Kommentar zum Fall

Imago Hominis (2002); 9(1): 62
Zdenek Jaros

Aus der Sicht der Neonatologen wurde das Neugeborene nach der Notsectio optimal primär versorgt. Es wurden alle Möglichkeiten der heutigen Intensivneonatologie ausgeschöpft, um das Kind zu retten. Ein Neugeborenes mit intrauteriner Asphyxie und pH 6.9, nach suffizienter Reanimation mit Apgar 5 in der 5. Minute hat in der Regel nicht so eine infauste Prognose. Wie gut oder wie schlecht es dem Kind intrauterin vor der Uterusruptur gegangen war, kann aus dem gegebenen Bericht nicht beurteilt werden, ist aber für den weiteren Verlauf und für weitere Maßnahmen nicht von entscheidender Bedeutung. Lichtstarre Pupillen, der Ultraschallbefund, sowie das beschriebene 2D-Bild und wahrscheinlich auch die Doppleruntersuchungen der Blutflussgeschwindigkeit in der 3. Lebenswoche sprechen für ein dekompensiertes irreversibles zytotoxisches Hirnödem (Volpe).

Das beschriebene EEG mit Gruppen von hochamplitudigen Deltawellen, kombiniert mit erhöhter cerebraler Erregungsbereitschaft kann als Zeichen eines schweren Hirnödems beurteilt werden. Als Folge des therapeutisch nicht beherrschbaren Hirnödems treten zystische Veränderungen des Gehirns und Hirnatrophie sowie Opticusatrophie (damit verbundene Erblindung) auf.

Die Frage, die sich das Behandlungsteam stellt, nämlich, ob durch eine weitere sinnvolle Therapie eine Heilung des Kindes möglich ist, muss klar mit einem „Nein“ beantwortet werden. Zu dieser Zeit kann nach beschriebener Klinik, dem Ultraschall- und EEG-Befund mit ziemlicher Sicherheit die Prognose der schwersten Behinderung gestellt werden (Cerebralparese, mentale Retardierung, Epilepsie, Blindheit).

In einer derartigen Situation, die dem Neonatologen nicht fremd ist, kann das von E.H. Prat im Imago Hominis mehrmals veröffentliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit gut angewendet werden. Bei unsicherem Ausgang müssen die diversen familiären, gesellschaftlichen, ökonomischen oder religiösen Aspekte beachtet und gegeneinander abgewogen werden. Daraus lässt sich auf die Verhältnismäßigkeit der weiteren Maßnahmen schließen. Sollte es der dringende Wunsch der Eltern sein, um jeden Preis das Kind am Leben zu erhalten, und haben sie den sozialen und ökomonischen Background dafür, ein schwerstbehindertes Kind zu versorgen, wäre es zu überlegen, bei Versagen der Atemregulation mit Zunahme der Apnoen und flachen Apnoen in der 6. Lebenswoche aufgrund von nicht eindeutigem EEG-Befund noch einen weiteren Versuch zu wagen, das Kind zu beatmen.

Kommt es allerdings an der Beatmungsmaschine zu mangelndem Atemantrieb, (z.B. unter SIMV- bzw. PSV-Beatmung) könnte spätestens dann unter Sedoanalgesie (Schmerzausschaltung) die Beatmung beendet werden.

In diesem konkreten Fall war das Verhält-nismäßigkeitsprinzip aber anders ausgefallen. Die Mutter lehnte das Kind ab, eine Betreuung und Begleitung des schwerstbehinderten Kindes kommt für sie überhaupt nicht in Frage. Die Entscheidung des Ärzte- und Pflegeteams, das Kind nicht mehr zu beatmen, da eine gestörte Atemregulation vorliegt, ist eine kluge Entscheidung. Therapieabbruch bei infauster Prognose ist moralisch legitim.

Nur am Rande soll erwähnt werden, dass die Wertigkeit des Lebens bei der restriktiven Reproduktionspolitik in China nicht mit unserer Einstellung zum Leben gleichzusetzen ist.

Die Entscheidung des Ärzte- und Pflegeteams war keine Ja- oder Nein-Entscheidung zum oder gegen das Leben. Es war die Entscheidung eines Teams, das mit beiden Beinen am Boden steht, den Heilauftrag der Ärzte erfüllt und sich nicht dem Prinzip der Heiligkeit des Lebens widersetzt.

Anschrift des Autors:

Prim. Doz. Dr. Zdenek Jaros
A.ö.KH der Stadt Zwettl
Propstei Nr. 5
A - 3910 Zwettl

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
Unterstützt von: