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Familienplanung im Labor: Warum der moderne Natalismus Eugenik wieder aufleben lässt

Pro-Natalisten fördern die technologische Reproduktionskontrolle und untergraben dabei die Würde des Menschen

Lesezeit: 04:48 Minuten

Kinder ja – aber nur die Gesunden, Starken und Intelligenten: Pro-Natalisten propagieren eine Zukunft, in der Reproduktion durch Technologie gesteuert und genetisch optimiert wird. Hinter der Sorge um sinkende Geburtenraten verbirgt sich ein eugenisches Gedankengut, das den Wert des Lebens an Leistungsfähigkeit knüpft und die Idee der Menschenwürde damit radikal infrage stellt.

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Im März 2025 versammelten sich in Texas die sogenannten „Pro-Natalisten“ zur zweiten „Natal Conference“, unter ihnen selbsternannte Eugeniker, Vertreter der umstrittenen „Rassenforschung“ und Gründer eines Startups für IQ-Screening von IVF-Embryonen. Was die Natalisten aus diversen politischen Lagern eint, ist die Sorge um sinkende Geburtenraten. Dieser globale demografische Trend wird von Ökonomen weltweit als problematisch für Wirtschaftswachstum, Sozialsysteme und Altersversorgung betrachtet – der sogenannte „demografische Winter“. Die Sorge um sinkende Geburtenrate nutzen die Pro-Natalisten für eine beunruhigende Vision: eine durch Technologie optimierte Gesellschaft.

Selektive Reproduktion als Lösung und „Boost“ für die Menschheit

Was auf den ersten Blick als legitime Sorge um den Bevölkerungsrückgang erscheint, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Wiederbelebung eugenischer Ideen. Pro-Natalisten setzen sich zwar für die Unterstützung von Familien ein. Allerdings soll nicht jeder dazu ermutigt werden, für eigene Nachkommen auf natürlichem Weg zu sorgen. Einige namhafte Vertreter der Pro-Natalisten – wie Jordan Lakser oder Kevin Dolan – stehen hinter einer gezielten und selektiven Reproduktionsstrategie: Vor allem sollen intelligente und erfolgreiche Paare dazu ermutigt werden, sich fortzupflanzen - das aber durch IVF und Leihmutterschaft, damit durch erweiterte Screening-Technologien nur die Embryos mit den „besten“ genetischen Anlagen eingesetzt werden.

Nicht schlau, gesund und stark genug?

Dieses Denken ist im Kern zutiefst eugenisch. Menschen soll durch Technologie selektiert und somit optimiert werden. Die Eugenik ist die „Wissenschaft“ hinter selektiver Fortpflanzung, die Darwins natürliches Selektionsprinzip auf Menschen bezieht („Sozial-Darwinismus“). „Survial oft he Fittest“ wird heute aber nicht mehr durch natürliche, sondern durch künstliche Selektion erreicht: Embryo-Screening für Geschlecht, Erkrankungsrisiken und Intelligenzvorhersagen, kann zur Folge haben – wie es der berühmte Fall von Malcolm und Simone Collins  zeigt –, dass Kinder mit bestimmten genetischen Eigenschaften gar nicht mehr geboren werden. Nicht umsonst wird die Eugenik als einer der größten Skandale der Wissenschaftsgeschichte betrachtet. Sie ist eine Pseudowissenschaft, die in ihrer extremen Form den Gräueltaten des Nationalsozialismus den Weg ebnete.

Der Mensch als Produkt genetischer Optimierung

Welches Menschenbild steckt hinter solchen Zielen? In der Logik der Natalisten – sie nennen sich auch „Techno-Puritaner“ – wird die Würde des Menschen auf die Qualität seiner Gene, seine Leistungsfähigkeit und Intelligenz reduziert. Der Mensch wird im Kontext der künstlichen Selektion nicht mehr bedingungslos angenommen und geliebt, sondern nur unter bestimmten genetischen Bedingungen für das Leben „zugelassen“. Daseinsberechtigung hat der gesunde, makellose Embryo. Sein ganzes Potenzial wird an Zahlwerten festgemacht, die seine genetischen Anlagen widerspiegeln. Anlage ist alles, Umwelt ist nebensächlich. Diese Selektion ist nicht natürlich, sondern beruht auf den Präferenzen eines perfektionistischen, leistungsgetrieben Weltbildes, in dem nichts dem Zufall überlassen werden soll.

Die Macht über das Recht auf Leben  

Diese Denkweise steht im klaren Widerspruch zu humanistischen Werten und auch der christlichen Idee der Menschenwürde, die später in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) Niederschlag fand. Demgemäß kommt allen Menschen gleichermaßen eine universale Würde zu, aus der sich seine Grundrechte ableiten. Artikel 2 der UN-Menschenrechtscharta hält das fundamentalste aller Rechte fest: Das Recht auf Leben. Dieses Recht wird in der Logik der selektiven Reproduktion jenen von vorneherein abgesprochen, die aufgrund ihrer Anlagen nicht den Präferenzen ihrer „Macher“ entsprechen.

Soziale Spaltung könnten sich verschärfen

Das hat soziale Folgen: Fortpflanzung soll damit zunehmend zu einem Privileg der Wohlhabenden werden. Nur wer über die finanziellen Mittel verfügt, kann sich das technologische Screening und die Selektion von „Hochleistungsbabys“ leisten. Dies schafft eine neue, auf Macht basierende Hierarchie zwischen Menschen – zwischen jenen, deren Existenz „optimiert“ wurde, und allen anderen. Die Kluft zwischen Arm und Reich würde so auf eine biologische Ebene gehoben und steigen.

Eine Gesellschaft ohne Vielfalt und Alter

Am Ende der neuen Eugenik steht eine Gesellschaft, in der natürliche menschliche Vielfalt, Altern und Unvollkommenheit keinen Platz mehr haben. Was geschieht, wenn der menschliche Wert an genetischen Merkmalen gemessen wird? In einer solchen Welt hätten wir alle, die wir natürlich geboren worden sind, letztlich keinen Platz mehr. Zur der Natur des Menschen gehören Fragilität und Verletzlichkeit. Kein Mensch ist perfekt, jeder von uns kann jederzeit krank werden, mit dem Alter steigt das Bedürfnis, gestützt und umsorgt zu werden. Gebrechlichkeit ist in der perfekten Welt der Natalisten allerdings nicht vorgesehen. Das eugenische Denken der Reproduktionsselektion bleibt nicht beim Anfang des Lebens stehen. Auch das alte, behinderte und kranke Leben hat nach diesem Denken einen minderen Wert und muss sein Dasein rechtfertigen.

Der US-Publizist und Bioethiker Michael Sandel befürchtet, dass die Versuchung, die menschliche Natur durch wissenschaftliche Technologien zu verbessern, eine Beherrschung über das Leben mit sich bringt, die die Schönheit des menschlichen Charakters und seiner individuellen Fähigkeiten verkennt. Sandel fordert uns auf zu sehen, dass ein Streben nach künstlicher Perfektion die natürlichen Fähigkeiten und einzigartigen Gaben überschattet, die Individuen verliehen wurden.

Leben bejahen statt Leben selektieren und diskriminieren

Die demografische Entwicklung zählt zu den größten Herausforderungen der wohlhabenden Industrienationen, das bleibt unumstritten. Es ist gefählrich, wenn dies nun einseitig mit Gedankengut von den ethisch äußerst fragwürdigen Pro-Natalisten besetzt wird. Es wirkt fast so, als wolle man sich das demographische Problem für eugenische Ideologien zu Nutze machen.

Die Zukunft ist angesichts weiterhin sinkender Geburtsrate eher düster. Noch bedrohlicher ist allerdings die menschenabwertende Haltung mancher Pro-Natalisten. Wollen wir die Geburtenrate auf lange Sicht fördern, müssen wir als Gesellschaft eine lebensbejahende Haltung einnehmen, in denen Kinder Platz haben und nicht die Familie sich der Arbeitswelt unterordnen muss, sondern umgekehrt. Wir brauchen eine Kultur, deren Grundlage darin besteht, dass jedes Leben wertvoll, schützenswert und bereichernd ist. Ein solche Gesellschaft erkennt den intrinsischen Wert und die universale Würde jedes Menschen, unabhängig von seinen genetischen Voraussetzungen, seiner Leistungsfähigkeit oder seinem Alter.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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