Editorial

Imago Hominis (2017); 24(1): 003-005
Enrique H. Prat

Louise Brown wurde 1978 als erstes Kind nach In-Vitro-Fertilisierung (IVF) geboren, Schätzungen zufolge sind bis heute rund 5 Millionen IVF-Kinder zur Welt gekommen. Vor 40 Jahren hatte niemand geahnt, wie die künstliche Befruchtung innerhalb weniger Jahrzehnte die menschliche Fortpflanzung revolutionieren würde. Ursprünglich galt der nicht therapierbare Eileiterverschluss als einzige Indikation für die IVF und war auf verheiratete Frauen beschränkt. Innerhalb kürzester Zeit breitete sich das Spektrum der Indikationen für reproduktionsmedizinische Eingriffe auch auf männliche Unfruchtbarkeit und „ungeklärte Unfruchtbarkeit“ aus bis hin zu Lebensentwürfen ohne jeden pathologischen Hintergrund.

Je nach nationaler Gesetzeslage haben verheiratete Paare, Lebensgemeinschaften, Singles, Frauen nach der Menopause oder Witwen Anspruch auf eine künstliche Befruchtung, ebenso lesbische Paare mit Samenspende, homosexuelle Paare mit Eizellspende und Leihmutter oder auch Paare, die zwar fruchtbar sind, aber ihr zukünftiges Kind vorher genetisch untersuchen wollen. Der Druck, die Selektion und Manipulation des Embryos zu legalisieren, hat sich bereits auf die nationalstaatliche Gesetzgebung vieler Länder ausgewirkt. Auch genetische Patchwork-Babys (Drei-Eltern-Kind) sind unter dem Vorzeichen der Vermeidung von Krankheiten heute in einigen Ländern möglich.

40 Jahre Reproduktionsmedizin werfen bis heute zahlreiche ethische, rechtliche und medizinische Fragen auf. Anlass genug, dass renommierte Autorinnen und Autoren sich aus verschiedenen Blickwinkeln kritisch und fundiert der brisanten Thematik in der vorliegenden Ausgabe von Imago Hominis zuwenden.

Die Ethikerin Susanne Kummer (IMABE, Wien) zeigt zunächst anhand der Geschichte der IVF auf, dass ethische Probleme und medizinische Experimente von Anfang an die Methode prägten. So trug der IVF-„Erfinder“ Robert Edwards eugenisches Gedankengut in sich, von dem er auch als späterer Nobelpreisträger nicht abrückte. Kummer bietet eine Übersicht über die medizinischen Risiken der IVF-Methode für Kinder und Frauen und lässt Reproduktionsmediziner zu Wort kommen, die ihre eigene Branche zunehmend kritischer sehen. Im dritten Teil geht die Bioethikerin den ethischen Kernfragen der Technisierung der menschlichen Fortpflanzung nach und stellt die Kennzeichen der „Logik der Zeugung“ einer „Logik der Erzeugung“ gegenüber.

Die Psychologin Karin J. Lebersorger (Institut für Erziehungshilfe, Wien) geht in ihrem Beitrag den psychosozialen Herausforderungen nach assistierter Reproduktion nach. Im Eltern-Kind-Verhältnis stehen nach reproduktionsmedizinischen Maßnahmen auch Dritte im Raum, insbesondere bei Kindern nach Eizellen- oder Samenspende, aber auch das am Entstehungsprozess des Kindes beteiligte Fachpersonal. Die IVF-Behandlung lässt Emotionen weitgehend außer Acht und verspricht das ersehnte „Wunschkind“, was zu unrealistischen elterlichen Erwartungen führen kann. Um sich an Schmerzhaftes nicht mehr erinnern zu müssen, verheimlichen viele Eltern ihrem Kind seine Entstehung. Lebersorger plädiert im Sinne des Kindeswohls für einen offenen Umgang damit: Das Wissen um die eigene Herkunft sei ein integraler Bestandteil der Identitätsfindung.

In Österreich trat vor zwei Jahren die heftig diskutierte Novelle des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedRÄG 2015) in Kraft. Bis heute fehlen die gesetzlich festgelegten Maßnahmen zur wissenschaftlichen Begleitung der IVF-Techniken und die Stärkung der Rechte der Kinder. Auch wurde immer noch kein Zentralregister für Eizell- und Samenspenden eingeführt, damit Kinder ihre genetische Identität später eindeutig identifizieren können, ebenso ein aktiv verfolgtes Kommerzialisierungsverbot der Eizellenspende.

Magdalena Flatscher-Thöni (Institut für Public Health, UMIT) und Caroline Voithofer (Institut für Zivilrecht, Universität Innsbruck) gehen den vielen offenen Fragen rund um die nun in Österreich erlaubte Eizellenspende und Präimplantationsdiagnostik (PID) aus rechtsdogmatischer Perspektive nach. Sie machen deutlich, dass die PID in aller Eile vom Gesetzgeber „nur sehr vage geregelt“ wurde. Der Gesetzgeber bediene sich historisch vorbelasteter Begriffe wie „Erbkrankheit“, die dann aber nicht hinreichend definiert würden, kritisieren die Autorinnen. In diesem ethisch sensiblen Bereich bestehe nun starke Rechtsunsicherheit. Die Novelle des FMedG würde auch die Eizellenspende nur in groben Zügen regeln. Anhand einzelner Problemdarstellungen zeigen die Juristinnen auf, dass weder der Schutz der Spenderinnen und der Empfängerinnen noch die Rechte des Kindes ausreichend berücksichtigt sind.

Die Religionsphilosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz (TU Dresden/EUPHRat Heiligenkreuz) geht in ihrem Beitrag der Frage nach der Bewältigung von ungewollter Kinderlosigkeit im Zeitalter der technischen Machbarkeit nach. Nach einem Streifzug durch die Antike und das Judentum zeigt sie den Umschwung durch das Christentum. Hier würden erstmals die „Bande des Blutes und der Sippe“ gesprengt. Damit würde das Christentum auch ein neues Licht auf den tieferen Sinn von Fruchtbarkeit werfen. Sie ist als solche nicht zwingend an die biologische Mutter- oder Vaterschaft gebunden. Seelische und geistige Elternschaft nehmen hier einen zentralen Platz ein, in denen Gerl-Falkovitz alternative Bewältigungsstrategien zu leiblicher Kinderlosigkeit sieht.

Pilar Vigil, Gynäkologin am Reproductive Health Research Institute (Santiago de Chile), analysiert mit Kollegen den hochkomplexen Vorgang der Befruchtung der menschlichen Eizelle durch die Samenzelle. Sowohl der Spermientransport als auch die Kapazitation des Spermas sind dabei auf entscheidende Einflüsse aus dem hormonellen Milieu in der Gebärmutter angewiesen. Anhand von Studien zeigt die Reproduktionsforscherin, dass das natürliche Milieu so kompliziert und essentiell für die Entwicklung des Embryos ist, dass dieses bei der IVF kaum ausreichend imitiert werden kann. Darin liegt ein Grund für die geringe Erfolgrate der IVF, vermehrte Fehlgeburten sowie auch Krankheiten des Embryos bzw. Erwachsenen.

Die Wiener Publizistin Eva Maria Bachinger (Autorin des Buches: Kind auf Bestellung. Plädoyer für klare Grenzen (2015), eine Rezension zum Buch findet sich unter den Buchbesprechungen in dieser Ausgabe) beschreibt in ihrem Beitrag kritisch den globalen Markt der Leihmutterschaft. Das Kind werde zu einem Vertragsgegenstand degradiert, zu einer Art Ware. Dass es in erster Linie um die „Qualität“ des Kindes geht und nicht um die „Arbeit“ der Leihmutter, zeigt sich anschaulich in Fällen, wo ein behindertes Kind von den Wunscheltern zurückgelassen wird. Bachinger kritisiert, dass die Praxis der Leihmutterschaft die hohen Standards bei der Adoption aushebelt und sieht einen klaren Widerspruch zwischen der Leihmutterschaft und der Einhaltung der Kinderrechtskonvention.

Institut für Medizinische
Anthropologie und Bioethik
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