Bioethik aktuell

Nocebo: Wenn zu viel Wissen Patienten krank macht

Ärzte im Dilemma zwischen detaillierter Aufklärung und dosierten Worten

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Die positiven Auswirkungen von ärztlicher Kommunikation, Behandlungserwartung und Scheinbehandlung sind als „Placebo“-Phänomene bekannt und erforscht. Dagegen wird das umgekehrte Nocebo-Phänomen („Ich werde schaden“) noch kaum beachtet: Suboptimale ärztliche Kommunikation oder Erwartungshaltungen bei ängstlichen Patienten können auch zu so genannten Nocebo-Effekten führen und den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Die Erwartung eines negativen Ergebnisses kann vorab beim Patienten schon zum entsprechenden Symptom führen oder es verschlimmern (vgl. Dtsch Aerztebl 2013; 110(41): A-1904 / B-1681 / C-1648).

Dass Ärzte unter Druck stehen, voll zu informieren, auch um sich rechtlich abzusichern, andererseits sich aber zugleich bewusst sind, dass zu viel Wissen Patienten schaden kann, wirft Fragen auf. Wissenschaftler beginnen, die Nachteile einer umfassenden Risikoaufklärung bei Eingriffen und Narkosen offen zu diskutieren, berichtete die FAZ jüngst in einem bemerkenswerten Artikel (online, 29. 6 2014). Gesetz und Rechtsprechung, aber auch die Zeitstruktur des Klinikalltags, ließen keinen Raum für das vertrauensvolle Ausloten dessen, was der Patient an Informationen für seine Entscheidung wirklich braucht oder wünscht. „Der Arzt hat inzwischen keine Möglichkeit mehr, einen stillschweigenden Verzicht auf das Wissen um bestimmte Risiken bei dem Patienten anzunehmen“, warnte Jurist Elmar Biermann beim Deutschen Anästhesie Congress in Leipzig vor impliziten Vermutungen im Aufklärungsgespräch. „Das, was unter dem so genannten ‚therapeutischen Privileg‘ diskutiert wird, also die Möglichkeit, Fakten, die den Patienten verunsichern würden, nicht mitzuteilen, lassen Gesetz und Rechtsprechung nicht zu“, so Biermann.

Der Internist und Psychosomatiker Winfried Häuser hat in einer Übersichtsarbeit die Bedeutung von Nocebo-Phänomenen im klinischen Alltag untersucht (vgl. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(26): 459-65, DOI: 10.3238/arztebl.2012.0459).

Wie Smadar Cohen von der Ben-Gurion University of the Negev (vgl. Bioethics 2014; 28(3): 147-54, doi: 10.1111/j.1467-8519.2012.01983.x) sieht auch Häuser darin ein ethisches Dilemma. Er plädiert als Lösung unter anderem auf Kommunikationstrainings während des Medizinstudiums und in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung, um die „Macht der Worte“ des Arztes zum Nutzen des Patienten einzusetzen und Schaden von ihm abzuwenden. Für Karin Meißner ist ebenfalls die Wahl der Worte entscheidend. „Wir wissen zum Beispiel aus einer Studie zur Aufklärung über eine Peridural- oder rückenmarksnahe Anästhesie, dass allein die Wortwahl die Schmerzen nach der Operation verschlimmern kann“, erklärt die Ärztin laut FAZ den Einfluss der Gesprächsführung. Meißner forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München über Placebo- und Noceboeffekte in der Medizin.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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