Bioethik aktuell

Zika-Virus: Wissenschaftler melden ernste Zweifel an WHO-Alarmstufe an

Experten sprechen von „statistischer Verzerrung“, eugenische Abtreibungsindikation ist keine Lösung

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Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am 1. Februar wegen des Zika-Virus den globalen Gesundheitsnotstand und damit die höchste Alarmstufe ausgerufen. Zu diesem Schritt habe eine Expertenrunde geraten, teilte die WHO mit. Das kam überraschend. Auch wenn sich das von infizierten Mücken übertragene Virus rasant in Süd- und Mittelamerika ausbreitet, sind die Folgen keineswegs etwa mit dem Ebola-Virus vergleichbar. Dieser ist für drei von vier Patienten tödlich. Bei einer Ansteckung mit dem Zika-Virus ist der Verlauf für 80 Prozent der Betroffenen hingegen harmlos. Die meisten Menschen, die sich mit dem Virus anstecken, bemerken dies gar nicht. Nur bei jedem vierten bis fünften Infizierten kommt es zu leichtem Fieber, Hautausschlag und geröteten Augen.

Bislang sind nur wenige Todesfälle in Verbindung mit dem Zika-Virus bekannt. Zum Vergleich: 2015 gab es 1,7 Millionen Dengue-Fieber-Fälle alleine in Brasilien, weltweit sterben am Dengue-Fieber jährlich rund 22.000 Menschen (vgl. Die Zeit, online, 10.2.2016). An der von anderen Mücken übertragenen Malaria starben 2015 laut WHO 438.000 Menschen, 70 Prozent davon Kinder unter fünf Jahren.

Auslöser für die Notstandserklärung der WHO ist vielmehr das vermutete Risiko einer Schädigung des Nachwuchses von schwangeren Frauen aufgrund des Zika-Virus. Im Herbst 2015 hatte das brasilianische Gesundheitsministerium von einer deutlichen Häufung von Schädel-/Hirn-Fehlbildungen (Mikrozephalie) bei Föten und Neugeborenen in Teilen Brasiliens berichtet. Dort gab es besonders viele Ansteckungen mit dem Zika-Virus. Doch um von einem direkten kausalen Zusammenhang zu sprechen, gibt es laut Experten noch zu viele Unklarheiten. Laut einem Bericht im New England Journal of Medicine konnten Pathologen der Universitätsklinik von Ljubljana das Virus bei einer Obduktion im Gehirngewebe eines abgetriebenen Embryos mit Mikrozephalie nachweisen (vgl. February 10, 2016 DOI: 10.1056/NEJMoa1600651). Ein Zusammenhang scheint mit diesem Fallbericht möglich, eine Kausalität ist allerdings damit nicht bewiesen. „Es sind weitere Forschungsanstrengungen notwendig, bevor gesagt werden kann, ob es irgendeinen Zusammenhang gibt“, sagt die WHO. Die Erforschung des Zika-Virus und die Entwicklung eines Impfstoffes sollten nun im Fokus stehen.

Im Oktober 2015 hat Brasilien eine Meldepflicht von Mikrozephalie-Fällen eingeführt. Im Jahr 2014 wurden 147 Fälle bestätigt. Nach Angaben des Brasilianischen Gesundheitsministeriums (Bulletin vom 2.2.2016) schnellte die Zahl zwischen Oktober 2015 und Ende Jänner 2016 auf 4.783 gemeldete Verdachtsfälle von „Mikrozephalie oder anderen schweren neurologischen Defekten“. Allerdings: Von den überprüften Fällen sind „nur“ 404 tatsächlich bestätigt worden, bei 709 Neugeborenen konnte nachträglich eine Mikrozephalie ausgeschlossen werden. Es handelte sich also um Fehldiagnosen. Und: Nur in 17 Fällen konnte nachgewiesen werden, dass sich die schwangeren Frauen zuvor mit dem Zika-Virus infiziert hatten (vgl. FAZ, online, 5.2.2016).

Nach Angaben des Berliner Robert Koch-Instituts (RKI) ist es denkbar, dass ein ganz anderer Auslöser für die Kindesfehlbildungen verantwortlich ist. So ist Alkoholkonsum während der Schwangerschaft einer der häufigsten Gründe für angeborene Behinderung. Auch umweltschädigende Faktoren oder ein Medikament könnten die Ursache sein (vgl. Vorarlberger Nachrichten, online, 2.2.2016).

Druck gab es innerhalb der WHO von einigen Mitarbeitern, von nun an rasch alle wissenschaftlichen Daten gebündelt zu publizieren, um geeignete Public Health-Maßnahmen setzen können (vgl. Bull World Health Organ 2016, doi: http://dx.doi.org/10.2471/BLT.16.170860). Die WHO lenkte ein und errichtete mit dem Online-Portal ZIKA OPEN erstmals eine offene Datenplattform. Hier wurden inzwischen auch Studien publiziert, die die dramatische Zunahme von Mikrozephalie-Fällen kritisch hinterfragen.

Jorge Lopez-Camelo und Ieda Maria Orioli führen den Anstieg der registrierten Mikrozephalien auf eine statistische Verzerrung zurück, die sich auf die im Oktober 2015 eingeführten Meldepflicht von kleinköpfigen Neugeborenen zurückführen lässt, berichtet Nature (530, 13-14, 04 February 2016, doi:10.1038/nature.2016.19259). Die Epidemiologen kritisieren außerdem, dass es bislang keine einheitlichen Diagnosekriterien für eine Mikrozephalie gibt (vgl. FAZ, online, 5.2.2016).

Juliana Sousa Soares de Araújo und ihre Kollegen vom Paediatric Cardiology and Perinatology Network (RCP-CirCor) in Paraiba analysierten die Angaben zum Kopfumfang von mehr 16.000 Kindern (vgl. Bull World Health Organ E-pub: 4 Feb 2016. doi: http://dx.doi.org/10.2471/BLT.16.170639). Sie zeigten, dass bei zu eng gestellten Kriterien auch gesunde Babys mit einem innerhalb ihrer Ethnie als normal geltenden Kopfumfang unter die Verdachtsfälle subsumiert würden. Die Fehldiagnose trage zur scheinbaren Häufung von Fällen bei (vgl. ECLAMC Final Document). Auffallend ist, dass die Krankheit überproportional häufig arme Familien unter hygienisch prekären Bedingungen trifft. Offen ist auch, ob Ernährungsdefizite oder ethnische Besonderheiten eine Rolle spielen.

Offenbar hat das Zika-Virus zu einer starken Verunsicherung von Schwangeren geführt, in Brasilien berichten Medien von „Panik-Abtreibungen“ (vgl. FAZ, online, 1.2.2016). Der honduranische Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga kritisierte die Praxis, den Schwangeren im Falle einer Zika-Infektion zu einer „therapeutische Abtreibung“ zu raten. Lobbying-Organisationen und die UNO benützen indes offenbar die Krise, um Druck auf die lateinamerikanischen Länder zu erhöhen, die eugenische Indikation einzuführen und Gesetze zur Abtreibung zu liberalisieren. So forderte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra'ad Al Hussein die Regierungen zu einer „sicheren Abtreibung“ als Gesundheitsmaßnahme auf. Auch Planned Parenthood, der größte Anbieter von Abtreibungen in den USA startet im Namen des Zika-Virus eine Pro-Abtreibungs-Kampagne.

Institut für Medizinische
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