Bioethik aktuell

Antibiotika: Bessere Aufklärung verhindert bis zu 40 Prozent unnötige Verordnungen

Patienten fühlen sich nach Rezeptverordnung besser betreut, werden aber nicht gesünder

Lesezeit: 02:19 Minuten

© Pixelio.de_498111_Andrea_Damm

Die Ergebnisse eines aktuellen Cochrane Reviews (doi.org/10.1002/14651858.CD010907.pub2) zeigen, dass Schulungen und Informationen die hausärztlichen Antibiotika-Verordnungen bei akuten Atemwegserkrankungen um knapp 40 Prozent senken können - und zwar ohne dabei die Patientenzufriedenheit zu vermindern oder die Zahl erneuter Konsultationen beim Hausarzt zu erhöhen.

Ein Team von Cochrane-Forschern unter der Leitung des Australiers Peter Coxeter vom Centre for Research in Evidence-Based Practice (CREBP) der Bond University befasste sich mit 10 randomisierten Studien, die mehr als 1.100 Hausärzte und rund 492.000 Patienten einschloss, vor allem aus Großbritannien und Europa (vgl. Cochrane Library, online, 11.11. 2015). Unter anderem wurden die Mediziner kommunikativ geschult, um besser mit Befürchtungen und Erwartungen der Patienten umzugehen, sich über Symptome und den natürlichen Krankheitsverlauf austauschen und eine Übereinkunft zum zukünftigen Behandlungsplan treffen zu können. Die verbesserte Arzt-Patient-Kommunikation verringerte die Zahl der Medikamentenverordnungen.

Eine vom King’s College im British Journal of General Practice (DOI: 10.3399/bjgp15X688105) publizierte Studie hatte erst kürzlich ein gefährliches Paradox beschrieben: Wenn ein Hausarzt seinem Patienten, der wegen einer lästigen, akuten und länger anhaltenden Atemwegserkrankung kommt, keine Antibiotika verschreibt, sind Patienten unzufrieden. Sie halten ihn offenbar für keinen guten Arzt. Bekannt ist das Phänomen auch in anderen Bereichen der Medizin, etwa dem - teils unnötigen - Einsatz diagnostischer Verfahren. So zeigten Studien, dass sich der Patient mit einem u. U. unnötigen Röntgenbild in der Hand erwiesenermaßen zufriedener fühle, was in Folge auch den Arzt zufriedener mache (vgl. Bioethik aktuell, 15.1.2015).

Bei Antibiotika-Verschreibungen zeigt sich nun ein ähnliches Bild: „Es ist bedenklich, dass die Patienten bei einem Arztbesuch ein Rezept für ein Antibiotikum als Erfolg betrachten“, meinte Tim Ballard, Vizepräsident des Royal College of General Practitioners (vgl. The Guardian, online, 7.12.2015). „Noch dazu, wo wir wissen, dass Antibiotika in vielen Fällen nicht die angebrachte Form der Behandlung sind und oft mehr schaden als nützen - so dass es besser sein kann, sie nicht zu verschreiben,“ so Ballard.

In der Studie hatten Mark Ashworth und sein Team vom Department for Primary Care and Public Health des King’s College Patientenbefragungen der Jahre 2011 bis 2013 analysiert. Sie erfassten dabei Daten von knapp einer Million Fragebögen aus 8.100 Arztpraxen. In dieser Zeit gab es 33,7 Millionen Verschreibungen von Antibiotika an 53,8 Millionen Patienten. Patienten, die - in vielen Fällen unnötig - Antibiotika schluckten, waren dennoch zufriedener als jene, die keine bekamen. Laut Studie hatten Allgemeinmediziner, die 25 Prozent weniger Antibiotika verschrieben als der Durchschnitt, weniger zufriedene Patienten als ihre Kollegen.

Erst im November hatte die WHO vor zunehmenden Resistenzen von Bakterien gewarnt, die unter anderem durch unnötige Verordnungen von Antibiotika verschärft werden. Jährlich würden rund 700.000 Menschen sterben, weil Antibiotika gegen bestimmte Bakterien nicht mehr wirken - alleine in der EU seien es rund 25.000 Menschen.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: