Bioethik aktuell

Studie: Nutzen der Krebsfrüherkennung in Europa deutlich überschätzt

Nicht-Experten verstehen statistische Ergebnisse zu positiv, Aufklärung dringend nötig

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Die meisten Frauen und Männer schätzen die Möglichkeiten der Früherkennung von Brustkrebs und Prostatakarzinom zu positiv ein. Das zeigt eine europaweite Umfrage im Journal of the National Cancer Institute (2009; 101: 1216-1220). Die vom Harding Center for Risk Literacy (Harding-Zentrum für Risikokompetenz) zusammen mit der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK-Nürnberg e. V.) durchgeführte Studie (Pressemitteilung, online, 11. 08. 2009) beruht auf Interviews mit 10.200 Bürgern aus neun europäischen Ländern, darunter auch Österreich und Deutschland. Unter anderem wurden sie um ihr Wissen über Präventionsmöglichkeiten und die Nutzung von Informationsquellen zu Gesundheitsfragen befragt. Fazit: 92 Prozent aller Frauen überschätzen den Nutzen der Mammografie als Mittel zur Vermeidung einer tödlich verlaufenden Brustkrebserkrankung. Die Aussage, dass eine Mammografie das Brustkrebs-Risiko um 20 Prozent reduziere, wird statisch umgedeutet, dass durch die Mammografie 200 von 1.000 Frauen das Leben „gerettet“ werde. Dies ist aber eine krasse Fehleinschätzung. Sie träfe nur zu, wenn ohne Screening alle Frauen an Brustkrebs sterben würden. In Wirklichkeit sind es aber weniger als ein Prozent. Studienleiter Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung führt dies auf eine missverständliche Darstellung der Studienergebnisse in den Medien zurück. Dort werde häufig die relative Risikoreduktion hervorgehoben, der absolute Nutzen aber nicht erwähnt. Österreichische Frauen waren mit 2,9 Prozent richtiger Antworten relativ gesehen 3,6-fach so gut informiert gewesen wie ihre deutschen Nachbarinnen, aber absolut gesehen überwog auch in Österreich die Ignoranz.

Auch Männer haben Probleme mit Statistiken: Rund 89 Prozent aller Befragten versprachen sich zu viel vom PSA-Test. In Deutschland glaubt mehr als die Hälfte, dass der Test 10 bis 100 von 1000 Männern das Leben „retten“ könnte. In Wirklichkeit sind es aber weniger als 1 auf 1.000, wenn überhaupt, denn der Wert des PSA-Screenings ist unter Experten weiterhin umstritten.

In einem immer teurer werdenden System brauche es mündige Patienten, Menschen, die Zusammenhänge richtig begreifen, um die notwendigen Entscheidungen kompetent treffen zu können. Die Gründe für die eklatanten Fehleinschätzungen führt Gigerenzer auch auf das Unvermögen von Ärzten zurück, statistische Ergebnisse wissenschaftlicher Studien nicht zu vermitteln zu können. Das Problem, dass auch Ärzte meist statistische Ergebnisse nicht richtig einschätzen, hatte bereits Johannes Bonelli umfassend anhand von Beispielen analysiert (Sinnorientierte Medizin, Imago Hominis (2004); 11(4): 251-264).

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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