Verunfallter mit Diagnose „Querschnittslähmung“ hat anfangs keine Idee davon, wie ein Leben im Rollstuhl möglich ist, die Mutter eines Kindes mit Behinderung hat zuerst keine Vorstellung davon, wie das Leben mit diesem Kind bewältigbar ist.

Als besonders hilfreich für das Verstehen der gefühlsmäßigen Abläufe im Patienten hat sich das 5-Phasenmodell von Roswita Königswieser4 erwiesen. Gerade wenn es um den Verlust der eigenen Gesundheit oder der Gesundheit von nahen Angehörigen geht, handelt es sich um ein traumatisches Ereignis, das von der menschlichen Psyche langsam und in Phasen bewältigt bzw. integriert werden muss. Die Phasen werden oft nicht eine nach der anderen durchlaufen, sondern kehren immer wieder, um einen weiteren Teil des Traumas zu bewältigen. Im Folgenden soll das Modell über die Auswirkung schockierender Nachrichten in seinen einzelnen Phasen kurz erläutert werden.

Erste Phase: Schock

Unmittelbar nach einem katastrophalen Ereignis können Orientierungslosigkeit, Fassungslosigkeit, starke Erregung oder Erstarrung auftreten. Nach Königswieser ist ein lähmender Schockzustand nur von kurzer Dauer, kann aber als eine Art Schnellhilfe des Organismus angesehen werden, der die Wucht der Katastrophe verringert. Wenn wesentliche Faktoren der Selbstdefinition eines Menschen wegfallen, ist er fassungslos, im wahrsten Sinne des Wortes: Es fehlen die gewohnte Fassung, der Rahmen, die Fixpunkte.

Zweite Phase: Hoffnung auf Rückgängigmachen (Verleugnung)

Hier entsteht eine irrationale Hoffnung darauf, dass alles nicht wahr ist, eine Verwechslung vorliegt oder ein schlechter Scherz gemacht wird. Patienten schütteln den Kopf, glauben falsch gehört zu haben, zeigen abweisende Bewegungen und sagen „Das gibt´s doch nicht!“ o. ä.

Dieser Abwehrmechanismus schützt den Organismus vor permanenter Belastung und Angst, kann jedoch bedrohlich werden, wenn diese vermeintliche Hoffnung in extrem belastenden Situationen so stark wird, dass der Bezug zur Realität verzerrt wird und vom Patienten eine Scheinwirklichkeit aufgebaut wird.

Dritte Phase: Aggression

Die ständig wechselnden Gefühlszustände zwischen Hoffnung und Verzweiflung und die immer klarere Konfrontation mit der Realität verursachen den Wunsch, sich dagegen aufzulehnen. Dies geschieht in Form von Aggression, um sich gegen die Bedrohung lebenswichtiger Interessen zu wehren. Ziel der Aggression ist meist nicht nur der Verursacher des Leids, soferne es einen solchen gibt. Die Wut kann auch andere Objekte oder Personen, insbesondere den Arzt, treffen.

Königswieser zufolge sind aggressive Reaktionen aber nicht sinnlos. Sie helfen, große Energien abzuladen, wodurch die Situation leichter zu verkraften ist. Ein Verdrängen oder Unterdrücken der Aggression könnte eher zu tiefen Depressionen und psychosomatischen Reaktionen führen, die den Trauerprozess insgesamt verzögern.

Vierte Phase: Depression

Die Bewusstheit darüber, dass die belastende Situation auch durch aggressives Verhalten nicht zu verändern ist, führt zum Auftreten depressiver Störungen. Diese Phase ist von Antriebslosigkeit, Minderwertigkeitsgefühl und eigenen Schuldgefühlen geprägt. Die Aggression nach außen verwandelt sich in eine Aggression nach innen („Ich habe es nicht anders verdient“; „Ich bin selbst schuld, wenn ich besser aufgepasst hätte, wäre es nicht passiert“...).

Fünfte Phase: Trauerarbeit

Langsam beginnt ein Verarbeitungsprozess, in dem im Patienten oder Angehörigen eine neue Identität entsteht: ein anderes Leben als jenes vor dem traumatischen Ereignis, keines, in dem das Trauma verdrängt und vergessen wird, sondern eines, in dem eine Aussöhnung mit der Realität und mit sich selbst gelingt und das tragische Ereignis in eine neue Identität integriert wird. Der Gelähmte erkennt für sich, dass das Leben auch im Rollstuhl lebenswert ist. Die Eltern des verstorbenen, krebskranken Kindes können als ersten Gedanken die tiefe, bewusste Beziehung zu ihrem Kind während der Zeit der Erkrankung aufrufen.

Bei erfolgloser Trauerarbeit gelingt es dagegen nicht, aus der Depression und der Abkapselung von der Umwelt auszubrechen.

3. Gesprächsstrategien

Herz – Hirn – Strategie

Jedes Gespräch findet gleichzeitig auf zwei Ebenen statt: der sachlichen Inhaltsebene (Hirn) und der gefühlsbezogenen Beziehungsebene (Herz). Gerade in einem schwierigen Gespräch mit Patienten ist es von erheblicher Bedeutung, ganz bewusst beide Ebenen zu berücksichtigen und als gesprächsführender Arzt aktiv die Ebenen abwechselnd anzusprechen.

Menschen sind grundsätzlich nur auf der Kommunikationsebene erreichbar, auf der sie sich gerade selbst befinden. Ein betroffener Patient ist sehr emotionell, traurig, enttäuscht, verzweifelt und wenig in der Lage, detaillierte Sachinformation aufzunehmen. Für die Gesprächsstrategie des Arztes bedeutet dies, dass sachliche Informationen erst einmal in einfacher Form gegeben werden müssen und immer wieder ein Gesprächswechsel zum Ansprechen von Emotionen stattfinden muss („Das ist jetzt ganz schwierig für Sie, diese Nachricht zu hören“; „So, wie Sie sich jetzt fühlen, ist eine ganz normale Reaktion, allen meinen Patienten geht es auch so…“; „Was würden Sie jetzt gleich gerne wissen? Viele Fragen werden noch kommen… Ihr Ansprechpartner ist …“). Konkrete Ansprechpartner geben dem Patienten Sicherheit und können zur Stabilisierung im Schockzustand beitragen. Wenn ein in Emotionen versunkener Patient Verständnis für seine Gefühle erfährt, lässt ihn das auch wieder aufmerksamer für sachliche Informationen, erste Therapieschritte, Medikamente etc. werden.

Ein Arzt spürt in dieser Situation der Diagnosevermittlung von vielen Seiten Druck. Er ist persönlich betroffen, hat gleichzeitig möglicherweise Zeitdruck und soll rasch handeln. Dabei dem Patienten gegenüber empathisch zu bleiben, ist eine schwierige Aufgabe. Wie leicht kann es einem doch passieren, die eigene Gefühlsansteckung zu verhindern zu suchen, indem einem der Blickkontakt entgleitet, indem man keine Fragen nach dem Befinden des Patienten mehr stellt, indem man in einem Monolog alle Information herunterspult.

Patienten beklagen sich mitunter, nicht ausreichend aufgeklärt worden zu sein. Grund dafür kann sein, dass ihnen Informationen zu einem Zeitpunkt gegeben wurden, zu dem sie nicht aufnahmefähig waren. Die Emotion blockierte geradezu die Kognition.

Gesprächsstrategie zu den 5 Phasen im Umgang mit schockierenden Nachrichten5

  • Information rasch und direkt geben: Der Arzt beginnt das Gespräch am besten ohne lange Einleitung oder small talk, er spricht in kurzen Sätzen und beginnt einmal nur mit dem Wesentlichen, wenn nötig, wiederholt er die Information. Dann muss der Patient unbedingt emotional abgeholt werden. Im Schock kann der Patient nur wenig Information aufnehmen, eventuell sind mehrere Gespräche notwendig.
  • Zeit lassen, um den Schock überwinden zu können. Manchmal scheinen Menschen im Schockzustand beeindruckend sachlich und gefasst. Hier gilt Vorsicht, denn die Betäubung des Schockes kann sich auch in einer vermeintlichen Normalität ausdrücken.
  • Aggression aushalten: Die Agression ist notwendig. Wenn sie sich in der Hilflosigkeit gegen den Arzt richtet, so ist nicht dieser als Person gemeint, sondern in seiner Funktion als Arzt, als Überbringer der schlechten Nachricht. Die Aggression in diesem Fall auszuhalten, heißt für den Arzt, nicht abzuwehren, sondern Verständnis zu zeigen. („Ich verstehe, dass Sie das wütend macht.“)
  • Depression aushalten, nicht abwehren: Die Neigung trösten zu wollen, kann dazu verleiten Hoffnung zu geben, wo keine ist, noch einmal nachzuschauen, ob sich niemand geirrt hat, den Namen vertauscht hat, ob alles doch nicht so schlimm ist. Das hilft dem Patienten nicht, sondern verlängert die depressive Phase. Ebenso wenig hilfreich ist das Sprechen von möglichen Vorteilen des Ereignisses (z. B. gegenüber den Angehörigen, dass der Tod eine „Erlösung“ sein kann, dass die Diagnose „wenigstens Klarheit schafft“) und das Trösten („Machen Sie sich jetzt einmal keine Sorgen“, „Wir bekommen alles in den Griff“). Der Trauernde kann Trost nicht hören und empfindet ihn als Anmaßung. Erst, wenn es dem Arzt gelingt, Aggression und Depression ausgehalten zu haben, kann er mit dem Patienten an weiteren Schritten arbeiten.
  • Angebot von Hilfe: Im Zuge der ersten Diagnosemitteilung bezieht sich die Hilfe oft auf die allerersten Schritte („Wie kommen Sie jetzt nach Hause?“, „Welche nahestehende Person soll Sie jetzt abholen?“) und auf die Sicherheit, jederzeit Fragen stellen zu können, nicht alleine zu sein, den Arzt als Begleiter zu wissen (Kontaktdaten, Telefonnummern des Arztes oder anderer Ansprechpartner, ein nächster Termin). Der Arzt kann jedenfalls anregen, dass der Patient Kontakt mit nahestehenden Menschen herstellt. Je weiter sich der Patient in der Phase der Trauerarbeit befindet, wird es ihm auch möglich sein, Hilfe selbst einzufordern oder zu erbitten.

Ich/Wir – Es – Strategie

Die innere Einstellung eines Menschen hat den größten Einfluss auf den Verlauf eines Gespräches. Dennoch kann die Gesprächsführung gerade diesen Verlauf erleichtern, wenn man auch um unterstützende Formulierungstechniken Bescheid weiß.

In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, bewusst zu unterscheiden, wann man in der 3. Person (es) und wann man in der 1. Person (ich/wir) spricht.

In der 1. Person zu sprechen, bietet sich an, wenn Nähe geschaffen werden soll und Unterstützung angeboten wird, wenn ein Helfen möglich ist und der Arzt etwas Positives sagen kann. Beispiele: „…Wir schicken Ihnen die Unterlagen…“; „Ich habe (mich) für Sie (erkundigt)…“; „Schauen wir uns das gemeinsam an…“

Die 3. Person eignet sich dagegen besser für negative Informationen wie z. B. den schwerwiegenden Befund. Beispiele: „Die Untersuchungen haben ergeben, dass…“; „Das Röntgen zeigt…“; „Der heutige Stand der Wissenschaft ist…“

Bei Anwendung dieses sprachlichen Unterschieds berichten Ärzte, dass es ihnen leichter fällt, einfühlsam zu bleiben. Sie verdeutlichen sich selbst, wo und wie sie dem Patienten helfen. Das diffuse Gefühl durch die Überbringung der Nachricht Mitschuld am Leid zu tragen, tritt nicht mehr auf, weil die Ärzte sich der großen Hilfe, die sie in einer solch leidvollen Situation als Begleiter geben können, bewusst werden.

Bei Formulierungen wie „Ich muss Ihnen leider eine schlimme Nachricht überbringen…“ schwingt im Sprecher leicht ein Wunsch mit, dem Patienten Schmerz oder Trauer abnehmen zu wollen. Ein Wunsch, der unmöglich zu erfüllen ist und den Arzt in die Hilflosigkeit und den Patient auch in die Aggression führen kann.

Die Formulierung „Die Untersuchungen haben ergeben…“ in Kombination mit „Ich bin jetzt für Sie da… Kann ich einen Angehörigen informieren?… Welche Informationen kann ich für Sie besorgen? Ich nenne Ihnen einen Ansprechpartner…“ hilft nicht nur als sprachliche Technik, sondern hat auch eine rückkoppelnde Wirkung auf die innere Einstellung und das Selbstbewusstsein des Arztes.

4. Praktische Gesprächsführung

Sich der eigenen Betroffenheit als Arzt zu stellen ist an sich nicht leicht, ein möglicher Zeit- und Handlungsdruck macht dies noch schwieriger. Da kann es schon unbewusst passieren, dass ein Arzt den Blickkontakt mit dem Patienten oder den Angehörigen verliert, hinter Ordnern und Computerbildschirm sitzen bleibt, am Fußende des Bettes weit weg vom Kopf steht oder sich missverständlich ausdrückt in der Hoffnung, ein Schonen des Patienten zu bewirken. Die unbewusste Angst vor Gefühlsansteckung verleitet den Arzt unwillkürlich, nicht mehr in empathischem Kontakt mit dem Patienten zu sein, einseitig Sachinformationen weiterzugeben oder zu übersehen, dass ein Patient im Schockzustand (emotional betäubt) äußerlich sachlich und gefasst wirkt.

Ein klarer Ablauf und viel Wissen um Wortwahl und Körpersprache können den Arzt dabei unterstützen, das Gespräch so zu führen, dass der Patient in der Bewältigung seiner Trauerphasen gut unterstützt wird und dass der Arzt mit dem Gefühl, gut gehandelt zu haben, aus dem Gespräch geht.

Vor dem Gespräch - Vorbereitung und Gesprächsziel: Für das Gelingen des Gespräches ist es wesentlich, dass sich der Arzt Zeit für seine persönliche Gesprächsvorbereitung nimmt. Er vergewissert sich noch einmal der Details der Diagnose und überlegt seine Wortwahl (Einleitungssätze, Ich-Formulierungen, 3. Person-Formulierungen). Er wählt den Zeitpunkt für das Gespräch eher morgens und nicht abends, und er sucht ein ungestörtes Setting. Der Arzt überlegt auch, mit welchen einfachen nächsten Schritten er das Gespräch beenden will (Termin für das nächste Gespräch, „Wer bringt Sie nach Hause?“ usw.).

Arzt: VerbalArzt: Non-verbal
Körpersprache - Mimik - Gestik
Interpretation des Patienten
  • Ich/Wir-Es-Strategie
  • Konjunktiv nur dort, wo es tatsächlich mehrere Möglichkeiten gibt
  • Kurze Sätze
  • Offene Fragen: um über Emotionen zu sprechen, um Verständnis abzufragen
  • Geschlossene Fragen: um Daten abzufragen, um das Gespräch zu lenken
  • Verständliche Sprache, die Sprache des Patienten sprechen
  • Rückkopplungsschleifen und Information wiederholen
  • Sandwich-Kommunikation: verbal immer wieder bewusst zwischen Beziehungs- und Inhaltsebene wechseln
  • Keine Bagatellisierung
  • Angst, Vorwürfe, Schuldzuweisung, Depression des Patienten aushalten und nicht abwehren
  • „Ich verstehe, dass Sie jetzt wütend sind…“
  • Eigene Betroffenheit zulassen, ohne sich den eigenen Emotionen ausgeliefert fühlen zu müssen
  • Blickkontakt
  • Keine Unterlagen als Barriere
  • Ausschließlich der Arzt soll der Informant sein
  • Ungestörter Ort
  • Nicken
  • Nicht am Bettende, nicht auf dem Bett, sondern daneben sitzend
  • Angebot: „Möchten Sie im Bett bleiben oder hier am Tisch sitzen?“
  • Nicht vermitteln, dass man unter Zeitdruck steht, gehetzt ist (nicht die Hand auf der Türklinke o. ä.)
  • Nicht beim Reden in den Computer/ auf den Monitor schauen
  • Patienten reagieren sehr stark auf nonverbale Kommunikation, wenn die Worte selbst miss-verständlich sind
  • Patienten spüren schon anhand der physischen Distanz zum Arzt, ob die Nachricht gut oder schlecht ist
  • Gesprächspausen machen
  • Schockzustand durch Diagnose: Patient hört nur mehr die Hälfte
  • Wenn keine emotionale Betroffenheit sichtbar wird: besondere Vorsicht
  • Rückkopplungs-Schleifen geben auch dem Patienten Sicherheit, alles richtig verstanden zu haben
  • Beachten, wie viel Information der Patient überhaupt im Erstgespräch will, Informationsbedarf des Patienten erfragen
  • Vorwissen des Patienten beeinflusst Interpretation stark
  • Patienten wollen keinen versiert, routiniert sprechenden Arzt. Besorgte Stimme wird als fürsorglich interpretiert.
  • Vorgehen vereinbaren, Konsens mit dem Patienten suchen, für Fragen auch später zur Verfügung stehen
  • Je besser die Verarbeitung der traumatischen Nachricht gelingt, desto bessere compliance des Patienten
  • Nicht alles, was man sagt, kommt so an
Beispiele für die 3 parallelen Kommunikationsebenen im Diagnosegespräch

Im Gespräch selbst: In einem Diagnosevermittlungsgespräch ist es wichtig, drei Ebenen der Kommunikation, die parallel ablaufen, zu beachten: Worte, Non-Verbales und die Interpretation des Ganzen durch den Patienten.

Körpersprache, Tonfall und Mimik verleihen dem gesprochenen Wort erst seine endgültige Wirkung. Welche Bedeutung die Worte und die Körpersprache des Arztes tatsächlich für den Patienten haben, liegt in der „Deutung“, in der Interpretation des Patienten selbst. Abhängig von Vorerfahrungen, Vorwissen, persönlichen Umständen und persönlichem Charakter kann ein und dieselbe Botschaft des Arztes von verschiedenen Menschen verschieden aufgenommen werden. Der Arzt kann nur dann sicher sein, dass das Richtige vom Patienten verstanden wurde, wenn er immer wieder Rückkopplungsschleifen in Form von Fragen („Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt verständlich gesagt habe, bitte können Sie mir sagen, was Sie verstanden haben…“ u. ä.) einzieht.

5. Die eigene Psychohygiene – Aushalten um jeden Preis?

Die seelische Gesundheit und die eigene Hilfsbedürftigkeit werden in keiner Berufsgruppe so nachhaltig verharmlost und verdrängt wie in der, die Hilfsbereitschaft als Dienstleistung anbietet.6 Mehrere statistische Untersuchungen belegen auch, dass es um Weiterbildungen zum Erhalt der seelischen Gesundheit immer noch nicht ausreichend gut bestellt ist. Ohne bewusste Psychohygiene ist die Gefahr der Überforderung und eines darauf folgenden Burnout bei Ärzten jedoch sehr hoch.

Was hilft dem Arzt nun dabei, seelisch gesund zu bleiben und trotz der Belastung den tieferen Sinn und die Erfüllung in seiner Tätigkeit zu finden?
Ein wesentlicher Faktor, die eigene Psyche zu stärken, ist die Erweiterung des Wissens über den Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen.

Dazu gehört die Sicherheit betreffend die Gesprächstechnik und die Erkenntnis, dass das schwer auszuhaltende Gefühl der eigenen Hilflosigkeit ganz normal ist. Sucht der Arzt nicht nach emotionaler Verbindung mit dem Patienten, ist die Gefahr der Gefühlsansteckung geringer. In der Distanz, die der Arzt jedoch dadurch aufbaut, entsteht die unbefriedigende, nicht direkt bezweckte Lage, dass Patienten sich verloren fühlen und das Gefühl, dass keiner da ist, der sich verantwortlich um sie kümmert. Ein Gefühl, das der Arzt keinesfalls auslösen will, das er fürchtet und das ihn möglicherweise eine kontraproduktiv noch größere Distanz zum Patienten aufbauen lässt.

Das Wissen, dass Gefühlsansteckung deshalb ein belastendes, aber notwendiges Phänomen im Umgang mit traumatisierten Personen ist, das sogar dazu führen kann, dass der Arzt mitweinen muss, ist grundlegend für die innere Einstellung des Arztes im Gespräch. Der Arzt kann sich die „Erlaubnis“ geben, von der Trauer zeitweilig angesteckt zu werden, im Vertrauen darauf, dass diese als Gefühlsansteckung auch in der Regel innerhalb weniger Minuten überwunden wird.7

Elementar für die eigene Psychohygiene ist auch der Austausch mit Kollegen (Intervision), der regelmäßig, bewusst und unmittelbar genutzt werden sollte. Nachbereitungen von Fällen und Gesprächssituationen im Team und in der professionellen Supervision müssen regelmäßig stattfinden, um all das Wissen zu festigen und um sich seiner Kompetenzen als Arzt immer wieder bewusst zu sein.

Referenzen

  1. Brauchle G., Notfallpsychologie-Skript 2010, Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik, Hall in Tirol (2010)
  2. Universitätsklinikum Tübingen, Leitfaden zur Mitteilung schwerwiegender Befunde und Diagnosen, www.medizin.uni-tuebingen.de/uktmedia/EINRICHTUNGEN/Kliniken/Medizinische+Klinik/Innere+Medizin+IV/PDF_Archiv/LeitfadenDiagnosemitteilung.pdf (letzter Zugriff am 22. 11. 2013)
  3. Hausmann C., Einführung in die Psychotraumatologie, Facultas Universitätsverlag, Wien (2006)
  4. Königswieser R., Die Auswirkungen schockierender Nachrichten: psychische Bewältigungsmechanismen und Methoden der Überbringung, DBW (1985); 45: 51-61
  5. ebd.
  6. Schmidbauer W., Hilflose Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe (15. Aufl.), Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg (2006)
  7. Brauchle G., siehe Ref. 1

Anschrift der Autorinnen:

Ing. Mag. Martina Hess
Psychologin, Trainerin, Beraterin
martina.hess(at)horizont.co.at
www.cooldown.co.at
Gründerin von www.elternanders.at

Mag. Regina Hummer
Trainerin, Beraterin
regina.hummer(at)horizont.co.at

Beide:
horizont Personal-, Team- & Organisations-
entwicklung GmbH
Schottenring 17/1/10, A-1010 Wien

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Anthropologie und Bioethik
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