Presseerklärung zu möglicher Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes

 

„Das Recht, ungetestet geboren zu werden“

 

Wien, 21.9.2012. Die Debatte darüber, wie ungewollt kinderlosen Paaren geholfen und welche Techniken dafür in Österreich künftig erlaubt sein sollen, läuft Gefahr, blind die Fehler anderer Länder zu wiederholen. Es liegen zwei voneinander abweichende Empfehlungen der Bioethikkommission am Kanzleramt (BEK) für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz vor. Folgte man dem Mehrheitsvotum, wäre dies aus ethischer Perspektive ein Rückschritt. IMABE begrüßt das Minderheitenvotum, deren Vertreter in der Bioethikkommission klar für höhere ethische Standards eintreten.

Der umstrittene Gencheck an Embryonen im Reagenzglas, die Präimplantationsdiagnostik (PID), soll Eltern, die sich ein Kind wünschen bzw. neuerdings, so der Vorschlag der Liberalisierungsbefürworter, auch Frauen ohne Partner oder lesbische Paare in ihrer Autonomie stärken. Es sei ihre ganz persönliche Entscheidung, ob sie aus einer Zahl von zuvor mehreren hergestellten Embryonen jene aussortieren lassen wollen, die möglicherweise „problematisch“ sind, weil mit einem Risiko-Gen bzw. möglichen Krankheiten aufgrund von Chromosomenanomalien behaftet. Ein gesundes Kind soll es sein – das ist ein verständlicher Wunsch. Doch wie hoch darf der Preis sein? Wer darf dann noch ungetestet ins Leben?

Der Wunsch nach einem gesunden Kind ist verständlich. Diesem aber mit allen – auch ethisch nicht rechtfertigbaren – Mitteln nachzugeben, fördert eine gesellschaftlich unrealistische Haltung, aus der heraus ein Anspruchsdenken nach dem Null-Fehler-Baby oder Wunsch-Baby wächst. Dieser Trend lässt sich in Ländern, in denen PID erlaubt ist, klar beobachten. Es ist nicht zu übersehen, dass Ärzte aus Angst vor Schadensersatzklagen schon jetzt Frauen zu allen nur möglichen Tests raten, um sich selbst abzusichern. Die Entwicklungen sind absehbar: Könnte nicht, wer mit 40 Jahren an Brustkrebs erkrankt, darauf verweisen, dass es zum Zeitpunkt seiner Zeugung schon genetische Tests gegeben hat?

Dem Mehrheitsvotuem der BEK-Mitglieder entsprechend soll fordert die PID nicht in engen Grenzen, sondern auch nach mehreren erfolglosen IVF-Versuchen erlaubt werden, um die Schwangerschaftsraten zu erhöhen. Dies widerspricht jüngsten wissenschaftlichen Daten. Vier von fünf ungewollt kinderlosen Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, bleiben auch nach mehreren belastenden IVF-Versuchen kinderlos. Die sogenannte Baby-Take-Home-Rate liegt bei niedrigen 15 bis 20 Prozent – auch dann, wenn die PID durchgeführt wurde, so die Daten der Europäischen Gesellschaft für Humanreproduktion und Embryologie (ESHRE). In der Scientific Community wurde offene Kritik geäußert, dass trotz fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse das PID-Screening wider besseres Wissen routinemäßig im klinischen Umfeld eingesetzt wird (vgl. Reproductive BioMedicine Online, 8/2012). Kommerzielle Erwägungen, heißt es, spielten darin eine nicht unbedeutende Rolle.

Auch der Markt des Eizellenhandels, der Leihmutterschaft (die kommen muss, sobald das erste homosexualle Männerpaar auf Gleichberechtigung pocht und via Eizellenspende und Leihmutter das Recht auf ein Kind einklagt) wird in Österreich Einzug halten. Viele Fragen und Fakten werden dabei unter den Tisch gekehrt: Wer erzählt von den Zig Selbsthilfegruppen leidgeprüfter Kinder von unbekannten Pipetten-Vätern und Leihzellmüttern – auf der Suche nach ihrer genetischen Identität? Von gesundheitlichen Schäden nach hormoneller Überstimulation von Frauen zwecks Abernten von Eizellen – für sich oder andere? Von genetisch maßgeschneiderten Retortenbabys, die als lebendes Ersatzteillager dienen?

Der zivilgesellschaftliche Preis, der aus den Liberalisierungsempfehlungen folgt, ist hoch. Es zählt zu den fundamentalen Schutzpflichten des Staates, schon die Erzeugung von Embryonen zu verbieten, die in diskriminierender Weise „aussortiert“ werden sollen. Wer dieses Prinzip zugunsten einer fragwürdigen Eugenik aufgibt, unterhöhlt die Grundlagen der Demokratie.

IMABE sieht eine Chance, dass Österreich ein Vorzeigeland hoher ethischer Standards werden könnte, wenn es aus Fehlern anderer lernt. Eine Novellierung des Fortpflanzungs-medizingesetzes im Sinne einer Ausweitung der Techniken, Indikationen oder Personen-konstellation wäre dagegen ein Rückschritt in der Frage des Schutzes der Menschenwürde und des Kindeswohls.

Weiterführende Informationen und Stellungnahmen von IMABE, Wien:

1. Stellungnahme zum Vorschlag zur Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, 24.4.2012

2. Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik – Fakten und Daten, 2.12.2011

3. Stellungnahme zur Empfehlung der Bioethikkommission für eine Liberalisierung der Stammzellenforschung, 23.3.2009

4. Stammzellen – Fakten und Daten, Juni 2009

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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