Bioethik aktuell

Frankreich: Höchster Staatspreis geht an Locked-in-Syndrom-Patientin

56-jährige Französin setzte sich beispielhaft gegen Euthanasie ein

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Frankreich setzt ein Zeichen: Der höchste Orden der Republik, die Légion d'honneur, ging vor wenigen Tagen an eine 56-jährige Französin, die seit 26 Jahren am Locked-in-Syndrom (LIS) leidet. Maryannick Pavageau erhielt die Auszeichnung für ihre Verdienste im Kampf gegen Euthanasie. Beim Locked-in-Syndrom sind Patienten meist genauso aufnahmefähig wie Gesunde, können alles in ihrer Umgebung hören und verstehen, sich aber nur schwer oder gar nicht mitteilen. Es ist vom Wachkoma abzugrenzen, da das Bewusstsein der Patienten größtenteils erhalten bleibt. Als die Französin als 30-Jährige im Jahr 1984 nach einem Schlaganfall am LIS erkrankte, war die Krankheit noch kaum näher erforscht und wenig bekannt. Erst mit dem vom Chefredakteur der französischen Elle-Ausgabe, Jean-Dominique Bauby, verfassten Bestseller Schmetterling und Taucherglocke (1997) gelangte das Schicksal von LIS-Patienten an eine größere Öffentlichkeit. Pavageau wachte nach drei Monaten im Koma auf und war bei vollem Bewusstsein. Dank intensiver Therapie und fast eineinhalb Jahren Spitalsaufenthalt lernte sie von Neuem zu sprechen. Sie ist an den Rollstuhl gefesselt und braucht eine Rundum-Pflege. Als Mitglied der Association of Locked-in-Syndrome (ALIS) trug sie wesentlich zum 2008 verfassten „Leonetti-Bericht“ bei. Dieser bekräftigte aufgrund der Erfahrungen mit dem 2005 beschlossenen Gesetz zur Sterbehilfe, dass aktive Sterbehilfe in Frankreich eine Straftat bleibt.

„Jedes Leben ist lebenswert“, betont Pavageau in einem Interview mit der Regionalzeitung Saint-Nazaire anlässlich der Preisverleihung (online, 27. November 2010). „Das Leben kann schön sein, unabhängig davon, in welchem Zustand wir uns befinden. Ich bin entschieden gegen Euthanasie, denn nicht das physische Leiden bringt den Todeswunsch mit sich, sondern die Mutlosigkeit, sich bloß als Last zu fühlen.“ Dem medialen Bombardement, wonach ein Leben wie das ihre nicht lebenswert sei und daraus ein „Recht auf Sterbehilfe“ abzuleiten wäre, hält die Französin den Lebenswillen von LIS-Patienten entgegen. In einer Studie zur Lebensqualität von Locked-in-Syndrom-Patienten hatte eine große Mehrheit geantwortet, dass sie im Falle eines gravierenden Herzinfarkts wiederbelebt werden wollten. Die Frage nach Euthanasie sei in den meisten Fällen ein Schrei nach Liebe. Die Kraft, um selbst weiterzukämpfen, verdanke sie der Liebe ihres Mannes und ihrer Familie.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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