Bioethik Aktuell

Studie zur häuslichen Pflege: Wer Angehörige pflegt, erlebt auch positive Zugewinne

Pflegende Angehörigen erleben mehr Wertschätzung und bekommen eine positivere Lebenseinstellung

Lesezeit: 02:35 Minuten

Erste wissenschaftliche Ergebnisse zeigen, dass pflegende Angehörige nicht nur negative, sondern auch positive Auswirkungen durch ihre Pflegetätigkeit erfahren. Dieser erlebte Zugewinn („Benefits“) scheint vorteilhafte Effekte auf die Pflegenden, Gepflegten und die gesamte Situation zu haben. Das zeigt eine aktuelle Studie des Uniklinikums Erlangen.

Müdigkeit, Stress, wenig Freizeit und das Gefühl mangelnder Anerkennung: Angehörige, die zum Beispiel einen Menschen mit Demenz im häuslichen Umfeld pflegen, empfinden ihre Tätigkeit oft als überfordernd oder psychisch belastend. Ein Forschungsteam des Uniklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) konnte nun jedoch in einer aktuellen im BCM Geriatrics erschienen Studie (BMC Geriatrics 23:26 (2023) https://doi.org/10.1186/s12877-022-03650-y) auch positive Seiten nachweisen, die mit einer Pflegetätigkeit verbunden sind.

Forscher entwickeln speziellen Fragebogen zu "Benefits" für pflegende Angehörige

Im Rahmen der Studie befragten die Forschenden in einer repräsentativen Piloterhebung mehr als 900 pflegende An- und Zugehörige. Um diese wissenschaftlich gültig zu erfassen, hatten sie im Rahmen des Forschungsprojekt Benefits of Being a Caregiver einen speziellen Fragebogen für pflegende Angehörige entwickelt, in dem das Konzept der „Benefits“ klar definiert wurde. „Mit dessen Hilfe erfahren diese einen Nutzen für sich selbst. Sie lernen aber auch, dass der erlebte Nutzen das Ergebnis ihrer Pflegetätigkeit ist“, heißt es in der Pressemitteilung (24. Jänner 2023)

Andere Werte werden wichtiger, Angehörige werden "geduldiger und reifer"

Laut FAU gaben 61,7 Prozent der Befragten an, dass ihnen durch die Pflegetätigkeit deutlicher geworden sei, welche Werte ihnen persönlich in ihrem Leben wichtig sind. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmenden habe „viel dazu gelernt“. 41 Prozent berichteten, ihre Zeit besser organisieren zu können. Weitere Erfahrungen: Die pflegenden Angehörigen seien geduldiger und reifer geworden, erlebten mehr Wertschätzung von anderen oder hätten eine positivere Lebenseinstellung gewonnen. Überrascht zeigten sich die Wissenschaftler, dass die "Zugewinne völlig unabhängig von der Belastung und der Dauer der Pflege" erlebt wurden, berichtet Co-Autor Elmar Gräßel vom Digitalen Demenzregister Bayern (digiDEM Bayern). 

Zwei Drittel Frauen nahmen teil

Pflegende Angehörige, die an der Studie teilgenommen haben, waren im Durchschnitt 61 Jahre alt, mehr als zwei Drittel waren Frauen (76,2 Prozent). Mehrheitlich sind es die Partnerinnen oder Partner sowie erwachsenen (Schwieger-)Töchter und -Söhne (87,1 Prozent), die ihre Angehörigen pflegten. Das Durchschnittsalter der Pflegebedürftigen betrug den Angaben zufolge 77 Jahre, knapp zwei Drittel waren weiblich. Als Ursachen für ihre Pflegebedürftigkeit wurden Altersgebrechlichkeit, eine Demenzerkrankung, ein Schlaganfall und Krebs genannt. 

Positive Aspekte der häuslichen Pflege stärken

Bislang gab es schon Belege dafür, dass negative psychologische (z.B. Depression) sowie physiologische (z.B. körperliche Beschwerden) Auswirkungen der Pflege durch das Erleben von „Benefits“ abgemildert werden könnten ("Puffereffekt"). Außerdem zeigte sich, dass Personen, die über mehr positive Aspekte in der Pflege berichteten, länger ihren Angehörigen pflegten und so ein Heimübertritt verzögert werden konnte.

„Pflegende Angehörige erleben nicht nur negative Seiten der häuslichen Pflege, sondern erfahren auch positive Auswirkungen, die sich erst durch die Pflegetätigkeit ergeben“, sagt Forschungsprojektleiterin Anna Pendergrass vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik des Uniklinikums Erlangen. Auf Basis der erforschten positiven Erfahrungen könne die Lebenssituation von Pflegenden und Gepflegten verbessert und damit die häusliche Pflege gestärkt werden.

 

 

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