Bioethik aktuell

Studie: 25 Prozent der österreichischen Jugendlichen sind psychisch gefährdet

Experten fordern niederschwelligere Angebote für Familien und mehr Aufklärung

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Rund 24 Prozent aller Jugendlichen in Österreich zeigen Hinweise auf eine aktuell bestehende psychische Erkrankung, knapp 36 Prozent der 10- bis 18-Jährigen hatte laut eigener Einschätzung schon einmal eine psychische Störung. Das ist das Ergebnis der ersten österreichweit durchgeführten Studie zur Prävalenz von psychischen Erkrankungen, die kürzlich im Fachjournal European Child & Adolescent Psychiatry publiziert wurde (DOI: 10.1007/s00787-017-0999-6).

Am häufigsten waren mit 15,6 Prozent Angststörungen, darauf folgten neuropsychiatrische Entwicklungsstörungen mit 9,3 Prozent (z. B. ADHS-Aufmerksamkeitsstörung: 5,3 Prozent) und schließlich Depressionen mit 6,2 Prozent, berichtet das Team um Andreas Karawautz und Gudrun Wagner von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Die Studie wurde in Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research durchgeführt. Insgesamt wurden in der Studie 27 Krankheitsbilder laut DSM-5-Katalog (Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders) erfasst, befragt wurden rund 4.000 Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren in ganz Österreich, davon fast 500 mit persönlichen Interviews. Insgesamt nahmen 340 österreichische Schulen teil.

Im Detail zeigten sich deutliche Unterschiede bei Mädchen und Burschen. Burschen leiden fast drei Mal so häufig an Störungen der psychischen und neuronalen Entwicklung (z. B. ADHS-Syndrom) und sechsmal so häufig an Verhaltensstörungen (z. B. Impulskontrolle) als Mädchen. Dafür leiden doppelt so viele Mädchen an Angststörungen und sogar zehn Mal so viele an Essstörungen. Während Migrationshintergrund oder der sozio-ökonomische Faktoren sich nicht signifikant auswirkten, erhöhen offenbar negative familiäre Faktoren (Gewalterfahrung und sexueller Missbrauch, traumatische Erlebnisse, psychische Vorerkrankungen in der Familie, Aufwachsen bei nur einem Elternteil) das Risiko für eine psychische Erkrankung.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: 47 Prozent der Jugendlichen mit einer lebenslangen psychiatrischen Störung war bereits in medizinischer Behandlung. Mehr als Hälfte jener Jugendlichen, die angaben, mindestens einmal im bisherigen Leben an einer psychischen Störung erkrankt gewesen zu sein, hatte noch keinen Kontakt mit Spezialisten (z. B. einem Kinder- und Jugendpsychiater), waren aber offen für eine Behandlung. Der Besuch beim zuständigen Facharzt hängt offenbar stark vom einzelnen Krankheitsbild ab: Rund 63 Prozent der befragten Jugendlichen mit ADHS waren beim Facharzt, bei Essstörungen waren es nur knapp 20 Prozent, noch weniger bei suizidalen Verhaltensstörungen (16,7 Prozent) und nicht-suizidalem, selbstverletzendem Verhalten (10 Prozent).

Laut Andreas Karawautz würden letztere Krankheitsbilder von den Angehörigen nur ungern als solche anerkannt, die Hemmschwelle, zum Arzt zu gehen, sei hoch. Auch in der Diagnostik gebe es noch Mängel, hinzu kommt die zu niedrige Anzahl an Kinder- und Jugendpsychiatern und dementsprechenden Einrichtungen. Aus Anlass der alarmierenden Daten fordert die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit neben einer Stärkung von Familien niederschwellige und kassenfinanzierte Angebote für Eltern, die ihnen helfen, rascher und gezielter bei psychischen Problemen ihrer Kinder umgehend kostenlose Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. Pressemitteilung, online, 2.6.2017).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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