Bioethik aktuell

EBM: Leitlinien berücksichtigen Bedürfnisse älterer Menschen nur ungenügend

Klinische Studien lassen sich auf alte, chronisch kranke und multimorbide Patienten kaum übertragen

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Bisher gibt es zu wenige prospektive, randomisiert kontrollierte Studien, die mit multimorbiden, alten Menschen durchgeführt wurden. In Anbetracht des demografischen Wandels fordert die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) aus Anlass ihrer Jahrestagung deshalb eine intensivere altersmedizinische Forschung. Das berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online, 8.2.2018).

„Die meisten Medikamente, die Ärzte bei alten Patienten einsetzen, wurden in dieser Altersgruppe nie getestet“, kritisiert Cornel Sieber, Vorsitzender der DGIM (vgl. Pressemitteilung, online Februar 2018). Denn Studien werden meist an Patienten mittleren Alters durchgeführt, die an jener Krankheit leiden, gegen die sich das Mittel richtet, ohne relevante andere Krankheiten zu berücksichtigen. Die Ergebnisse aus derart „gesäuberten“ klinischen Studien einfach auf alte, oft chronisch kranke und multimorbide Patienten zu übertragen, sei meist „nicht wissenschaftlich fundiert, möglicherweise sogar riskant“, erklärt der Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg und Direktor des Instituts für Biomedizin des Alterns.

Ein Beispiel dafür sei die Onkologie. „Wir behandeln alte Patienten mit einer Chemotherapie, ohne zu wissen, ob diese nebenwirkungsreiche Therapie vielleicht aufgrund der Multimorbidität angepasst werden müsste.“ Auch ein kompletter Verzicht auf eine Chemotherapie könnte angezeigt sein statt einer bloßen Dosisminderung.

Bei Kindern müssen - im Gegensatz zu alten Menschen - die Arzneimittel in der jeweiligen Altersklasse geprüft werden, um eine Zulassung zu erhalten. Was in der Pädiatrie bereits gesetzlich vorgeschrieben ist, sollte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) auch für alte Menschen zur Pflicht machen, fordert der Vorsitzende der DGIM.

Auch das Studiendesign müsse für die betagten Patienten angepasst werden. Denn die Behandlungsziele alter Menschen unterscheiden sich von denen jüngerer: Bei ihnen spiele aufgrund der verbleibenden Lebenszeit oft nicht die nur Heilung, sondern der vor allem der Erhalt der Selbständigkeit und der Lebensqualität eine große Rolle.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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