Bioethik aktuell

Klinische Ethik: Sondenernährung ja, aber „ohne therapeutischen Übereifer“

IMABE-Direktor fordert differenzierten Blick auf das Problem der künstlichen Ernährung

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Künstliche Ernährung mit der PEG-Sonde ist heutzutage ein Routineverfahren und hat ihre zweifelsfreie Berechtigung in vielen Indikationen des medizinischen Alltags. Sie dient dazu, das Leben des beispielweise komatösen Patienten zu erhalten und sein Leiden zu lindern. Freilich ist es nicht immer leicht, die Trennlinie zu ziehen zwischen einer unumgänglichen Notwendigkeit und einem überzogenen therapeutischen Eifer, erläutert IMABE-Direktor Johannes Bonelli in einem aktuellen Kommentar in der Österreichischen Ärztezeitung (25.11.2011). Dies gilt ganz besonders für alte, zunehmend demente Patienten, wenn sie typischerweise beginnen immer weniger zu essen und zu trinken und an Gewicht verlieren. Der Prozess des Leidens und des Sterbens soll nicht künstlich verlängert werden: „Es kommt immer wieder vor, dass kachektischen, hochbetagten Menschen, die aufhören zu essen und zu trinken, künstlich Flüssigkeit und Nahrung zugeführt wird, auch wenn keine Aussicht auf Besserung besteht“, kritisiert der Internist und ehemalige Ärztliche Direktor des Krankenhauses St. Elisabeth in Wien.

Der Sterbeprozess wird natürlicherweise dadurch eingeleitet, dass die Triebkraft des Patienten, sein Leben zu erhalten, allmählich nachlässt. Anzeichen dafür sind oft ein reduzierter Lebenswille und ein vermindertes Hunger- und Durstgefühl. Die Tendenz weiterzuleben schlägt allmählich in eine Tendenz um, sein Leben abzuschließen. Die Sondenernährung erreicht in diesen Fällen ihre Zielsetzung, nämlich Leiden zu lindern und Leben zu erhalten, in keiner Weise, betont Bonelli. „Im Gegenteil: Der Prozess des natürlichen Sterbens mit langsamer Trübung der Wahrnehmung wird verhindert. Es muss daher als therapeutischer Übereifer bewertet werden, wenn solchen Menschen am Ende ihres Lebens noch künstlich Flüssigkeit und Nahrung aufgezwungen werden.“

Patienten, die im Endstadium die Nahrungsaufnahme verweigern, leiden weder an Hunger noch an Durst, sondern es setzt so etwas wie eine natürliche Anästhesie ein: Die Austrocknung wirke eher betäubend, und lässt dem natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die zeigten, so Bonelli, dass eine Sondenernährung bei alten, betagten Patienten keinerlei Einfluss auf einen günstigeren Krankheitsverlauf habe. Wenn sich jemand dennoch für eine künstliche Sondenernährung bei hochbetagten Patienten im Sterbeprozess entscheidet, darf dies nicht aus Verlegenheit oder als verdeckte pflegerische Maßnahme geschehen. Bonelli: „Hier bedarf es einer handfesten, rationalen Begründung.“

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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