Bioethik Aktuell

Telemedizin bei chronisch Kranken: Nachhaltigkeit bleibt begrenzt, persönliche Betreuung nötig

Studie zeigt: Digitale Gesundheits-Apps allein verbessern Lebensstil und Gesundheit bei älteren Patienten kaum nachhaltig

Lesezeit: 02:40 Minuten

Die digitale Revolution im Gesundheitswesen verspricht viel, doch eine umfangreiche Studie mit mehr als 500 deutschen Patienten zeigt nun ernüchternde Ergebnisse: Ohne kontinuierliche persönliche Betreuung bleiben die Erfolge von Telemedizin und Gesundheits-Apps begrenzt. Besonders bei älteren Menschen mit chronischen Erkrankungen reicht die digitale Unterstützung allein nicht aus, um nachhaltige Gesundheitsverbesserungen zu erzielen.

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Gesundheits-Apps wie Schrittzähler, Blutzuckertagebuch oder Ernährungscoach erleben einen regelrechten Boom. Die Hoffnung dahinter: Patienten könnten durch digitale Unterstützung selbst mehr Verantwortung übernehmen und ihre Gesundheit aktiv verbessern. Eine neue Studie der Technischen Universität München, veröffentlicht im renommierten Nature Medicine Journal (2025), relativiert nun diese Erwartungen: Trotz App-gestützter Programme konnten bei älteren Patienten mit koronarer Herzkrankheit und Typ-2-Diabetes nur geringe und nicht nachhaltige Verbesserungen erzielt werden.

Ohne menschliche Betreuung sinkt die Motivation rapide

An der Studie nahmen 502 Patientinnen und Patienten teil, davon etwa 84 Prozent Männer. Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Kontrollgruppe erhielt eine reguläre ärztliche Betreuung, ergänzt durch allgemeine Ernährungsempfehlungen und Informationsmaterial zur körperlichen Aktivität. Die Interventionsgruppe bekam zusätzlich ein individuell zugeschnittenes Heimtrainingsprogramm mit App-Unterstützung sowie personalisierte Ernährungshinweise. Während der ersten sechs Monate erfolgte eine regelmäßige telefonische Begleitung, danach sollten die Patienten das Programm eigenständig weiterführen.

Die Ergebnisse zeigten zunächst positive Tendenzen: Der Langzeitblutzuckerwert sank im Durchschnitt um 0,13 Prozent, was statistisch signifikant war. Auch bei Gewicht und Gesundheitswissen wurden leichte Verbesserungen dokumentiert. Doch nach dem Wegfall des individuellen Feedbacks und der telefonischen Betreuung verschwanden die Unterschiede zur Kontrollgruppe nach zwölf Monaten vollständig. Besonders auffällig war, wie wenige sich an die empfohlenen Bewegungsprogramme hielten: Nur 41 Prozent der Teilnehmenden setzten die Vorgaben überhaupt um, und die Motivation ließ rasch nach.

Digitale Gesundheitsanwendungen stoßen bei älteren Patienten an Grenzen

Ein weiteres Hindernis war die Bedienung der Apps selbst. Zwei Drittel der älteren Teilnehmer empfanden den Umgang mit den digitalen Tools als schwierig, trotz ausführlicher Einführungen, regelmäßiger Hilfestellungen und technischer Unterstützung. Dieser Umstand trug dazu bei, dass der erhoffte positive Effekt auf Blutzuckerwerte, körperliche Aktivität und Herz-Kreislauf-Gesundheit ausblieb.

Deutschland nimmt als erstes europäisches Land eine Vorreiterrolle ein, in dem digitale Leistungen als ärztliche Leistung von den Krankenkassen honoriert werden. Umso wichtiger sind große Studien wie diese, um den tatsächlichen Nutzen von app-basierten Ansätzen zu evaluieren, betont Studienleiter Martin Halle, Professor für präventive Sportmedizin und Sportkardiologie an der TUM.

Persönliche Betreuung bleibt unverzichtbarer Bestandteil

Die in der Studie erprobte individualisierte Begleitung war sehr ressourcenintensiv, hebt Halle hervor. Dennoch würden die Ergebnisse unmissverständlich zeigen, dass technische medizinische Angebote nicht automatisch zu besserer Gesundheit führen – insbesondere nicht bei älteren Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Die Schlussfolgerungen der Forschenden sind eindeutig: Digitale Tools allein genügen nicht, um den Lebensstil nachhaltig zu verändern. Entscheidend bleibt die persönliche Betreuung durch medizinisches Fachpersonal. Außerdem ist es wichtig, realistische Erwartungen zu setzen. Eine App kann unterstützen, aber nicht in gleichem Maße motivieren, begleiten und anspornen wie ein Mensch.

Hybride Ansätze versprechen bessere Ergebnisse

Für die Zukunft empfehlen die Forschenden hybride Versorgungskonzepte, die digitale Unterstützung mit persönlichem Kontakt, klaren Strukturen und individualisierter Begleitung kombinieren. Nur so lassen sich nachhaltige Gesundheitsverbesserungen erzielen.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass eine ganzheitliche Herangehensweise notwendig ist. Der aktuelle App-Hype muss relativiert werden", resümiert Studienleiter Halle. „Persönliche Betreuung bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil der Patientenversorgung. Ein rein App-basierter Ansatz ist zumindest für das deutsche Gesundheitssystem keine Lösung.“

Institut für Medizinische
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