Bioethik aktuell

Deutscher Ärztetag: „Patientenwohl muss ethischer Maßstab für das Krankenhaus sein“

Forderung nach Paradigmenwechsel: Patient ist kein „pauschalierter Behandlungsfall“

Lesezeit: 02:21 Minuten

© Fotolia_39977510_Monkey_Business

Ärzte wollen Menschen behandeln, Zeit für ihre Patienten haben, ihr Wohl im Blick behalten - allen ökonomischen Zwängen und allen finanziellen Anreizen zum Trotz. Dazu bekannte sich der 119. Deutschen Ärztetag. „Wir sind alle einer Meinung: Ethisch verantwortliche Medizin kennt nicht den Verkauf von Kniegelenken, Herzkatheter-Operationen oder Organtransplantationen gegen Bonus“, sagte Hans-Fred Weiser, Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands (VLK), berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online, 26.5.2016).

Die Delegierten des 119. Deutschen Ärztetags verabschiedeten einen Entschließungsantrag wider die Ökonomisierung in der Medizin (vgl. I/15 und I/16). Darin fordern die Ärzte die Abschaffung des diagnosebezogenen Fallpauschalen-Systems (DRG, entspricht dem österreichischen LKF-System). Zwölf Jahre nach der Einführung betrachte man mit großer Sorge „die negativen Folgen dieses Systems“. Unter dem Diktat der Effizienzsteigerung werde die „persönliche Zuwendung zum Patienten als idealistische Wunschvorstellung bagatellisiert“. Dies führe zur „Aushöhlung des Fürsorgemodells in der Pflegenden-Patient-Beziehung“ und zum „Verlust der intrinsischen Motivation“. Gleichzeitig bedrohe die Ökonomisierung die ärztliche Profession in ihrer Autonomie. Sie führe zu einer Über-, Unter- und Fehlversorgung und damit zu einem Qualitätsverlust, so die Delegierten.

In der Entschließung werden alle Ärztinnen und Ärzte in Deutschland aufgefordert, „sich gemeinsam gegen die Entmenschlichung der Krankenversorgung zu stellen“. Medizinische und ökonomische Ziele müssen nicht zwangsläufig einen Gegensatz darstellen. Wenn jedoch ökonomisches Denken Zielen wie Gewinnmaximierung oder Rentabilitätsorientierung Vorrang gewähre, widerspreche das dem Berufsethos, so die Delegierten.

Kritisch beobachtet wird, dass viele Spitalsträger Arbeitsverträge mit Ärzten abschließen, in denen sie sich zunehmend an Leistungsmengen, Leistungskomplexen oder Messgrößen orientieren. Einer aktuellen Untersuchung der Unternehmensberatung Kienbaum zufolge hätten 97 Prozent der leitenden Krankenhausärzte im Jahr 2015 Verträge mit monetären Anreizen gehabt. 1995 seien es lediglich fünf Prozent gewesen. Bereits sechs Prozent der Ärzte in Weiterbildung hätten Verträge mit mengenassoziierten Bonusregelungen abgeschlossen. Dass gerade junge Ärzte am Anfang ihres Berufslebens damit konfrontiert werden, hält Weiser für äußerst bedenklich: „Den jungen Kollegen wird eine gefährliche Sichtweise dargelegt. Weg von den ethischen Aspekten eines Arztberufes hin zur Ökonomie.“ Junge Kollege befänden sich in „extremer Gefahr, in ein Berufsbild Arzt gepresst zu werden“, das dem eigentlichen Berufsbild nicht gerecht werde.

Das Thema Ethik sollte stärker in der Weiterbildung verankert werden und in den Alltag eingebracht: „Ärztliche Ethik muss ein Thema der täglichen Auseinandersetzung in OP-Besprechungen, Dienstplanungen und Fortbildungen sein“, sagte Christoph Emminger von der Bayerischen Landesärztekammer. Der Deutsche Ärztetag sieht dabei jeden einzelnen Arzt in der Pflicht. Es müsse der Grundsatz gelten: „Ethik vor Monetik“. Jeder Arzt sollte an seinem Platz den aufrechten Gang erlernen, so der Appell an die Ärzteschaft. Bei ethischen Fragen - etwa wenn man sich gegen rein ökonomische Erwägungen wendet, dürfe man den Kollegen nicht in den Rücken fallen, sondern müsse Solidarität zeigen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: