Bioethik aktuell

Schweiz: Exit will assistierten Suizid auch lebensmüden Gesunden anbieten

IMABE kritisiert Tod als Dienstleistung und fordert eine neue Kultur des Beistands

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In der Schweiz nehmen immer mehr Menschen Beihilfe zum Suizid in Anspruch - ohne an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden (vgl. IMABE 2008: Schweizer Studie: Sterbehilfe bei nicht tödlich Kranken nimmt zu) Die umstrittene Sterbehilfeorganisation Exit will sich deshalb in Zukunft für einen „Altersfreitod“ engagieren, berichtet die Neue Zürcher Zeitung (online, 9. 3. 2014). Strafrechtlich sei in der Schweiz die Freitodbegleitung von Gesunden gedeckt, solange sie nicht aus selbstsüchtigen Gründen geschieht und der Sterbewillige urteilsfähig sei. Standesrechtlich hingegen riskiere der Arzt, der das tödliche Barbiturat einem Gesunden verschreibt, den Entzug seiner Praxisbewilligung.

Bereits vor 10 Jahren zählten 33 Prozent der Klienten von Exit zu den lebensüberdrüssigen Gesunden. Frank Mathwig, Mitglied der Nationalen Ethikkommission sieht hier eine bedrohliche Entwicklung: „Hier werden prophylaktisch Todesängste bewirtschaftet.“ Ruth Baumann-Hölzle, Leiterin des Instituts Dialog Ethik, weist darauf hin, dass viele ältere Menschen vereinsamen: „In dieser Situation den sogenannten Altersfreitod anzubieten, ist zynisch und wirft ein düsteres Bild auf die Humanität unserer Gesellschaft.“

Eine kürzlich im International Journal of Epidemiology (2014 doi: 10.1093/ije/dyu010) publizierte Studie bestätigte dies: Wer alleine lebt und wer geschieden ist, lässt sich eher in den Freitod begleiten als Verheiratete und sozial integrierte Personen. Die Suizidbeihilfe ist außerdem bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern (740 Frauen gegenüber 561 Männern), ein Ergebnis, das die Autoren der durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie überraschte. Der Anteil der Frauen ist auch höher, wenn berücksichtigt wird, dass es mehr ältere Frauen als Männer gibt.

Das Team um Matthias Egger vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern hatte anonymisierte Daten zu 1300 Sterbehilfefällen in der Schweiz in den Jahren 2003 bis 2008 mit Daten zur 5-Millionen-Gesamtbevölkerung aus der Schweizer Kohortenstudie verknüpft. Bemerkenswert sei auch, dass der begleitete Freitod bei gebildeten, in urbanen und wohlhabenden Wohngegenden lebenden Personen überdurchschnittlich häufig war. „Die Resultate deuten darauf hin, dass es tatsächlich verletzliche Bevölkerungsgruppen geben könnte“, sagt Matthias Egger. „Soziale Isolation und Einsamkeit sind bekannt als Risikofaktoren für nicht begleiteten Suizid, das gilt wohl auch für begleiteten Suizid.“

„Töten heißt versagen“, kommentierte IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer das belgische Euthanasiegesetz für Minderjährige in der Presse (online, 21. 2. 2014). Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, Jung und Alt, krank oder nur lebensmüde, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten ist laut Kummer „die moralische Bankrotterklärung einer Kultur“, die „ihre Kompetenz im Umgang mit Leidenden verloren“ hat und „im Rückzugsgefecht die legale Tötung als Befreiung feiert“. Stattdessen sei eine neue „Kultur des Beistands“ gegenüber jenen gefordert, die besonders vulnerabel und schutzbedürftig, weil krank, alt, allein oder minderjährig sind, fordert Kummer.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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