Bioethik aktuell

EU-Studie: Hormonwirksame Substanzen gefährlicher als gedacht

Effekte auf sinkende Fruchtbarkeit beim Menschen sind anzunehmen

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Das „Endokrine System“ ist ein Netzwerk von Drüsen, die im ganzen Körper verteilt sind. Manche Chemikalien, sowohl natürlicher als menschlicher Herkunft, können die endokrinen Drüsen, ihre Hormone oder die Zielgewebe, auf welche sie wirken, beeinträchtigen. Diese Chemikalien werden „endokrine Disruptoren“ genannt. Das Ergebnis des vierjährigen EU-Forschungsprojekts Comprendo (Comparative Research on Endocrine Disrupters, 2002-2006, http://www.comprendo-project.org/) zeigt nun, dass endokrine Disruptoren für Gesundheit und Umwelt gefährlicher sind als bisher angenommen. Hintergrund des Projekts ist die Tatsache, dass in der natürlichen Umwelt das Phänomen hormoneller Störungen, „Geschlechtsveränderungen“ oder Missbildungen immer häufiger auftritt. Die Ursache liegt in schädlichen Umwelthormonen, die kompliziert zusammengesetzt und chemisch nicht einheitlich charakterisierbar sind. Sie stören das hormonelle Funktionieren lebender Systeme und haben nachweislich Auswirkungen auf Fortpflanzung, Entwicklung und Immunsystem zahlreicher Tierarten. Ihre möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und den Zusammenhang mit Fertilitätsproblemen werden von Seiten der EU ernst genommen. So finden sich potenziell endokrine Disruptoren u. a. in Kosmetika, Industriechemikalien, Medikamenten (etwa der „Pille“), Pestiziden oder Körperpflegeprodukten. Sie sind schwer zu messen, da sie in nur sehr geringen Konzentrationen auftreten, dennoch aber biologisch gesehen einen hohen Effekt haben können, so Studienleiterin Ulrike Schulte-Oehlmann, Zoologin an der Universität Frankfurt. Sie spricht von „schleichenden Umweltgiften“. Die 13 EU-Forschergruppen konzentrierten sich in ihrer Studie auf die Wirkungsweise von androgenen und anti-androgenen Substanzen: männliche Sexualhormone, „vermännlichende“ und „entmännlichende“ Wirkstoffe sowie deren Rezeptoren und ihren Einfluss auf Vitalität, Reproduktion, Entwicklung und Physiologie von Organismen. So konnte etwa bei Schneckenweibchen nachgewiesen werden, dass sie unter Einfluss von Triphenylzinn und Fenarimol - Pestiziden, die in der Landwirtschaft angewendet werden - bis zu 70 bzw. 60 Prozent weniger Eier produzierten. Im Organismus erhöhte sich der Androgentiter, während sich der Östrogentiter meist verringerte. Große Mengen hormonwirksamer Substanzen wurden inzwischen in Flüssen wie Elbe oder Po gefunden. Im Rahmen von Comprendo wurden zwei Testverfahren entwickelt, um die Effekte auf den Stoffwechsel der untersuchten Tierarten nachzuweisen und entsprechende Grenzwerte besser kontrollieren zu können, so Schulte-Oehlmann.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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