Bioethik aktuell

Pränataldiagnostik: Bluttest für Down-Syndrom auf Krankenkasse?

IMABE: Logik der präventiven Selektion kranker Kinder muss in Frage gestellt werden

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Ein Bluttest auf Down-Syndrom könnte in Deutschland zur gesetzlichen Kassenleistung werden. Die Firma LifeCodexx hat den diesbezüglichen Antrag gestellt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der in Deutschland über Kassenleistungen entscheidet, hat in der Sommerpause ein entsprechendes Bewertungsverfahren eingeleitet, ob die Gentests in die reguläre Schwangerenversorgung eingebaut werden sollen (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 18. 8. 2016). Die Reaktionen sind heftig. „Das ist vollkommen inakzeptabel. Was wir brauchen, ist endlich eine breite und ehrliche gesellschaftliche Debatte über das geradezu zwanghafte Bedürfnis nach Kontrolle und Planung, das in der heutigen Schwangerenversorgung so dominant ist“, kritisiert Uta Wagenmann vom Gen-ethischen Netzwerk ein kassenfinanziertes Screening auf Trisomie 21.

Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen und Die Linken haben gemeinsam einen offenen Brief an den G-BA gerichtet. Der Test habe keinerlei therapeutischen Nutzen und erhöhe den Druck auf die individuelle Verantwortung, ein „perfektes“ Kind zu gebären, so die Abgeordneten. Die Möglichkeit, sehr früh und „risikoarm“ zu testen, könne die Erwartung erzeugen, diese Angebote nutzen zu müssen. Eltern, die sich dann gegen den Test oder wissentlich für ein behindertes Kind entscheiden, könnten immer mehr in Erklärungsnöte geraten, geben die Abgeordneten zu bedenken (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online, 17. 8. 2016)

Auch in Großbritannien wehren sich Interessensverbände gegen die Empfehlung des National Health Service, Bluttests auf Down-Syndrom als Kassenleistung zu bezahlen (vgl. The Guardian, online, 10. 8. 2016). Bereits jetzt werden 90 Prozent der Kinder mit Hinweis auf Down-Syndrom abgetrieben. Durch ein staatlich finanziertes Screening würden Behinderte diskriminiert und Mütter sich kaum mehr dazu entschließen, ein Down-Syndrom-Kind auch zur Welt zu bringen, betont die britische Behinderten-Plattform Don’t Screen us.

Die deutsche Firma LifeCodexx zählt zu den wichtigsten Akteuren am globalen Markt der nicht-invasiven pränatalen Tests. Sie ist Partner des börsennotierten US-Konzerns Sequenom (Kalifornien). Die Blutanalyse PraenaTest, deren Entwicklung mit 230.000 Euro vom deutschen Bundesforschungsministerium unterstützt wurde, ist seit 2012 am Markt. Die Firma wirbt damit, „Leben zu retten“ - nämlich dadurch, dass Fehlgeburten nach invasiven Gentests, etwa nach einer Fruchtwasseruntersuchung, durch den ungefährlichen Bluttest verhindert werden können. Hintergrund: Das übliche Ersttrimester-Screening würde mehr falsch-positive Befunde liefern, also Fehlanzeigen. Um diese Befunde zu kontrollieren, müssen anschließend invasive Tests durchgeführt werden, die das Leben des Kindes gefährden können - ob gesund oder krank. Durch die Treffsicherheit des Bluttests würden sich unnötige Fruchtwasseruntersuchungen und Plazenta-Biopsien vermeiden lassen.

Eine im New England Journal of Medicine publizierte Studie (2015; 372: 1589-159, DOI: 10.1056/NEJMoa1407349) unterstützt diese Daten und wirft erstmals ein Licht auf die jetzige Prozedur, die zahlreiche Schwangere mit falschen Verdachtsfällen unnötig verunsichert: 15.841 schwangere Frauen hatten ein Standard-Screening. Bei 884 Schwangeren war der Test positiv: Es bestand also offenbar ein hohes Risiko, dass sie ein Down-Syndrom-Kind erwarteten. Irrtümlicherweise, wie sich dann nach weiterer Abklärung durch eine Fruchtwasseruntersuchung bzw. Chorionzottenbiopsie herausstellte. Das Resultat: Nur 30 (!) der 884 Kinder hatten tatsächlich Down-Syndrom, 854 wiesen keine Chromosomenfehler auf. Die falsch-positive Rate liegt damit sehr hoch (5,4 Prozent bei 15.841 Frauen), beim Bluttest liegt sie hingegen bei nur 0,06 Prozent. Trotz größerer Treffsicherheit gegenüber den bisherigen Screening-Verfahren müsse ein positives Ergebnis aber immer mit einer zweiten diagnostischen, invasiven Methode bestätigt werden, empfiehlt die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Im mütterlichen Blut befinden sich in der zellfreien DNS (cfDNA) Teile der Erbinformation des Embryos. Aus einer Blutprobe der Schwangeren werden diese analysiert und auf Hinweise einer Chromosomenveränderung abgesucht. Dazu zählen Trisomie 21 (Down-Syndrom), Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) oder Trisomie 13 (Pätau-Syndrom). Keine Informationen bietet der Bluttest über andere seltene Chromosomenanomalien oder körperliche Fehlbildungen, das Geschlecht kann hingegen festgestellt werden.

Die Tests wurden bisher nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern und auf deren Kosten (rund 400 bis 1.000 Euro) durchgeführt. Über die Testregionen Deutschland, Schweiz, Österreich und Liechtenstein will LifeCodexx in den europäischen Markt einsteigen. Laut einem aktuellen Report des Transparency Market Research zählt die nicht-invasive Pränataldiagnostik zu einem boomenden Markt mit hoher Wachstumsrate. Der Markt nicht-invasiver Pränataltest (NIPT) wurde mit 0,53 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2013 beziffert, die Prognose für 2022 liegt bei 2,38 Milliarden US-Dollar (online, 11. 8. 2016).

„Aus ethischer Sicht ist die Aufregung um den Bluttest verständlich: Eine Aufnahme des Down-Syndrom-Bluttests in die Regelversorgung von Schwangeren signalisiert von staatlicher Seite: ‚Wir verfolgen eine Logik der präventiven Selektion kranker Kinder.’ Anstatt also bloß über die Methode zu diskutieren, sollte das Ziel sein, die Schwangerenvorsorge mit ihren vielfältigen Dienstleistungsangeboten zur Selektion behinderter Ungeborener kritisch zu hinterfragen“, meint Susanne Kummer, Bioethikerin am Wiener Wissenschaftsinstitut IMABE. Das Geschäft mit der guten Hoffnung habe Schattenseiten, die offengelegt werden müssten. „Schon kursiert der Satz, dass Pränatalmediziner die einzigen Vertreter unter Ärzten sind, die mit juristischen Folgen rechnen müssen, wenn der ihnen anvertraute Patient nicht im gegebenen Zeitraum getötet wird. Das kann wohl nicht der Auftrag der Medizin als Heilkunst sein“, kritisiert Kummer.

Institut für Medizinische
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